xystus | Vorsatz und Tatsache

  • Ich saß allein auf der Terrasse in den letzten Sonnenstrahlen des Abends. In der Küche wurde bereits tüchtig gewerkelt, bald wäre es Zeit für die cena. Ich hatte meinen zweiten Becher unverdünnten Weines in der Hand und dachte träge über die Situation nach, in der ich mich gerade befand und wie sie in Kürze aussehen mochte, wenn Siv wieder hier einzog. Hatte ich wirklich zugesagt, mich bis zur Geburt eines Kindes nur meiner Frau zu widmen? In der Schwangerschaft waren Frauen meist unleidlich, an gemeinsame Stunden war da wohl mitnichten zu denken - ganz abgesehen davon, dass Celerina derzeit wohl das am allerwenigsten wollte. Ich hätte besser nachdenken sollen, ehe ich ihr das Versprach. Andererseits...was war ein wenig Enthaltsamkeit schon, wenn sie mit einem Erben entlohnt wurde? Ich verzog die Lippen abschätzig, seufzte tief und nahm einen weiteren Schluck. Es war unglaublich - wie lange würde Celerina Charis denn noch beschäftigen? Ich legte die Beine hoch, bettete die Fersen auf das weiche Polster eines weiteren Sessels und betrachtete den kränkelnden Oleander, den Celerina mir damals geschenkt hatte. Seitdem auf Ursus' Hochzeit einer seiner Soldaten nicht hatte an sich halten können, hatte er fast seine ganzen Blätter verloren. Er war hässlich geworden, unansehnlich, doch aufgeben wollte ich ihn nicht. Sicherlich würde er wieder austreiben, und irgendwann sogar wieder blühen. Ich schnaufte kurz. Dieser Baum war wie unsere Ehe.

  • Charis spürte bereits die Müdigkeit. Der Tag war lang genug gewesen auch ohne die Sorgen, die ihre Herrin plagte. Eigentlich hätte sie nun noch in die Küche gehen können, um einen Happen zu essen und anschließend in ihrer Kammer zu verschwinden. Aber bevor sie das tun konnte, hatte sie sich noch etwas unangenehmen zu stellen. Dominus Corvinus hatte ihr vorhin unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß er sie zu sprechen wünschte. Insgeheim erinnerte sie sich an das Gespräch mit Brix vor einigen Abenden und auch an das, was sie sich vorgenommen, aber bisher noch nicht umgesetzt hatte.
    Einer der Sklaven, den sie unterwegs traf, gab ihr Auskunft, wo sie Corvinus finden konnte. Innerlich aufgewühlt machte sie sich auf den Weg zum Garten um auf dem beschriebenen, von Säulen gesäumten Weg, um schließlich auf Corvinus zu treffen, der mit einem Becher in der Hand auf der Terrasse saß und auf etwas zu warten schien. Zweifellos war sie es, auf die er wartete. Er wirkte versonnen und Charis wagte es kaum, ihn aus seinen Gedanken heraus reißen zu müssen.
    "Du wolltest mich sprechen, Herr!", sagte sie, nachdem sie sich geräuspert hatte.

  • Als Charis' Stimme unerwartet in meine Gedanken drang, löste ich den Blick von den kargen Oleanderzweigen und taxierte stattdessen sie. Besonders entspannt wirkte die Griechin nicht, allerdings war das wohl auch kaum zu erwarten gewesen, nach dem Hin und Her mit dem Ein- und Auspacken. Kurz fragte ich mich, was im Kopf der Griechin wohl vorgehen musste, dann zeigte ich großzügig auf einen der gepolsterten Sessel. "Setz dich." Ich benetzte meine Kehle mit dem guten Iberer und legte den Arm anschließend auf der Lehne ab, um Charis durchdringend zu mustern.


    "Ich muss dir nicht sagen, dass ich äußerst unzufrieden mit deiner Leistung bin, Charis", tat ich ihr kund und bewegte dabei keine Miene. "Ich habe dich Celerina nicht gegeben, damit ich wieder und wieder in solche Situationen gerate. Du hast mich enttäuscht. Ich hätte mehr erwartet von dir." Immerhin hätte Charis mit den richtigen Hinweisen zur richtigen Zeit zumindest etwas Geschwindigkeit herausnehmen können in dieser rasanten Berg- und Talfahrt, die Celerina und ich in letzter Zeit durchgemacht hatten. Vielleicht war diese Annahme etwas ungerecht, doch war es durchaus angenehm, die Schuld noch auf zwei weitere Schultern zu verteilen.

  • Charis hatte bereits eine Vorahnung, warum Corvinus sie hatte rufen lassen, als sie zu ihm ging. Es gab nur eines, weshalb er mit ihr sprechen wollte. Und das er mehr als unzufrieden mit ihr sein würde, konnte sie sich lebhaft vorstellen. So vieles war geschehen in den letzten Wochen.
    Als sie nun vor ihm stand, überschlug sich fast ihr Herz. Nervös hielt sie ihre Finger ineinander verkrampft. Sie wagte es kaum, ihn dabei anzusehen, denn sie wußte, es war gerechtfertigt, wenn er nun unzufrieden mit ihr war. Dies wurde nur noch durch die Art, wie er sie musterte, genährt.
    Charis nahm auf dem Sessel Platz. Daß ihr nicht ganz wohl dabei war, konnte sie nicht verstecken. Gleichmäßig hob und senkte sich ihr Brustkorb. Voller Bestürzung war ihr Blick, als er begann, sie zu attackieren. Mit jedem weiteren Wort begann sie hastiger nach passenden Worten zu suchen, um sich zu rechtfertigen.
    "Es… es tut mir leid, Herr. Aber…aber es war in letzter Zeit nicht einfach, Herr! Die Herrin, sie ist so unberechenbar geworden! Sie weiht mich kaum mehr ein, was sie vor hat." Die Makedonierin hatte fast schon mit den Tränen zu kämpfen, denn sie empfand sich selbst als Opfer, das zwischen die Fronten geraten war. Und nicht nur sie, auch Phraates, der völlig zu Unrecht bestraft und in die Verbannung geschickt worden war.
    "Manchmal glaube ich, sie ahnt etwas," mutmaßte sie. Dennoch erwartete sie nun kein Verständnis.

  • Charis erging sich in Entschuldigungen, die ich jedoch mit gerunzelter Stirn und einer abrupten, seitlichen Geste davonwischte. "Wer hat behauptet, dass es einfach sei?" murrte ich und strich mir über die Stirn. Anschließend schüttelte ich mit zusammengezogenen Brauen den Kopf. "Es ist nun eh gleich. Ich denke nicht, dass ich sonderlich viel zur Besserung der Situation beitragen kann", sagte ich mehr zu mir selbst denn zu Charis. Bei ihrer letzten Bemerkung allerdings wurde ich hellhörig. "Tatsächlich. Nun, das wäre vermutlich ein weiterer Tropfen, der das Fass zum erneuten Überlaufen bringt." Ich klang resigniert, seufzte und machte eine gleichgültige Geste. Ich glaubte nicht, dass es noch viel schlimmer werden konnte als derzeit.


    "Hat sie noch etwas gesagt, nachdem ich gegangen bin?" wollte ich nun von Charis wissen und sah sie forschend an. Dann erinnerte ich mich wieder an meinen Weinbecher. Ein weiterer großer Schluck rann meine Kehle hinab, und als ich den Becher zurückstellte, schüttelte ich abermals den Kopf. "Ich brauche etwas, das sie ablenkt. Etwas, an dem sie Freude hat." Erwartungsvoll sah ich die kleine Griechin an, die meine Frau und ihre Vorlieben schließlich besser kannte als ich. Eine Frage stellte ich nicht, doch mein Blick verdeutlichte auch so, dass ich auf einen Vorschlag ihrerseits wartete.

  • Charis fühlte sich nicht sonderlich wohl in ihrer Haut. Aber was hätte sie denn tun sollen? Ihr Leben war eh schon ein Drahtseilakt. Es war schlichtweg unmöglich, es beiden recht zu machen, Corvinus und Celerina. Und Tag für Tag verschärfte sich die Situation zwischen den Beiden. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis Charis offen zwischen die Fronten geriet und einem von beiden zum Opfer fiel.
    "Nein, sie hat uns nur schweigend beobachtet, wir alles wieder ausgepackt haben, Herr." Gerade in den Situationen, in denen ihr Celerina schweigend gegenüberstand, glaubte sie zu wissen, die Flavia hätte sie bereits genauestens durchschaut. Sie wartete nur noch auf den richtigen Moment, um aus dem Verborgenen heraus zuzuschlagen.
    Corvinus Stimme hatte sich etwas gemildert, so daß es die Makedonierin wieder wagen konnte, ihr Antlitz zu heben. Die Frage, die er ihr stellte, war knifflig. Womit konnte man einer Frau, die alles hatte, was man sich nur wünschen konnte, eine Freude machen. Charis dachte angestrengt nach, schließlich ließ sie sich zu einer Vermutung hinreißen.
    "Das einzige, woran sie in letzter Zeit sehr intensiv denkt, ist endlich wieder schwanger zu werden." Die Sklavin stockte plötzlich, als sie bemerkte, daß sie beinahe zu viel gesagt hatte. Sie hoffte inständig, Corvinus hätte es überhört. Endlich wieder schwanger… Corvinus wußte von keiner Schwangerschaft!
    "Sie schwärmt immer noch von der Reise nach Puteoli, Herr," fügte sie übereilt an, um ihren Fauxpas damit zu überspielen. War nur zu hoffen, daß sie keine schlafenden Hunde geweckt hatte!

  • Sie hatte geschwiegen? Interessant. Ich häte eher angenommen, dass Celerina ihre Wut über mich lautstark kund tun würde. Sie schaffte es immer wieder, mich dahingehend zu verblüffen. Ich erwiderte darauf nichts, was hätte ich dazu auch sagen sollen? Stattdessen griff ich nach meinem Becher und nippte nachdenklich daran, innerlich eine gewisse Gleichgültigkeit keimend. Die sich allerdings mit sofortiger Wirkung in Wohlgefallen auflöste, als ich näher über Charis' darauffolgede Worte nachdachte. Sie dachte also intensiv daran, schwanger zu werden. Wieder. Wieder? "Tut sie das", murmelte ich und ließ dabei offen, ob ich diese sinnlose Reise nach Puteoli meinte oder die Schwangerschaft an sich, denn ich bekam ohnehin nicht recht mit, was ich in jenem Moment von mir gab. Celerina wollte wieder schwanger werden. Was bedeutete, dass sie es bereits einmal gewesen war. "Charis", sagte ich in verlangendem Tonfall und sah sie ernst an. "Erklär mir das. Hat Celerina ein Kind verloren in ihrer vorangegangenen Ehe?" Eine andere Erklärung gab es schießlich nicht, nicht für mich. Und wenn sie mir das verschwiegen hatte, dann wohl nur aus einem einzigen Grund. Viele Frauen wurden danach nicht mehr schwanger, entweder niemals mehr oder aber sehr, sehr spät. Ich presste die Lippen zusammen und starrte Charis an.

  • Die Sklavin wäre nun am liebsten in einem Mäuseloch verschwunden. Zusammengekauert saß sie da, als ihr bewußt wurde, wie eng es für sie wurde, mit jedem Wort, das sie von nun an sagte. Charis hatte es sich wesentlich leichter vorgestellt. Doch nun im Angesicht mit Corvinus war alles anders.
    Als er wieder das Wort an sie richtete, fuhr sie zusammen.
    "Ja, das tut sie, Herr. Sie sagte, es seien die glücklichsten Tage in ihrer Ehe gewesen," antwortete sie zögerlich. Sie hatte große Schwierigkeiten, seinem Blick standzuhalten. Charis wußte eine Menge, wie es um die Ehefrau des Herrn stand. Sie wußte mehr, als ihr gut tat. Tagtäglich vertraute sie ihr ihre Geheimnisse, Gedanken und Sorgen an. Was sie wohl sagen würde, wenn sie wüßte, was sie hier gerade tat?
    Über Celerinas erste Ehe allerdings wußte die Makedonierin nur bruchstückhaft zu erzählen. Die Herrin redete nicht oft davon. Zu bitter mochten ihre Erinnerungen daran sein.
    "Sie erzählte einmal von einer Fehlgeburt, Herr. Aber die Umstände kenne ich nicht genau. Ich weiß nur, daß es keine glückliche Ehe gewesen ist. Sie deutete an, ihr erster Ehemann habe sie betrogen und mißhandelt." Charis sprach ausgesprochen entspannt, denn damit glaubte sie, hatte sie noch lange nicht die schlimmsten Geheimnisse preisgegeben. Hätte der Aurelius auch nur die kleinste Ahnung davon, was Charis noch alles wußte. Zum Beispiel die große Ungerechtigkeit, die Phraates widerfahren war, oder was ganz zu Anfang geschehen war, nachdem die Makedonierin der Flavia zum Geschenk gemacht worden war. Es juckte ihr in den Fingern, endlich mit der Wahrheit herauszurücken und damit dem Parther zu helfen. Aber die Furcht war stärker. Sie beherrschte Charis´Handeln.

  • Die glücklichsten Tage ihrer Ehe? Ich konnte ein Schnauben nicht unterdrücken. Es war eine Zeit der Verstellung gewesen, eine Periode, die ich gut und gern auch missen konnte. Dienlich war sie nicht gewesen, sie hatte mir nur meine Grenzen aufgezeigt. Ich überging Charis' Bemerkung sonst weitgehend und harrte der Worte, die danach kamen. Eine Fehlgeburt also, eine Schwangerschaft ohne Kind. Und ein Mann, der sie geschlagen hatte. Vielleicht kam das eine zum anderen hinzu, vielleicht war die locker sitzende Hand des Mannes auch nicht die Ursache dafür, dass Celerina das Kind verloren hatte. Doch darüber dachte ich ohnehin nicht sonderlich lange nach. Vielmeht grübelte ich darüber, ob Celerina wohl noch fähig war, nach dieser Sache überhaupt ein Kind zu tragen. Ich schwieg also ob dieser Offenbarung seitens Charis und dachte über das Gespräch hier im Allgemeinen nach. Nun, das, was ich nun wusste, änderte im Grunde doch nichts daran, dass ich ein Problem hatte. Es hatte sich nur vergrößert, wie es schien. "Was weißt du noch darüber?" fragte ich die Griechin. "Kann sie überhaupt noch ein Kind unter ihrem Herzen tragen?"

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