Corvinus war wohl recht religiös. Sollte er auch sein als Pontifex. Das entsprach durchaus den Erwartungen, die an jemanden in seiner Stellung gerichtet werden konnten. Nur dass Sextus darunter zu leiden haben würde, das entsprach weniger den Erwartungen des Aureliers. Bei einer Cena hatte Corvinus ihm durch die Blume zu verstehen gegeben, dass er nach der ganzen Zeit hier im Haus sich doch einmal befleißigen könnte, und sich unter den Schutz der Hausgottheiten begeben sollte. Und da er dieses Säumnis schon lange kritisch beobachte, wäre wohl ein etwas größerer Umfang durchaus angemessen.
Gut, Sextus wollte weder die Götter noch die Hausgeister übermäßig verärgern (wobei ersterer momentan bei ihm einen viel immanenteren Stellenwert einnahm als letztere), also hatte er ein hübsches kleines Schwein besorgt und sich auch sonst mit allerlei Opfergaben bewaffnet. Ein paar der nutzlosen Plagegeister (auch bekannt als Sklaven) waren auch zwangsrekrutiert worden, ihm behilflich zu sein. Frisch gewaschen und in feiner Gewandung, den Kopf mit einem Tuch bedeckt, trat er also an den Hausaltar, barfuß, gefolgt von den Sklaven mit den Opfergaben.
Der Ara und das Lararium waren fein hergerichtet, wie man es von einem so edlen Haus erwartete. Die Wachsmasken der Verstorbenen hingen an der Wand im Hintergrund, leicht erleuchtet durch das einfallende Licht. Eine große Schlange wand sich gemalt an der Wand entlang, verkörperte den Genius des Hausherren und endete mit züngelndem Gesicht schließlich an der eigentlichen Nische für die Opfergaben. Verschiedene Statuen standen hier, immer paarweise, repräsentierten die Laren dieses Ortes. Tanzende, fröhliche Jünglinge waren sie, einige begleitet von Hunden, andere doch ernst dastehend. Aber immer zu zweit traten sie auf, immer miteinander verbunden. Kaum von ihnen zu unterscheiden in ähnlicher Weise waren hier auch die Penaten versammelt.
In angemessenem Abstand blieb Sextus zunächst einmal stehen und wartete, bis die kleine Prozession an Sklaven zu ihm aufgeschlossen hatte. Das helle Schwein, das als traditionelle Opfergabe dienen sollte, quiekte einmal und störte damit die ansonsten feierliche Ruhe. Allerdings verstummte es sogleich wieder, als wäre selbst dieses Tier sich der Anwesenheit der Hausgottheiten bewusst.
Um zu eben jenen nicht hinabsehen zu müssen, kniete sich Sextus vor den Altar, die Handflächen seitlich und nach oben erhoben, ehe er mit ruhiger Stimme anfing, sein Gebet zu initiieren.
“Lares, Penates, Genius loci! Götter, die ihr dieses Haus bewacht, Mächte des Schutzes und der Einheit! Oh göttliche Dreiheit, ich bitte euch in aller Bescheidenheit, hört mich an!“
Weihrauch wurde entzündet und ließ seinen wabernden, weißen Qualm über den Boden gleiten. Sein harzig süßlicher Geruch verbreitete und bildete die Brücke, über die diese Kommunikation stattfinden konnte.
“Oh Laren, Wächter dieses Ortes, die ihr in allen Kreuzungen wohnt. Seit jeher beschützt ihr die, die auf euren Wegen wandeln und euch achten. Gute Götter des Heimes und der Grenzen, hört mich an.
Penaten, Hüter des Herdes, Besänftiger der Flammen, Schützer des Hauses. Oh Göttliche, die ihr denen, die unter diesem Dach leben, Hilfe und Fürsorge zuteil werden lasst. Ihr, die ihr alle Geheimnisse kennt, hört mich an.
Oh göttlicher Genius, der du diesen Ort mit deiner Anwesenheit durchziehst. Geist dieser Villa, Kraft, die du hier alles zusammenhältst und vorantreibst. Du, der du für den Wohlstand dieser Familie so gut gesorgt hast, hör mich an.
Ich stehe hier, Sextus, genannt Lupus, aus der stolzen Familie der Aurelier. Ich bringe euch Dank und Ehrerbietung für all dies, was ihr für diese Familie getan habt, deren Teil ich nun sein darf! Dank sei euch, Lares, Penates, Genius! Und aus Dankbarkeit biete ich euch Honig, so süß wie das Leben, das ihr den Menschen hier in diesem Haus beschert!“
Ein Sklave trat vor und kippte aus einem Krug zähen Honig in eine bereitgestellte Schüssel. Ein wenig schüttete er vorsichtig auch in den ein oder anderen Korb, der von den Laren und Penaten gehalten wurde. Wenngleich er das später wohl selbst wieder säubern musste, so opferte man nunmal den Göttern.
“Ich bringe euch Blumen, so schön wie Menschen, die ihr mit guter Gesundheit hier gesegnet habt.“
Wieder trat ein Sklave vor und verbrannte eine Hand voll Blüten auf der glimmenden Kohle des Opferfeuers, auf dem auch schon der Weihrauch angesteckt wurde. Die restlichen Blüten drapierte er kunstvoll auf dem Hausaltar.
Sextus machte eine kleine Pause in seiner Rede und wartete, bis wieder alle auf ihrem Platz waren. Als nächstes käme der blutigere Teil.
“Oh göttliche Schützer. Ihr kennt mich noch nicht, bin ich doch neu hier und habe bislang unter dem Schutz der Hausgötter meines Vaters gestanden. Doch hört meine Worte, hört ihre Aufrichtigkeit. Ich habe stets des Teiles gedacht, der euch zusteht. Nie habe ich eure göttliche Wirkung bestritten.“ Daran gezweifelt, dass sie allzu groß war, ja. Erkannt, dass das meiste nur Schein war, ja. Aber ihre Existenz bestritten, nein.
“Oh Lares, Penates, Genius! Ich bitte euch ergeben, lasst auch mir eure Segnungen zuteil werden. Nehm mich auf in die Gemeinschaft eures Schutzes. Beschert auch mir das Glück eines langen und gesunden Lebens, wie ihr es für meine verwandten tut. Schützt auch mich vor Unheil mit eurer göttlichen Macht! Lasst mich Teil sein dieses Hauses! Auf dass ich auch zukünftig euch das darreichen kann, was euch gebührt! Auf dass ich für alle Zeit erkenne, wie gütig und groß ihr seid! Erweist mir eure Gnade, oh Götter dieses Hauses.“ Nur eine kleine Wendung nach Rechts verkündete das Ende des Gebets.
Jetzt war die Zeit für den eigentlichen Akt. Hierfür brauchte Sextus keine Opferhelfer. Der Sklave, der das Schwein festhielt, reichte vollauf. Er brauchte weder Opferstecher noch Eingeweideschauer, all dies konnte er allein vollbringen. Wie es wohl jeder innerhalb seiner eigenen vier Wände auch praktizierte.
“Oh Göttliche, dieses weiße Schwein habe ich für euch ausgesucht! Es soll euch gehören für die Bitte, die ich euch dargebracht habe. Nehmt es an!“
Der Sklave zog das Schwein nach vorne. Es war noch ein junges Tier, keine ausgewachsene Sau. Es war gewaschen worden, so dass man die hellen Borsten gut sehen konnte. Auf dem Rücken trug es ein schönes, wollenes Band, das extra hierfür vorgesehen war.
Hier nur unter sich entfiel die Aufforderung, den Mund zu halten. Die Sklaven wussten, dass sie ihre Zungen während des ganzen ablaufs zu hüten hatten, bei Sextus schon zweimal. Während der eine Sklave das Tier daran hinderte, wegzulaufen, kam ein anderer herbei mit einer Schale, in der Mola Salsa war. Sorgfältig wurde das Tier damit besprengt und zwischen den Ohren etwas eingerieben und so den Göttlichen geweiht. Danach wurde die dorsule entfernt. Sextus griff nach dem Opfermesser, was ihm auf einer Patera gereicht wurde, und strich nur einen Fingerbreit über der Haut des Tieres vom der Schnauze bis zur Schwanzspitze, um es so symbolisch zu entkleiden.
Da er selbst das Opfer vollziehen würde, entfiel auch die Nachfrage, ob er es tun sollte. Wer sollte es ihm auftragen? Er selbst war der Opferherr und der Schlachter. So genügte ein Blick zu dem Sklaven, der das junge Tier hielt, um sicherzugehen, dass er es hatte, und schon fand die schlanke Klinge ihr Ziel in der Halsschlagader des Schweines. Blut schoss hervor, wurde in einer Opferschale aufgefangen. Das Tier quiekte nur einmal ängstlich und zuckte, danach lag es still und blutete langsam aus.
Es dauerte eine Weile, bis es wirklich tot war. Alle Beteiligten warteten einfach schweigend, während die Reste des Weihrauches vor sich hinwaberten und in der Nase kitzelten. Aber schließlich lag es Still, und Sextus übergab dem Sklaven das Messer, damit der die Bauchdecke öffnen und die Vitalia herausholen würde. Auch wenn er beabsichtigte, Haruspex zu werden, man musste es ja nicht übertreiben.
Er ließ sich die Leber auf einer Patera anreichen und untersuchte diese sorgfältig. Er hatte eigentlich wenig Bedenken, dass die Laren sein Opfer ablehnen könnten, und das Schwein war auch ein sehr gesundes Tier gewesen (und würde wohl abgesehen von den Teilen für die Gottheiten ein sehr schmackhaftes Abendessen ergeben), aber sicher war sicher. Außerdem konnte er ohne Eingeweideschau nur schlecht die Litatio verkünden.