[taberna libraria] Nicht mehr auf Stimm- , sondern Wortefang

  • Wer sich hierher in den Schatten der Kolonnaden verirrte, der verirrte sich üblicherweise auch in den unzähligen Büchern, die in fahrbaren Schränken aufbewahrt wurden, um von interessierten Kunden in Augenschein genommen zu werden. Zu denen gehörte im Moment auch Phaeneas, der den Rücken der Straße zuwandte, während er die üblich ernsten, aber wachen Augen suchend über die Auslage schweifen ließ.
    Zwar bestand Plinius‘ ‚Naturalis Historia‘ noch aus ziemlich vielen Büchern, die der bithynische Sklave noch nicht gelesen hatte, aber langsam wollte er sich doch auch mal mit etwas anderem beschäftigen als nur Sonne und Sternen. Außerdem ... erinnerten Plinius und sein Stil ihn inzwischen zu sehr an Cimon ... Bei allen Göttern, er war beim Lesen nur neben ihm gesessen und schon schien es Phaeneas, als hätte es Plinius nie möglich sein können, diese Schrift ohne Cimons Existenz zu schreiben.
    Tja, und deswegen stand er nun hier, um sich eine neue Lektüre auszusuchen. Na ja, eigentlich war er auf die Idee nur gekommen, um sich abzulenken. Zur Zeit tat er nichts anderes, als nur sich abzulenken. Denn – nur nicht denken, nur nicht nachdenken. Da könnte man eventuell noch an jemand Bestimmten denken. Es war schon verrückt, da erlebte man den Schock seines Lebens, erkannte, dass man in eine unabschätzbar gefährliche Situation hineingeschlittert war – aber die Verliebtheit ging trotzdem ganz normal weiter, so als wäre nichts passiert.
    Der Besitzer des Ladens, ein dicklicher Grieche, hatte ihn zum Glück noch verschont, zuvorkommende Bedienung war schließlich das letzte, was Phaenenas wollte, wenn er außer Haus ging. Nur leider, leider war er in dieser Buchhandlung inzwischen bekannt (und vor allem wusste man, wer sein Herr war!), was als Kundenfreundlichkeit getarnter Schleimerei natürlich Tor und Tür öffnete ...


    Sim-Off:

    Reserviert :]

  • Es war erstaunlich hie und da, wie es im Leben ging. Man setzte einen Schritt vor den anderen, wusste gar nicht, wohin man ging, und plötzlich stand man wo, an einen Ort, mit dem man ein starkes Gefühl verband, wo etwas geschehen war, was man nur noch schwer aus dem Kopf verdrängen konnte. Es passierte jetzt Piso nicht so häufig, nur so oft, dass er wusste, dass es so etwas gab. Und heute passierte es wieder. Ein kurzer Schlenderer über den Markt, wie in den guten alten Zeiten, und schon war er an einem Platz, der ihm vertraut vorkam. Eine Bibliothek. Bücher, Büche, Bücher. Wie war er hier hineingekommen? Er wusste es nicht. Er hatte natürlich irgendeine Türe betreten, aber dass er gerade wieder hier gelandet war, war erstaunlich.
    Hier hatten sich ihre Hände berührt. Hier hatte er das gespürt, wonach er sein Leben lang gesucht hatte – Seidenhände. Nun, zumindest hatte er diese in seinem Gedicht lobgepriesen. Viel eher war es aber so, dass er die schiere Präsenz von Prisca, welche ja eine große Ausstrahlung nicht nur menschlicher, sondern auch sexueller Art besaß – jaja, Piso war auch nur ein Mann, nicht so vorwurfsvoll schauen! – dass er von ihr komplett umgehauen worden war.
    Piso hob langsam seinen rechten Finger und fuhr die Bücher entlang, welche aufgereiht waren; nicht nach einem ersichtlichen Muster war jedem Autor ein eigenes Regals gewidmet. Die Bücher waren aber alphabetisch geordnet. Ovid. Vor diesem Regal war es geschehen. Und auf der anderen Seite... Vergil. Sein Lieblingsautor. Er lächelte, als er diese wundervolle Ecke betrachtete. Sein Auge blickte nach oben, zu der großen Auswahl von unterschiedlichen Ausgaben der Aenaeis, ein wundervolles Werk, welches Piso schon so oft gelesen hatte. Sein Blick schweifte nach links ab, eher durch Zufall, zu Plinius, wo sich die Regale zur Straße hin öffneten, und jemand, der von Ovid und Vergil kommen mochte, zwischen zwei Regalen hervortreten würde.
    Vor Plinius stand ein Männchen, das Piso zuerst ignorierte – doch plötzlich fiel ihm ein, dass er den Kerl schon einmal gesehen hatte. Er machte einen Schritt näher auf ihn zu und musterte ihn neugierig. Den kannte er doch. Oder? Senator Vinicius? Nein, nicht der, ein anderer vielmehr. Ein Sklave von ihm. Seine Gedanken klarifizierten sich. Der Sklave, der die ganze Zeit betrachtet hatte. Der sie betrachtet hatte, mit einem seltsam undeutbaren Blick. Interessiert? Gelangweilt? Wer wusste es?
    Piso hustete, um so die Aufmerksamkeit des Sklaven auf sich zu ziehen, realisierte aber in diesem Moment, dass er rein gar nichts zu sagen hatte, und wunderte sich über sich selber, dass er überhaupt den Sklaven nun auf sich aufmerksam gemacht hatte.
    “Äh. Salve, Sklave. Erinnerst du dich an mich?“ Etwas Besseres war ihm auf die Schnelle nicht eingefallen, aber besser als bedeutungsarmes, inhaltsleeres, peinliches Schweigen.

  • Bei ihrem Aufeinandertreffen im Park hatte Phaeneas Cimon ja schon etwas einsilbig zurückgelassen, aber – bei den Göttern – er war ja auch komplett durch den Wind gewesen. Völlig verunsichert, was hätte er da machen sollen? Er war schließlich nur froh darum gewesen, wegzukommen, weg von Cimon, der eine so irritierende Wirkung auf ihn hatte. Die zumindest unter jetzigen Umständen absolut unerwünscht war. - Aber gut, jetzt ging es darum, was Phaeneas demnächst lesen wollte. Das Leben musste schließlich weitergehen, das hatte er gelernt, egal, was passierte, es musste weitergehen. Egal, ob man gerade frisch seine Mutter verloren hatte, zum wer-weiß-wie-vielten Mal seine gewohnten Lebensumstände hatte aufgeben müssen oder sich unglücklich-glücklich (wer wusste das schon? Cimon jedenfalls nicht) verliebt hatte. Es musste weitergehen.
    Nachwievor starrte er etwas unentschieden auf die Schriftrollen vor ihm, da hörte er ein Husten neben sich, fürchtete schon den Ladenbesitzer oder jemanden von dessen Angestellten. Doch es war offenbar nur ein Kunde wie Phaeneas selbst. Zuerst war sich der Sklave nicht sicher, ob er auch wirklich gemeint war, doch dann sprach der Fremde ihn auch schon an. Sonderlich ausgefeilt und durchdacht wirkte das, was der da von sich gab, allerdings nicht unbedingt. Aufmerksam musterte der Unfreie ihn, bemerkte die klaren Gesichtszüge und die Augen, die etwas Festes an sich hatten.
    Und dann musste er zweimal hinschauen – der Fremde hatte graue Augen! Wie Cimon ... Es brauchte nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass Phaeneas im Moment für graue Augen starb. Dabei wollte er’s zugleich gar nicht. Schließlich war das mit dem aurelischen Nubier noch viel zu wage, um sich Hoffnungen zu machen – die längst da waren ...
    Ähm, anderes Thema: Bei der Inspizierung seines Gegenübers fiel ihm auch dessen ausgesprochen edle Kleidung auf. Es hatte fast etwas ... Kitschiges an sich, so ein klein wenig. Soweit Phaeneas, der sich jeden Morgen nur irgendeine Tunica über den Kopf zog, das beurteilen konnte.
    „Salve, domine“, erwiderte der Bithynier den obligatorischen Gruß. Weiter: „Verzeih, Herr, doch ich sehe tagtäglich so viele wichtige Männer, dass ich mich oft an ein Gesicht nicht erinnern kann.“ Flüssig ging Phaeneas der Satz über die Lippen, ohne ein Zögern und ohne großartige Gemütsregungen. Ernst und ernsthaft waren die Augen auf den vornehm wirkenden Kunden gerichtet, aber diesmal war der melancholische Aspekt darin stärker ausgeprägt.
    Ganz automatisch hatte er den Teil mit den ‚wichtigen Männern‘ einfließen lassen. Wobei es sich um keine Schleimerei handelte. Das war eine reine Vorsichtsmaßnahme. Grundsätzlich hatte es sich oft als klug erwiesen, von vornherein jeglichen Anschein von Respektlosigkeit gleich schon zu verhindern - denn das konnte böse enden. Und genau so etwas beugte eine solche eben eingebaute Floskel vor.
    Nun blieb nur noch eine Frage: Was wollte der Fremde? Ebenso grundsätzlich war es für einen Sklaven klug, möglichst schnell herauszuanalysieren, was jemand von einem wollte, oder zumindest, ob es etwas rein neutral-sachliches war (was, das eben einfach erledigt werden musste) oder etwas Hinterlistiges dahinter steckte. Aber hier konnte Phaeneas es nicht so recht sagen, es war und blieb einfach nur eine Erkundigung, die der andere Kunde an ihn gerichtet hatte. Also hieß es, weiterhin wachsam sein.

  • “Ah.“ Nun, wie hatte er dies auch annehmen können, dass sich ein Sklave sich an ihn erinnern könnte? Er war doch nur ein Priester, ein gewesener Vigintivir und hoffentlich baldiger Quaestor. Nur einer von vielen der aufsteigenden Sterne Roms, die jeden Moment verpuffen konnten, ins Nichts, in die Bedeutungslosigkeit. Wieso sollte sich ein Sklave, der sicher an diesem Tag so viele Gesichter gesehen hatte, lauter hoffnungsvolle Vigintiviratskandidaten, sich ein Spezifisches merken? Auch wenn an diesem gesicht dran jemand hängte, der bislang halbwegs Erfolg gehabt hatte in seinen Bestrebungen?
    Er merke nicht, was für einen Effekt seine Augen auf den Sklaven hatten, er merkte nur, er hatte eigentlich nichts zu sagen. Was denn auch? Und doch, er selber konnte sich an den Sklaven erinnern. Er war ihm im Gedächtnis geblieben, Piso wusste nicht recht, weswegen. Vielleicht wegen den Gesichtszügen, die aussahen wie gemeisselt? Oder wegen der Tiefgründigkeit, die er hinter den braunen Augen des Sklaven vermutete?
    Piso zupfte ein bisschen nervös rum an seiner himmelblauen Seidentunika, die immerhin den Vorteil hatte, dass sie nicht knallrosa war – denn so eine hatte er auch! Sogar zwei davon, wenn er darüber nachdachte! Das Himmelblaue sollte ästhetisch befriedigend wirken (oder auch nur den Eindruck vermitteln, dass man es, aus welchem Grund auch immer, mit einem überdimensionalen Baby zu tun hatte) und zudem aussagen, zu welcher Rennwagenfactio Piso hintendierte, wenn er diesem Sport überhaupt einen Gedanken schenkte. Eigenartige Stickereien zierten den Saum, und ganze 8 Ringe waren auf seinem Finger. Er hatte sie wieder angezogen, nach einiger Zeit. Einer war der flavische Siegelring, die anderen 7 hatte er mit Prisca gekauft. Ach, Prisca... er sollte lieber damit beschäftigt sein, ihr nachzujagen, als Hirngespinsten. Aber so war Piso eben, manchmal durchaus zu seinem Leidwesen.
    “Soso. Sicher. Denke aber zurück. Es war schon vor 2 Amtszeiten. Du bist doch der eine Sklave von Senator Vinicius, oder? Wie war noch einmal dein Name? Ich war bei ihm, habe um seine Unterstützung gebeten.“ Er machte eine kurze Pause, bevor er hinzufügte: “Ich bin Flavius Piso.“ Dieser Name sollte jedem Kunstverständigen ein Begriff sein, bildete sich Piso ein. Er wartete neugierig ab, ob dieser Name beim jungen Mann vor ihm etwas sagte.
    Er wusste auch nicht, warum es ihm wichtig war, dass der Sklave sich an ihn erinnern konnte. Vielleicht nur etwas, was seinem Ego diente („hui, ich bin sooo wichtig, selbst die Sklaven können sich an mich erinnern!“).
    Jung war der Kerl. Jünger als Piso sicherlich. Seinen Zügen haftete etwas fast Feminines an, als ob sich Mutter Natur nur im letzten Augenblick dazu entschließen hatte können, ihm das am Schoße zu verpassen, was einen Mann von der Frau unterscheidet. Von der Ferne hätte man sich fast denken können – entweder es ist ein sehr gut aussehender Mann oder eine hässliche Frau. Doch es war ersteres. Aussehen tat er gut, doch war sein Gedächtnis gleichermaßen wohlbestückt?

  • Während der, der ihn da angesprochen hatte, noch Phaeneas‘ Entschuldigung verdaute und an seiner Tunica herumzupfte, also nicht so direkt den Eindruck machte, als ob er wüsste, was er sagen wollte, während all dem ließ der bithynische Sklave weiterhin seine Augen über die ausgestellten Bücher schweifen. Nun aber über die im Schrank daneben, was ihn ungefähr einen Schritt näher an den Fremden heranführte. Wobei er versuchte, eben dem geringstmöglich das Gefühl zu geben, sich mehr für die Schriften zu interessieren als für ihn, ihm im Gegenteil die Beachtung zu schenken, die einem Freien vor einem (wohlerzogenen) Sklaven zustand. Möglichst beiläufig und unscheinbar zog er also eine Papyrusrolle auf, davor noch einen aufmerksamen Blick auf den anderen werfend, und überflog – fast wie desinteressiert – die ersten Zeilen von dem, was ihm da in die Hände gefallen war.


    Caesars schriftlicher Vorschlag wurde den Consuln überreicht. Nur mit Mühe setzte man bei ihnen auf stärkstes Drängen der Volkstribunen durch, dass er im Senat verlesen wurde. Dass sein Inhalt aber auf die Tagesordnung gesetzt wurde, konnte man nicht erreichen.


    Oh nein, Politik – das rief bei Phaeneas wirklich Desinteresse hervor. Ihn für seinen Teil haute solches Hin- und Herdebattieren jedenfalls kaum von den Socken und davon in seiner Freizeit zu lesen, das kam ja mal gar nicht in Frage. Aber was für ein Werk war das hier eigentlich? Oh, C. Iulius Caesars ‚Der Bürgerkrieg‘. Was wollte man da schon auch erwarten? Außerdem – sich mit Kriegen zu beschäftigen war der Unfreie genauso wenig gewillt wie mit Staatsgeschäften. Für ihn war das nur massenhafte, rohe Gewalt. Und wie viel Sinn Gewalt machte, davon hatte er sich sein ganzes Leben lang überzeugen können.
    Mit sichtbarer Abneigung gegen die, immer noch aufgerollte, Schrift in den Augen widmete er also wieder seine volle Aufmerksamkeit dem grauäugigen Fremden. Während die anders verbrachte Zeit minimal gewesen war. Aber eben trotzdem da.
    Die Vorstellung erwies sich dann tatsächlich als fruchtbar: Ach ja, stimmt, ausnahmswiese konnte Phaeneas‘ (sonst ja nicht so sehr auf Dauer ausgelegtes) Gedächtnis sogar eine Information hierzu liefern, schließlich hatte ihm der Flavier damals eine äußerst amüsante Anschauung vom Wesen der Politik ermöglicht. Außerdem konnte der Lucian’sche Leibsklave mit dem Namen grundsätzlich etwas anfangen, schließlich erfuhr man ganz von selbst immer wieder sämtliche – öffentlichen; wahren oder erfundenen – Neuigkeiten über sämtliche Mitglieder der vornehmen Schicht Roms; und Patrizier waren da ganz besonders leicht zu behalten, schließlich gab es davon nicht allzu viele.
    „Aber ja, Flavius Piso, ich erinnere mich“, reagierte der Bithynier, etwas lebendiger nun als bisher, aber nachwievor eher ... steif. „Ja, ich war der anwesende Sklave, als du meinen Herrn besucht hast, der Wahl wegen. Mein Name ist Phaeneas ...“ - aber die Aussage ‚der eine Sklave‘ machte doch noch eine Ergänzung erforderlich - „ ... und ich bin Leibdiener meines Herrn.“
    Wäre er jetzt jemand anderes, würde er nun auf die Wahl oder ihr Ergebnis eingehen, aber so schwieg er einfach und wartete in aller Seelenruhe auf das, was der Flavier weiter von ihm wollen würde – der war hier schließlich der Herr.
    Wobei der Bithynier zugeben musste, dass es etwas Beunruhigendes an sich hatte, dass ihn dieser Mann vor ihm, der ihn schließlich nur einmal gesehen hatte, im Gedächtnis behalten hatte. Über Gebühr Beachtung zu bekommen war laut Phaeneas´ Erfahrungen eine gefährliche Angelegenheit, denn das bedeutete, dass jemand ein Auge auf einen hatte – und dementsprechend auf mögliche Fehler, bzw. die Möglichkeit hatte, Schwachpunkte zu erkennen.
    Hm, aber halt ... Cimon war über seinen Namen auch längst informiert gewesen, als sie das erste Mal miteinander gesprochen hatte. Nein, nicht schon wieder Gedanken an ihn! Die hatte er doch dank des Flaviers inzwischen ganz gut verdrängt ...

  • Während Piso noch nach Worten rang – Herrje, er hätte sich ohrfeigen können, den Göttern sei Dank war dies nur ein Sklave, nicht ein Freier – und weiterhin an seine Kleidung rumfummelte, zog sein Gegenüber eine Schriftrolle hervor und schaute kurz hinein, während er jedoch nicht den Anschein zu machen schien, dass er seine Gedanken allzu weit von Piso wegzuschweifen ließ. Mit einer geschwinden Bewegung beugte sich Piso über die Schriftrolle und entzifferte einen Namen, der in güldenen Lettern unverkennbar angeschrieben war. “Ah, Caesar. Gaius Iulius Caesar, ein großer Mann.“ Ein Schlächter und ein Popular, dem kein wahrer Patrizier jemals die unselige Geschichte um Clodius Pulcher vergessen konnte – dessen schändlciher Übertritt vom Patriziat zur Plebs von Caesar ermöglicht worden war. Und doch, ein brillianter Schreiber, dessen Lektüre Piso in Erstaunen versetzte. Nur wenige waren besser als er, packend war Caesar auf jeden Fall, auch wenn seine Schriften im Endeffekt nur Propaganda darstellten.
    “Magst du also Caesar, hmm?“, missinterpretierte der Flavier, der die Missbilligung im Gesicht des Sklaven übersah, die Auswahl des Sklaven. “Mir gefällt Ovid besser. Und natürlich Vergil. Vergil ist unerreichbar“, schwärmte er mit einem Lächeln auf seinen Lippen. “Die Aenaeis ist das Meisterwerk schlechthin.“ Er nickte bedeutungsschwer.
    Dann stellte sich auch schließlich Phaeneas – so sein Name vor, und Piso nickte kurz. “Ach so. Soso. Phaeneas, Leibdiener. Der Name ist... griechisch. Bist du ein Grieche?“ Wieder eine nicht allzu staatstragende Frage. Piso strengte sein Gehirn an. Es musste doch ein passendes Gesprächsthema geben! Seine Gedanken schweiften zu den Fluren und Gängen der Villa Vinicia. Die kostbaren Verzierungen, die ausgeklügelten Dekorationen, die Wandmalereien, das Mobiliar, Piso hatte es lebhaft vor Augen.
    Dann kam es Piso, als er daran dachte. Es war doch sonnenklar, was er eigentlich vom Sklaven wollte. Er wollte eine intelligente Meinung. “Ähm, gut. Phaeneas, schon als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, habe ich gesehen, du bist ein heller Kopf, kein dummer Mann, das sehe ich von Weitem.“ Er presste seine Lippen zu einem fast verlegenen Grinsen zusammen, dann platzte er mit seiner Frage heraus. “Phaeneas, Sklave, sage mir – wie stehst du zur Ästhetik?“ Vielleicht konnte er aus diesem Munde hier eine Antwort extrahieren, die es würdig wäre, sich Ihrer zu erinnern. Natürlich wäre dies nur der Fall, wenn die Antwort anerkennend, respektvoll gegenüber der Ästhetik war. Etwas in ihm, ein sehr großer, überwiegender Teil von ihm hoffte, dass diese Antwort positiv ausfiel, denn er mochte es nicht, wenn Leute sein Weltbild zerrissen.

  • Inzwischen hatte der Fremde den Namen des Verfasserns entdeckt. Insgesamt war es wohl besser, wenn er nie erfuhr, was Phaeneas von großen Männern hielt. Schließlich hatte er seit Kindesbeinen auf mit ihnen zu tun, ihre Allüren, Launen und Schwächen erlebt und wusste eins ganz genau – die waren auch nur Menschen (und oft ziemlich lächerliche Exemplare), nur dass sie am längeren Hebel saßen und es sich leisten konnten, ihre Marotten auf Kosten anderer auszuleben.
    Die Folgerung, die der Patrizier aus der Schriftrolle in Phaeneas‘ Händen zog, erstaunte diesen jedoch. Allerdings hatte er gleich noch Lektüretipps zur Hand, was schließlich nützlich war, denn auf der Suche nach einer solchen war der Bithynier ja. Ob er als Leseanfänger aber gleich mit dem Meisterwerk schlechthin beginnen wollte, da war er sich nicht sehr sicher. Die Augen aufmerksam auf den Redenden geheftet, ratterte es also in Phaeneas‘ Kopf. „Nun, ich kenne Caesar noch nicht wirklich, Herr, weshalb ich auch nicht konkret sagen kann, ob ich ihn mag. Und vorerst werde ich mich wohl noch einem anderen Autor widmen.“ Hoffentlich war das diplomatisch genug ausgedrückt. Die anderen Namen und was der Fremde dazu meinte, notierte der Sklave dagegen gedanklich. „Danke, Herr, ich werde mir deine Hinweise merken“, erwiderte er mit nachwievor nahezu regungslosem Gesicht.
    Ja, der Name war griechisch ... aber der Träger nicht. „Nein, ich bin Bithynier. Oder zumindest meine Eltern waren solche.“
    Aber langsam fragte sich Phaeneas doch, was Flavius Piso von ihm wollte – ob es ihm allen Ernstes darum ging, solche Fragen zu seiner Person zu stellen?
    Doch bei dem, was dann kam, blieb ihm erstmal die Luft weg. Und seine Augen wurden groß vor Erstaunen. Denn 1) wurde Phaeneas nicht oft geschmeichelt, 2) war er Schmeicheleien gegenüber grundsätzlich sehr vorsichtig und 3) war die Frage nicht unbedingt eine, mit der man als Sklave sonderlich oft konfrontiert wurde. Aber der Flavier hatte eine ausdrucksvolle Körpersprache, so wie er allgemein eine sehr anschauliche Art, sich zu geben, hatte. Was sich allein schon durch seine Offenheit zeigte. Eben diese erzeugte in Unfreien meist ein sicheres Gefühl, was sich oft als Täuschung herausstellen konnte – doch es war immer noch deutlich besser als die ganz verschlossenen Freien.
    „Nun, grundsätzlich halte ich die Ästhetik für etwas sehr sinnvolles, etwas, das das ganze Leben durchdringen und sich darin wiederspiegeln sollte. Nur ... fürchte ich, dass die Ästhetik nichts für diese Welt ist. Denn sie könnte den ästhetischen Maßstäben in ihrer Unvollkommenheit und Hässlichkeit niemals standhalten. Außer vielleicht ... im Wasser mögen sie verwirklicht sein – oder auch in der Dunkelheit ... “, fügte er reflektierend hinzu.
    Wer träumte schließlich nicht davon, in einer schöneren Welt zu leben, in einer, die nicht so grausam war wie diese? ... Eine, in der man sich unbesorgt verlieben konnte, in der man ohne Furcht den Kopf verlieren durfte? ...
    Doch es blieben stets nur unverfüllte Träumereien ...

  • Pisos lebhafte Geste beinhaltete das dramatische Schwingen seines rechten Armes hinauf in die Höhe und das direkt darauf erfolgende Niederfahren-Lassen, wodurch er fast ein Regal von Schriftrollen leergefegt hätte, wäre er nicht nur einen halben Zoll daran vorbeigeschrammt, und war untermalt von einem bedeutungsvollen Grinsen. “Caesar ist sehr gut zu lesen. Bist du Leseanfänger?“ Er legte seinen Kopf in einer leicht effeminierten Geste schief und beugte sich ein klein wenig herab mit leicht philosophischem Gesichtsausdruck – Piso war eine Kleinigkeit größer als Phaeneas, und für einen Mann war das nie schlecht. Bei Frauen eher weniger, aber das war Piso nicht... ganz knapp nicht. Ja, man sah ihm wohl an, dass er sein Leben unter einem ganzen Stall von Schwestern verbracht hatte. “Einem Leseanfänger würde ich durchaus Caesar ans Herz legen. Er ist leicht zu lesen. Sollte ich mich irren, dann wäre es wohl Vergil, auch wenn seine Sprache anspruchsvoller ist. Ziemlich schwer hingegen ist Sallust. Der Mann schrieb... sonderbar.“ Maxume zu sagen statt maxime war ja wohl ein wenig seltsam, auch, sich quasi ständig und ohne Unterlass darüber zu beschweren, wie „conruptus“ die Gesellschaft wäre. Nun, vielleicht war sie wirklch korrupt. Piso selber hatte sich ja schon länger der Dekadenz hingegeben, er scheute sich auch nicht davor, sie öffentlich zur Schau zu stellen.
    “Bithynier!“, platzte er hervor, als hätte er gerade die geistige Erlösung erfahren. “Bithynien! Ich war schon einmal in Pergamon... Bithynien ist das wohl noch nicht, oder? Nein, Bithynien, das ist weiter oben... Nicomedia und so. Aber wunderschöne Landschaft. Wunderschön! Ich erinnere mich noch immer gerne dran. Und die Weine, hmm, deliziös!“ Indem er seinen Daumen und seinen Zeigefinger möglichst weit auseinanderbrachte und seine rechte Hand Phaeneas unter die Nase hielt, zeigte er an, wie sehr und gewaltig er Pergamon geschätzt hatte. Nun ja, es war ja immerhin in der Nähe von Bithynien! Bei wem würden heimatliche Gefühle sich da nicht einstellen?
    Dann fuhr er sich mit seinem rechten Zeigefinger an sein Kinn, stützte jenes auf die Faust auf, die er mit dem Rest seiner rechten Hand gebildet hatte, und begann, schnell mit seinem Finger sich ans Kinn zu tippen, als er der Beschreibung des Phaeneas zuhorchte. Kurz ließ er die Worte in sich einwirken, bevor er leicht lächelte.
    “Deine Ansichten in allen Ehren, nur muss ich widersprechen. Ästhetik, das ist das Idol, der perfekte Punkt. Wie Pythagoras festgestellt hatte, kann man jenen Punkt mathematisch messen.“ Er machte eine kurze, dramatische Pause. “Und frequent begegnen wir ihn. Bei einem Musikstück. Bei einem Gedicht. Beim Anblick einer schönen Frau. Beim Anschauen einer hübschen Blume. Bei der Betrachtung eines besonders schönen Sonnenuntergangs an der Bucht von Neapolis. Beim Schmecken eines perfekt gewürzten Garums. Ästhetik ist das, was freut, wie schon Sokrates sagte. Nein, warte, das muss man qualifizieren. Das, was den geschulten und künstlerischen Geist erfreut, denn der Pöbel...“ Er winkte ab mit seiner linken Hand. “Der erfreut sich an Straßenkeilereien, die von Ästhetik fernab ist.“ Nachdem er seine mehr als nur elitistischen Ansichten an den Mann gebracht hatte, senkte er seine Stimme ein wenig zu einem verschwörerischen Mauscheln.
    “Aber, mein guter Phaeneas, ich glaube, du bist einer der Leute, die die höchsten Punkte der Ästhetik erfassen kann. Denn Wasser, was für eine schöne Sache. Nur Dunkelheit... absolute Dunkelheit... ich würde sagen, ästhetisch ansprechend ist sie nicht. Viel eher... hmm... ästhetisch neutral. Denn man sieht ja nichts. Normalerweise. In der Dunkelheit, meine ich.“ Er nickte suggestiv. Sicher würde ihm Phaeneas zustimmen! Einmal wenn er wirklich so ein kluges Bürschchen war, wie Piso es sich dachte.

  • Sim-Off:

    Oh, da ist sie ja, meine Inspiration! *wiedersehensfreude*


    Phaeneas‘ Augen verfolgten den Arm des Flaviers vor ihm, inklusive des gerade noch verhinderten Schicksals der Schriftrollen. Dieser ... ausufernde Einsatz von Körpersprache hatte fast schon etwas ... begeistertes an sich, was der Bithynier sich bezüglich des Patriziers, der Außergewöhnlichkeit des Ausmaßes halber, geistig zu notieren beschloss. Mit dessen Mimik konnte er allerdings noch nicht viel anfangen, schien ihm dieses lebhafte Begleiten seiner Worte doch etwas übertrieben für so ein banales Thema wie die Lesefähigkeiten eines Sklaven.
    Als er sich jedoch ein winziges Stückchen nur zu Phaeneas herabbeugte, fühlte der sich prompt bedrängt, ein Gefühl, das sehr schnell in ihm aufstieg. Um sich wieder den Freiraum und Abstand zu verschaffen, den er zu brauchen glaubte, trat er einen dezenten Schritt zurück.
    „Ja, Herr, das bin ich“, bestätigte er artig. „Ähm, Vergil, was hat er denn so geschrieben? Außer der Aeneis?“, fuhr er fort, auch wenn dieser Schriftsteller als anspruchsvoller bezeichnet wurde, schlicht in dem Bestreben, von Caesar abzulenken, denn auf Politik und Krieg hatte er wirklich keine Lust. Sallust vermerkte er sich in Gedanken schon mal als etwas, was er sich jetzt noch nicht anzutun brauchte.


    Im Übrigen beschränkte er sich darauf, Caesar noch nicht zurücklegen. Das konnte er ja später noch unauffällig tun.
    Zuerst, als der Flavier so freudig reagierte, verstand Phaeneas nicht recht, was er an seinem Herkunftsland so toll fand – davon abgesehen, dass er selbst natürlich von seiner Mutter her sehr stolz darauf war, Bithynier zu sein, und sich dementsprechend keine bessere Herkunft und kein tolleres Land vorstellen konnte (von Italia einmal abgesehen).
    Als sein Gegenüber jedoch bemerkte, ... leider noch nicht in Bithynia, dafür aber ganz in der Nähe davon gewesen zu sein, da hatte er Mühe zu verbergen, wie wenig ihn diese Information kalt ließ. Wunderschöne Landschaft, deliziöse Weine – das prägte er sich schon einmal eifrig ein, um es auf ewig in seinem Gedächtnis gespeichert zu haben. ‚Ruhig, Phaeneas, nur ruhig.‘ Trotz der momentan in ihm aufsteigenden Euphorie, jetzt gleich hoffentlich jemanden über ... fast seine Heimat ausfragen zu können, empfand er die Hand des Fremden unter seiner Nase doch als äußerst störend und machte wiederholt einen Schritt weiter weg von dem ausufernd Gestikulierenden.
    Dann kehrte seine Aufmerksamkeit aber sehr schnell wieder zum Thema zurück. „Ähm, du ... du warst dort schon einmal ... fast“, stellte er noch einmal fest, weil er es selbst kaum fassen konnte. „Also, meine Mutter hat mir über Bithynia nichts erzählt, obwohl sie doch dort aufgewachsen ist, wie auch mein Vater“, plauderte er entgegen seiner sonstigen Gewohnheit nun doch aus dem Nähkästchen, einfach nur um den Patrizier, der im Besitz dieser wertvollen Informationen war, seinerseits zum Reden zu animieren. „Wenn du möchtest ...“ Ähm, nein, ‚könntest du mir gern mehr erzählen‘ konnte er nicht sagen, er als Sklave konnte einem Freien ja schlecht das Reden erlauben. „ ... würde ich gerne mehr von deinen Eindrücken von dieser Gegend hören. Wie war denn ... Pergamon ... konkret so?“ Bemüht, ihn kein bisschen hoffnungsvoll, nur höflich-respektvoll anzuschauen, richtete er seine Augen fest auf Flavius Piso. ‚Oh bitte, bitte, rede!‘, flehte Phaeneas innerlich. ‚Verrat mir etwas über die Heimat, die mir doch immer unbekannt gelieben ist!‘
    Hoffentlich gehörte er zu der Sorte Menschen, denen Aufmerksamkeit und Interesse schmeichelten (was eigentlich fast alle waren).


    Was die Bewertung des Patriziers von Phaeneas‘ bescheidener Meinung anging, begann er gleich mit etwas total verrücktem, mit etwas, bei dem der Bithynier sich fragte, ob er richtig gehört haben konnte: ‚Deine Ansichten in allen Ehren‘ – Ehre! Noch nie hatte jemand ihm so etwas zugeschrieben. Vor allem, aus der Sicht der Freien hatte ein Sklave sowas doch gar nicht, weder Ehre noch Stolz noch eine Seele, nicht auch nur im Entferntesten. Und dieser Flavier sprach das dahinplaudernd einfach so aus. Fast schon ... revolutionär; sittenwidrig.


    Musik, Blumen, Sonnenuntergänge ... alles, was recht war, aber solchem sentimentalen Zeug konnte Phaeneas nun wirklich nichts abgewinnen. Für die anderen Dinge, die der Patrizier anführte, galt das im Prinzip genauso, dass man ihn damit überhaupt nicht locken konnte. Und der Anblick einer schönen Frau ... da musste er schmunzeln. Wie konnte man nur so frauen-fixiert sein?


    Genau das war ja, jedenfalls, das Problem, dass Phaeneas in diesem Leben kaum etwas freute. Dessen Argumentation konnte er allerdings kaum etwas entgegensetzen, war ihm Flavius Piso doch intellektuell und argumentativ eindeutig überlegen – der Bithynier war ja doch nur ein komplett ungebildeter Sklave, der sich als Hobbyphilosoph versuchte; hatte in seinem Leben deutlich mehr Spülschürzen und Wischlappen gesehen als den Intellekt fordernden Unterricht genossen.
    Wie der Patrizier den Pöbel und Straßenkeilereien charakterisierte, da konnte Phaeneas ihm jedoch nur zustimmen, weshalb er auch ausdrücklich dazu nickte.
    Das sich anschließende Lob ignorierte er erneut, konzentrierte sich auf die Aussage an sich.
    Schön. Der Begriff schön war untertrieben für Wasser. Wasser war viel mehr, war ganzheitlicher, war unbeschreiblich, war ein Mysterium ...
    Um seinen Standpunkt die Dunkelheit betreffend aber zu verteidigen, machte er nun zum ersten Mal seit einiger Zeit wieder den Mund auf – und gab ein für seine Verhältnisse außergewöhlich ... sinnliches Beispiel: „Hm, aber überlege, Herr: Wenn man in der Dunkelheit mit einem Menschen, der einem sehr viel bedeutet, allein ist – wenn man seine Wärme spürt, seine Haut schmeckt; einem ein Flüstern ans Ohr dringt ... Dann, finde ich, hat auch absolute Dunkelheit etwas außerordentlich ästhetisches.“ Zumindest, wenn man einem solchen Zusammensein mit einem anderen Menschen etwas abgewinnen konnte, war das in der Regel sehr ansprechend.
    Man beachte, wie Phaeneas Verliebtheit hier bezeichnete.
    Grob so diesen Träumereien, nur in etwas weniger – dem Zuhörer wegen – abgemilderter Version, gab Phaeneas sich sehr häufig hin, seit Cimon ihn im Park geküsst hatte. Davor waren sie verboten gewesen. Jetzt ließen sie sich nicht mehr verbieten.

  • “Vergil? Streng blickten Pisos Augen, weiteten sich beständig, während seine Stirne sich zu Falten drückte und seine rechte Augenbraue emporwanderte. Welch typisch flavischer Gesichtsausdruck, geradezu ein Gemälde wert, nein, ein Relief in Stein, sodass niemand je vergessen würde, wofür die Gens Flavia stand! Für emporgezogene Augenbrauen. Dies konnte diese gens so gut wie keine andere.
    Piso bemerkte, wie der Sklave zurückschritt, als er sich ihm näherte, und fühlte es. Dominanz. Ein berauschendes Gefühl. Der Sklave merkte, der vor ihm, der war größer als er. Besser als er. Er war derjenige, der hier was zu sagen hatte. Nicht Phaeneas, Piso. Es war ein gutes Gefühl, doch der Flavier scheute davor zurück, dem Sklaven zu sehr auf die Pelle zu rücken. Er wollte schließlich nicht dieses putzige Kerlchen verjagen.
    Halthalthalt. Putzig? Wer hatte da putzig gesagt? Neinneinnein. Sicher nicht. Nein.
    Er konzentrierte sich auf Vergil, doch zuvor schaute er Phaeneas tadelnd an.
    “Über Literatur nichts zu wissen ist ein Defizit, und es wäre dir wohl angestanden, früher dich darum zu bemühen. Aber ich werde es dir erklären, auch wenn es mir nicht frommt; denn schließlich ist die Erziehung des Menschengeschlechtes eine feine Sache.“ Piso glaubte das, was er sagte. Er sah sich tatsächlich buschstäblcih als Oberlehrer der Menschheit. Und nun konnte er dies raushängen lassen, vor einem Sklaven, das machte ja nichts, niemand würde ihm böse sein derenthalben. Vielleicht nicht einmal der Sklave.
    “Vergil! Jene Koriphäe der Kunst, der Literatur, der Schriftstellerei!“
    Er machte eine ausbreitende Handbewegung, fast so, als wollte er den Markt damit anzeigen und bedeuten: alles meins! Alles gehört mir! Und nun, das stimmte wohl. Hier ist man Römer, hier lebt sich’s fein. Sofern man halt Römer ist, und so.
    “Was schrieb er außer der Aeneis? Wo soll ich anfangen? Ach, chronologisch am Besten!“ Er nickte grave.
    “Schon früh begann er zu dichten, doch sein erstes wichtiges Werk waren die Eklogen. Sind zehn Gedichte. Eine wahre Lust, ich zitiere dir mal aus dem ersten.“
    Er hüstelte und verstellte die Stimme. Für Meliboes nahm er eine tiefe, für Tityrus eine hohe an. Zuerst kam Meliboeus.
    “Tityre“, rezitierte Piso mit tiefer Stimme. “ tu patulae recubans sub tegmine fagi silvestrem tenui musam meditaris avena; nos patriae finis et dulcia linquimus arva. Nos patriam fugimus: tu, Tityre, lentus in umbra ormosam resonare doces Amaryllida silvas.
    Dann kam die höhere Stimme für Tityrus, und Piso kniff die Augen zu, als er jauchzte: ”O Meliboee, deus nobis haec otia fecit. Namque erit ille mihi semper deus, illius aram saepe tener nostris ab ovilibus imbuet agnus. Ille meas errare boves, ut cernis, et ipsum ludere, quae vellem, calamo permisit agresti.”*
    Er schloss mit einem Grinsen. “Wunderschön, nicht wahr? Sowas haben sie bei euch daheim in Bithynien nicht, oder?“ Er nickte, wie um sich selber zu versichern, dass dies nicht der Fall war. “Und das war nur ein Vorgeschmack? Willst du mehr hören?“ Aus forschenden grauen Augen blickte er auf den Bithynier.
    Doch vorerst schien Pergamon interessanter. Piso runzelte die Stirn. Er war also noch nie dort gewesen und wollte nun über eine Stadt hören, die nicht einmal in Bithynia war, aber nicht allzu weit weg davon? Piso seufzte, und dann nickte er, schließlich hörte er sich gerne reden.
    “Pergamon, oh Pergamon. Wenn ich daran zurückdenke. Oh ja, Pergamon. Die Haupstadt des Pergaments. Einstmals eine große, stolze, unabhängige Stadt. Gepflastert von den Statuen von Kriegshelden, die einst Giganten wie Antiochos den Dritten in den Staub wurfen. Du kennst doch Antiochos den Dritten, oder?“ Der Selekudienkönig mit dem tragischen Schicksal hatte es Piso angetan.
    “Wenn man durch die Straßen geht, merkt man ihn stets, den Duft der Gerbereien, wo Pergament hergestellt wird. Ja, ich weiß, der Geruch von Pisse, aber er wirkt eigentlich ganz lieblich, wenn man sich nicht vorstellt, woher er stammt. Blökende Maultiere, die durch die Straßen schreiten, die eng und verwinkelt sind, und sich auf einmal auftun, um einen Blick auf einen Tempel zu geben. Einem griechischen Gott geweiht, freilich. Marktstände mit kreischenden Marktweibern, Sklavenhändlern, Halunken, die sich Krämer nennen und dir was andrehen wollen... tja. Im grunde genommen gar nciht so verschieden von Rom, um ehrlich zu sein. Aber, mir fällt jezt gerade ein, ich habe ein Paar kennen gelernt, aus Nicaea. Das ist eine Stadt in Bithynien, ich glaube, entweder die zweit- oder drittgrößte nach Nicodemia. Sie liegt an einem schönen See, inmitten der Landschaft Anatoliens. Der See ist nicht weit entfernt vom Marmarameer, aber ich glaube, er hat gar keine Verbindung dorthin. Wie dem auch sei. Hässliche Leute, der Mann hatte eine Hakennase und die Frau einen Buckel. Aber das tut nichts zur Sache. Er hieß... ähm... ich glaube, Glaukos. Ja, Glaukos. Und die Frau, deren Name war Olympias. Ja, Olympias, ganz genau. Wir unterhielten uns sogar über Bithynien. Sie haben mir gesagt, die Christenplage vor allem in Nikodemia sei mittlerweile unerträglich. Die Bithynier beißen an wie die Fische bei dieser komischen Sekte. Und außerdem... hmm... genau. Die Gegend ist bekannt für seinen schönen Marmor. Und für sein Holz. Vor allem Pinien. Wenn man, zumindest um Pergamon, am land war, hat es gerochen nach Pinien. Ja, wenn du einen Eindruck davon erhalten willst, wie es bei euch in Anatolien am Land riecht, kauf dir Pinienholz. Und sonst? Hmm... wüsste gar nicht mehr.“
    Er kratzte sich am Kopf, um sich dann Phaeneas‘ nächster Postulation zuzuwenden.
    “Dunkelheit? Dunkelheit ästhetisch? Das musst du mir erklären. In der Dunkelheit sieht man doch nichts. Nur schwarz. Nur die Farbe schwarz. Sicherlich nicht die schlechteste Farbe. Aber ist es nicht ein wenig eintönig? Sollte nicht für Ästhetik das Motto Varietas Delectat, Verschiedentlichkeit erfreut, gelten?“
    Er legte seinen Kopf schief und blickte Phaeneas, begierig nach einer Antwort, an.


    Sim-Off:

    *auf deutsch:


    Meliboeus
    Tityrus, unter dem Dach der gebreiteten Buche gelagert;
    Sinnst du, ein ländliches Lied zarthalmigem Rohr zu entlocken.
    Wir, aus der Väter Bezirk und liebem Gefilde vertrieben,
    Fliehen das Heimatland: Du lehrest gemächlich im Schatten
    Tönen des Hains Nachhall Amaryllis', der Lieblichen, Namen..
    Tityrus
    O Meliboeus, ein Gott hat so uns Muße gewähret.
    Denn stets wird er ein Gott mir sein: aus unseren Hürden
    Wird oft seinen Altar ein Lamm mit Blute besprengen.
    Jener vergönnt mir die Rinder umher, du siehst es, zu weiden.
    Auch mir selber, nach Lust auf ländlichem Rohre zu spielen.

  • Also, selten war Phaeneas einem Herrn begegnet, der eine so ausgeprägte, deutliche Mimik gehabt hätte wie Flavius Piso. Es war praktisch auch für den langsamsten Sklaven noch zum Mitschreiben, was in dem Römer gerade so grob vor sich ging. Soweit man das an der Körpersprache ablesen konnte. Im allgemeinen gingen im Hause Vinicia ja nicht so viele Flavier aus und ein, bemerkte Phaeneas bei der Gelegenheit erstaunt. Die meisten Bittsteller kamen eher immer aus anderen Gentes und die Flavier stellten sich nur bei größeren Feierlichkeiten ein. Trotzdem kannte er natürlich diese typisch flavische hochgezogene Augenbraue, über die sich die flavischen Hausdiener nicht lustig zu machen wagten (was bei Sklaven ja gemeinhin die Regel war). Angeblich sollte man daran ja Bastarde erkennen ...
    Dass Piso den Abstand respektierte, um den der Bithynier stumm gebeten hatte, löste ein Gefühl der Beruhigung in Phaeneas aus. Ein Gefühl, das ihn schließlich oft erfüllte, genauso oft wie Irritation und Beunruhigung. Insgesamt war der Flavier für die Lucian’sche rechte Hand ja eine große, imposante Gestalt, also eher ein Mann, an dessen Brust man sich schutzsuchend drückte. Und damit erinnerte er ihn an jemanden, an den er lieber nicht erinnert werden wollte ... Ein großer, dunkel wirkender Mann, mit harten Gesichtszügen und einem viel zu starken Arm, mit dem er alles noch viel schlimmer gemacht hatte, als es ohnehin schon gewesen war. Und er hatte nie den Abstand eingehalten, den Phaeneas sich gewunschen hätte, hatte immer von oben direkt vor ihm stehend auf ihn herabgeblickt ...
    Den Bithynier schüttelte es innerlich. Nein, weg mit der Erinnerung. Hier stand Aurelius Piso und die Sache mit Cimon war viel zu irritierend und Aurelius Piso stand genug Schritte weg. Nur der sah ihn jetzt so tadelnd an. Ach so, Literatur. Es folgte wieder eine artige Entschuldigung: „Es tut mir leid, Herr, doch vorher war es mir leider nicht möglich, mich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Vergil wäre mir bestimmt bald begegnet.“ Das Standard-Gesäusel, das man als Sklave halt so von sich gab. Grundausbildung eines Vierjährigen.
    Die Erziehung des Menschengeschlechtes. Hört hört. Da wurde Phaeneas ja aber einer großen Sachen gewürdigt. Dabei fühlte er sich natürlich auch „unglaublich“ geschmeichelt. Dieser Flavier war wirklich unglaublich großzügig, das ließ sich jetzt schon mal feststellen.
    Um dem Gedicht folgen zu können, musste der Bithynier sich aber ganz schön konzentrieren. Normalerweise ließ man an Sklaven doch eher relativ klare Befehle ergehen und die nicht ganz so klaren lernte man als Diener irgendwann formelartig auswendig, um zu wissen, was genau gefordert wurde. Pisos Enthusiasmus konnte er auch nicht so ganz teilen. Für ihn war das nur kitschiges Wortgeplänkel. Auf die Nachfrage nach den künstlerischen Errungenschaften Bithyniens ging Phaeneas nicht ein. Diplomatisch war also erneut die Antwort: „In der Tat sehr poetisch. Wenn du dir die Mühe machen möchtest, Herr, will ich gerne mehr hören. Und was kam dann nach den E... zehn Gedichten?“ Wenn der Patrizier schon mal da war, dann konnte er ihn auch in die Welt der Literatur einführen. Wenn Unwissenheit darüber schon angeblich ein so großer Frevel war.


    Als das Seufzen erklang, bekam Phaeneas schon Angst, Flavius Piso könnte ihm nichts über Pergamon erzählen wollen. Als er es aber doch tat, wurden seine Augen größer und der Bithynier lauschte gebannt und andächtig den Schwärmereien über die stolze, unabhängige Stadt. Auf die Frage nach dem gestürzten Herrscher schüttelte er hastig den Kopf, dass die Locken ein klein wenig flogen. „Nein, von dem weiß ich gar nichts!" Wie ein Kind, das einem Märchen lauschte und um mehr bat.
    Nichts konnte seine offensichtliche Faszination brechen, weder Pisse noch Halunken. Als der Flavier doch auf Bithynia selbst kam, schienen die Augen des Sklaven gar nicht mehr aufhören wollen zu leuchten. Diese großen Augen, in denen sich im Moment besonders klar das Weiße vom Braun-Schwarzen abhob, waren eifrig-fiebernd auf den Erzählenden geheftet. Die Wangen außergewöhnlich blass; die schmalen Lippen leicht geöffnet ... Unübersehbar war Piso nun der uneingeschränkte Mittelpunkt seiner ganzen Aufmerksamkeit ...
    So saugte er begierig das bisschen bithynische Geographie in sich auf. Später würde er detailgetreu alles wiedergeben können, was der Flavier gesagt hatte.
    Als die Sprache auf die Christen kam, stutzte er. Seit der Unterhaltung mit dem Germanen hatte er sich schließlich stumm vorgenommen, sich über diesen Glauben zu informieren. Seine Landsleute tendierten also auch in diese Richtung ...
    Pinienholz. Geistig notiert. Ein Nicken wie hypnotisiert, von so `ner Möchtegern-Zauberin aus der Subura. Klar, dass Phaeneas sofort losziehen würde, um sich von seinem sonst beinahe unangetasteten Taschengeld (das andere eher als Vermögen bezeichnen würden) ein Stück Pinienholz zu kaufen. Hm, wie war das wohl mit bithynischem Marmor ... ?
    „Danke, Herr“, kam mager der Applaus des vinicischen Sklaven zum Ausdruck.


    „Du hast mir nicht richtig zugehört, werter Flavius", wandte Phaeneas eiskalt (Oh! – ein Patrizier! – ein Römer!) ein. „Ich beschränkte ästhetische Erfahrungen nicht nur rein auf das Sehen, sondern weite sie auf alle Sinneswahrnehmungen aus. Und wenn ein Sinn fehlt, sich Dunkelheit auf die Sehfähigkeit des Auges legt, intensivieren sich so die anderen Sinneseindrücke – das Hören ... das Fühlen ... das Schmecken ... Und diese Erfahrung halte ich für sehr ästhetisch.“
    Nach einem kurzen Überlegen, bei dem sich nun auch die Stirn des Bithyniers in Falten legte, ergänzte er: „Außerdem ist Dunkelheit nicht ganz schwarz. Sie ist grau und weiß lamelliert ... und die Farben verlaufen gemächlich ineinander ... Sie hat viele Schattierungen und Abstufungen und inmitten von all dem heben sich nur die Silhouetten der Menschen und Gegenstände um einen herum ab ...“ Meine Güte, für Phaeneas‘ Verhältnisse war das fast schon poetisch. Cimon würde solches Zeug wahrscheinlich nie zu hören bekommen ... egal, wie sich ihre verwirrende Beziehung weiterentwickelte.


    Sim-Off:

    :app: Wow, Kompliment! Super-anschauliche Beschreibung! :]

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