Razzia im Buchladen

  • Es war Abend. Der Wind zog durch die Gassen. Ein Käuzchen... nein, es war kein Käuzchen, das kreischte, es war wohl viel eher ein armer Passant, der ein paar Ecken weiter gerade ausgeraubt wurde. An eine Wand drückte sich eine Person, gehüllt in einen weiten braunen Mantel, hin. Man würde nicht von ihr erwarten, dass es sich hierbei um einen Patrizier, gar um einen Magistraten der Stadt handelte. Die Augen jener Gestalt – Piso, wenn man es noch nicht bemerkt hat, der vor Kurzem eine sonderbare Denunziation erhalten hatte – wanderten, wie unbeteiligt, herum, doch in Wirklichkeit waren seine Augen nach vorne gerichtet, zu dem Eingang zu einem angeblich leeren Lagerhaus, aus dessen obersten Fenster man jedoch ganz fahl ein Licht schimmern sehen konnte. Auf die Tür hin wandelte, vielleicht 150 Fuß vor ihm, eine Gestalt durch die dunkelen gepflasterten Straßen, blieb bei der Tür stehen und klopfte an. Es handelte sich um Lartianus Acidinus, einem Freigelassenen, der nun Viator war. Der Viator, getarnt in seinem Umhang, blickte sich kurz um und klopfte dann an. Nichts geschah. Der Viator klopfte abermals. Und abermals. Endlich ging die Türe einen Spalt auf. Ein zerrupfter Mann blickte missmutig heraus. “Passwort?“ Acidinus blickte ebenso mürrisch zurück, siene Freude, dass ihm doch noch geöffnet worden war, kunstreich verbergend. “Salve. Braucht man dazu eines?“ “Ja, braucht man. Was hast du überhaupt hier zu suchen? Das hier ist Privateigentum!“ Acidinus setzte ganz freundlich an. “Nun, ich habe eine Empfehlung von einem Freund. Angeblich gäbe es hier Interessantes zum Lesen.“ “Und wie heißt der Freund?“ Acidinus erfand einen Namen. “Aufidius Nero.“ “Noch nie gehört!“, schnarrte der Türsteher und wollte gerade die Türe wieder zuknallen, das stellte Acidinus seinen Fuß dazwischen. “Höre. Ich zahle gut. ich zahle das Doppelte.“ Innen wurde es kurz still, dann ertönte die Stimme wieder. “Das Dreifache!“ “Gut. ich will einfach an diese Bücher ran!“
    Die Tür öffnete sich wieder auf und offenbarte einen Blick auf den hageren Körper eines betagten Buchhändlers. “Wehe, du versuchst zu feilschen. Komm rein.“ Er winkte Acidinus zu sich heran und öffnete eine zweite Tür hinter ihm, durch die er dann selber ging.
    Und dem Viator erschloss sich ein wahres Bücherparadies. Es waren ein enormer Haufen an Schriftrollen, die hier herumlagen. Er beherrschte sich, um nicht in Staunen zu verfallen. “Entschuldigung, du hast nicht zufällig den göttlichen Nero?“ Acidinus nickte nur, beugte sich und holte aus einem Korb eine Schriftrolle hervor. Der Freigelassene staunte nicht schlecht, als er das Pergament entgegennahm, entfaltete, und darin das verleumdete Buch erblickte, welches Nero hochstilisierte. “Und du hast nicht zufällig die utopischen Ulpianien?“ “Aber sicherlich, das allerneueste diffamierende Buch! Sieh her!“ Er holte eine Kopie aus einem Regal. “Sieh her! Ich mag besonders die Stellen, in der beschrieben wird, wie der Kaiser sich tagtäglich in die Tunika macht und dann mit der Größe seines Fleckens prahlt! Oder aber, wie er aus seinem Bart die Flöhe rauspickt und isst... hihihi. Die Tresviri, diese Schusseln, würden staunen, wenn sie wüssten, was ich hier in meinem Besitz habe! Jetzt schon mache ich ein Heidengeschäft... aber lassen wir das. Du zahlst dafür 100 mal 3, also 300.“ Acidinus stockte der Atem, als er den Preis hörte. “Qualität hat ihren Preis!“, krächzte Sextus Graecophilaeus, der er unverkennbar war. Acidinus nickte. “Dann nehme ich nur die Utopischen.“ “In Ordnung! 150!“ Acidinus seufzte und zahlte. War eh nicht sein Geld, sondern das von Piso.
    Der Viator nahm das Buch, und eilte aus dem Gebäude heraus. Zuerst schritt er nach links, bog zweimal um die Ecke und kam somit auf einem Umweg zu Piso hin. “Vigintivir? Wir haben ins Schwarze getroffen. Sieh hier.“ Er zeigte Piso die Schriftrolle. “Duzende, hunderte von denen befinden sich da drinnen! Es ist unglaublich!“ Piso blickte gebannt auf die Schriftrolle, ließ sie dann sinken und blickte auf Acidinus. “Sehr schön.“ Der Flavier wirkte ungewohnt grimmig heute. War das nur wegen des kalten Windes? Oder bedrückte etwas sein Herz, dachte sich Acidinus. “Morgen, um diese Zeit, hier. Ich werde vielleicht 10 von euch Viatores brauchen. Dann räumen wir hier auf.“ Der Viator nickte, bevor die beiden Herren sich schleunigst aus dem Staub machten – Acidinus, weil er um seine Sicherheit fürchtete, Piso, weil er sich in seinem ästhetischen Empfinden eingeschränkt fühlte.

  • Es begab sich nun also so am nächsten Tag, dass die Türe des Buchladens des Sextus Graecophilaeus eingetreten wurde.
    Und zwar mit nichts anderem als brutaler Gewalt, die Piso zwar normalerweise als unschön verabscheute, jedoch hier genehmigt hatte. Er war noch immer mieser Laune. Acidinus, der Viator, der neben dem Tresvir stand, hatte schon begonnen, sich Sorgen zu machen. Odch er hatte fluggs auch wieder damit aufgehört. Er wusste, es machte keinen Sinn. Und überhaupt, was ging ihn der Vigintivir an? Er hatte schon viele Vigintiviri kommen und gehen sehen... und er würde das auch noch tun. Flavius Piso war nur einer in einer sehr langen Reihe.
    Lartianus Acidinus stand knapp vor Piso, und somit zwischen dem Flavier und Chrysippos, dem griechischen Peregrinus, der gerade die Türe auftrat. Das Holz splitterte. Einige der Viatores, die Piso versammelt hatte, hoben ihre knüppelbewehrten Hände schützend vor ihre Augen, um keine Splitter abzubekommen.
    Piso starrte nur auf die zerstörte Tür, und das, was dahinter lag. Es war eine weitere Türe, die nun aber aufgerissen wurde. Sextus Graecophilaeus erschien dahinter.
    “Was zum...“ Weiter kam er nicht. Chysippos griff nach vorne, und packte den alten Buchhändler im Genick. Der Alte kreischte, als er gen Boden gedrückt wurde, doch das half nichts, denn der bullige Grieche drückte ihn vollends darnieder, sodass er nichts mehr tun konnte. Sein Gesicht wurde dergestalt in den Boden gepresst, dass er nichts mehr sagen konnte, nur noch grunzen vor Schmerz, als die Viatores samt Piso begannen, um ihn herum in das Lagerhaus einzudringen.

  • Der Buchhalter lag im Staub und brachte nichts mehr hervor als ein verängstigtes Wimmern. Das war schnell gegangen. Teuflisch schnell. Und unerwartet! Wie hatte das passieren können, fragte er sich. Dass seine Vermarktungsstrategien nicht einmal so großartig gewesen sein mochten, wie sie ihm erschienen waren, und ein Herausfinden leicht gemacht hatten, wollte eihm ganz und gar nicht aufgehen. Vielmehr hielt er dies für böse Hexerei.
    Piso derweil schritt hinein in das Gebäuse, zusammen mit 3 Viatores. Der Lagerraum war menschenleer, wie die Viatores mit geübten Augen feststellten. Dafür aber enthielt er umso mehr Bücher. Bücher ohne Ende. Mit fassungslosem Blick schweiften die Augen des Vigintivirs und der Viatoren durch den Raum. “Leute... das hier ist eine Fundgrube“, schaffte Piso doch noch herauszustottern. “Das hier ist eine wahre Goldgrube. Wir... Schnell, gib her.“ Er ergriff eine Fackel, um im Halbdunkeln des Lagerraums besser sehen zu können, und ergriff ein paar Schriftrollen, die neben ihm auf einem kleinen Tisch lagen. Er entrollte sie nacheinander. “Utopische Ulpianie. Göttlicher Nero. Strahlende Größe des Caligula. Sentimentale Reise... und der Kaiser, ein Außerirdischer. Das liest sich wie die Liste von meinen verbotenen Büchern... und das hier ist alles voll davon... ich fasse es ja kaum.“ Er schüttelte den Kopf, Verwirrung war in seinen Augen zu sehen, vielleicht auch ein wenig Wahn. “Ich habe es geschafft. Ich habe es geschafft. Jetzt können die Bücher brennen.“ Das sollte Corvinus einmal sehen... vielleicht würde er dann einwilligen... aber vermutlich auch wieder nicht.
    Nach einer kurzen Zeit – Piso wunderte sich selber, wie schnell dies gegangen war – war der Buchhändler zu den Prätorianern abgeführt worden, und einige Viatoren hatten vorm Lagerhaus Aufstellung genommen, um darauf zu achten, dass niemand reinkam. Das Material würde zum festgesetzten Termin zum Forum Nervae gebracht und verbrannt werden. Selbst wenn nicht alles verbotene Ware wäre, dachte sich Piso, der noch immer im Lagerhaus herumwandelte, so würde das Feuer umso größer und beeindruckender sein...
    Nach ein paar weiteren hirnlosen Runden im Lagerhaus entschloss er sich endlich, heim zu gehen. Heim, ins Bett, wo er sich schon hinsehnte. Er konnte vielleicht doch noch zufrieden schlafen.
    Oder auch nicht.

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