SOPHIE
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Sophies neues Leben führte sie ganz nach unten; In die dunklen Gassen der Subura. Hier zwischen verwinkelten Häusereingängen, wo Diebe, Strolche, arme gebeutelte, ominöse Gestalten und das Laster ein Zuhause fanden, suchte sie jenen Ort, den sie zusammen mit Barchias einst zu ihrem Treffpunkt auserkoren hatte.
Mal laufend, mal eilenden Schrittes hetzte sie durch die engen, dunklen Gassen.
Sehr wohl fühlte sie sich nicht. Wohl auch deshalb, weil die saubere, cremfarbene Pala, die sie trug, nicht gerade darauf hinwies, dass sie eine entflohene Sklavin, sondern jemand mit zumindest etwas Kleingeld war. Dazu kam diese leise, ungewisse Angst davor, erwischt zu werden. Ihr Herz schlug schnell und laut in ihrer Brust. Sollte sie den ganzen Plan abblasen und in die Casa Iulia zurückkehren? Mit jedem Schritt den sie tat, wurde sie unsicherer. Noch war es nicht zu spät. Noch konnte sie sich damit heraus reden, sich verlaufen zu haben. Es würde nicht einmal auffallen, dass sie versucht hatte, zu fliehen. Fliehen. Sie war eine Dissidentin. Die Furcht trieb ihre Schritte voran. Ein Mann in Lumpen kam ihr entgegen, zwei Frauen vor einer schief hängenden Tür verstummten abrupt, als sie Sophie kommen sahen und betrachteten sie aus tief liegenden Augen, als sei sie ein Fremdkörper in den Eingeweiden eines kranken Körpers, der nur zum Sterben bestimmt war. Hier lag das Sterben in der Luft. Eine Horde Kinder rannte grölend an ihr vorbei und sie musste sich mit dem Rücken an eine dreckige Hauswand drücken, um nicht umgestoßen zu werden. Normalerweise hätte sie den Bengeln nun hinterher geschrieen, doch aus einem unerfindlichen Grund fehlte ihr dazu die Kraft und sie konnte ihnen nur betäubt hinterher starren. Was war das für ein Ort. Gewiss keiner für Kinder. Keiner für sie. Sie war in die Eingeweide der Stadt hinab gestiegen. Nein, nicht Eingeweide. In den Ausschuss. Mechanisch versuchte Sophie den Dreck, den das Rendez-vous mit der Hauswand auf ihrer Kleidung hinterlassen hatte, von ihrer Pala zu klopfen. Doch er blieb haften wie Stigmata. Als sie aufsah, da beobachteten die Frauen sie immer noch, jetzt mit einem höhnischen Ausdruck in den Augen. Die eine hob die Hand vor den Mund und tuschelte der anderen etwas zu.
>Ja, redet nur!,< ging es der Entflohenen durch den Kopf, >Ich weiß, dass ich nicht hierher gehöre!...< Aber wo gehörte sie schon hin? Sie hatte kein Zuhause mehr. Ihre Heimat hatte man ihr vor langer Zeit geraubt. Der Gedanke gab ihr neue Kraft. Was schuldete sie diesen Römern schon?! Dem Volk, das sie in Ketten gelegt hatte?! Auch Cara, so gut sie zu ihr gewesen war, war Teil dieses Volkes, unterstützte die Idee der Sklaverei schon allein dadurch, dass sie sie, Sophie, als Sklavin angenommen und gehalten hatte. Sie waren doch alle gleich! Es gab keinen Unterschied. Diese Frauen dort waren bestimmt auch Römerinnen. Und obschon sie im größten Elend lebten, die Fetzen, die sie Kleider nannten, nur so vor Dreck und Flicken standen, erhoben sie sich auch jetzt noch über sie. >Ja! Diese Gedanken sind gut!< Sophie spürte die Wut, die sie in ihr weckten.
„Schaut nicht so doof, ihr dummen Weiber!“, fauchte sie ihnen zu und gönnte es sich zu, den Triumph einen kleinen Augenblick lang zu genießen, als die abgehärmten Gesichter zerfielen. Dann erst wandte sie sich ab und strebte, den Kopf nun erhoben, der kleinen Taverne zu.
Die Taverne „Ad lupo“ hatte es sich zu eigen gemacht, von außen her, wie jedes andere heruntergekommene Wohnhaus in ihrer Nachbarschaft zu erscheinen. Das aus gutem Grund. Die Gestalten – Menschen konnte man sie fast schon nicht mehr nenne -, die sich hierher verirrten hatten für gewöhnlich ganz anderes im Sinn, als das Recht zu ehren. Dunkle Geschäfte wurden hier abgewickelt und verschwörerische Pläne geschmiedet. Diesen Ort würden ehrbare Römer noch nicht einmal in ihren Alpträumen aufsuchen wollen. Schande haftete einem fortan an den Sohlen, hatte man „Ad lupo“ einmal betreten.
Einen Atemzug lag, verharrte Sophie unschlüssig vor den dunkeln Läden. Es sah ja wirklich nicht sonderlich einladend aus. Etwas anderes übrig blieb ihr allerdings nicht. Hier hatte sie sich mit Barchias verabredet. Sie würde sich ein Zimmer nehmen und dann irgendeinen der Lumpen losschicken, ihren Liebsten zu informieren. Das Geld würde sie dem Boten selbstverständlich erst dann aushändigen, wenn er mit Barchias an seiner Seite zurückkäme. Sophie atmete noch einmal tief durch und bekam dabei einen Schwall fauler Luft in die Nase, dann fasste sie sich ein Herz und betrat die Taverne.
War die Luft draußen schon faul gewesen, so mussten die Luftpartikel hier drin schon tot sein. Im ersten Moment strauchelte sie und war versucht rückwärts den Weg nach draußen anzutreten, ehe sie sich zur Räson rief. Im Wirtsraum herrschte düsteres Zwielicht. An den paar Tischen, die ohne jegliche Ordnung kreuz und quer im Raum standen hockten ein paar Gäste, die so heruntergekommen waren, wie das Etablisment selbst. Sie passten sich sich wie Chamäleons ihrer Umgebung an. Wie ein Mann wandten sie ihre dunklen Augen alle auf einmal auf Sophie, die ihnen in der vergleichsweise sauberen hellen Pala wie eine Göttin aus anderen Gefilden vorkommen musste. Mit einem Mal wurde sie sich wieder schlagartig der Gefahr bewusst, in welche sie sich begeben hatte. >Götter! Steht mir bei!< Am besten beeilte sie sich damit, einen Boten zu suchen, nahm sich dann ein Zimmer und schloss sich dort ein, bis Barchias sie abholen würde. Entschlossen schlug sie die Richtung zum Tresen ein, hinter dem ein griesgrämiger Wirt stand und ihr noch griesgrämiger entgegen blickte.