• - Irgendwo zwischen Asisium und Arminium -


    Wenn eins der Fall war, dann dass man die Ruhe genießen konnte. Axilla und Caius waren nun schon knappe drei Tage unterwegs. Am Morgen hatten sie Asisium verlassen und waren weiter in den Norden geritten. Der dritte Tag war bisher nicht anders als die beiden davor. Beim Frühstück hatten sie kaum geredet, auch wenn Caius dauernd nach einem Thema gesucht und wirklich nichts ausgelassen hatte, um Axilla zum Lächeln oder zumindest zum Reden zu animieren. Wie bei den zwei Tagen zuvor hatte aber nichts gefruchtet, bis Caius irgendwann aufgab.


    Gen Mittag hatten sie sich kurz bei einem freundlichen Bauernpärchen untergestellt, weil es geregnet hatte, dann waren sie wieder aufgebrochen. Es ritt sich nun leichter, weil es nicht mehr so schwül und dafür kühler war. Am Morgen davor hatte Caius Muskelkater gehabt und festgestellt, dass er viel zu lange nicht mehr länger im Sattel gesessen hatte, inzwischen war der Kater aber verflogen und er hielt sich ganz gut. Axilla und Caius ritten allein voraus, erst in gut dreißig Schritt Entfernung folgten zwei Sklaven, die Knüppel und Dolche trugen, und Levi und Katander. Noch ein Stückchen dahinter kamen dann die übrigen, auch wenn sie nur ein zusätzliches Pferd für Proviant und Klamotten gebraucht hatten. Alle anderen Dinge waren bei den Sklaven aufgeschnallt und verteilt, so dass es den Pferden keine Mühe machte.


    Wo sie ritten, gab es keinen Weg. Die Schritte der Pferde machten nur leise Geräusche im Gras, hin und wieder schlugen sie mit den Schweifen und verjagten Bremsen und Fliegen. Ab und an ritten sie an einem einzeln stehenden Baum vorbei oder an einer niedrigen Hecke, die ein Feld vom anderen trennte. Und Caius suchte wieder nach etwas, über das er sich mit Axilla unterhalten konnte. Ein Kranich half ihm da aus. Caius hob den Arm und zeigte auf den aufsteigenden Vogel mit dem Fisch im Schnabel.


    »Schau mal, der hat sich grad sein Abendessen gefangen.«

  • Langsam wand sich die Straße vorwärts, an den Dörfern entlang, durch kleinere und größere Städte, immer weiter Richtung Norden. Axilla war schon sehr lange nicht mehr geritten und am ersten Abend hatte sie das Gefühl, in der Mitte durchbrechen zu müssen. Dennoch hatte sie sich nicht einen Moment beschwert. Überhaupt hatte sie nicht viel gesagt. Sie war nur stumm der Straße gefolgt, immer ein Stück vor den anderen herreitend, nur ab und zu einen Blick über die Schulter werfend, wie es wohl Levi erging. Ihr junger Sklave litt da weitaus mehr und stieg bisweilen vom Pferd, um nebenher zu gehen, wenn er meinte, nicht mehr sitzen zu können. Axilla machte sich richtig Vorwürfe deswegen, aber sie wollte auch nicht nur deshalb umkehren. Archias wollte sie seinen Eltern vorstellen, so zumindest hatte sie es verstanden. Das war wichtig.


    Die meiste Zeit saß sie schweigend auf ihrem Pferd, einem stämmigen, kleinen Braunen mit Zottelmähne. Er sah nicht besonders hübsch und edel aus, war nicht besonders groß, sein Fell wirkte irgendwie fleckig und war struppig. Alles in allem das perfekte Reittier, auf das Axilla ohne Hilfe hochkam und sich festhalten konnte. Axilla lenkte ihn gerade um ein kleines Loch auf der Wiese herum, als Archias auf einen Vogel deutete und irgendwas von Abendessen redete. Axilla schaute kurz auf und dem Vogel mit dem Fisch hinterher. “Ja, ganz hübsch“, meinte sie eher, um überhaupt was zu sagen, und ließ das Pferd weiter trotten.


    Der Morgen wurde zum Mittag, und sie rasteten. Levi mühte sich wie immer, nicht zu sehr zu jammern, und wie immer ging Axilla zu ihm hinüber und redete mit ihm leise, ob es denn noch ginge, ob noch alles in Ordnung sei. Und wie immer biss er die Zähne zusammen und tat so, als wäre nichts weiter.
    Sie stiegen wieder auf und es ging weiter. Ihr Pferd trottete los, und Axilla seufzte einmal. Sie blickte vor sich zu diesen weiten Feldern. Bald würden sie wieder auf die Straße stoßen, auf der es viel schneller voran ging. Warum Archias überhaupt hatte querfeldein reiten wollen, erschloss sich ihr nicht ganz. Sie kamen ja doch nicht schneller voran. Sie stuppste ihrem Pferd leicht in die Flanken, und diesmal zuckelte es nicht einfach nur los, sondern fiel in einen ganz leichten Galopp. Axilla ließ es. Sie ließ dem Tier seinen Willen, ließ es das tun, wozu es geboren war: laufen. Sie merkte, dass ihre so lästige Wache aufschloss, während die Packtiere und Sklaven zurückblieben, doch diesmal wollte Axilla nicht. Sie wollte schlicht und ergreifend nicht. Sie presste die Schenkel dicht an, gab dem Tier mit Druck zu verstehen, es solle weiter laufen, beugte sich im Sattel vor, weit über den Pferdehals.
    Das kleine Pferd verstand, und schon bald wurden die Schritte immer ausholender, der Galopp immer fliegender. Axilla hörte noch das Rufen der Wache hinter sich, die so schwer und groß, wie sie waren, nicht in diesem Tempo ihre Tiere antreiben konnten. Und sie ließ ihr Tier laufen. Der Wind pfiff ihr durch die Haare, Staub wirbelte hinter ihr auf, wo die Hufe die sommertrockene Erde aufwirbelten. Sie sah nicht, wohin sie ritten, es interessierte sie auch nicht. Sie genoss nur das Spiel der Muskeln zwischen ihren Schenkeln, das Vibrieren des Pferdeatems, wenn das Tier geräuschvoll Luft holte, um sie schnaubend wieder auszustoßen. Sie ließ es laufen, immer schneller, wie sie selbst laufen wollte. Einfach nur weg, einfach nur einmal einen Moment von allem weg. Es brauchte kein Ziel, das Ziel hieß 'nicht hier', das Ziel war 'weit weg'. Sie ließ es laufen, bis sie nur noch seinen Atem hörte, nur noch das rhythmische Aufsetzen auf dem Boden fühlte, das im selben Takt wie ihr Herz ging, bis die Zeit sich zu verlangsamen schien.


    Irgendwann lief das Pferd langsam aus und Axilla blickte sich zum ersten Mal um. Sie war auf einem kleinen Hügel um sie herum nichts als grüne Wiese, über ihr nur saphirblauer Himmel. Sie blickte zurück und sah nur ganz entfernt die Pferde der anderen, die ihr zu folgen versuchten. Aber noch hatte sie einen Moment für sich. Sie richtete sich im Sattel gerade aus und streckte sich einmal. Hier oben ging ein ganz leichter Wind, der die Grashalme verbog. Das Tier unter ihr zitterte leicht darin, aber es bestand noch keine Gefahr für das Tier. Sie hatte es hart angetrieben, aber es hatte noch keinen Schaum. Sie würde jetzt langsam tun müssen, und alles war gut.
    Aber diesen einen kurzen Augenblick, den war sie frei. Dieser eine Augenblick, ohne dass jemand um sie war, um sie zu tadeln, ohne dass sie sich sorgen machen musste, ohne dass sie reden, dass sie denken musste, den war sie einfach nur frei. Seit sehr langer Zeit wieder. Und das ließ sie sich für die wenigen Augenblicke nicht nehmen.
    Sie blieb einfach sitzen, bis sie das Trommeln der Hufe auf dem Boden hörte. Erst da drehte sie sich leicht um, ließ das Pferd sich mit umdrehen. “Da sind sie...“, meinte sie nur leise und tätschelte dem Pferd beruhigend den Hals. Ganz leicht stieß es ihm die Fersen in die Flanken und ließ es auf ihre Verfolger zutrotten. Sie hatte keine Ahnung, wie weit sie durch diesen kleinen Ausbruch vom Weg abgekommen waren, aber das war ihr auch egal. Als wäre nichts weiter gewesen, ritt sie ihnen einfach langsam entgegen, sich schon auf die Vorwürfe gefasst machend – und diese wohl ignorierend – und wieder mit Gleichgültigkeit bewaffnet. Der Moment der Freiheit war vorbei.

  • Nicht mal mit der Schönheit der Natur konnte Caius Axilla hinter dem Berg hervorlocken. Nur deswegen waren sie überhaupt von der Straße abgewichen, die die kürzeste Route dargestellt hätte. Caius schwieg und sagte nichts mehr, während sie ritten nicht, während sie rasteten nicht und als sie wieder aufstiegen nicht. Er teilte stumm sein Brot und die Trauben mit Axilla, speiste den fragenden Katander mit wenigen Worten ab und brütete stumm vor sich hin. Er hatte keine Ideen mehr. Nichts half, sein Hirn war leer. Axilla war mit ihm unglücklich und er wusste nicht warum. Er hatte den Wachen eingeschärft, sich im Hintergrund zu halten. Er hatte mehr als deutlich gemacht, dass er zumindest den Anschein haben wollte, dass Axilla und er alleine waren. Aber sie redete trotzdem mehr mit Levi als mit ihm, und das verstand er nicht. Er war mit seinem Latein am Ende.


    Stumm ritten sie wieder nebeneinander her. Und plötzlich ließ Axilla ihr Pferd beschleunigen. Caius sah sie fragend von der Seite an, einen Keim der Hoffnung, dass es vielleicht doch noch alles gut werden würde. Er trieb sein Tier auch an, mit einem vagen Grinsen im Gesicht jetzt, aber Axilla war schneller und wurde es immer weiter, bis sie beide in gestrecktem Galopp dahinrasten und sie ihn mühelos abhängte. Nicht einmal schaute sie zurück, und langsam verblasste Caius' Lächeln. Die vornübergebeugte Gestalt seiner Frau, ihr wehendes Haar und die Schlanke Silhouette wurden langsam kleiner, während er sich zurückfallen ließ, noch hinter die Wachen und zuletzt hinter die anderen. Das war der Moment, in dem er aufgab.


    Die Wachen erreichten Axilla, die inzwischen umgekehrt war, zuerst und zügelten ihre Pferde, ratlos, was sie nun machen sollten. Caius hatte ganz bewusst darauf verzichtet, Prätoriaer mitzunehmen, obwohl ihm das zugestanden hätte als Mitglied der Kaiserfamilie. Die zwei waren Sklaven, und sie hatten keine Anweisungen für so einen Fall. Dementsprechend verwirrt waren sie, bis die anderen aufschlossen. Caius' Schwarzer trottete langsam hinterdrein. Er sagte nicht ein Wort, als er Axilla passierte. Er sah sie nur ganz kurz an und bemühte sich, nicht ganz so auszuschauen wie der geprügelte Hund, als der er sich grad fühlte. Ohne anzuhalten zog er an Axilla vorbei und ließ das Pferd mit hängenden Zügeln einfach seinen Weg finden.

  • Er sagte nichts. Gar nichts. Axilla hatte mit Vorwürfen gerechnet. Sie hatte mit Aufregung gerechnet. Aber Archias sagte nichts. Es war ihm gleichgültig. Ja, vielleicht war sogar sie ihm gleichgültig. Er trottete einfach an ihr vorbei weiter Richtung Ravenna, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen. Und irgendwie war das schlimmer, als wenn er getobt hätte.
    Axilla sah ihm einen Moment hinterher, wie er dahin trottete. In ihr wurde etwas hart, wie ein Baum, der gerade abstarb. Das war also der Preis, den sie zahlte für ihre Freiheit. Und zum ersten Mal realisierte sie den vollen Umfang des Käfigs, der sich Ehe nannte. Sie sah seine Stäbe im Blick der Wächter, sah das Schloss, als sie auf Archias Rücken kurz schaute, wie er sich nicht zu ihr herumdrehte und einfach tonlos weiter ritt.


    Axilla ließ ihr Pferd einfach da stehen und schaute ihrem Mann hinterher. Levi schloss zu ihr auf, lenkte sein Tier etwas unbeholfen neben ihres, berührte sie am Arm. “Herrin? Alles in Ordnung?“
    Axilla schaute ihn an, aber irgendwie sah sie auch durch ihn hindurch. Ihre Gedanken waren sehr weit weg, und es dauerte einen Moment, ehe sie sich wieder soweit gefangen hatte, um die Rolle, die sie spielte, wieder auszufüllen. Sie lächelte leicht, auch wenn es diesmal zu sehen war, wie wenig dieses Lächeln ihrem Herzen entsprang. “Ja, alles bestens. War doch ein schöner Ritt gerade?“
    Levi sah seine Herrin fragend an und runzelte kurz die Stirn. “Ja, Herrin, sehr wild...“ Er war klug genug, nicht darüber zu reden und lenkte stattdessen nur sein Pferd neben ihres, als sie sich doch wieder ihrer kleinen Reisekarawane anschloss und weiter dahintrottete, immer den anderen nach.

  • Sie kam nicht mit. Sie kam ihm nicht mal hinterher. Caius hörte keinen Hufschlag. Das tat echt weh. Er hätte sie nicht heiraten sollen, um ihretwillen. Genau genommen hatte er ihr das ganze Leid gebracht, dass sie hatte ertragen müssen. Leander, dann der ganze Streit, der Auszug, die Sache mit Seiana, das mit dem Kind, dieser Germane überhaupt. Der hätte nie was gemacht, wenn er nicht gewusst hätte, wie viel sie ihm bedeutet hatte. Noch bedeutete.


    War aber vielleicht ganz gut, dass Axilla nicht neben ihm ritt und ihn sehen konnte. Caius war es nämlich peinlich, dass ihm vor Frustration und Kummer das Wasser in den Augen stand. Er ritt allein vorweg, bis sie am Abend einkehrten. In dieser Nacht schlief Caius gar nicht. Umso fahriger war er am nächsten Morgen, als es dann weiter ging.

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