Lex Flavia de operositas

  • Der Consul ließ diese Punkt der Augenda offen, ehe er, als die Zeit dazu gekommen war, sich erhob und wie alle Themen einleitete.


    "Dieser Tagespunkt mag manchem ungewöhnlich erscheinen, doch beruht jener auf eine recht bedauerliche Verwechslung.
    Folgender Brief wurde an meinen Vorgänger verschickt, welcher zu jener Zeit nicht mehr im Amte weilte. Dieser wiederum sendete ihn mir nach langem Zögern zu. Mein persönlicher Schreiber vermerkte jedoch, als er die Anfangszeilen las, dass jener falsch Adressiert war und legte ihn ab, wollte diesen wieder zurück schicken.
    Nun denn, nach langer Rede nun der kurze Sinn: Jener Brief lag lange in den Akten und erst vor einigen Tagen kam er per Zufall hervor, so dass ich ihn schleunigst als Tagesordnungspunkt angesetzt habe, da er meiner Meinung nach diskutabel ist.
    Jener ist vom Consular Vinicius Hungaricus formuliert worden und enthälte seine Gedanken und Kommentare zu der Lex Flavia de operositas."
    , leitete der Consul ein und gab einem Liktor den Wink das Geschriebene vorzulesen.



    An den Consul
    Servius Tarquinius Pyrgensis [NSC]
    Roma


    Grüße an dich und deine Familie aus dem frühlingshaften Mogontiacum.


    Etwas verspätet habe ich die Acta Diurna gelesen und erfuhr darin von der Lex Flavia de operositas. Ich möchte mit diesem Brief meine Meinung zum besagten Decretum Senatus kundtun und hoffe in aller Bescheidenheit auf Gehör im Senat.


    Zunächst möchte ich herausstreichen, daß ich die Intention hinter diesem Decretum Senatus anerkenne. Ich fürchte jedoch, daß die werten Senatoren manche Punkte nicht ausreichend bedacht haben. Lasst sie mich ausführen.


    Zu § 2 - die Geschäftsfähigkeit: Unter Juristen herrscht weitgehende Einigkeit, den Begriff der Geschäftsfähigkeit folgend zu definieren: nämlich als die "Fähigkeit, durch eigenes rechtsgeschäftliches Handeln (insbesondere durch Vertrag) Rechte und Pflichten zu begründen." Nun kann man die im Decretum Senatus gestellte Definition auch als gültig anerkennen. Der Punkt jedoch, daß Frauen keine Träger von Pflichten sein können, geht zum einen an meiner wie der des Senates getroffene Definition vorbei, zum anderen widerspricht sie komplett dem Geschäftsleben. Ich möchte dies näher erklären.
    Ein Beispiel: Gaius möchte dem Sextus eine Kuh verkaufen. Sie kommen über Preis und Modalitäten überein, der Vertrag ist perfekt. Gaius hat nun das Recht auf den Kaufpreis, wie Sextus das Recht auf die Kuh hat. Gleichfalls hat nun jedoch Gaius die Pflicht, dem Sextus die Kuh zu übertragen, genauso wie Sextus die Pflicht hat, dem Gaius den Kaufpreis zu übergeben. Man möge mir dieses ordinäre Beispiel verzeihen.
    Wenn nun Frauen keine Träger von solchen Pflichten sein können (und welche Pflichten sollen denn sonst gemeint sein), dann werden sie komplett aus dem Geschäftsleben herausgerissen. Sie dürfen nicht kaufen, nicht verkaufen, nicht vererben, nicht verschenken oder dergleichen. Sie dürften nur Geschenke und Erbschaften annehmen. Die werten Senatoren werden mit mir übereinstimmen, daß ein solches Szenario unsere Wirtschaft sicher nicht stärkt. Sei es die Witwe, die den Betrieb ihres verstorbenen Mannes weiterführt, um ihre Kinder zu ernähren, sei es die Tochter aus gutem Hause, die ohne männliche Begleitung trotz materiellen Wohlstandes verhungert, weil sie nicht einmal das Recht hätte, Brot zu kaufen.


    Ich muß daher den Senat eindringlich bitten, diesen Passus aus der Lex ersatzlos zu streichen. Ebenso wie § 4 Abs 2, da Abs 1 ohnehin meines Erachtens zur Genüge darstellt, was beschränkt Geschäftsfähige tun dürfen.


    Zu § 4 Abs 1 - Beschränkt Geschäftsfähige: Ich bin mir sicher, daß hier das Institut der negotium claudicans zugrunde gelegt wurde. Ich möchte hierbei anmerken, daß in einem solchen Fall der unmündige Geschäftspartner tatsächlich berechtigt ist, die auctoritas tutoris ist nur für den verpflichtenden Teil notwendig. Ich möchte den Senat daher bitten, diesen Passus leicht umzuformulieren.


    Lasst mich noch einige Überlegungen darlegen.


    Sklaven und Personen unter patria potestas als beschränkt geschäftsfähig zu benennen, finde ich aus unterschiedlichen Gründen falsch. Beide haben in den meisten Fällen ein peculium, welches sie bewirtschaften, dennoch bin ich dafür, Sklaven keine Geschäftsfähigkeit zuzugestehen, während ich dies für mündige römische Bürger sehr wohl tun möchte. Mündige Bürger haben die volle Verfügungsgewalt über ihr peculium, denn ein peculium zu bewirtschaften ist sinnlos, wenn dabei jedesmal um Erlaubnis des Vormunds gebeten werden muß. Das würde das Institut des peculiums schlicht ad absurdum führen. Ich befinde mich dabei in juristisch bester Gesellschaft, wenn ich daher sage, daß mündige Bürger voll geschäftsfähig sind.
    Nun haben Sklaven ebenfalls die volle Verfügungsgewalt über ihr peculium, doch sind Sklaven als Sachen nicht rechtsfähig und können daher auch nicht geschäftsfähig sein. Daß sie es in Bezug auf peculium oder auch über ein iussum ihres Herrn doch zu einem gewissen Grad sind, ist Gegenstand mancher juristischer Überlegungen und Kontroversen. Wenngleich ich Sklaven hierbei den gewissen Funken Geschäftsfähigkeit zugestehe, möchte ich den Senat dennoch darum bitten, Abstand zu nehmen von dem Gedanken, Sklaven gesetzlich Geschäftsfähigkeit, wenn auch nur beschränkte, verleihen zu wollen.


    Zuletzt möchte ich nach meiner langen Abhandlung noch folgende kleine Details anmerken: Mädchen sind bis zum vollendeten 12. Lebensjahr mündig, vielleicht möchte der Senat dies auch im Gesetz anmerken. Ebenso vielleicht möchte der Senat darüber nachdenken, die Rechte und Pflichten eines Vormunds gleich welcher Art zu bestimmen. Zum dritten Mal vielleicht mag der Senat die Lex (P)Laetoria überdenken und überlegen, ob diese Lex noch immer in unserer Zeit Bestand haben könnte.


    Zum Schluß noch ein formaler Gedanke. Nicht jeder Punkt benötigt in einer Lex auch einen eigenen Absatz. § 3 Abs 2 und 3 könnte man problemlos und ohne Sinnverlust in einem Absatz zusammenfassen, ebenfalls § 4 Abs 3 bis 6.


    Sollten meine Gedanken hochtrabend sein, so möge man mir diese verzeihen, doch im ruhigen Mogontiacum hat man Zeit und Muße, über die Gesetze nachzudenken. Wenn die Senatoren zu meinen Worten Fragen haben, werde ich sie gerne beantworten.


    Mögen die Götter deinen Weg segnen, Consul, und die der deinen.


    M. Vinicius Hungaricus


    NON MAI DCCCLX A.U.C. (7.5.2010/107 n.Chr.)


    _________________________________________________________


    Marcus Vinicius Hungaricus - Legatus Augusti pro Praetore - Provincia Germania

  • Macer hörte während des Vortrags aufmerksam zu, wurde aber dennoch in etwa in der Mitte des Briefes abgehängt. Mit seinen bescheidenen juristischen Kenntnissen war es eben nicht leicht, den fachkundigen Ausführungen eines angesehenen Juristen wie Vinicius Hungaricus einer war, zu folgen.


    Nachdem er sich eine Abschrift des Gesetzes hatte reichen lassen, um die genannten Punkte mit dem Text zu vergleichen, meldete er sich zu Wort. "Wenn ich den ersten Teil des Briefes richtig verstehe, scheint mir eine gewisse Uneinigkeit darüber zu bestehen, welche Bedeutung welchen Begriffen zuzuordnen ist. So wie ich den Brief des Vinicius Hungaricus deute, besteht ein abgeschlossenes Geschäft stets aus einer wechselseitigen Zusammenstellung von Rechten und Pflichten. Das Recht des einen ist die Pflicht des anderen und umgekehrt. Der Gesetzestext der Lex Flavia de operositas spricht dagegen von 'Verträge, Geschäfte und Pflichten' und nimmt Frauen von letzteren aus - und nach dieser Sprechweise muss ich davon ausgehen, dass sie damit eben explizit nicht von Geschäften ausgenommen werden sollen, im Gegensatz zur Interpretation von Vinicius Hungaricus. Seine Sichtweise, die mit eben den beiden Begriffen 'Recht' und 'Pflicht' auskommt, hat er uns hier nun schriftlich erläutert. Ich würde es begrüßen, wenn im Gegenzug nun Consul Flavius Furianus aus Urheber des Gesetzestextes noch einmal erläutert, welche Bedeutungszuweisung und Abgrenzung er für die Begriffe 'Vertrag', 'Geschäft' und 'Pflicht' vorgesehen hatte."

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