Ein Sklave an der frischen Luft

  • Die Stille gefiel dem Germanen. Er sah in den Himmel. Atmete tief durch. Wartete. Also hatte er Ursus richtig eingeschätzt. Der weitere Erklärung lauschte der Mareser ein wenig gespannt. Der Römer zeigte wieder seinen Hang zum Reden. Es störte Baldemar allerdings nicht wirklich. Es war durchaus interessant was er hörte. Einerseits verstand er aber andererseits widerstrebte es ihn, über Sklaven nachzudenken.Bei dem Gedanken an einen Römer als Sklaven unter Römer war ihm das Grinsen nicht mehr weg zu nehmen.
    Zumindest kam mit dem was Ursus sagte das Ziel näher, einmal freigelassen zu werden. Was denkst du über Sklaventum gegen deren Willen? Baldemar sprach ein wenig rau. Den Halm nahm er sich aus dem Mund und spielte mit diesem gedankenverloren.
    Und wenn der Sklave kein Interesse daran hat für dich zu arbeiten? Wie viel Freiheit lässt du zu?
    Seine Beine wippten leicht. Am Ende pfiff er leicht abfällig und doch amüsiert durch die Zähne aus. Für Baldemar gab es nichts wertvolleres als die Freiheit. Er kannte sie länger als dieses Leben. Eine Arbeit? Der Marser brauchte nur seine Heimat. Er wusste wie das Leben lief.
    Freiheit ist für manche nicht so zweischneidig wie du denkst, Ursus. Dabei stieß er ihn leicht von der Seite her an. Sein Blick ging in die Ferne. Das er den Römer nicht so ansprach wie dieser es verlangt hatte, störte Baldemar nicht. Nicht jetzt. Später würde er wieder darauf achten den Römer am besten gar nicht irgendwie mit Namen oder Bezeichnung anzusprechen.

  • Den Hang zum Reden würde Ursus ganz sicher nicht so schnell verlieren. Er redete gern, hörte sich auch gern reden. Daß dies anderen vielleicht nicht immer so angenehm war, bemerkte er selten. "Ich denke, daß dies zum Lauf der Welt gehört. Die Sklaverei ist eine der Säulen unserer Gesellschaft. Sicher für die Betroffenen selten angenehm, doch niemand kann alles Leid der Welt abschaffen."


    Die nächste Frage war nichts anderes als eine Fangfrage. Ursus wußte, daß die Antwort Baldemar nicht gefallen würde. "Ein Sklave, der die Arbeit verweigert, wird wieder verkauft. Immerhin kosten Sklaven nicht wenig Geld und dafür erwarte ich auch eine Leistung." Daß ein Sklave, der in den Haushalt geboren wurde, die Arbeit verweigern könnte, das kam für Ursus gar nicht erst in Betracht. "Ich kann doch nicht einen arbeitsunwilligen Sklaven mit Freiheit belohnen. Belohnung kann es nur für gute Arbeit geben. Und dann soll es die auch geben." Jeder Sklave, der ein wenig Verstand hatte, würde seine Arbeit sofort niederlegen, würde sein Herr arbeitsunwillige Sklaven in die Freiheit entlassen. Aber drohender Verkauf konnte ein großer Ansporn sein, wenn man in einem guten Haus lebte und arbeitete.
    "Es mag sein, daß die Freiheit nicht immer zweischneidig ist. Wer ein Zuhause hat, zu dem er zurückkehren kann, und eine Möglichkeit, sich und gegebenenfalls seine Familie zu ernähren, der wird keine Probleme haben. Aber ein Mensch, der nie etwas anderes als Sklaverei kannte und immer sicher sein konnte, genug zu essen zu haben, der tut sich da draußen in der Freiheit sehr schwer." Deshalb hatte er Caelyn damals erlaubt, sich für einen Tag in der Woche eine bezahlte Arbeit zu suchen. Sie sollte lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Das war dann leider gründlich schief gegangen.

  • Mit zunehmendem Reden wurde Baldemar gelassener. Locker lagen die Beine gekreuzt übereinander und wippten leicht. Der Halm fand immer wieder den Weg in seinen Mund. Aber er störte kaum noch beim Reden. Abfällig atmete er aus. Die Sklaverei war also eine Säule der Gesellschaft? Und wenn diese Säule bröckelt? Für Baldemar war es natürlich mehr als nur das Leiden von Wenigen. Das Leid der Welt? Dagegen würde er nicht ankommen können. Römer dachten so. Und es hatte keinen Sinn etwas anderes zu sagen. Er pfiff leise durch die Zähne die Luft aus.
    Er nickte. Das hatte er erwartet. Der Sklave würde verkauft werden. Seine Frage aber war anders gemeint gewesen. Ein Schnalzen. Eine Pause. Ich meinte, wenn er nach der Freilassung nicht bei dir arbeiten will.
    Für den Marser war es durchaus denkbar, das es viele Sklaven gab die sich ab und zu verweigerten. Genau wissen konnte er es nicht. Nein, wohl kaum. Er verstand was Ursus meinte. Einen Sklaven konnte man nur gut behandeln, wenn er unterwürfig war. Das war doch ein Teil dieses Systems. Auch wenn er es nicht mochte. Er sah es.


    Ein in der Sklaverei geborener würde die Freiheit nicht verstehen. Das sah er ein. Was das Schicksal dieser Menschen nur noch grausamer machte. Etwas was der Germane niemals würde ändern können. Und ein so großer Menschenfreund war er auch wieder nicht. In seiner Heimat gab es auch Sklaven. Manche der Sklaven des Römers wirkten sogar fröhlich. Alle, das musste er zugeben, waren ohne Angst. Das war selten genug.
    Ja. Das ist wahr. Nein, er konnte nicht widersprechen. Der Römer hatte recht mit seiner Aussage. Baldemar sah wieder in den Himmel. Er dachte nach. Er erinnerte sich an den Rundgang mit Ursus. Da gab es die eine Frage. Er sah auf und den Legaten an. Nein, noch war es nicht so weit. Der Marser würde es schon erfahren, wenn der Römer würde sprechen wollen. Ob es wohl um eine Frau ging? Ging es nicht immer um Frauen? Er grinste. Ein kleiner Schubser an die Seite von Ursus.
    Du hast viele Männer. Ungewöhnlich. Ein Schnalzen unterstrich diese Worte. Er war gespannt ob Ursus ihn richtig verstehen würde.

  • Ursus legte den Kopf schief. "Wenn diese Säule bröckelt, was die momentan ganz und gar nicht tut, werden wir eine neue bauen, vielleicht eine ganz andersartige. Man kann uns Römern so manches vorwerfen. Aber nicht, daß wir nicht zu Änderungen bereit wären, wenn sie wirklich nötig sind. Funktioniert etwas nicht mehr, dann versuchen wir es anders neu." Doch Ursus konnte sich nicht vorstellen, daß die Welt je ohne Sklaven würde auskommen können. Sie war überall üblich, nicht nur im römischen Imperium. Und das seit ewigen Zeiten.


    "Nun, wenn ich einen Sklaven freilasse und er möchte danach nicht für mich arbeiten, muß ich mir wohl einen neuen suchen, der diese Arbeit für mich tut. Wobei ich mir kaum vorstellen kann, daß ein Sklave, der mir gut und treu gedient hat und den ich freilasse, nicht gerne weiter für mich arbeitet." Dabei dachte Ursus nicht an Baldemar, der ja an nichts anderes dachte, als daran, in seine Heimat zurückzukehren. Ob der Germane je daran gedacht hatte, daß auch er sich verändert hatte und die Menschen in seiner Heimat ihn vielleicht nicht mit ganz so offenen Armen empfangen könnten, wie er sich das vorstellte? "Jemand, der in Rom leben möchte, wird mich nicht vor den Kopf stoßen, Baldemar. Ein Freigelassener wird automatisch der Klient seines bisherigen Herrn. Eine gegenseitige Verpflichtung ist also immer noch vorhanden. - Das klingt jetzt schon wieder nachteilig für den Freigelassenen. Ist es aber gar nicht. Denk nicht an Dich, Du entsprichst nicht dem durchschnittlichen Sklaven. Du würdest sogleich zu Deinem Volk zurückkehren und nicht hier leben wollen. Doch jemand, der hier leben will, wäre sehr dankbar für eine feste, bezahlte Arbeit bei jemandem, den er schon kennt und einschätzen kann. Ebenso dafür, einen Patron zu haben, der ihn fördern kann."


    Viele Männer? Verdutzt schaute Ursus herüber. Die besondere Betonung, das Schnalzen, wies darauf hin, daß Baldemar seine Gedanken in eine andere Richtung lenkte als bisher. Doch Ursus hatte keine Ahnung, wie das jetzt gemeint war. "Ungewöhnlich?", nein, er hatte Baldemar nicht richtig verstanden.

  • Hmm. War Baldemars erste Antwort. Römer änderten also Dinge, die ihren Sinn verloren hatten. Was zu beweisen wäre. Das Gegenteil konnte der Germane beim besten Willen nicht feststellen. Also nickte er doch noch. Ja, wahrscheinlich stimmt das. Musste er dann doch zugeben. Auch der Marser musste sich eingestehen das es die Sklaverei so sicher immer geben würde. Ob es ihm nun gefiel oder nicht.
    Und wieder konnte Baldemar nichts gegen die Worte des Römers finden. Auf ihn bezogen war es sicher anders. Aber wenn er an die Mehrzahl der Sklaven dachte, hatte Ursus recht. Das es die Möglichkeit gab, das man ihn und Frija nicht mehr aufnehmen würde. Das sein Leben nicht so weitergehen würde wie es geendet hatte. Daran dachte er nicht. Dies verdrängte er lieber. Was auch gut war. Ja, die meisten würden sicher für dich arbeiten. Gab er dann auch offen zu. Er war vielleicht nicht immer der Freundlichste. Aber unehrlich war er in den wenigsten Fällen.


    Es folgte ein Exkurs in das römische Recht. Baldemar hörte durchaus interessiert zu. Ein Klient also. Er musste kurz auflachen. Nein, das bin ich wohl kaum. Wenn es so etwas wie einen Durchschnittssklaven gab, dann war er es sicher nicht. Der Patron förderte also den Klienten. Das klingt einleuchtend. Bestätigte er was er gehört hatte.
    Er wurde nachdenklicher. Sein Leben. Seine Vorstellung. Baldemar atmete tief durch. Dabei gab er einen Laut von sich, der einem 'Hmmm' ähnelte. Kurz darauf bemerkte er, das er zu ungenau gesprochen hatte. Ursus schien ihn nicht verstanden zu haben. Er überlegte erneut.
    Viele Römer umgeben sich doch sicher gerne mit hübschen Frauen. Du hast starke Männer und eine hübsche Frau. Dabei meinte er selbstverständlich eher Septima als irgendeine Sklavin. Er grinste breit. Auch besucht dich nie eine Sklavin in deinen Räumen. Baldemar achtete auf solche Details. Sicher gab es einige Frauen unter den Sklavinnen. Aber die Köchin war nicht die hübscheste in diesem Haus. Ansonsten gab es keine Sklavin die öfter bei ihm war als andere. Was er bereits anders bei anderen hatte beobachten können. Er war nicht dumm. Er kannte die Menschen und wusste ihre Reaktionen einzuschätzen. Ursus schien kein Interesse daran zu haben, sich mit Sklavinnen zu vergnügen. Was durchaus ein Pluspunkt darstellte.

  • Anscheinend gab es da eine Menge, das Baldemar nicht wußte. Ursus hatte bisher immer angenommen, daß Sklaven über solche Dinge untereinander redeten. Aber anscheinend hatte er sich da geirrt. Oder vielleicht wußten auch die anderen nicht darüber Bescheid? Dann war es umso besser, daß es jetzt jemand wußte, um es weitergeben zu können. Auf jeden Fall brachte es Baldemar zum Nachdenken. Was wieder ein Fortschritt war.


    Ursus zupfte ebenfalls einen Grashalm aus, um darauf herumzukauen. So entspannt hier herumzuliegen und zu reden war unglaublich entspannend. Baldemar erklärte, wie er seine Worte gemeint hatte. Ursus lachte. "Nunja, die Vorstellung von über fünftausend gutaussehenden Kriegerinnen hat etwas für sich, das muß ich zugeben." Das wäre wahrhaftig ein Bild! Ursus schüttelte lachend den Kopf. "Ich stelle mir gerade eine gegnerische Armee vor, wie denen die Augen aus dem Kopf fallen bei so einem Anblick."


    Aber natürlich hatte Baldemar noch ganz andere Beobachtungen auf Lager. "Schau Dir meine Frau an. Warum sollte ich mir eine Sklavin ins Bett holen? Sie ist einfach wunderbar, in jeder Beziehung. Seit ich verheiratet bin, habe ich kein Bedürfnis mehr nach einer anderen Frau gehabt."

  • Sklaven redeten. Baldemar hörte nur bedingt zu. Selber reden hörte man ihn nur selten. In solchen Dingen. Was nicht verhinderte das er sich so seine Gedanken dazu machte. Der Germane holte sich einen neuen Halm. Mit dem er ebenso vorging, wie mit dem vorherigen. Der Germane lachte mit. Lachte lauter. Er schlug dabei dem Römer auf das Bein. Er bakam kaum Luft. So war es nun wirklich nicht gemeint gewesen. Aber das Bild der Furien aus seinem Dorf in Rüstung und Kampfbereit bekam er nun nicht mehr aus dem Kopf. Auch wenn er ihn schüttelte.
    Wobei er das Aussehen vernachlässigte. Was für eine Armee. Japste er zwischen zwei Lachern. Wieder stupste er ihn leicht an das Bein. Und keine Nachwuchsprobleme. Welcher Gegener würde sich da nicht gerne gefangen nehmen lassen? Es brauchte etwas, bis der Marser sich wieder im Griff hatte. Er nickte. Ihm würden die Augen ausfallen. Oh ja.


    Septimas Name sorgte für einen zurückkehrenden Ernst. Wenn auch nicht zu viel davon. Nicht bei Baldemar. Er sollte sie anschauen? Er grinste breit. Naja, ich bin verheiratet. Aber schlecht sieht sie nicht aus. Warum andere ins Bett holen? Der Germane setzte sich auf. Er dachte an die Männer die sie hatte. Er würde sie niemals verraten. Das ist gut. Sagte er knapp und schlicht. Für sich bedeutete dies aber noch viel mehr. Er wollte nun auch Ursus schützen. Schützen vor Enttäuschung. Nicht weil er der Herr war. Weil er ein liebender Ehemann war.

  • Offenbar hatte Ursus nun den richtigen Ton getroffen. Ein Schlag auf sein Bein bewies dies. Der Germane hatte wirklich raue Umgangsformen, daran mußte sich Ursus erst gewöhnen. Doch es war auch erfrischend, solch ehrliche und ausgelassene Reaktionen zu erhalten. Baldemar spann den Gedanken gar noch weiter. "Keine Nachwuchsprobleme!" Ursus lachte ebenso ausgelassen. Ja, das wäre sicherlich kein Problem bei einer Armee von Frauen. Nur die Schwangerschaften könnten Probleme bringen.


    Die Fragen und die Äußerungen des Germanen brachten Ursus darauf, wieder einmal Fragen nach der germanischen Lebensweise zu stellen. "Wie ist das bei euch? Wenn ihr verheiratet seid, gibt es keine andere Frau? Oder dürft ihr euch eine Magd ins Bett holen, wenn eure Frau unpässlich ist?" Er wußte, daß manche römische Frau ganz froh war, wenn eine Sklavin ab und an dafür sorgte, die Bedürfnisse ihres Mannes zu stillen.

  • Über Schwangerschaften dachte Baldemar nicht nach. Eher über die hübschen Frauen. Über seine Frija. Das reichte um sich lächelnd im Gras auszustrecken. Ursus schien ebenso amüsiert. Das lockerte nur zusätzlich auf. Die Frage war unvorhersehbar. Baldemar verschluckte sich. Er musste sich erst einmal aus husten. Dann setzte er sich leicht auf. Seine Augen gingen in die Vergangenheit. In die Heimat.
    Für mich gab und gibt es nur Frija.
    Andere sind anders. Seine Schultern zuckten. Da waren sich die Völker sicher wieder sehr gleich. Hinter der Tür der Hütte geschieht vieles. Auch das eine Magd genommen wird.
    Es gefiel Baldemar nicht. Auch nicht das eine Frau für Ehebruch in das Moor kommen konnte. Ein Mann aber immer heile aus der Sache heraus kam.
    Für den Marser stellte es kein Problem dar zu warten. Für Frija würde er alles tun. Sie zu hintergehen. Zu verletzen, entsprach nicht seiner Lebenseinstellung. Wie Ursus das wohl sehen würde? Was wenn Septima unpässlich sein würde? Etwas was er beobachten würde.

  • "Es gab nie ein anderes Mädchen für Dich als Frija?", fragte Ursus erstaunt nach. Immerhin schwärmten doch die meisten jungen Männer in jungen Jahren mal für dieses und mal für jenes Mädchen. "Dann kennt ihr euch schon sehr lange? Wußtet ihr schon als Kinder, daß ihr heiraten würdet? War das von euren Eltern so beschlossen worden? Oder werden Ehen bei euch nicht durch die Eltern ausgehandelt?" Jetzt war es wieder echte Neugierde, die durch seinen Tonfall verraten wurde. Auf jeden Fall war es, was Herren und Untergebene anging, bei den Germanen auch nicht viel anders als bei den Römern. "Ja, es gibt eben solche und solche. Bei jedem Volk. In jeder Beziehung. Daran ändern alle kulturellen und äußeren Unterschiede nichts."

  • Ein anderes Mädchen? Junge Frauen? Der Germane grinste breit. Und wie es welche gab. In jungen Jahren eben. Aber seit er verheiratet war, gab es nur sie. Baldemar ließ die Luft leise pfeifend entweichen. Es gab viele. Aber seit Frija nur noch sie.
    Das war hoffentlich besser ausgedrückt. Das war der Nachteil, wenn man wenig sprach. Mann sagte auch oft weniger aus. Je nachdem. Und der Marser war kein gekonnter Redner.
    Lächelnd dachte er über seine Jugend nach. Über Frija. Ja. Schon sehr lange. Wir wurden einander gegeben. Wir lieben einander. Ob die Eltern es waren? Ja. Sie handelten es aus. Wie es üblich ist. So war es. Und er hatte viel Glück, das er Frija bekommen hatte. Denn ihrer beider Eltern hatten verhandelt, eben weil die glaubten, das beide Gefühle zueinander hatten.
    Die Neugier des Römers störte ihn nicht. Sie war angenehm. Ja. Sagte er nur knapp. Es gab solche und solche. Für den Germanen war zumindest dieses Thema damit erledigt. Baldemar nahm sich dabei vor, jeden Römer nun neutral anzusehen. Er pfiff kurz eine knappe Melodie.
    Ein Lied das ihm gerade in den Sinn kam.


    *Ein Dummer sieht sie alle gleich
    ein Weiser sieht den einen gleich
    der Dumme macht es gleich
    der Weise macht es nimmer gleich*


    Langsam wiederholte er das Lied. Er sprach es aus. In seiner Sprache. Dann auf Latein. Sie Mundwinkel zuckten. Ein Kinderlied. Er erinnerte sich. Seine Mutter hatte es ihm vorgesungen. Ein Ghode hatte es ihr gelehrt. Er hatte mitgesungen. Und nie verstanden. Selbst jetzt musste er darüber nachdenken.

  • Ursus lachte leise. "Viele, ja? Alter Angeber." Es war ein Scherz und er hoffte, Baldemar würde es nicht falsch verstehen und am Ende beleidigt sein. Die Ehen wurden bei den Germanen also auch arrangiert. Sie wurden einander gegeben. Das war doch wohl so zu verstehen. "Dann hattet ihr beide großes Glück. Ihr seid ein schönes Paar. Was passiert, wenn ein Paar nach einiger Zeit feststellt, daß es sie so gar nicht zueinander passen? Gibt es die Möglichkeit der Trennung?"


    Wieder ein Lied. Ein kluges Lied. Immer mehr gewann Ursus den Eindruck, daß die Germanen viel von ihrem Wissen, von ihren Weisheiten in Liedern weitergaben. "Ein Kinderlied? Aber welches Kind begreift dies schon?"

  • Baldemar stieg in das Lachen ein. HAR. War alles was er sagte. Ein Angeber? Nein, das nicht. Aber so deutlich wollte er nicht darüber nachdenken. Schließlich gab es nun nur noch Frija für den Germanen. Er verstand es als Scherz. Um den Marser ernsthaft zu beleidigen musste man schon mehr machen. Vor allem in einer solch entspannten Umgebung.
    Er lächelte. Ja, sie hatten großes Glück. Ein schönes Paar? Seine Gedanken wurden nun von seiner Frau dominiert. Die Fragen waren nicht so leicht. Aber auch nicht zu schwer.
    Ja, das hatten wir. Danke. Ein wenig verlegen wurde er schon. Bemühte sich aber es nicht zu zeigen. Mann geht nicht einfach. Ich würde bleiben. Alles kann man besiegen. Auch solche Dinge.
    Damit war die Frage nicht wirklich beantwortet. Gab es Möglichkeiten der Trennung? Er selbst hatte es nie gesehen. Er wurde anders erzogen. Trennung gab es nicht. Aber es gab anderes.
    Trennungen habe ich nie erlebt. Aber manchmal verschwanden Menschen. Vielleicht auch deswegen. Sicher sein konnte er sich nicht. Niemals hatte er sich darüber Gedanken gemacht. Aber er wusste wie er es regeln würde.
    Ich würde zum Rich oder der Wala gehen und nach Rat suchen. Sie würden helfen. Ja, gleich wie es am Ende ausgehen würde. Die beiden waren doch der Halt des Dorfes. Ihnen würde er die Entscheidung überlassen. Ihren Worten würde er folgen. Dem Rich in einigen Dingen mehr als der Wala. Und umgekehrt.
    Das Kinderlied beschäftigte seine Gedanken auch noch. Die Frage hatte er noch nicht beantwortet. Baldemar dachte über seine Kindheit nach. Er atmete die Luft etwas pfeifend aus. Also ich hatte es nicht verstanden. Gab der Marser offen zu.

  • Zum Glück nahm Baldemar den Scherz genau so, wie er gemeint war. Ursus lächelte erleichtert. Es wäre schade gewesen, die Stimmung auf so leichtfertige Weise zu ruinieren. Das Gespräch war viel zu interessant. Man geht nicht. So einfach war das. Alles kann man besiegen. War es fehlender Wille, der Ehen scheitern ließ? Aber allzu oft waren es politische Gründe, die zur Trennung führten. Das mit den verschwundenen Menschen klang allerdings auch nicht gerade schön. "Wenn Menschen verschwinden, forscht ihr dann nicht nach, was mit ihnen geschehen sein könnte? Gibt es so etwas wie Strafverfolgung? Werden Verbrecher gesucht und verfolgt?"

  • Hmm. Der ersten Reaktion auf die Fragen von Ursus schloss sich Stille an. Baldemar biss nachdenklich auf dem Halm herum. Nach kurzer Zeit versuchte er so gut es ging zu antworten. Es kommt darauf an, wann sie verschwinden und wie sehr man sie finden möchte. Manche Frauen verschwinden mit ihrem Liebsten. Meist liegt es bei der Familie. Verbrecher? Natürlich werden sie verfolgt und bestraft, wenn sie versuchen zu fliehen. Aber es hat alles seine Grenzen.


    So vieles spielte mit rein. Die Jahreszeit, die Meinung vom Rich und dem verantwortlichen Familienoberhaupt. Die Situation bestimmte das Handeln. So generell konnte er kaum eine gute Antwort finden.

  • "Davon habe ich schon gehört. Daß ihr Frauen entführt, wenn ihre Familie mit der Heirat nicht einverstanden ist. Kommt es vor, daß die Familie der Frau versucht, sie zurückzuholen? Was ist, wenn die Frau selbst eigentlich auch nicht möchte? Achtet ihr ihren Willen oder wird es auch von der Gemeinschaft akzeptiert, wenn jemand eine unwillige Frau entführt hat und sie zwingt, seine Frau zu sein? Oder gibt es so etwas nicht? Werden nur Frauen entführt, die das auch selbst wollen?" Ursus wußte selbst nicht, warum er so viel fragte. Aber diese Dinge würden ihm vielleicht ein wenig Einblick gewähren in die germanische Seele, die ihm so fremd war.

  • Frauen waren wirklich ein dankbares Thema. Er nickte. Solche Geschichten kannte Ursus also. Die kannte wohl jeder. Oder? Baldemar dachte nach. Ja. Ich würde meine Tochter zurück holen. Nicht selten floss bei solchen Gelegenheiten Blut. Oder nach Verhandlungen viel Met und Bier. Wer entführte denn eine Frau, die es nicht wollte? Was wäre dann? Das ist nicht so leicht zu beantworten. Kommt auf den Rich und die Familie an. Er mochte solche Gedanken nicht. Doch er musste etwas zugeben. So etwas kommt sicher auch vor. Das die Frau es nicht will.
    Ein Schnalzen. Tiefes Durchatmen. Baldemar wollte nicht das seine Leute schlecht da standen. Aber Lügen war nicht seine Sache. Etwas musste er jedoch klar stellen. Ich hätte Frija niemals gegen ihren Willen entführt. Nein. Er hätte niemals irgendeine Frau gegen ihren Willen entführt. Wie gut, das sich diese Frage für ihn erst gar nicht gestellt hatte.

  • "Das klingt nachvollziehbar", nickte Ursus nachdenklich und zupfte sich einen neuen Grashalm, da er den anderen schon arg zerkaut hatte. "Ich bin sehr froh, daß das mit den Entführungen bei uns nicht üblich ist. Unsere Eltern schließen für uns die Eheverträge. Das klingt vielleicht kalt und materiell. Aber kluge Eltern werden ihre Kinder auch nicht mit jemandem verheiraten, den sie wahrhaft verabscheuen." Bei ihm war es anders gewesen. Sein Vater war allzu früh gestorben und hatte keine Verhandlungen führen können. So hatte er das selbst tun müssen. "Das mit den Liedern gefällt mir. Wir lernen meist trockene Texte auswendig und sollen dann die Weisheit in den Worten erkennen. Bei euren Liedern ist es nicht leichter, die Weisheit dahinter herauszufinden, doch ich finde, Lieder sind leichter zu erlernen. Und schöner. Wir singen zu wenig."

  • Der Halm war durch. Auch er zog sich einen neuen aus dem Boden. Es klang nachvollziehbar. Mehr als ein 'Mhm' antwortete er erst einmal nicht. Entführungen waren bei den Römern also nicht so üblich. Gut zu wissen. Das Abschließen von Eheverträge kannte er. Da waren sich die Völker sicher gleicher, als sie es zugaben. Kalt und materiell? Nein. Ist bei uns ja auch so. Der Brautpreis war nicht gerade unwichtig für Ehen.
    Die Lieder gefielen Ursus also? Sie sangen zu wenig? Baldemar schnalzte leicht. Anstatt dich zu beklagen könntest du es bei deinen eigenen Kindern anders handhaben. Sagte er offen. Viel zu offen? Nein. Brüder sprachen so miteinander. Vor allem da der Germane es durchaus ernst meinte. Ernst und aufrichtig. Wie sein Großvater, versuchte auch er immer etwas zu tun, anstatt sich nur zu beschweren. Jedenfalls früher einmal. Inzwischen hatte sich einiges geändert. Hatte er sich verändert? Wieder etwas, was er Frija fragen wollte.

  • Ursus lächelte. Baldemar hielt tatsächlich mit nichts hinter dem Berg. "Ich habe mich nicht beklagt, sondern nur festgestellt, daß es so ist. Mir war es bis jetzt nicht bewußt. Wenn man es nicht anders kennt, denkt man nicht darüber nach. Du hast Recht, ich sollte es bei meinen Kindern anders machen." Wie wohl Septima darüber denken würde? Aber mit ihr darüber zu sprechen, war ja noch viel Zeit.


    "Man kann uns Römern vieles vorwerfen. Jedoch nicht, daß wir nicht bereit sind, von anderen Völkern zu lernen. Wir haben vieles von anderen Völkern übernommen, wenn wir feststellten, daß sie etwas besser machen als wir. Ohne diese Lernfähigkeit wäre Rom niemals so groß geworden."

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