cubiculum Siv | Ob cuncta dubia

  • Diesmal lenkte Corvinus nicht ab. Im Gegenteil. Siv seufzte auf, als sich sein Griff etwas verstärkte und er sie noch näher an sich zog, und nur allzu bereitwillig ließ sie sich gleich darauf von ihm zurückdrängen, während sie zugleich dennoch versuchte, so dicht bei ihm wie möglich zu bleiben. Ihre Hände gruben sich in seine Haare, während sie ihn weiter küsste, sanken dann hinab, als sie die Wand im Rücken spürte und ihr Körper von seinem dagegen gedrückt wurde. Sie schien nicht genug davon bekommen zu können, ließ ihre Hände von seinen Schultern auf seine Brust wandern, während sie seine Finger an ihren Beinen fühlte. Erneut seufzte sie rau auf, zwischen zwei Küssen. Sie wollte das hier so sehr, wollte ihn spüren, wollte diese Leidenschaft mit ihm teilen, endlich wieder.


    Und dann – die kalte Dusche. Siv hörte, wie Corvinus aufstöhnte, aber es klang nicht leidenschaftlich, sondern seltsam… entnervt. Frustriert. Und gleich darauf ließ er von ihr ab, löste zuerst seine Lippen von ihren, indem er den Kopf zurücklegte, und tat dann sogar einen ganzen Schritt nach hinten. Siv starrte ihn an, irritiert und ein wenig verletzt. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, warum er sie zurückwies, schon gar nicht, wo doch so deutlich war, dass er sie auch wollte. Oder wollte er sie im Grunde gar nicht, nicht mehr? War ihm die Flavia vielleicht doch lieber – womöglich sogar deshalb, weil sie noch kein Kind geboren hatte? "Was ist?"

  • Ich konnte Siv nicht einmal richtig ansehen, ihrem Blick nicht begegnen. Die zwei Worte, die sie sagte, genügten schon - ich war wütend auf Celerina, wütend auf mich selbst, dass ich dieses vollkommen unnütze, absolut unsinnige Versprechen gegeben - dass sie es mir abgerungen hatte als Bedingung, um zu bleiben! "Nichts", sagte ich schroff. "Nichts ist." Ich wandte mich ab, schüttelte erbost den Kopf, weil ich selbst mich schließlich in diese Lage gebracht und nun nicht mehr herausmanövrieren konnte. Wie die Verärgerung auf Siv wirkte, dass sie sie vielleicht auf sich beziehen konnte, darüber machte ich mir in jenem Moment keine Gedanken. Ich ging zurück zum Tisch, ballte einen Moment später die Hand fest zur Faust und ließ sie wieder einen Moment später auf das Holz niederfahren, doch nur mäßig und nicht wutentbrannt. Neuerlich legte ich den Kopf in den Nacken, sog tief die Luft ein und verhielt einen Moment in dieser Pose. Siv konnte nichts dafür. Es war nicht ihre Schuld, und ich sollte das nicht an ihr auslassen.


    Einen Augenblick später stieß ich die Luft wieder aus und sah aus dem Fenster. "Es liegt nicht an dir", sagte ich, nun ruhiger, und wieder einen Moment später wandte ich mich um und lehnte mich rückseitig an die Tischplatte, wie Siv zuvor, allerdings mit vor der Brust verschränkten Armen. Der Blick, mit dem ich sie bedachte, hatte nichts von dem Hunger entbehrt, der dort zuvor gestanden hatte, und doch war er entschuldigend.

  • Corvinus wich ihrem Blick aus, aber dass er plötzlich wütend schien, bemerkte Siv auch so. Spätestens als er ihre Frage in einem schroffen Tonfall abtat, ohne wirklich zu antworten, wurde ihr das klar. Allerdings wurde ihr sonst nichts klar, im Gegenteil. Sein Verhalten wurde immer verwirrender für sie. Was um alles in der Welt hatte sie nun schon wieder getan, dass er verärgert war? Weswegen hatte er sie denn zurückgeholt, wenn er nun so reagierte, kaum dass sie endlich, endlich wieder zusammen sein konnten? Warum bei Hel reagierte er nun so? Siv verstand es einfach nicht. Nicht einmal die Möglichkeit, dass er fürchtete ihr Körper könnte von der Schwangerschaft noch entstellt sein, wäre Grund dafür, dass Corvinus verärgert war über das, was gerade passiert war – und beinahe passiert wäre.


    Siv blieb an der Wand stehen und verschränkte die Arme vor der Brust, so wie Corvinus es am Tisch tat. Es lag also nicht an ihr. Nicht an ihr. Woran dann? Ihre Brauen zogen sich leicht zusammen. "An was liegt es dann?" Diesmal hatte ihre Stimme einen leicht fordernden Unterton. Sein ganzes Verhalten war… merkwürdig, fand sie. Die Ablenkungsversuche zuvor… die sie noch hätte erklären können, aber nun das hier, dass er so abrupt abbrach, dass er sie abwies, obwohl so eindeutig war, selbst jetzt noch, dass er sie eigentlich wollte. Und Siv wollte wissen, warum.

  • "An mir." Kaum ausgesprochen, klang es einfach nur albern. Ich presste die Zähne aufeinander und seufzte. "Ich habe es ihr verprochen. Versprechen müssen. Celerina." Welch Idiotie! Was hatte mich nur geritten ein solches Zugeständnis zu machen? In Selbstverärgerung schüttelte ich den Kopf. Ich wusste, weshalb ich das getan hatte. Es war die einzige Möglichkeit gewesen, sie zum Bleiben zu überreden, auch wenn es vielleicht im Nachhinein ein Dutzend andere Möglichkeiten gegeben hätte. Und doch war wohl keine so vertrauenfördernd wie dieses Versprechen gewesen, wenn man angesichts der Umstände überhaupt von Vertrauen sprechen konnte. Ich blinzelte missmutig, wiegte den Kopf hin und her. "Das ist der Preis, den ich für dich zahle", sagte ich selbstironisch und schüttelte im Anschluss den Kopf. "Und für einen Erben."


    Celerina war geschickt. Hatte ich mich vor wenigen Tagen ihr gegenüber noch für recht unantastbar gehalten und mich eindeutig in der besseren Position gesehen, begriff ich erst jetzt, dass es derzeit genau anders herum war. Das Ironische daran war, dass es im Grunde doch meine eigene Angelegenheit war, denn wer außer ihr selbst würde es wagen, mein Wort in Bezug auf Siv infrage zu stellen? Und doch war es mir ob meines Gewissens nicht möglich, mein gegebenes Wort zu brechen. Celerina kannte mich besser, als ich es je für möglich gehalten hatte.

  • An ihm liege es, sagte er, was Siv allerdings nicht so ganz glauben konnte, weil es schlicht lächerlich klang. Und als ob ihm das auch aufgefallen war, sprach er gleich weiter. Und das, was nun kam, klang fast noch lächerlicher. Siv starrte Corvinus sprachlos an. Er hatte es der Flavia versprochen? Sie brachte kein Wort über die Lippen, nicht in diesem Augenblick, starrte ihn nur stumm an, während er noch weiter sprach. Der Preis. Für sie. Für einen Erben. Siv konnte es immer noch nicht so recht begreifen, nur langsam sickerte das Verstehen ein. Und je mehr es das tat, desto mehr spürte sie, wie ihr Temperament aufflammte. Es mochte dieser Tage gedämpfter sein als üblich, aber von der Leidenschaft, die sie gerade eben empfunden hatte – und die derzeit so selten war wie ihr Temperament, und mit eben diesem verknüpft –, war es nur ein kleiner Schritt zu der Leidenschaft, die jetzt begann in ihr zu lodern. "WAS?!?" explodierte sie. Im nächsten Augenblick fing Finn an zu plärren, und Siv stieß sich von der Wand ab und war mit einem Satz bei der Wiege. Sie hob ihren Sohn hoch und legte ihn an ihre Brust, sein kleiner Körper aufrecht, so dass sein Kopf an ihrer Schulter ruhte, und sie wiegte ihn ein wenig auf und ab. Gleichzeitig blitzte sie Corvinus aus funkelnden Augen an. "Und wie stellst du dir das vor?" fauchte sie, deutlich leiser diesmal, aber um nichts weniger aufgebracht als noch zuvor – weswegen es ihr vermutlich auch nicht wirklich gelang, Finn zu beruhigen. "Dass ich hier sitze, in dieser Villa, und warte, und warte, während du sie hast? Wie lang?"

  • Ich konnte Siv ansehen, wie der Sesterz fiel. Ihre Brauen zogen sich immer mehr zusammen, der Ausdruck auf ihrem Gesicht wurde stetig missmutiger und finsterer. Ihre plötzliche Explosion kam für mich unerwartet - sicherlich hatte ich nicht damit gerechnet, dass ihr diese Offenlegung gefallen würde, doch dies hier kam überraschend, so sehr, dass ich kurz zusammenzuckte - was mich Sekundenbruchteile später ärgerte. Und direkt im Anschluss ging ein ohrenbetäubendes Geschrei los, ob dessen ich die Augen zusammenkniff und sich umgehend eine steile Falte auf meiner Stirn bildete. Mein Sohn war wach.


    Siv war bei ihm und nahm ihn hoch, woraufhin das Geschrei zwar nicht ganz aufhörte, doch sich zumindest hörbar verringerte. Wie hielt sie das nur aus? Meine Achtung vor einer Mutterschaft ohne hilfreiche Amme stieg in jenem Moment um ein Vielfaches, zumal Siv sich weiterhin weitestgehend auf mich konzentrierte und den Kleinen praktisch nebenher bemutterte. Der Blick, mit dem sie mich bedachte, war wütend und aufgebracht - was dazu führte, dass ich mich missverstanden fühlte und darin resultierte, dass ich ebenfalls wieder verärgerter wurde. Ihre Formulierung machte das nicht unbedingt besser, das Gegenteil war eher der Fall. Meine Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst, starrte ich zu Siv zurück. "Bis sie schwanger ist", gab ich ebenso informativ wie kurz angebunden zurück und interpretierte damit Celerinas Worte zu meinen Gunsten neu. Sie musste doch sehen, dass mir das selbst alles andere als leicht fiel!

  • Ihr Ausbruch schien Corvinus nun erst recht zu verärgern, aber Siv hatte nicht wirklich Augen dafür – sie hätte auch keine dafür gehabt, hätte sie nicht einen plärrenden Säugling auf dem Arm gehabt. Und jetzt, mit Finn, der einfach drauflos heulte, konnte sie erst recht nicht mehr darauf eingehen, was sich auf Corvinus’ Gesicht spiegelte. Sie bemerkte es zwar durchaus, aber sie hatte einfach nicht den Nerv dafür, nun darauf Rücksicht zu nehmen, oder sich gar, wenn auch nur kurz, Gedanken darüber zu machen, warum er nun wütend war. Ihr kam noch nicht einmal in den Sinn, dass er kein Recht hatte, wütend zu sein, nicht wenn er auf so eine bescheuerte Forderung eingegangen war. Was ihr allerdings durch den Kopf schoss war, dass die Flavia eine gerissene Schlange war. Verdammt gerissen. Es gab ohnehin nicht viel, was Siv mit Corvinus hatte, was sie mit ihm teilen konnte. Selbst wenn sie gewollt hätte, sie konnte nicht in der Öffentlichkeit an seiner Seite sein, konnte nicht auf diese Art sein Leben mit ihm teilen, konnte ihm nicht helfen oder sonst etwas tun. Sie hatten doch nur diese privaten Stunden miteinander – und die Flavia hatte es geschafft, sich nun mehr denn je zwischen sie zu drängen, mehr denn je präsent zu sein, obwohl sie überhaupt nicht hier war. Wann immer Corvinus und sie Zeit miteinander verbringen würden, Celerina würde immer, immer, ebenfalls anwesend sein. Bei jedem Blick, jedem Wort, jeder Berührung. Es gab keine Chance mehr darauf, sie wenigstens für einige Momente auszuschließen. Umgekehrt würde Corvinus allerdings wenig Probleme haben, sie, Siv, auszuschließen, nicht nur wenn er mit seiner Frau zusammen war, auch wenn er arbeitete, wenn er im Senat war oder in den Tempeln oder sonst wo – alles Orte, wo seine Frau ihn hin begleiten, Zeit mit ihm verbringen konnte, wenn sie denn wollte. Im Gegensatz zu ihr. In Siv loderte es.


    "Oh, bis sie schwanger ist also?" Hätte Siv geahnt, dass Corvinus eigentlich versprochen hatte, sie bis zur Geburt eines Kindes nicht mehr anzurühren, sie wäre womöglich noch deutlich mehr in die Luft gegangen. Aber selbst das, was sie wusste, war ihr schon zu viel. "Wie lange seid ihr jetzt verheiratet, ohne dass sie ein Kind trägt? Wie lange haben WIR das Lager geteilt, bevor ich schwanger geworden bin? Wie lange soll ich auf dich warten, ein Jahr, zwei Jahre, noch mehr? Hast du irgendeine Grenze gesetzt?" Innerlich flehte sie zu Hel, dass er so schlau gewesen war, eine zeitliche Grenze zu setzen. Denn wenn nicht… Finn heulte wieder auf, und Siv strich über seinen Kopf und drückte kurz ihre Lippen auf den leichten Flaum, bevor sie ihn weiter wiegte – ohne indes innezuhalten sich aufzuregen, was die Voraussetzung gewesen wäre, wenigstens die Chance zu habe den Kleinen zu beruhigen. "Du wolltest mich doch wieder hier haben! Was soll das jetzt? Wir haben doch so schon nicht viel Zeit zusammen, du konntest noch nicht mal sagen, dass du jeden Tag ein bisschen Zeit für mich hast! Und das, das hier, das ist… Sie wird IMMER dabei sein. IMMER. Das will ich nicht!"

  • Es war seltsam, ich fühlte mich hin und her geworfen zwischen zwei Empfindungen, Wut und Verärgerung zum einen, Resgination gepaart mit Frustration zum anderen. Diese zwei Möglichkeiten schienen in mir miteinander zu ringen, um die Oberhand zu ergreifen, was zur Folge hatte, dass ich mich unentschlossen fühlte und nur schwieg, während Siv Finn hielt und doch noch den Atem dafür hatte, zu wettern und mir böse Blick zuzuwerfen. In gewisser Weise fand ich diese Fähigkeit faszinierend, zu so vielem gleichzeitig fähig zu sein. Ich schwieg auch noch, als sie nach einer Frist fragte. Im Nachhinein erschien es mir das sehr sinnig, doch in der Situation in Celerinas Zimmer war ich nicht auf den Gedanken gekommen. Und Siv hatte recht, das war vermutlich das Gravierendste an dieser ganzen vermaledeiten Angelegenheit - dass sie recht hatte.


    Sie spielte auf ihre eigene Schwangerschaft an, und Frustration und Resignation siegten schlagartig. Es ging hier in gleicher Manier weiter, wie es aufgehört hatte, bevor Siv gegangen war. Ich schwieg weiterhin, auch wenn ein recht penetrantes Stimmchen vehement darauf pochte, dass ich mich endlich verteidigte, dass ich auf keinen Fall auch nur in irgendeiner Weise zurückstecken durfte - erst recht nicht gegenüber einer Frau. Gleichzeitig war ich es schlichtweg leid, diese ewigen Diskussionen, diese hitzigen Wortgefechte, die zum Schluss doch nur im Zorn endeten und zu nichts führten. Ich ließ sie wettern, und als ich mich erst einmal dazu entschlossen hatte, nicht direkt etwas zu erwidern, nahm ich ihre Worte verwundert wie aus weiter Ferne wahr. Kurz darauf war Finn der einzige, der sich noch lautstark Gehör verschaffte. Selbst das war mir noch zu viel. Das Kind hatte ein Organ, das seinesgleichen suchte - und hoffentlich nie fand. "Siv, das ist..." Ich unternahm erst keinen zweiten Versuch, ihn übertönen zu wollen, wie Siv es mühelos getan hatte. Das Geplärr zerrte an meinen Nerven, ich fuhr mir entnervt über das Gesicht und wanderte in die entlegendste Ecke des Raumes, um dort nach einem Wink hin zu Finn auf und ab zu laufen. "Er soll aufhören!" forderte ich, als müsste Siv nur einen Knopf drücken. Ich konnte nicht klar denken, und unter diesen Voraussetzungen war ein Gespräch einfach sinnlos für mich.

  • Er antwortete nicht. Egal was sie sagte, was sie fragte, er antwortete einfach nicht, und Siv brachte das nur noch mehr auf gegen ihn. Was um alles in der Welt hatte er denn erwartet? Dass sie anfing zu jubeln, wenn sie hörte dass er sie nicht mehr anrühren konnte? Dass sie sich einverstanden damit erklärte, auf das zu verzichten, was sie seit Monaten nun schon vermisste?


    Irgendwann gingen ihr die Worte aus, und sie starrte Corvinus einfach nur an, der immer noch nichts sagte. Finn war der einzige, der weiter plärrte, und erst nach einigen Augenblicken setzte Corvinus dazu an, etwas zu sagen – und brach wieder ab, aus welchen Gründen war ihr schleierhaft. Aber sie sah, dass er genervt wirkte, und als Finn für Momente seine Lautstärke noch steigerte, wurde ihr auch schlagartig klar, warum. Sie selbst war so… aufgebracht gewesen, so wütend, dass sie Finns Geschrei größtenteils ignorierte. Und dann rührte Corvinus sich, stand auf und entfernte sich an das andere Ende des Raums, wo er hin und her zu gehen begann, während er nun doch noch etwas sagte. Und Siv starrte ihn schon wieder an. "Ja, wär schön, wenn das so einfach gehen würde!" fauchte sie. Und dann biss sie sich auf die Unterlippe. Corvinus’ Kommentar war daneben gewesen, fand sie, sie konnte Finn nicht einfach so zum Aufhören bringen, aber er stieß sie damit auf etwas, worauf sie selbst hätte kommen müssen: anstatt sich um ihren Sohn zu kümmern, stritt sie hier mit seinem Vater herum – und regte den Kleinen dadurch nur immer mehr auf. Sie atmete tief ein und hob Finn ein kleines Stückchen höher, brachte seine Wange an ihre, murmelte beruhigende Worte auf ihn ein, während sie nun auf und ab ging mit ihm – und sich zur Abwechslung nur auf ihren Sohn konzentrierte und darauf, ihn zu beruhigen. Obwohl sie immer noch aufgebracht war, bemühte sie sich, Corvinus und das, was er ihr eröffnet hatte, die unmögliche Forderung der Flavia und dass er dennoch zugestimmt hatte, auszublenden. Und langsam, nach und nach, wurde Finn tatsächlich ruhiger, bis er schließlich nur noch leise vor sich hin quengelte.

  • Endlich tat sie etwas um das Kind zu beruhigen. Das schien zunächst gar nichts zu nützen, und hatte dann nur langsam einen Effekt. Mir dämmerte, dass es bei Uland und Ferun auf diesem winzigen Raum noch viel schlimmer gewesen war als hier im Haus, wo man einfach fortgehen konnte, bis der ohrenbetäubende Lärm nur noch nervtötende Erinnerung war. Ich ignorierte Sivs bissigen Kommentar und fragte mich, ob so ein Kind immer dergestaltige Laute von sich gab, wenn ihm etwas nicht passte, gleich ob aus Hunger oder weil es aus dem Schlaf gerissen wurde oder weil es ein neues Tuch benötigte. Und wieder kam ich nicht umhin, Siv ein wenig zu bewundern, weil sie sich trotzdem mühte, Finn zu beruhigen. Und tatsächlich, er wurde leiser und nörgelte nur noch hin und wieder unzufrieden. Ich bekam dennoch allmählich Kopfschmerzen, das konnte nun auch das abebbende Geplärre nicht mehr verhindern. Ich hatte derweil das Wandern aufgegeben und lehnte an der Wand. So groß war der Raum nicht, dass dies viel freien Raum zwischen uns bedeutet hätte.


    "Ich habe diese Vereinbarung mit ihr getroffen, weil sie sonst gegangen wäre, Siv. Wundert dich das? Celerina war noch nie derart tolerant - oder ignorant - ,dass sie so etwas schlicht hinnehmen würde. Und du siehst nicht, dass diese Situation auch einen Drahtseilakt für mich bedeutet, was ich damit alles verlieren kann. Celerina selbst ist das kleinste Steinchen im Mosaik dabei, aber was denkst du, wird passieren, wenn sie geht und ihrer Familie ein paar Dinge erzählt? Im Handumdrehen hätten wir eine der einflussreichsten Familien des Reiches gegen uns gewendet, nur weil ich nicht bereit war, ein Zugeständnis zu machen, das mehr oder minder erträglich ist", antwortete ich ihr jetzt endlich, auch wenn Finn hin und wieder Anstalten machte, wieder lauter zu werden. "Glaub ja nicht, dass mir das leicht fällt, das ganz sicher nicht. Aber es ist notwendig, um sie an meiner Seite zu halten. Und diese Ehe ist schon viel zu lange kinderlos, ja. So lange, dass es allmählich auffällt, so lange, dass man vielleicht zweifelt, dass ich fähig bin, Kinder zu zeugen oder daran, dass Celerina ein Kind austragen kann." Die Wahrheit kannten wir ja nun alle drei, auch wenn Siv wohl nicht wusste, dass Celerina einst unfreiwillig von diesem Piraten geschwängert worden war. Ich lief nun doch wieder auf und ab, hin und wieder aufgewühlt gestukulierend oder ihr einen Blick zuwerfend. "Du weißt nicht, wie schwer es wirklich ist, nicht nur diesen fremden Erwartungen gerecht zu werden, sondern auch dem, was man sich selbst wünscht. Oder wie es ist, wenn man abwägen muss zwischen Wollen und Müssen, wenn man einen Mittelweg finden muss und doch weiß, dass es keinen gibt, der jedem gerecht wird - am allerwenigsten dir selbst. Ich mache dir keinen Vorwurf daraus, Siv, aber urteile nicht nur anhand der Dinge die für dich klar umrissen erscheinen." Ich stand inzwischen vor ihr, die Wiege zwischen uns, Finn in ihren Armen. Und ich fühlte mich seltsam ausgebrannt, als sei ich innerhalb weniger Minuten um Jahre gealtert.

  • Siv streichelte Finn weiter sacht, bemühte sich, ruhig zu bleiben, und einzig dieser Tatsache war es geschuldet, dass sie auch tatsächlich – einigermaßen – ruhig blieb und Corvinus zuhörte, als dieser nun zu reden begann. Sie hörte zu, obwohl es vieles gegeben hätte, was sie hätte sagen können. Dass sie immer für ihn da gewesen war. Dass sie immer gewusst hatte, worauf sie sich einließ. Dass sie immer verstanden und akzeptiert hatte, dass seine Familie und seine gesellschaftliche Stellung vorgingen, dass sie ihm so unglaublich wichtig waren – nicht zuletzt weil sie das auch aus ihrer Heimat nicht anders kannte. Aber sie sagte nichts. Sie hörte ihm nur zu. Und als er endlich stehen blieb, war sie froh, dass nicht nur Finn zwischen ihnen war, sondern auch die Wiege. Sie hätte es im Augenblick nicht ertragen, ihn nahe bei sich zu haben, sie hätte ihn nicht ertragen in diesem Moment. "Für dich ist das also erträglich." Sie bemühte sich, ihrer Stimme einen spöttischen Klang zu geben, aber sie versagte. Stattdessen klang sie nur noch müde und vor allem verletzt. "Für dich ist erträglich, dass sie ständig dabei ist. Selbst jetzt. Dass wir niemals mehr allein sein werden. Dass wir uns nicht mehr berühren können. Nicht in den nächsten Wochen, vielleicht nicht in Monaten. Vielleicht nicht in Jahren. Wer weiß denn, ob sie überhaupt ein Kind tragen kann?" Statt des gewollten Spotts erhielt ihre Stimme nun eine bittere Färbung. Selbst die Vorstellung, Corvinus zu sehen, aber niemals wirklich mit ihm zusammen sein zu können, fand sie unerträglich. Und es stimmte ja: wer wusste schon, ob die Flavia Kinder tragen konnte? Siv wusste nur, dass sie bereits verheiratet gewesen war, aber Kinder gab es keine.


    Finn wurde wieder ein wenig lauter, und diesmal hielt Siv inne, schwieg einige Momente lang und nahm sich die Zeit, ihn zu beruhigen. "Du hast Recht. Ich weiß nicht, wie schwer das für dich ist. Aber ich kann das nicht. Ich kann nicht… ständig sie dabei haben, wenn du bei mir bist. Und ich will dich. Ich will dich nicht nur sehen und mit dir reden, ich will dich spüren. Ich will nicht warten, schon gar nicht, wenn ich nicht weiß wie lange. Ich kann das nicht."

  • Ich seufzte tief. Selbstverständlich verdrehte sie die Worte. Ich hatte glücklicherweise die Geistesgegenwart in jenem Moment, das auf eine Art Selbstschutzmechanismus zu schieben. Was nicht hieß, dass es mir dadurch besser ging oder dass es das alles leichter machte. Hatte es vorhin noch so ausgesehen, als würde alles bestens werden, hatte ich nun statt einem gleich zwei Scherbenhaufen. Ich wandte mich um und lief zurück zur Wand. "Siv - bitte" Ich hatte meine Worte schließlich nicht so gemeint wie sie sie aufgefasst hatte. Und ein paar Wochen gegen einen Erben einzutauschen, erschien mir ein akzeptables Opfer, wenngleich auch kein leichtes. "Sie ist dessen fähig", fügte ich in automatischer Antwort auf ihre Worte an, ohne damit zu realisieren, dass ich Siv damit eine neue Möglichkeit für das Verschießen von Vorwurfssalven gegeben hatte.


    Schließlich stimmte sie mir zu. Ich wandte schon irritiert ob der Einsicht den Kopf, um sie anzusehen, da bemerkte sie nur wieder, dass sie nicht konnte. Und was sie noch sagte, ließ mich eine Grimasse ziehen. Ich ging zurück zu der hölzernen Wiege, legte meine Finger um das harte Material an der Seite und sah Siv darüber hinweg gequält an. "Ich lasse nichts unversucht", rechtfertigte ich mich. Vor Siv. Einer Freigelassenen und ihrem Kind. Als Patrizier. Als Senator Roms, als pontifex. Und doch als Gleichgestellter. Kurios, diese Situation.

  • Sie hörte Corvinus’ Seufzen, sie hörte, wie er ihren Namen nannte, wie er bitte sagte. Und etwas in ihr wehrte sich dagegen. Dagegen, Verständnis für ihn aufzubringen. Erwartete er denn tatsächlich von ihr, auf unbestimmte Zeit zu warten? Es konnte ewig dauern, bis die Flavia schwanger wurde! Und begriff er denn nicht, dass seine Frau das einzige gefordert hatte, was er und Siv hatten? Sie sprach noch nicht einmal davon, das Lager mit ihm zu teilen, es ging auch um die Zeit, die sie gemeinsam hatten – und darum, wenigstens diese Momente genießen zu können! Und das ging nicht mehr, nicht für Siv, und für ihn offenbar auch nicht, denn zumindest für sie war nun klar, dass er zuvor wohl jedes Mal an die Flavia gedacht hatte, wann immer sie beide sich nahe gekommen waren und er dann abgelenkt hatte. Und das sollte sie weiter gehen? Bis Celerina schwanger war? Und Corvinus gab ihr keine konkrete Antwort, sagte nichts von einem bestimmten Zeitpunkt, an dem er der Flavia sagen würde, dass es nun genug war, wenn sie nicht schwanger war bis dahin.


    Siv sah wieder hoch, sah ihn an. "Sie ist fähig? Woher willst du das wissen?" fragte sie. "Und woher willst du wissen, dass es nicht noch Jahre dauert? Was dann?" Als Corvinus nach vorne kam und die Wiege umfasste, sah sie ihn immer noch, umfasste nur Finn noch ein wenig fester. "Was?" fragte sie, hilflos und bitter zugleich. "Was versuchst du denn? Sagst du ihr, dass du dein Versprechen zurücknimmst?" Siv presste die Lippen aufeinander. "Gib mir etwas. Sag mir, wie das werden soll. Wie sollen wir Zeit miteinander verbringen, ohne dass sie da ist? Ohne dass du an sie denkst? Sag mir, wann das vorbei sein wird, und sag nicht: 'wenn sie schwanger ist'. Gib mir einen Zeitpunkt."

  • Erneut zog ich eine Grimasse - eigentlich wäre mir mehr danach gewesen, zu gehen und mir einen Weinkrug zu suchen, doch dass hier der Wunsch nach einem Ende der Diskussion Vater des Gedanken war, war selbst mir klar, ebenso wie der Umstand, dass es die Diskussion nicht beenden, nur erschweren würde, wenn ich nun ging. "Celerina war bereits einmal schwanger", gab ich Siv zurück. "Vor der Heirat", fügte ich hinzu, um einer weiteren germanischen Verurteilung im Vorfeld zu entgehen. Allerdings grübelte ich nun über etwas Neues nach. Ich musste ich Erfahrung bringen, wie Celerina das Balg los geworden war - und ob dies nachhaltige Schäden angerichtet hatte in Bezug auf weitere Schwangerschaften. Darob nachdenklich betrachtete ich das Bettchen meines Sohnes.


    Siv indes stellte mir Fragen, die ich nicht beantworten konnte. "Das weiß ich nicht", erwiderte ich und klang nun zunehmend gereizter. "Ich weiß es nicht, Siv! Ich kann es dir nicht sagen!" Aufgebracht riss ich die Hände von der Wiege loss und schoss einen Blick auf Siv ab. "Was ich versuche? Ich setze alles daran, einen Sohn zu zeugen, Siv! Seit dieser Heirat!" Ich begann, untermalend zu gestikulieren. "Ich kann es nicht zurücknehmen, ich habe dir gesagt, was dann passieren kann! Das kann ich nicht riskieren. Ich kann dir nichts geben außer meinem Wort, Siv!" Sie wusste doch, was mir das bedeutete, die Familie, das Erbe, dies alles! Und dennoch verlangte sie eine feste Zusage - irgendetwas. Etwas, von dem Celerina im Umkehrschluss wieder verlangen konnte, dass ich es ausschlug und vergaß, wenn sie Kenntnis davon erhielt! Das war paradox, einfach nur paradox. Ich schüttelte den Kopf. "Du weißt ja nicht, was du da redest", schloss ich resigniert. "Als würde ich jeden Gedanken an dich hier zurücklassen, wenn ich gehe und die Tür hinter mir schließe." Celerina warf mir schließlich dasselbe vor, und beide hatten sie recht.

  • Die Flavia war also bereits schwanger gewesen, irgendwann einmal. Siv fragte nicht weiter nach, wer sie geschwängert hatte oder was passiert war. Sie hatte es offenbar verloren, auf die ein oder andere Art. Und Siv fragte erneut, wenn auch nur stumm, was Corvinus so sicher machte, dass sie – nach wie vor – Kinder empfangen konnte. Wenn ein Kind im Mutterleib abging, ob gewollt oder nicht, konnte etwas zerstört werden in der Frau, so sehr, dass sie nicht mehr schwanger werden konnte. Und dass die Flavia in dieser Ehe immer noch kein Kind trug, war doch ein Hinweis dafür, dass etwas nicht stimmte. Entweder Corvinus lag nicht bei ihr – und gerade eben versicherte er ihr, dass dem nicht so war –, oder die Flavia konnte nicht schwanger werden. Oder sie tat etwas, um es zu verhindern, so wie Siv in den letzten Jahren. Es half nicht immer, aber es konnte eine Schwangerschaft immerhin deutlich verzögern, wie an ihr zu sehen war. Wieder berührte sie mit ihren Lippen sacht den Kopf ihres Sohnes. Sie hatte keine Ahnung, welches Spiel Celerina spielte. Und so gern sie es auch gehabt hätte, dass es ihr egal wäre, es war ihr nicht egal. Es betraf Corvinus, es betraf sie. Und es machte die Situation für Siv nahezu unerträglich.


    Corvinus unterdessen klang erneut gereizt. Und Siv verstand durchaus, was er sagte. Sie verstand, dass er die Familie der Flavia nicht gegen sich aufbringen konnte, schon gar nicht wenn sie so mächtig war, wie er sagte. Sie verstand, dass er ihr irgendwelche Zugeständnisse machen musste. Aber warum ausgerechnet dieses? Siv hatte das Gefühl, dass Corvinus umgekehrt nicht verstand, was die Flavia da trieb – nämlich einen Keil zwischen Siv und Corvinus zu treiben. Sie hatte das Gefühl, dass er es tatenlos zuließ. Und dabei hatte er sie doch gerade erst zurückgeholt, hatte gerade erst eingestanden, dass er sie wollte, dass er sie brauchte. Und jetzt, kaum dass sie da war, eröffnete er ihr das hier. "Dein Wort", sagte sie leise. "Für was? Du kannst nicht sagen wie, du kannst nicht sagen wann. Du kannst mir nicht mal dein Wort geben, dass es irgendwann mal anders wird. Dass du an mich denkst, wenn du raus gehst… das reicht nicht." Auf einmal klang Siv unglaublich müde. Unwillkürlich machte sie einen Schritt zurück, dann noch einen, bis sie gegen die Wand stieß und sich daran anlehnen konnte. Und dafür war sie zurückgekommen. Sie hatte tatsächlich angefangen zu glauben, dass er es ernst meinte – und irgendwie meinte er es ja auch ernst. Aber sie hatte auch geglaubt, es würde sich nun etwas ändern. Es würde anders werden als zuvor. Sie hatte geglaubt, er würde… wenigstens ein bisschen mehr zu ihr stehen, nicht vor anderen, aber wenn sie alleine waren. Aber genau das tat er nicht. Er konnte nicht. Und nach allem, was schon gewesen war, begann Siv sich zu fragen, ob er das je können würde. "Es reicht nicht."

  • Wie ein Schwall kaltes Wasser, so fühlte es sich an, als Siv mir eröffnete, dass ihr mein Wort nicht genügte, das Versprechen, mit ihr Zeit zu verbringen, wenn es mir möglich war. Über die Wiege hinweg sah ich sie an, einen harten, knorrigen Knoten aus Frustration in meiner Brust. Die Enttäuschung musste mir im Gesicht stehen wie leuchtende Lettern. Ihr Zurückweichen mochte unbedacht und instinktiv sein, doch für mich war das in jenem Moment das sicherste Zeichen dafür, dass Siv losließ. Dass sie nicht einmal mehr meine mittelbare Nähe ertrug. Sie bekräftigte noch einmal ihre Worte, indem sie sie wiederholte. Ich sah sie nur an, schweigend. Nachdenklich, und mir deutlich meiner Atmung bewusst, die da einzige war, dessen ich eine geraume Weile fähig war.


    "Tu das nicht", sagte ich schließlich und sah sie weiterhin an. Ich fühlte mich seltsam distanziert, wie ein neutraler Beobachter, der dabei zusah, wie jemand Fremdes auch seinen letzten Hauch Glück verspielte. Zugleich resultierten Resignation und Frustraton, kombiniert mit diesem aufkeimenden Verlustgefühl darin, dass es in mir zu brodeln begann. Sie verstand mich nicht - weil sie es nicht wollte. Sie führte mich vor. Sie stieß mir willentlich vor den Kopf. Ich hatte doch alles getan, was in meiner Macht stand! Und nun wo sie zurück war, wo sie ein Zimmer hatte, das gut halb so groß war wie Ulands gesamtes Reich, wo sie alle Annehmlichkeiten zurück hatte - wo sie mich zurück hatte - nun wollte sie ganz offensichtlich zurück! Ich presste die Kiefer aufeinander, die Lippen, und gab mir Mühe, um ihr das nicht vorzuwerfen.

  • Tu das nicht. Die Worte hallten in Sivs Gedanken. Tu das nicht. Sie konnte die Enttäuschung sehen, die sich auf Corvinus’ Gesicht ausbreitete, meinte sehen zu können, wie er innerlich zurückwich. Sie wusste, was er meinte. Aber sie konnte auch nicht anders. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie das werden sollte. Und der Gedanke, die Flavia nun ständig dabei zu haben, war einfach… unerträglich. Begriff er das denn nicht? Wie sollten sie denn überhaupt unbeschwert Zeit miteinander verbringen können? Wie sollte sie ihn denn überhaupt noch umarmen können, ohne gleich an die Flavia denken zu müssen? Es wäre doch so schon nicht leicht geworden. Langsam rutschte Siv an der Wand entlang zu Boden, an die Corvinus sie vor kurzem noch gepresst hatte. Finn wimmerte immer noch leise vor sich hin von Zeit zu Zeit, und sie drückte ihn sacht an sich, versuchte ihm das zu geben und zugleich von ihm das zu bekommen, was sie eigentlich von Corvinus wollte – und brauchte. Nähe, Wärme, Geborgenheit. Die Versicherung, dass alles gut werden würde, irgendwie. Dass sie da war, für ihn, jederzeit, ohne Bedingungen, ohne Kompromisse.


    "Ich liebe dich, Marcus." Ihre Stimme klang brüchig. "Ich will das nicht tun. Aber wie soll das gehen? Du hast doch nicht viel Zeit, du wirst nicht viel Zeit für mich haben. Und dann, jedes Mal, wenn du dann bei mir bist, wird sie auch da sein. In deinen Gedanken, in meinen Gedanken. Auch wenn du dich an dein Versprechen hältst, wenn du einfach nur da bist. Jedes Mal, wenn wir uns berühren. Wir können nie alleine sein. Wie… wie soll das denn gehen?"

  • Siv lehnte an der Wand, rutschte dann daran hinunter wie ein geprügelter Hund. Sie hielt den Kleinen so fest, dass mir bereits beim Zusehen stickig wurde - was vermutlich auch daran lag, dass sich meine Kehle zugeschnürt hatte. Prisca hatte falsch gelegen. Das hier machte es nicht besser, es wühlte nur alles noch mehr auf, bevor sich Narben bilden konnten. Während ich dastand und sie etwas sagte, auf das ich schlicht nicht das Geringste erwidern konnte, spürte ich ganz deutlich die Mauer rings um mich herum wachsen, regelrecht emporschießen. Vom einen auf den anderen Augenblick war ich unnahbar, ließ ich nichts mehr an mich heran. Aus Selbstschutz vielleicht, oder weil mir klar war, dass Siv ebenso richtig lag wie Celerina, und dass ich niemals würde auf diese Weise länger bestehen können als einige Monate, vielleicht ein Jahr, ohne daran zugrunde zu gehen. An den Vowürfen, dem Gezanke, all den hässlichen Worten und der Tatsache, dass es doch nirgendwo eine Insel der Ruhe für mich würde geben, jetzt nicht mehr und in Zukunft auch nicht.


    Als ich wieder auf meine Umgebung achtete, war mein Blick auf die endlose Maserung des Holzes gerichtet, aus dem die Wiege gemacht worden war. Holz überdauerte; dieses Möbelstück würde wohl auch noch existieren, wenn die nächste Generation ihre Kinder dort hinein legen würde. Sivs Worte waren an mir vorübergegangen, vorbeigestrichen wie eine sanfte Brise. Es war ja doch nur Ablehnung, der sie Ausdruck verlieh, denn das, was sie verlangte, war nicht das, was ich imstande war, ihr zu geben. Ich konnte mich nicht ohne weiteres gerecht verteilen, und ebenso wenig konnte ich mich entzwei reißen. Diese Erkenntnis kam zu spät, um uns Leid zu ersparen, doch kam sie wohl früh genug, um es unnötig in die Länge zu ziehen. "Verzeih..." Ein Wort nur, heiser ausgestoßen, und doch sagte es viel aus für meine Verhältnisse. Ich entschuldigte mich nicht oft - ich wusste das - und ich tat es nur, wenn ich überzeugt war, dass es richtig und nötig war - oder aus Kalkül. Dies hier war nötig. Es war mein Verschulden, dass sie hier war, und ich glaubte es nun als Puren Egoismus erkannt zu haben. Dass ich mich dabei innerhalb meiner Mauern so fühlte, als riss mich etwas entzwei, spielte nur eine untergeordnete Rolle. Ich hätte ihr und mir dies hier ersparen sollen, ganz gleich, was Celerina für einen Händel erwirkt hatte. Es konnte gar nicht funktionieren, denn ich war schlichtweg nicht fähig, mich zweizuteilen und damit sowohl Siv als auch Celerina gerecht zu werden.


    Verklärt hob ich den Blick, ließ ihn über Siv streifen, und wandte mich dann ab, um sie allein zu lassen und mir nun doch jenen Weinkrug zu suchen, an desen Boden ich mir einen Ausweg ob meiner falschen Entscheidung erhoffte.

  • Corvinus hatte keine Antwort für sie. Siv war sich noch nicht einmal sicher, ob er ihr überhaupt zuhörte, so wie er da stand, wie er vor sich hin starrte. Sie hatte geendet, hatte irgendwann aufgehört zu reden, aber es kam immer noch keine Antwort. Es herrschte nur Schweigen. Und dann, plötzlich, sagte er doch noch etwas, so leise, dass sie fast meinte sich verhört zu haben. Verzeih. Siv schnürte es die Kehle zu, und nun war sie es, die am liebsten gerufen hätte: Tu das nicht. Aber kein Wort kam über ihre Lippen. Was hätte sie auch sagen sollen darauf. Das Wort klang so… endgültig. Er war gekommen, zu Uland, um sie zurückzuholen. Um sie zu sich zu holen. Um sie bei sich zu haben. Dennoch hatte er sich von seiner Frau dieses Versprechen abringen lassen. Die Flavia hatte so viel, und nun hatte er ihr auch noch das versprochen. Und ihr, Siv, konnte er nicht mehr geben als das, was sie bereits vor der Geburt hatten. Noch weniger im Grunde, wenn sie zurück dachte an die Zeit, in der sie noch das Bett miteinander geteilt hatten. Sie war hier, weil er es wollte, und nun konnte er ihr noch nicht einmal sagen, er würde regelmäßig Zeit mit ihr verbringen. Stattdessen eröffnete er ihr nur, dass es noch schwieriger werden würde, weil er seiner Frau ein Versprechen gegeben hatte, das ihnen verbot, sich nahe zu kommen, und ihr, Siv, noch nicht einmal einen Zeitpunkt nennen konnte, an dem dieses Versprechen hinfällig sein würde. Er hatte es nicht einmal fertig gebracht ihr zu sagen, dass er sich nicht mehr daran gebunden fühlen würde, wenn die Flavia nach einem gewissen Zeitpunkt nicht schwanger geworden war. Oder dass er wenigstens noch einmal mit seiner Frau reden würde. Dass er ihr sagen würde, dass es so nicht ging. Für Siv klang es so, dass seine Frau forderte und forderte und er darauf einging, während er von ihr Verständnis erwartete. Verständnis für alles. Für seine Familie, seine Position, seine Lage. Seine Frau. Und nun auch noch für dieses elendige Versprechen, das dazu führte, dass zumindest Siv bei jeder Berührung an sie würde denken müssen, und jeden Augenblick damit rechnen würde, dass Corvinus sich zurückzog.


    Sie könnte ihn verführen. Siv war sich sogar ziemlich sicher, dass ihr das gelingen würde. Nicht in der augenblicklichen Situation, aber generell. Nur war das nicht ihre Art. Sie wollte ihn nicht erst überreden müssen, sie wollte ihn nicht zu etwas bringen, was er, aus welchen Gründen auch immer, eigentlich nicht wollte. Und es würde nichts ändern an der Situation. Siv saß am Boden, sah zu Corvinus hinauf, der nun, endlich, kurz zu ihr sah, und wusste keinen Ausweg. Sie liebte ihn. Sie wollte endlich wieder mit ihm lachen. Sie wollte… einfach nur bei ihm sein. Und sie wollte, dass er bei ihr war – wie wenig Zeit er auch übrig haben mochte für sie, sie wollte, dass er dann bei ihr war, nicht nur körperlich, auch geistig. Dass er sich wenigstens bemühte, nicht die ganze Zeit an die Flavia zu denken, und es nicht durch ein derartiges Versprechen selbst den Versuch, seine Frau wenigstens einmal beiseite zu schieben, unmöglich machte. Stumm sah sie zu, wie er sich abwandte und den Raum verließ. Und erst, als die Schritte draußen verklungen waren, schlug die Verzweiflung endgültig zu, und Tränen begannen ihre Wangen hinabzulaufen.

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