Jeder Schüler kann in der Physikstunde durch Versuche nachprüfen, ob eine wissenschaftliche Hypothese stimmt. Der Mensch aber lebt nur ein Leben, er hat keine Möglichkeit, die Richtigkeit der Hypothese in einem Versuch zu beweisen. Deshalb wird er nie erfahren, ob es richtig oder falsch war, seinem Gefühl gehorcht zu haben.
Milan Kundera, Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
Die Spuren der letzten Nacht waren auch am nächsten Morgen unübersehbar gewesen. Es war nicht einfach gewesen, mit der neuen Situation zurecht zukommen. Vorerst wollte ich auf eine weiteres Aufeinandertreffen mit meinem Mann verzichten. Wieder hielt ich mich nur in meinen Gemächern auf, denn vorerst spürte nicht das Bedürfnis, diese jemals wieder zu verlassen. Jedoch erinnerte ich mich rasch wieder an jene bleierne Tage, an denen ich in meinem cubiculum verschanzt hatte und mich gehen gelassen hatte. Soweit wollte ich es diesmal nicht mehr kommen lassen. Denn ich redete mir ein, für die Zukunft gewappnet sein zu müssen. Wenn sie erst einmal wieder hier war, mußte ich ebenso präsent sein. Ich war mir meiner Rolle aus Herrin des Hauses wohl bewußt. Dabei konnte ich mir keine Schwächen mehr leisten. Marcus sollte in Zukunft in mir die starke, unnahbare Frau erkennen, die sich in der Gegenwart anderer nie wieder zu einer Gefühlsregung anstiften lasen würde. Mir war wohl bewußt, wie schwer dies werden würde.
Am frühen Nachmittag hatte es mich hinaus in den Garten gezogen. Der Garten, den wir beide doch so liebten und der uns einst zusammengebracht hatte. Die Sklaven hatten mir eine Kline hinausgetragen, auf der ich Platz genommen hatte. Charis hatte mich mit Getränken und Obst versorgt und mich danach allein gelassen. Ich hatte ihr für den Rest des Tages frei gegeben und sie mit einem Beutel voller Münzen in die Stadt geschickt. Erst hatte sie mich ganz verblüfft angeschaut, aber als sie realisiert hatte, daß ich es ernst meinte, hatte sie sich dankend entfernt.
Nun lag ich hier, inmitten des Grüns und lauschte dem lieblichen Gesang der Vögel und dem Summen der emsigen Bienen. Welch ein Idyll! Wäre da nur nicht die befleckt anmutende Realität gewesen, die immer wieder durchschimmerte, wenn man ihrer gedachte.
Reserviert :D!