Endlich wieder Markt!

  • 'Fortuna sei Dank?' echote es in ihrem Kopf. Und sie war froh, dass es dies nur in ihrem Kopf tat, denn die ergänzenden Gedanken waren wahrlich nicht für die Welt und schon gar nicht für seine Ohren geeignet. Denn sie fand, er sollte nicht der doch manchmal launischen Fortuna danken, sondern viel mehr der positiv eingestellten Venus - so jedenfalls sah Livilla es in diesem Moment. Aber - den Göttern sei Dank - hatte sie ihre Fassade notdürftig wieder aufbauen können und war sie eben noch ein offenes Buch gewesen, so würde man nun wieder einige Seiten blättern müssen, um die gewünschten Informationen zu erhalten. Sie fühlte sich, nun so unsanft aus ihrem Traum gerissen und aus seiner Umarmung gelöst irgendwie deplaziert. Als würde der Zustand plötzlich fehlen. Sie brauchte dringend wieder eine ruhige Minute, ihre Gefühle tanzten unziemlich auf dem Tisch und das passte ihr überhaupt nicht. Nicht dass sie das Fühlen an sich verpönte, aber sie kam nicht recht mit dem Umstand zurecht, etwas von sich selbst nicht hundertprozentig im Griff zu haben. Sie sah mit leicht geöffnetem Mund zu ihm auf, als habe sie ihm etwas von ihren Gedanken verraten wollen. Schnell schloss sie ihn und begann ihre Haare zu kontrollieren. Aus diesem Grund fiel ihr seine starke Verlegenheit auch tatsächlich nicht auf, viel zu fahrig erinnerte sie sich ungewollt immer und immer wieder an die letzten Augenblicke zurück.
    Sie ließ ein leises Seufzen vernehmen. Was gäbe sie drum zu erfahren, was ihm nun im Kopf herumspukte. Vermutlich könnte sie diese Gedanken sogar problemlos ablesen, aber soweit dachte sie gar nicht. Sie war zugleich noch stark damit beschäftigt, die eigenen Gedanken weitestgehend unter Kontrolle zu halten.
    "Es... ja es ist alles in Ordnung." beteuerte sie. Eigentlich hätte sie die Gelegenheit nutzen können, um ihn anzufahren, um die Distanz wieder aufzubauen, aber irgendwie fühlte sie sich geschwächt, ja, beinahe schon lustlos. Sie wollte das gar nicht. "Ich wäre aber froh, wenn du mich begleiten könntest." gab sie zurück, ohne ihre Antwort vorher kurz zu überdenken. Dann erstarrte sie einen Moment. Sie hatte keine Sekunde die Gedanken im Sinn, die er so sehr fürchtete. Vielmehr machte sie sich nun darüber Sorgen, dass sie ihm so schnell zugesagt hatte, sich zu ihr zu gesellen. Jemanden nach Hause bringen war in gewisser Weise schon etwas sehr Intimes. Um sich selbst machte sie sich dabei keinerlei Gedanken - aber was würde er davon halten, dass sie sich so schnell hatte überreden lassen?
    "Ich meine, natürlich nur, wenn es Dir keine Umstände macht, Aurelius..." Sein nomen gentile brachte sie mit einem leichten, kaum merklichen Zögern heraus. Es war eine distanzierte Art ihn anzureden, von der sie hoffte, dass sie die Ausgeglichenheit wiederherstellen könnte. Aber irgendwie fürchtete sie diese Ausgeglichenheit auch wieder. Sie sah beinahe fragend zu ihm auf, als könnte er ihr erklären, was dieses gedankliche Chaos in ihr sollte, das von einem Moment auf den anderen angerichtet wurde. Die Sonne schien schließlich immer noch wolkenlos vom Himmel herab, die Menschenmasse summte wie ein Bienenstock und die Händler priesen lautstark ihre Ware. Aber irgendetwas war dennoch anders. Hatte sie sich vielleicht den Kopf gestoßen, ohne etwas davon bemerkt zu haben? Nachdenklich legte sie ihre Hand an den Hinterkopf, dann sah sie zu den Sklaven. Bestimmt, aber absolut nicht unfreundlich, wies sie diese an, die Sänftenträger nach Hause zu schicken und sich diesen anzuschließen. Sie würde in Begleitung des Aureliers keine Begleitung brauchen. Und vor Allem wollte sie diese auch gar nicht. Sie wollte, wenn sie denn sprachen, etwas offener sprechen und das würde sie nicht können, wenn hinter ihnen Sklaven waren, die das alles an irgendwelche Stellen weitertragen konnten. Selbst wenn es dafür keinen Ärger geben würde, hatte sie daran keinerlei Bedarf.

  • Gedanklich war der Aurelier bereits zuhause, alleine, in Gedanken und voller Zorn über seine ungeschickte und völlig deplatzierte Frage. Wie kam er auf den Gedanken, so etwas zu fragen? Natürlich, das war leicht zu beantworten… aber wieso sprach sie auch noch laut aus? Er hätte es doch besser wissen müssen! Das vielversprechende Zusammentreffen zweier fremder Patrizier mündete in einer intimen Berührung… endete aber in einer einzigen Katastrophe. Enttäuscht fuhr er sich durch die Haare, blickte nach unten. Er konnte den grauen Kies erkennen, wie er so regungslos und unbedeutend da lag und seinen Dienst verrichtete. Keiner scherte sich um ihn und doch erfüllte er ungefragt seinen Zweck.
    Er wartete Livillas Antwort gar nicht erst ab und war bereits im Begriff, sich der vermeintlichen Position seines Sklaven Lucius zuzuwenden, als er inne hielt. Woho… was? Skeptisch blickte er in die Leere. Was hatte sie gerade gesagt? Sie war… Würde sie das noch einmal wiederholen? ... einverstanden? Er musste wie ein Trottel aussehen, wie er sprachlos auf dem riesigen Marktplatz stand und ungläubig die Augen zusammenkniff. War das ein… Trick von ihr? Sie wollte ihn testen… wissen, wie er nun darauf reagiert, oder? Verzweifelt suchte er Hilfe, wusste aber auch sofort, dass er diese nicht bekommen würde, nicht hier, nicht jetzt. Er war auf sich allein gestellt und das beunruhigte ihn überraschenderweise ziemlich. Was war los? Es war… nur eine Frau, zugegeben, eine hübsche Patrizierin… doch immer noch nur eine Frau!


    Pegasus versuchte, sich zu konzentrieren. Sein Atem war unregelmäßig, der Puls war noch immer viel zu schnell. Seine Mimik schien alle Gesichtszüge einmal ausprobieren zu wollen und doch blieb sein Gesicht starr vor Verwunderung. Langsam neigte er sich ihr wieder entgegen. Sein Blick ruhte auf ihrem langen, schwarzen Haar - was ihn ein wenig entspannte. Schien ihr diese Situation gar nichts auszumachen? Er konnte es wirklich nicht erkennen.


    “Nein nein! Ich würde dich gern begleiten!“, versicherte er, die eben noch herrschende Skepsis völlig verdrängend. Was sollte er mit seinen Händen tun? Er verspürte den Drang, sie… ‚zufällig’ berühren zu wollen, konnte sich aber gerade noch im Zaum halten. Er hatte wahrlich Glück, dass sie so reagierte, wie sie es tat und wollte ihre Grenzen nicht ausreizen. Mit einer fast ruckartigen Bewegung umklammerte er den Saum seiner Toga. Sein Lächeln wirkte ratlos und war auch die Antwort auf ihren fragenden Blick. Weiß sie selbst nicht… was sie… denkt, hier vorgeht?, schoss es ihm durch den Kopf und eine Spur von Erleichterung machte sich in ihm bemerkbar. Seine Gesichtszüge wurden lockerer, doch seine azurblauen Augen wirkten noch immer nachdenklich.


    Er folgte ihrem Blick, als sie sich kurz den Sklaven widmete und diese zu seiner Überraschung wegschickte. Der vorherige Augenblick war furchtbar intim und das, obwohl die Sklaven anwesend waren. Wie würde das nun aussehen? Wieso war sie bereit, diese Intimität noch einmal zuzulassen? Kurz rief er sich seinen ersten Eindruck der – nicht mehr ganz so - Fremden in Erinnerung und musste sich damit konfrontiert sehen, dass er ihr anfangs jegliche Emotionalität abgesprochen hatte. Welch Irrtum...
    Automatisiert tat Pegasus es ihr gleich und schickte den kleinen Lucius weg, der mit erstaunt dreinblickender Miene das ganze Geschehen anscheinend beobachtet hatte. Die Auktion war abgeschlossen und die Sklavin würde im Laufe des Tages noch zur villa Aurelia gebracht werden, wo er sie bezahlen müsste. Das war zumindest das, was Paullus annahm und der Gedanke daran war eine willkommene Ablenkung, die er zugleich wieder missbilligte. Eigentlich wollte er sich mit gar nichts anderem als Claudia beschäftigen, ihr seine gesamte Aufmerksamkeit schenken. Er schaute dem grüngekleideten Sklaven noch kurz hinterher und wandte sich dann mit einem erwartungsvollen Lächeln wieder Livilla zu. “Also…?"

  • Etwas irritiert wirkte Livilla auf Grund seiner Reaktion tatsächlich. Hatte er etwas ins Auge bekommen? Oder hatte ihre Reaktion ihn tatsächlich so entsetzt? Sie schluckte kurz einen dicken Kloß hinunter. Also hatte er das ganze möglicherweise wirklich anders wahrgenommen als sie und sie hatte sich verraten. Sie hatte sich besudelt. Sie atmete ziemlich schwer durch die Nase und sah ihre Gedanken fieberhaft kreisen, sie surrten geradezu hektisch. Als er dann allerdings ebenfalls zustimmte, stoppte alles mit einem Schlag und eine innere Ruhe erfasste sie. Warum war sie so misstrauisch? Nein, die Frage war gar nicht, warum sie misstrauisch war, sondern warum sie vorher so große Vertrauensseligkeit an den Tag gelegt hatte.
    Sie warf ihm noch einen langen, forschenden Blick zu. In seine vielsagenden Augen, zu denen vorher schon ein ewig währendes Band geherrscht hatte. Bis dieser Sklaventölpel dieses durchrissen hatte. Aber im Grunde genommen war sie sehr froh, denn dadurch hat sich die Situation vollkommen verändert. Dann lächelte sie und setzte sich langsam in Bewegung. Wenigstens den Weg zur Villa wusste sie, wenngleich sie sehr viele Ecken Roms auch gar nicht kannte. Die meisten wollte sie besser auch gar nicht kennenlernen - und sie musste es ja schließlich auch nicht. Dafür hatte sie normalerweise bestens ausgebildete Sänftenträger, die den Weg kannten und sie bequem von einem Ort zum Anderen tragen konnten.
    "Ich hoffe du denkst jetzt nichts falsches über mich, Aurelius, aber ich kann nach dem Ereignis eben die Anwesenheit der beiden Sklaven nicht länger ertragen." - 'Und außerdem wähne ich mich bei dir sogar sicherer.' fügte sie nach den leise gesprochenen Worten hinten an. Die Worte entsprachen einer vollkommenen Wahrheit. Sie hatte wirklich keinen Bedarf an den Sklaven. Nach außenhin gab sie Missbilligung vor, aber sie nahm fast an, dass er, nach all den Zweideutigkeiten des Tages, eine zweite Botschaft heraushören konnte. Sie würde ihn nicht berühren, würde an sich auch keine Nähe zulassen - das stand ihr einfach in dieser Situation nicht zu. Aber sie wollte jetzt eine Art trauter Zweisamkeit. Gut möglich dass sie sich nicht viel zu sagen hatten und dass wieder eine gewisse Distanz aufkam, aber das Risiko würde sie eingehen. Ihr war einfach danach, keine Sklaven bei sich zu haben.
    "Aber eigentlich ist es wirklich schon gemeingefährlich hier. Die Händler sollten doch keine Ware anbieten, die sie nicht unter Kontrolle haben. Was wäre gewesen, wenn er bewaffnet gewesen wäre? Ich meine, ein Architekt baut doch auch kein Haus, in dem Wissen, dass der nächstbeste Eintretende darunter begraben wird - es sei denn, es ist ein Anschlag." sinnierte sie nun, um zu einem Gespräch zu kommen. Sie wollte mit ihm das Geschehene analysieren. Die Ursache des Ganzen. Und vielleicht auch das Ereignis an sich? Das kam ganz auf ihn an, vermutlich würde sie den Gesprächsverlauf in seine Hände legen. Ihren Kopf hatte sie seitlich zu ihm gewandt, sie achtete eher aus den Augenwinkeln auf den 'Gegenverkehr'.

  • Noch einmal ließ er die letzten Augenblicke Revue passieren. War das alles tatsächlich geschehen? Hatte diese unsittliche und doch notwendige Berührung wirklich stattgefunden? Waren die beiden nun wirklich… ‚alleine’? Ihm war klar, dass so etwas nicht alltäglich war, dass ihre Begegnung eine schicksalhafte, von den Göttern geplante, sein musste. Aus diesem Grund war er sich nicht sicher, wie er sich im Folgenden verhalten sollte. Auf so etwas hatte man ihn logischerweise nie vorbereitet, es gab keinen gesellschaftlichen Leitfaden, der einen durch diese Situation führte und die Wahrung der sittlichen Norm garantierte. Sie waren im Grunde völlig fremd, auch wenn er das Gefühl hatte, dass es kaum möglich war, jemanden auf eine intensivere und vollkommenere Art kennenzulernen. Das änderte oberflächlich aber nichts an der Tatsache, dass sie bisher nur ihre Namen ausgetauscht hatten und für jegliche Ansprache das nomen gentile gebraucht wurde. Eine symbolische Distanz, wie ihm schien, die es trotzdem zu wahren galt. Welchen Eindruck mochte es machen, wenn zwei sich unbekannte Patrizier ohne Begleitung durch die Straßen Roms flanierten und sich wohlwollende Blicke zuwarfen?


    Ihre Augen rissen ihn aus seiner Gedankenwelt. Augen, die ihn wahrscheinlich nie mehr verlassen würden, die er unter hunderten… tausenden wiedererkennen würde. Niemals hatte er sich so tief in einem Blau verloren und war gleichzeitig so konzentriert, dass er jede Facette dieser Tiefe wahrnahm und jeden Anflug einer Änderung registrierte. Es dauerte einen Moment, bis ihre Worte zu ihm durchdrangen und noch einen weiteren, bis er deren Sinn verstand. Das vorhergehende Gespräch war so von Zweideutigkeiten gezeichnet, dass er ihre Art der Konversation nun auf Anhieb zu verstehen glaubte – was er heraushörte stimmte ihn gleichzeitig freudig wie nachdenklich.
    Er war sich bewusst, dass er gerade völlig ungeschützt vor ihr stand. Zwar war er kein offenes Buch, doch würde sie mit ihrer aufgeweckten Natur und ein wenig ihrer Konzentration erkennen können, was in ihm vorging. Das merkwürdigste war, dass dies dem Aurelier herzlich wenig störte. Er war sich bewusst, dass ihn ein Tiefschlag erster Güte erwischen könnte und doch ließ er sich auf dieses Abenteuer ein.


    Livilla setzte sich in Bewegung. Mit einer leichten Verzögerung folgte Pegasus ihr, brauchte aufgrund des Größenunterschieds aber nur ein Schritt, um ihre zurückgelegte ‚Strecke’ aufzuholen und auf gleicher Höhe wie sie durch die Straßen zu schlendern. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass die Abwesenheit von Sklaven einen so großen Unterschied ausmachen konnte. Die Atmosphäre, in der sich die beiden nun befanden war eine gänzlich neue, einerseits geprägt von Leichtigkeit und doch wieder einer merkwürdigen Spannung. Pegasus war immer davon ausgegangen, dass man Sklaven eh nicht bemerken würde, brauchte man sie gerade nicht. Nun aber wusste er wirklich, dass sie alleine waren.


    Gar nicht langte dauerte es, bis die Claudia wieder ihre helle Stimme erhob und laut über das eben Geschehene grübelte. Ein Disput, dem er sich gern anschließen würde: “Nicht auszumalen, was hätte passieren können… man müsste den Besitzer zur Rechenschaft ziehen! Ein solches Verhalten wäre bei meinen Sklaven völlig undenkbar…“ … und doch war die Konsequenz dieses Unfalls keine schlechte und es fiel Pegasus wirklich schwer, das Verhalten des Hünen zu beurteilen. Rein aus Prinzip, aus Gründen der Menschlichkeit hätte er den Germanen für seinen Frevel am liebsten die Finger abhacken lassen doch ohne ihn könnte der Aurelier auch nicht diese reizvolle Zweisamkeit genießen. Obgleich ernicht viel gesagt hatte, ließ Paullus trotzdem ein kurzes Schweigen entstehen. Um den Worten mehr Gewicht zu verleihen, um ihr die Möglichkeit zu geben, seinen Gedankengang zu erkennen. Auf die Straße achtend blickte er flüchtig zu ihr - kein Zeichen von Verlegenheit, eher eines der Besorgnis. Sie hatte wirklich Glück, dass nichts schlimmeres passiert war und in den Straßen Roms lungerten zwielichtige Gestalten, vor denen er sie nun behüten musste. Sein wohlwollendes Lächeln blieb dagegen unverändert. "Der Tag birgt doch einiges an Überraschung. Erstaunlich, wie schnell eine kleine schwarze Wolke in stahlenden Sonnenschein mündet.. war diese schwarze Wolke vielleicht aber... notwendig?" fuhr er zweideutig fort. Ihm gefiel der Vorwand, ganz unbefangen über das Wetter zu reden.

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