Am frühen Morgen, noch bevor die Sonne über den Horizont geklettert war, waren sie von der Casa Iulia aufgebrochen. Sechs vermummte Gestalten im Morgengrauen. Lucius hatte es sich nicht nehmen lassen seine Verwandten höchstpersönlich zu Stadttor zu bringen, wo bereits eine Kutsche auf die beiden Iulias wartete und auch Lucia, Coronas Mutter, hatte sie begleitet, um sich von ihrer Tochter zu verabschieden. Das Gepäck hatte man bereits während der Nacht gebracht, weil es einfach unmöglich gewesen war die schweren Truhen von zwei Sklaven von der Casa bis hierher schleppen zu lassen. So waren sie inzwischen sicher auf der Kutsche fest gezurrt. Aber nicht nur die Truhen waren bereits fertig zum Aufbruch. Lucius hatte Wort gehalten. Neben den zwei Reittieren für die Sklaven hatte man auch für die beiden jungen Frauen Pferde herbei geschafft. Pax stand Huf scharrend angebunden hinter der Kutsche und schien es gar nicht erwarten können, dass es endlich los ging. Der Anblick des pechschwarzen Hengstes hob Caras Stimmung zumindest etwas. Nur sehr widerwillig, hatte sie sich Lucius´ Anordnung, nach Mogontiacum zu ihrer Mutter zurückzukehren, gefügt. Was blieb ihr auch anderes übrig? Natürlich hätte sie sich weigern können. Aber was hätte das gebracht? Bisher hatte es noch niemandem gut getan, sich gegen die eigene Familie zu stellen.
So stand Cara nun also hier – klamm – und sah dabei zu, wie Lucia ihre Tochter umarmte und ihr eine gute Reise wünschte. Der finstere Blick, den die Pompeia ihr selbst dabei zuwarf, entging der jungen Iulia nicht. Verübeln konnte sie es ihr nur schlecht. Lucia hatte Corona nach Rom gebracht, um sie hier an einen ehrenwerten Mann zu verheiraten – und jetzt wurde sie ins tiefste Germanien zurückgeschickt, um eine Frau zu besuchen, die sie selbst offenbar nicht leiden konnte.
„Seit anständig!“, richtete Lucius das Wort an sie und bedachte sie mit einem besonders strengen Blick. >Glaubt er, ich lege die Stadt in Schutt und Asche?< Aussprechen tat Cara diesen Gedanken nicht, stattdessen nickte sie, umarmte den Verwandten und auch die Pompeia flüchtig und stieg, ihr Gewand dabei raffend, in die Kutsche. Erst drei Meilen nach dem Stadttor war es ihnen erlaubt auf die Pferde zu wechseln. Das war Lucius Bedingung gewesen. Corona glitt neben sie und schob den Vorhang etwas beiseite, um ihrer Mutter noch ein letztes Mal zuzuwinken, als sich die Kutsche ruckelnd in Bewegung setzte und sich in die Reihe der wartenden Gefährte einreihte um die Stadtgrenze zu passieren. Schon jetzt verspürte Cara wenig Lust auf diese unendlich lange Reise. Der Schatten der Mauer huschte über sie hinweg. Rom lag hinter ihr.
Schon Tage, Wochen waren sie unterwegs. Ein Einerlei bei sich stetig verändernder Landschaft. Morgens standen sie früh auf, noch bevor die Sonne aufging und verließen die Stadt oder das Gasthaus in welchem sie die Nacht verbracht hatten. Drei Meilen entfernt wechselten die Mädchen auf die Pferde. Bis zum Mittag hielten sie nicht an, nahmen dann eine eher bescheidene Mahlzeit zu sich und brachen dann wieder auf. Kamen sie an eine Stadt, rutschten die Iulias wieder vom Pferderücken und bestiegen die Kutsche. Nachmittags stand eine weitere kurze Rast an, ehe sie weiter reisten. Es war ein langer Weg und es galt die Reise nicht durch unnötige Pausen in die Länge zu ziehen. Die Landschaft hatte sich indessen entgegen aller täglichen Routine massiv verändert. Waren sie zu Anfang noch über recht flaches Land, geprägt durch trockene Graslandschaften, gekommen, hatte die Steigung des Grunds mittlerweile stark zugenommen. Zu ihrer linken erhob sich das steile Massiv der Alpen (sie hatten sich dafür entschieden den Weg um das Gebirge herum zu nehmen). Cara saß wieder auf Pax´ Rücken und ritt gedankenverloren neben Corona ein Stück weit vor der Kutsche. Sie konnte nicht einmal genau sagen, an was sie dachte, denn ihre Gedanken waren so unstet wie Aprilwetter. Mal dachte sie an Kaeso, dann an ihre Mutter, an Lucius Befehl, der sie nach wie vor wütend machte, oder daran wohin sie unbedingt reiten müsste, wenn sie schon einmal in Mogontiacum war; Sie fragte sich, wie es wohl Nestor ging und all ihren anderen Freundinnen, die sie in Germania zurück gelassen hatte und was es wohl zu essen geben würde (letzteres war tatsächlich von großer Wichtigkeit, sie hatte nämlich schon wieder Hunger). Hin und wieder driftete sie aber auch ganz ab und spürte wie ihr Bewusstsein in seichtes Nichts abtauchte.
„Wirklich ein hübsches Tier…“, Die Stimme Coronas drang in sie.
„Äh ja…Kaeso hat ihn mir geschenkt…“ Im nächsten Moment bereute sie das gesagt zu haben, denn sie sah Coronas Brauen in Überraschung nach oben schnellen.
„Als eine Art Entschuldigung…“, schob Cara etwas zu hastig nach. Das traf es eigentlich nur zur Hälfte.
Dunkle Nadelbäume ragten zu beiden Seiten in die Höhe und verwehrten den Blick auf das dahinter.
„domina! Ihr solltet etwas langsamer reiten!“, erschall von hinten ein besorgter Polyciedes. Als Cara einen Blick über die Schulter warf, konnte sie sehen, dass der Ägypter ziemliche Mühe hatte, sich auf dem trabenden Pony zu halten und mächtig durchgeschüttelt wurde. Ein breites Grinsen machte sich auf Caras Lippen breit. Sie hatte nämlich absolut nicht die Absicht dem Drängen des Maior domus Folge zu leisten. Stattdessen gab sie Pax die Zügel frei. Der Hengst streckte sich und griff, beflügelt durch die neue Freiheit, weiter aus. Cara spürte die Kraft seiner Muskeln, seine Energie, dem Wind der Geschwindigkeit in ihrem Gesicht.
„dominaaaaa!“, Der Ruf der Sklaven klang schlingernd und leiser werdend….