Da steh ich nun, ich armer Tor...

  • Nun gut, klüger als zuvor war er, jetzt wo sie von dieser unglückseligen Theatergeschichte kamen, schon in einer Hinsicht. Er wusste jetzt, dass Prisca ihn heiraten wollte. Dass von ihrer Seite aus nichts im Wege stand für eine Heirat. Für einen Romantiker wie Piso war es wichtig, sich das Einverständnis der Dame zu holen, bevor man um ihre Hand anhielt – das einfach über ihren Kopf hinweg zu entscheiden, wie es die alteingesessenen Herren offenbar gerne taten, befand er für rüde und unhöflich. Wie konnte man eine Ehe auf so etwas aufbauen, dachte er sich, wofür man ihn für blauäugig erachten mochte, aber der Flavier... nun gut, war es des Öfteren. Was nicht ein markenzeichen für einen guten Politiker war, wenn man dies zusammen mit Pisos oft kindischem Gehabe betrachtete. Nun gut, seine Aktion mochte etwas impulsiv gewesen sein, aber musste man die ganze Zeit hunderte Gedanken zum Beispiel wälzen, ob es ehrenhaft sei, aufs Klo zu gehen, wenn es unten drückte? Mist. Er konnte noch immer nicht recht glauben, dass sich jemand an so etwas stoßen konnte. Aber nun gut, Lupus war eben ein absoluter Assi, dachte sich Piso zornig, und kickte ob dessen einen kleinen Kiesstein vom Boden hoch. Das Steinchen traf eine Mauer, wo es ofenbar stecken blieb, denn es fiel nicht herunter. Nicht, dass sich Piso scherte.
    Der Flavier wendete seinen Hals, um seine Schwester anzuschauen. Ein sag-jetzt-bloß-nichts-Blick traf sie. Er fühlte sich von ihr hintergangen, obwohl sie ihn wohl vor Prügeln bewahrt hatte. Wie sie diesen Aurelius angeschleimt hatte. Und dann das Geeiere mit dem wieder Sehen. Aber trotz seiner Blicke wusste er, es würde nun ein Donnerwetter kommen. Er würde wohl nciht lange darauf warten müssen. Ein Flavius, der von seiner Schwester durch die Mangel genommen wurde, was würde das für ein Anblick werden, dachte sich eine kuriose Seite in Piso, die offenbar gerne die Sachen vom Punkt eines unbeteiligten Zusehers aus sah.

  • Priscas Worte, vor allem die ihres Cousins besänftigten Nigrina, mehr als nur ein wenig. Allerdings währte dieser Zustand ungefähr so lange, wie ein Raubvogel brauchte, um ein erspähtes Beutetier zu schlagen – also gerade mal so lange, bis Piso und sie die Loge verlassen hatten. Dennoch beherrschte sie sich nahezu vorbildlich, worauf sie in nicht geringem Maß stolz war. Sie folgte ihrem Bruder, wie es sich für die Schwester gehörte, schritt an seiner Seite entlang und verließ neben ihm das Theater, die ganze Zeit über schweigend. Auf die Sänften schien Piso verzichten zu wollen, und das war ein weiterer Schlag gegen das Gebilde, das Nigrinas Selbstbeherrschungsvermögen darstellte, ließ es bröckeln. Gehen. Er. Wollte. Gehen. Zu Fuß. Zum ersten Mal blieb sie kurz stehen, schwankend, ob sie ihn einfach davon laufen lassen und selbst in die flavische Sänfte einsteigen sollte, aber dann entschied sie sich doch dafür, ihm hinter zu gehen, und die Sklaven folgten ihr in gebührendem Abstand. Ihr Bruder schien nicht sonderlich gut gelaunt, was kein Wunder war angesichts dessen, was gerade vorgefallen war, aber sie selbst war es ebenso wenig. In nur der spärlich erhellten Dunkelheit der Straßen nahm sie war, wie sein Fuß eine ausholende Bewegung machte, als trat er nach irgendetwas – und sie sah, wie Piso sie gleich darauf ansah, mit einem Blick, der ihr mehr als deutlich sagte, dass sie still sein sollte. Aber Piso war nun einmal Piso, ihr Bruder, mit dem sie aufgewachsen war, und der ganz eindeutig nicht die Art ihres Vaters geerbt hatte, oder ihre eigene – und Nigrina wäre nicht Nigrina gewesen, hätte sie seiner wortlosen Aufforderung Folge geleistet. Zwei Schritte brachten sie an seine Seite, und eine flavische Augenbraue wölbte sich missbilligend nach oben. Für einen Moment gab sie sich den Anschein, beinahe weiter gehen und ihn ignorieren zu wollen, blieb aber stehen. „Und? Bist du zufrieden?“ Ihre Stimme war leise, aber erfüllt von beißendem Spott. Einen winzigen Moment lang schwieg sie, dann sprach sie weiter, bevor er antworten konnte. „Ich meine, ich bin es nicht sonderlich, ich hatte mir den Abend ein bisschen anders vorgestellt, ich hatte geplant das Theaterstück zu sehen, mich nett zu unterhalten, mich vielleicht mit einer Patrizierin ein wenig mehr anzufreunden, was ja nicht schaden kann angesichts der Tatsache, dass du so scharf auf sie bist, aber nach dem was du gebracht hast vorhin, scheint meine Meinung ja nicht wirklich zu zählen – also, bist du zufrieden?“

  • Gedankenversunken trabte Piso weiter. Und weiter. Die Bewegung gab ihm ein Organ, mit der er sich beschäftigen konnte. Wäre er nun in einer Sänfte gesessen, hätte er wieder seine Daumen gedreht und sich in Kissen festgekrallt. So aber konnte er immerhin gehen. Er merkte die Aktivitäten seiner Schwester gar nicht, da er gar nicht zu ihr hinsah, seinen Blick immer stur nach vorne gerichtet, nachdem er ihr diesen Blick gegeben hatte, bevor sie ihn mit bissiger Stimme ansprach. Mit müdem Gesichtsausdruck blickte er wieder zu ihr hin, und ließ ihre Gardinenpredigt über sich ergehen. Er seufzte.
    “Nigrina, was soll ich zufrieden sein? Pah. Dieser Aurelius ist unmöglich. Unmöglich. Kackt auf unsere Gens. Und mir drohen. Mir!“ Verbissen wurde seine Miene. “Wenn ich erst mit Prisca verheiratet bin, wirst du dich ncoh lang und breit mit ihr unterhalten können. Und sag bloß, das Theaterstück war so großartig – es war doch ein Käse!“, war seine Erwiderung auf ihre Vorwürfe, wohl wissend, dass er mit Kritik an den Schaulspielkünsten der Darsteller vielleicht Recht hatte, aber ihre Vorwürfe nur sehr unzureichend beantwortete. Nein, er wollte tatsächlich nicht darüber reden. “Ach ja. Wenn du willst, kannst du ja die Sänfte nehmen.“ Sein Blick glitt nach hinten, wo die Sklaven die leere Sänfte, mit der sie gekommen waren, hinter ihnen dreinschleppten. “Niemand zwingt dich, mit mir zu gehen.“ Aber er wusste, dass dies seine Schwester kaum abhalten würde, ihn noch mehr mit Vorwürfen zu überschütten. Er biss seine Lippen aufeinander und schwieg eine kurze Zeit, bevor er sich an Nigrina wieder wandte.
    “Ach, wegen Aurelius Lupus...“ Er ließ eine kurze Pause. Das sollte er ihr erstens sagen, und zweitens würde er sie sicherlich damit überrumpeln, außer natürlich, sie hatte den Namen schon andersweitig herausgefunden. Und das konnte ganz nützlich sein. “Wie stehst du zu ihm? Ich meine... gefällt er dir? Magst du ihn? Hä? Wie findest du ihn, diesen Lupus? Hä? Findest du ihn toll?“ Er starrte sie mit Augen an, die nun fast schon auf ein Mal, einer seiner frequenten Stimmungsschwankungen folgend, wirkten wie vor Trunkenheit unterlaufen – und tatsächlich war Piso trunken, trunken vor Liebe, besoffen vor Verknalltheit, beschwipst von der heißen Glut, die in seinem Inneren pochte, die ihn antrieb und ihn fürchterlich kontraproduktiven Mist fabrizieren ließ. Vielleicht würde am nächsten Morgen Piso einsehen, dass sein Verhalten eigentlich Quark gewesen war. Heute Abend aber war er in so einer Verfassung, wo es ganz hoffnungslos war. So wie er sich normalerweise an seiner Interpretation der Ästhetik festklammerte, so sehr klammerte er sich an seinen Blickwinkel auf diese Beziehung und alles, was daran festhing.

  • Nigrina hätte ihrem Bruder auch gedroht in einer solchen oder ähnlichen Situation, aber sie war seine Schwester, sie durfte das. Dass es Piso auf die Palme brachte, von einem Nicht-Flavier bedroht zu werden, konnte sie ja nachvollziehen. Absolut. Aber mit diesem Heiratsantrag, mit dem Aurelier direkt neben ihm, hatte Piso diese Reaktion doch regelrecht herausgefordert. „Es spielt doch keine Rolle, wie gut das Stück war, du hättest das doch auch dann getan, wenn es großartig gewesen wäre!“ fauchte sie entnervt zurück, als er zunächst versuchte abzulenken. „Wenn du erst mit Prisca verheiratet bist, genau! Falls trifft es wohl eher, nach der Aktion gerade! Du hast mir doch noch vorgejammert, dass du irgendwie ihren Wachhund überzeugen musst, meinst du das wird einfacher, wenn du ihn so offen übergehst?“ Nigrina schnaubte und verlangsamte ihren Schritt, als Piso davon sprach, sie könne auch die Sänfte nehmen. Bitteschön. Tat sie das eben. Sie hatte ohnehin nicht großartig Lust darauf, den ganzen Weg zu laufen, ganz im Gegensatz zu ihm anscheinend. Sie wollte gerade schon stehen bleiben und warten, bis die Sklaven mit der Sänfte sie eingeholt hatten, als Piso noch einmal das Wort ergriff – und etwas fragte, was sie dann doch wieder dazu brachte, sich zu ihm umzudrehen. „Aurelius Lupus?“ wiederholte sie, verblüfft und misstrauisch zugleich, dass Piso auf einmal nicht einfach nur von sich und seiner Aktion ablenkte, sondern auf den Aurelier zu sprechen kam – in einer Art und Weise, die ihr zeigte, dass er die Frage offenbar ernst meinte. Er fragte nicht einfach nur – er bohrte regelrecht nach. Und wie er sie gerade anstarrte, fragte Nigrina sich für einen Augenblick ernsthaft, wie viel Piso an diesem Abend getrunken hatte. „Was soll mit ihm sein? Ich konnte mich nur wenige Momente mit ihm unterhalten, wie du dich vielleicht erinnern kannst.“ War ja immerhin Pisos Schuld, dass sie keine Gelegenheit gehabt hatte sich mehr mit dem Aurelier zu beschäftigen.

  • Natürlich hatte sie Recht. Es verstand sich von selber, dass er seine Nummer auch durchgezogen hätte, wenn wahre Götter auf der Bühne gestanden wären. Apropos Götter – oh grausame Venus! Dies nur als Randvermerk. So blieb Piso nicht mehr, als auf ihre Bemerkung hin zu schweigen, ein stilles Eingeständnis. Und er wusste, dass Nigrina das ziemlich sicher auch als Solches interpretieren würde.
    Bei ihrer nächsten Anschuldigung warf er die Hände hoch wie ein verzweifelter Maestro. “Das habe ich doch versucht! Ich habe dem Aurelius beweisen wollen, dass es mir ernst ist mit der Sache! Und dass ich nur die höchsten und besten Intentionen habe! Tut der so, als hätte ich Prisca vor aller Öffentlichkeit zur Schnecke gemacht!“ Denn das Angebot hatten wirklich nur die 4 in der Loge gehört, er war sich da ganz sicher. „Was hätte ich wissen können, dass diese wüste Seele so entleert ist jeglicher romantischer Gefühle? Er ist der Archetyp des Anti-Ästheten!“ Falls, dass Nigrina dieses Wort sagte, schnitt sich ihm in die Seele ein. Falls, dieses Wort implizierte Unwahrscheinlichkeit! Nein, nein, nein, das konnte nicht sein. Wenn das nicht klappte... wo hing ein Schwert, mit dem er sich den Kopf abschneiden konnte? Oder ein Opfermesser, mit dem er seine Eingeweide auszustechen imstande war?
    Aber sie wollte ihn, ungeachtet seiner Worte, nicht verstehen! Weglaufen wollte sie, zur Sänfte hin, und somit wäre es doch egal gewesen, ob er es ihr noch gesagt hätte – aber wurscht. Egal. Er musste es ihr sagen, sonst wäre er ein Schwein. Nicht ein ganz so großes wie dieser Aurelius, aber trotzdem.
    Nichtsdestotrotz, ungeachtet seiner Gedanken, konnte er es sich nicht verkneifen, dass ein gewisser stichelnder Unterton in seiner Stimme lag. Sie blickte etwas verwundert drein, und das sollte sie auch! “Trotzdem! Trotzdem! Würdest du ihn von der Bettkante stoßen? Sag schon!“ Nach einer Antwort heischend warf er die Hände aus. “Ich bin dein Bruder, mir kannst du es schon sagen! Ich erzähle es niemanden weiter, was du denkst!“ Er nickte suggestiv. Sie sollte mal antworten, irgendwas sagen! Dann konnte er die Bombe platzen lassen, die seinen allzu merkwürdigen Fragen einen Sinn verleihen würden, und sie nicht - oder nun gut, mehr als - wie das Geplärre eines Frustrierten aussehen lassen mochten.

  • Natürlich antwortete Piso nichts auf ihre Worte, was das Theaterstück betraf, etwas anderes hatte Nigrina auch nicht erwartet. Es wäre auch lächerlich gewesen. So der Aurelia verfallen, wie Piso zu sein schien, hätte er ihr vermutlich sogar mitten auf dem Forum einen Antrag gemacht. Nigrina schätzte, dass sie nur froh sein konnte, dass es Prisca offenbar ähnlich ging. Nicht auszudenken, wie leicht Piso auszunutzen wäre – ein Flavier! – würde Prisca das Potential sehen, dass sie sehen würde, läge ihr ein Kerl dermaßen zu Füßen. „Wenn es dir so ernst ist, dann frag erst ihren Wachhund! Aulus! Prisca kann noch so oft ja sagen, es spielt keine Rolle, wenn er nein sagt! Sie HAT nichts zu sagen, so wenig wie ich was zu sagen habe, wenn es um meine Verlobung geht! Hättest du nicht wenigstens fragen können, Prisca, ich möchte deinen Tutor bitten, dich mir zur Frau geben, sofern das auch dein Wunsch ist! Aber nein, du stellst ihr eine Frage, die sie nicht beantworten kann, weil sie das nicht zu entscheiden hat!“ Bei Pisos nächsten Worte hätte Nigrina sich am liebsten die Haare gerauft, aber das hätte nur ihre Frisur durcheinander gebracht. „Er ist was? Der Archetyp des Anti-Ästheten? Sag mal hörst du dich eigentlich selbst reden?“ Archeytp des Anti-Ästheten, was sollte das denn bitte sein? „Was hättest du denn getan, wenn das ein Kerl bei mir gemacht hätte? Und jetzt sag mir bitte nicht, du hättest applaudiert!“ Innerlich stöhnte Nigrina. Piso hätte das vielleicht sogar getan, Ästhet der er war. Romantiker. Und sie hatte schon angefangen zu glauben, er wäre inzwischen auf dem Boden der Tatsachen angekommen, nachdem er nun in die Politik eingestiegen war.


    Dann allerdings fing Piso von dem Aurelier an, und er ließ nicht locker, wie ein Hund, der sich in seine Beute verbissen hatte. Nigrina runzelte nun die Stirn. „Worauf willst du eigentlich hinaus?“ schnappte sie. Er bildete sich doch nicht etwa ernsthaft ein, sie würde ihm auf die Nase binden, mit wem sie ins Bett steigen wollte! Ganz davon abgesehen, dass sie das ohnehin nicht in die Tat umsetzen würde, bisher nicht getan hatte und auch nicht tun würde, solange sie nicht verheiratet war, ging ihn das einfach nichts an. Aber auch gar nichts! „Wie du dich vielleicht erinnern kannst, bin ich hier in Rom, um verheiratet zu werden. Mit einem Mitglied seiner Familie! Es gibt nur eine Möglichkeit, wie ich ihn nicht von meiner Bettkante stoßen würde, wie du es auszudrücken beliebst, Bruder!“ Nun ja. Sie hatte ja keine Ahnung, wie ihr Zukünftiger war. Wer wusste schon, was passierte, wenn sie erst mal verheiratet war... Und einen Erben geboren hatte. Aber auch das war etwas, was sie Piso nicht auf die Nase binden musste. Es gab Dinge, die gingen einfach keinen etwas an, schon gar nicht wenn sie anderen Personen eine gewisse Macht über einen selbst verliehen. Und das Wissen, dass sie sich vorstellen konnte möglicherweise ihrem Mann fremdzugehen, oder mit wem sie das eventuell zu tun gedachte, gehörte ganz eindeutig dazu.

  • Piso hörte zu und seufzte tief und lang, bevor er loslegte. “Ja, genau! Sicher! Das hätte ich sie fragen können! Ich hätte es ja auch noch komplett verklausulieren können und ein paar Paragraphen aus den Scheiß-Codices reinwerfen können! Echt, war das so missverständlich? Ich wollte nur ein ja oder ein nein, ein ja hätte ich als ihr Einverständnis gesehen, dass sie es will, dass ich Corvinus frage! Es war eine ganz neutrale Frage, die nicht implizierte, dass ich mit ihr gleich zur Regia rennen wollte, um da was zu registrieren! Geht das so schlecht in deinen Kopf rein? Fühlst du dich wirklich bemüssigt, dass du meine Frage absichtlich missverstehst, so wie dieser verdammte Aurelier?“ Verzweiflung kippte über in Zorn. “Was ich getan hätte, fragst du mich? Zuerst einmal hätte ich nicht geschaut, wie ich seine Worte auf die böswilligste Art und Weise interpretieren kann, die es nur gibt! Wenn er begonnen hätte mit einem ich-bin-Gaius-du-wirst-meine-Gaia-sein-Käse, hätte ich da natürlich was gesagt! Das habe ich aber nicht, und das ist der springende Punkt!“ Wütend wedelten seine Arme in der Luft herum. “Was ich nicht getan hätte, wäre, gleich das Schlimmste anzunehmen, und da irgendeinen auf Scheiß-Iunius-Brutus oder was das auch immer für eine Nummer sein sollte zu machen! Und außerdem vergleichst du da Äpfel mit Birnen, und das weißt du sehr wohl! Bei Prisca ist niemand im Gespräch als Heiratskandidat, bei dir sehr wohl! Und du bist eine Flavia, das würde die Situation eine komplett andere machen!“ Er redete sich in Rage, wurde immer lauter. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, bildeten ein V des Verärgert-Seins, auf seiner Stirn bildeten sich Zornesfalten, und eine Ader schwoll auf ihr an. Röter war sein Gesicht geworden.
    “Wenn das wirklich so schwer zu verstehen ist, was ich meine, gut, formulieren wir es anders! Dieser Mann ist halb Mensch, halb Bestie! Er ist ein Erzschurke, ein Verbrecher, ein potentieller Mörder! Der wird noch am Kreuz landen, ich sage es dir! Patrizier hin oder her!“ Nach einem kleinen Ausflug in die juristische Phantasiewelt, die Piso sich selber zusammengestrickt hatte, ballte er seine Hände zu Fäusten. Piso blickte Nigrina an wie jemand, der sicher nicht mehr von seiner Meinung abkommen würde. Einmal nicht mehr an diesem Abend.
    Sein Gesicht blieb ganz stoisch, als sie ihn fragte, worauf er hinauswollte. Konnte sie es nicht sehen, oder war er wirklich so missverständlich? Das musste es wohl sein, dachte er sich sauer. Er lachte leise, aber bar jeden Humors, als seine Schwester ihn anschwafelte. “Dann wird es dich interessieren, dass angedacht ist, dass sich diese Möglichkeit realisiert! Was glaubst du, wer dein Heiratskandidat ist? Aurelius Lupus! Dieser Gauner, dieses Subjekt soll dich heiraten, wenn es nach Vater geht!“ Er schnaufte. “Mir ist der Name eingefallen, als er mir vorhin gedroht hat. Irgendein Vieh ist es gewesen. Jetzt weiß ich es wieder, Lupus. Er soll dich heiraten.“ Er schüttelte seinen Kopf schnell. “Jetzt sag mir bloß, dass du es dir gefallen lassen willst, dass Vater dich mit dem da verheiratet?“ Seine Arme ruderten in der Luft herum, als wollte sich Piso in die Lüfte schwingen und dort herumfliegen. Dass Nigrina etwas dagegen haben könnte, dass Piso und Nigrinas Verlobter in spe sich so heftig herumgestritten hatten, kam Piso nicht in den Kopf, er erwartete sich tatsächlich von ihr ihre absolute Unterstützung. Er war ihr Bruder, bei den Göttern, und Lupus nur ein dahergelaufener Kerl, dessen Name Cnaeus Flavius Aetius in dessen sieches Hirn gekommen war.

  • „Es WAR eine Frage, die eindeutig war!“ Piso schien gar nicht zu begreifen, was Nigrina sagen wollte. „Es WAR eine Frage, die so klang, als ob du einen Dreck auf die Meinung ihres Wachhunds gibst! AAARGH!“ Nein, Piso wollte es scheinbar nicht begreifen. Absolut nicht. Genauso wenig wie Nigrina seinen Standpunkt begreifen wollte, nicht einmal annähernd. Inzwischen war der Grund, warum sie sich in den Haaren hatten, fast schon zweitrangig geworden. Es war ein Geschwisterstreit, darum ging es, und kleine Schwestern gaben ihren großen Brüdern niemals Recht, niemals, nicht einmal ansatzweise, nicht einmal ein Fitzelchen, nicht einmal dass wenigstens ihre Sichtweise möglicherweise auch in die Nähe dessen rücken konnte, was akzeptabel war. Das kam überhaupt nicht in Frage. Nicht, wenn sie gerade mitten im schönsten Streit waren. Und dann sagte Piso etwas, was Nigrina inne halten ließ. Und du bist eine Flavia. Was die Situation komplett ändern würde, sagte er. Für einen winzigen Augenblick huschte ein triumphierendes, beinahe gehässiges Lächeln über ihre Lippen. Piso hatte damit nichts anderes gesagt als das, dass sie besser war als die Aurelia. Mehr wert. So viel also dazu, wie sehr er sie angeblich liebte. Nun, er schien sie regelrecht anzuhimmeln, und vielleicht liebte er sie auch tatsächlich – aber Liebe war nicht gleichbedeutend mit Respekt. Oder Anerkennung.


    Während Piso sich nun also immer mehr echauffierte, badete Nigrina in einem Meer aus Selbstzufriedenheit. Sie war eine Flavia, was die Situation änderte, und ihm hierbei Recht zu geben, damit hatte sie nicht das geringste Problem. Was jedoch nichts daran änderte, dass Piso sich ihrer Meinung nach dennoch wie ein Flavier hätte verhalten und besagte Frage sonst wohin stecken sollen. Bei Pisos nächsten Worten allerdings schwankte Nigrina zwischen Lachen und einem erneuten Temperamentsausbruch. „Erzschurke? Potentieller Mörder? Sag mal, Aulus, meinst du nicht dass du ein wenig übertreibst? Ich weiß doch, dass wir Flavier was besseres sind, aber das ändert leider nichts daran, dass andere Gentes das nicht so sehen – und die Aurelier gehören mit Sicherheit dazu!“ Was auch nicht das Schlechteste war, angesichts der Tatsache, dass sie einen heiraten sollte. Natürlich war sie schon allein aufgrund ihrer Abstammung etwas besseres. Aber deswegen wollte sie noch lange keinen Mann haben, der vor ihr – oder anderen – katzbuckelte. Nein, ein gewisses Selbstbewusstsein sollte er schon haben, das war schon allein nötig, um die Karriere zu machen, die er zu machen hatte, wenn er eine Flavia ehelichte.


    Mitten in diese Gedanken hinein war es, in die Piso mit seiner Eröffnung platzte. Für einen Moment weiteten sich Nigrinas Augen, was in der Dunkelheit wohl nur schwerlich erkennbar war – ebenso wenig wie ihr Gesichtsausdruck, der in diesem ersten Moment schändlicherweise wohl etwas dümmlich ausfiel. „Er?“ hakte sie nach, und im Klang ihrer Stimme schwang etwas ähnliches mit, was sich gerade in ihrer Miene abzeichnete. „Dieser Aurelier?“ Es war ja nicht so, dass Nigrina dieser Gedanke nicht gekommen wäre zuvor. Die Auswahl an jungen Aureliern, die augenblicklich in Rom weilten, war begrenzt. Dennoch überraschte sie Pisos Eröffnung nun. Sie schürzte die Lippen und überlegte. Überlegte. Lupus also. Er war ganz sicher kein Waschlappen, das hatte seine Reaktion auf ihren Bruder bewiesen, und ein Dummkopf war er wohl auch nicht. Wäre er wenigstens eins von beiden, würde es eine Ehe einfacher machen, das war ihr klar. Lupus. Der Wolf. Die Jägerin. Die Form ihrer Lippen wandelte sich, langsam, in ein hintergründiges Schmunzeln. Wäre er Waschlappen oder Dummkopf, es wäre einfacher, einfacher ihn zu steuern, einfacher ihn zu manipulieren – aber nicht nur für sie, auch für andere um ihn herum. Wollte sie einen Mann, der sich so einfach instrumentalisieren ließ, von politischen Gegnern wie Freunden – und dabei womöglich die eigenen Ziele aus dem Blick verlor, die für ihn und seine Frau dienlich waren? Und: wollte sie einen Mann, mit dem eine Ehe letztlich sehr sehr schnell vor allem eines werden würde: langweilig? Nein. Es war nicht der schlechteste erste Eindruck, den ihr Heiratskandidat gemacht hatte. Ganz und gar nicht. Was die Ehe betraf, dachte Nigrina langfristig, sie musste es tun, weil sie nicht vorhatte, sich in wenigen Jahren schon wieder scheiden zu lassen – obwohl das natürlich stets eine Option war, wenn ihr Mann ihr einen entsprechenden Grund lieferte. Dennoch war es gesellschaftlich schlicht angesehener, wenn eine Ehe einfach funktionierte, aus welchen Gründen auch immer. Das hintergründige Schmunzeln verwandelte sich nun in ein süßes Lächeln, das sie Piso schenkte – und das auch im Klang ihrer Stimme zu hören war. „Dann werde ich ihn sicherlich nicht von der Bettkante stoßen. Aber nun, auch bei mir gilt: die Entscheidung, wen ich heirate, liegt nicht bei mir. Sie liegt bei Vater.“ Sie setzte sich wieder in Bewegung und ging ein paar Schritte an Piso vorbei, drehte sich dann um, um zu sehen ob er ihr folgte. „Du wirst mir sicherlich zustimmen, dass es nach dem Vorfall im Theater besser ist, wenn Vater die Verhandlungen selbst zu Ende führt.“

  • “Eindeutig, eindeutig, d-d-d, blabla!“, äffte Piso, der ebenso wie Nigrina auch kaum mehr an einer konstruktiven Auseinandersetzung interessiert war, ihr nach. “Ganz neutral war die Frage! Und sie hat nichts impliziert! Das ist so, als ob ich dich frage, ob...“ Er warf seine Hände hoch und rollte seine Augen in einer konzentrierten Bemühung, eine Metapher zu finden “Als ob ein Händler, bei dem du einen Apfel gekauft hast, sagt, er will eine Bezahlung dafür, und du denkst, das heißt, du sollst bei ihm ins Bett steigen? Na ehrlich, das wäre auch eine böswillige Missinterpretierung!“ Ein haarsträubendes Exempel, jedoch kam es Piso zu dieser Zeit als ganz plausibel vor. “Und tu nicht so rumbrüllen. Da gellen einem ja die Ohren!“ Figurativ legte er seine Hände an seine Ohren und schüttelte seinen Kopf energisch. “Ich müsste dumm sein, um zu denken, dass die Meinung ihres Wauwaus nichts wert wäre! Jawohl, das müsste ich sein, das wirst du zugeben! Und dass Lupus meint, ich würde mich einen feuchten Kehrricht darum scheren, was Corvinus meint, impliziert, dass er denkt, dass ich dumm bin! Oder nicht? Alles klar soweit? Gut! Und wenn er denkt, dass ich, ein Flavier, dumm bin, was sagt das über ihn aus? Dass er null Respekt vor unserer Gens hat! Aber eines sage ich dir, in unserer Gens gibt es keine Dummköpfe!“ Den wohl examinierten flavischen Wahn ließ er aus. Im Gegenteil, er war sich sicher, er trug dazu bei, dass die Flavier, egal ob männlich oder weiblich, die intelligentesten Menschen waren, die in Rom herumliefen.
    Ihr Grinsen bemerkte er nicht. Wie auch? Er konnte in der Dunkelheit ihr Gesicht nicht so gut ausmachen, und schon gar nicht etwas, was nur eine Sekunde lang auf ihrem Gesicht lag. Über die Implikationen seines Gewetteres dachte er gar nicht nach. Was er sagte, war ihm selbstverständlich. Ja, er war ein Flavius – und von Geburt an hatte das für ihn geheißen, er wäre etwas besseres. Piso trug das nicht offen zur Schau, dieses Mantra war er kaum je eingedenk, weder in sich selber noch seinen nicht-flavischen Freunden gegenüber – aber es schlummerte in ihm herum, ganz tief unten in seiner Seele, unauslöschbar, bereit, aufzuspringen, wenn jemand die Flavier nicht als etwas Besseres behandelte. Sogar als etwas Schlechteres. Wie dieser Lupus eben, dessen Abneigung gegenüber Piso nicht schwer zu erraten gewesen war. Piso wunderte sich nur kurz, dass sie ihm in dieser Hinsicht nicht widersprach, doch bevor er seinen Gedanken weiterspinnen konnte, fühlte er sich bemüssigt, seiner Schwester zu erklären, was denn genau ein Archetyp des Antiästheten war. Als sie seine Erklärung hörte, zogen sich leicht seine Augenbrauen zusammen.
    “Schau, ich habe doch nichts gegen die Aurelier! Ich verspüre die Schwingen wahrer und feuriger Liebe zu einer von dieser Gens, das weißt du!“, drückte er sich schwurbelig aus. “Und das hat damit nichts zu tun! Lupus ist ein Schuft, unabhängig von seiner Familie, unabhängig von seiner Gens, unabhängig davon, wer sein Mentor oder Patron oder was auch immer ist!“ Denn sowie es keinen unaufrichtigen Flavier geben konnte, war dies möglich bei anderen gentes, dachte sich Piso, seinen Gentilstolz noch stärker emporschwappend fühlend.
    Und dann, dann eröffnete er ihr, was los war. Und wieder konnte Piso nicht recht erkennen, was los war mit ihr. Sie schien nachzudenken, er hatte sie also wirklich erwischt. Er würde einen Sesterz dafür geben, dass es etwas heller wäre, und er ihr Gesicht sehen könnte. Ihre Fragen klangen aber ziemlich ungläubig. “Ja, er!“, machte Piso, wieder so stichelnd wie vorher. Und er würde 5 Sesterzen geben, um ihre Gedanken lesen zu können. Doch am Ende, nach einer Schweigepause, sagte Nigrina, was sie meinte, ihm die 5 Sesterzen ersparend. Pisos Mund klappte wie aus dem Nichts auf, als ob jemand ihn die Kiefer auseinandergepresst hätte, und nur langsam brachte er ihn wieder zu.
    “Vater?“, krächzte er. Bei den Göttern, jetzt holte sie den schon wieder hervor. Wenn sie das noch häufiger machen würde, wäre Piso gegen die Erwähnung dieses Mannes immun. “Vater hat mir...“ Er hustete in seine hastig emporgeschnellte Hand hinein. “...mir aufgetragen, dich zu verheiraten. Mir! Weil ich weiß, was gut für dich ist! Und ich weiß, dass es nicht gut für dich ist, wenn du diesen Kerl da heiratest! Nigrina! Er wird dich in den Ruin treiben! Du wirst nach einem Jahr Ehe vor den Trümmern deiner Existenz stehen! Dieser Mann wird enden wie Sergius Catilina!“ Oder wie Calpurnius Piso, dachte er sich, verkniff sich die Erwähnung seines Namensvetters und eines der letzten wahren Genies, wie er fand – widersprüchlich zu seiner Meinung, dass auch Nero ein Genie gewesen war, und somit war die pisonische Verschwörung für ihn ein Kraftmessen der ganz, ganz Großen in der Geschichte, im Gegensatz zu der catilinarischen, wo eine abgefackte Patrizierkarikatur gegen einen Homo Novus verloren hatte.
    “Nigrina, warum stimmst du mir nicht einfach zu? Es liegt doch auf der Hand, dass ich recht habe!“ Er wirbelte seine Hände herum, als gelte es, zu fliegen.

  • In diesem Augenblick, in dem Piso sie nachäffte, hätte Nigrina ihm am liebsten die Augen ausgekratzt. „Natürlich hat sie das“, fuhr sie ihm einfach dazwischen, ohne nennenswerte Wirkung – ihr Bruder hörte ihr gar nicht mehr wirklich zu, ebenso wenig wie sie ihm, und so zofften sie sich in schönster Geschwistermanier. Ein Glück, dass der Abend schon recht weit fortgeschritten war und niemand auf den Straßen, zumindest niemand, bei dem es eine Rolle gespielt hätte, dass er zwei Flavier so sah. „Du hast dich einfach dumm verhalten da, so einfach ist das, ich meine sogar ICH dachte dass du dich einen Dreck um ihren Wachhund scherst, bei dieser Frage!“ Es ging nicht darum, Lupus zu verteidigen, bei weitem nicht – es ging nur noch darum, Piso nicht Recht zu geben. „Oh ja, keine Dummköpfe, aber MANCHMAL könnte man fast auf die Idee kommen, es gäbe welche!“ Nigrina war sauer auf Piso, und weil Piso nun mal ihr Bruder war, sah sie sich nicht genötigt, sich zusammenzureißen. „Die Schwingungen wahrer und feuriger Liebe“, äffte nun sie ihn nach, „wie lange kennst du das Mädel überhaupt schon? Wenigstens ist sie eine Patrizierin!“ Schuft. Lupus sei ein Schuft. Vielleicht hatte Piso damit Recht, wobei Nigrina im Grunde nichts an ihm gemerkt hatte, was darauf hingedeutet hätte – aber sie hatte auch nicht gehört, was Lupus zu Piso gesagt hatte. Und dennoch: gerade die Möglichkeit, dass Lupus tatsächlich ein Schuft sein könnte, machte ein weiteres Treffen nur noch reizvoller für sie. Sie mochte solche Männer – kein Wunder, war ihr Vater doch auch kein Heiliger. Und ihn liebte sie, nicht etwa weil sie ein falsches Bild von ihm hatte, sondern gerade weil er so war, wie er war – und weil er ihr so viel von sich mitgegeben hatte.


    Pisos Reaktion, wenn sie ihren Vater allerdings ins Spiel brachte, war jedes Mal wieder erlebenswert. Sie fand es regelrecht erheiternd zu sehen, wie er in irgendeiner Form zurück zu zucken schien, auch wenn sie es nicht wirklich verstand. „Ich weiß, dass er dir das aufgetragen hat. Aber doch wohl nicht, weil du weißt was das Beste für mich ist – du bist halt in Rom, und nachdem du nun endlich was Vernünftiges machst, dachte er, er könnte dir das anvertrauen! Aber warum glaubst du wohl hat er mit Lupus' Vater Kontakt aufgenommen? Warum hat er dir nicht gänzlich die Wahl meines Zukünftigen überlassen? Und nach dem, was heute passiert ist, glaube ich einfach nicht, dass du das Ganze zu einem vernünftigen Ende bringen kannst.“ Nun klang ihre Stimme schnippisch – und gleich darauf wieder erbost. „Oooh bitte! Catilina? Wie kommst du auf so einen hirnrissigen Schwachsinn? Du KENNST ihn doch nicht mal, du hast ihn heute das erste Mal gesehen! Ganz ehrlich, er mag kein Flavier sein, noch nicht einmal Mitglied einer der alten patrizischen Gentes, aber er hatte immerhin den Mumm, dir in die Suppe zu spucken! Der Kerl hat Potential, und wenn der immer so drauf ist wie heute, wird er Karriere machen, und DAS ist es, was ich von einem Kerl will, der mein Mann werden soll! Und du glaubst doch selbst nicht, dass er es wagen würde eine Flavia ins Unglück zu stürzen, das soll er mal versuchen bei mir!“ Nigrina schnaubte und warf dann ihre Hände in die Höhe, während sie ein weiteres Mal zurück zickte. „Weil du nicht Recht hast! Du bist nur zu stur, das zuzugeben!“

  • “Ja, sicher denkst du das! Du steckst doch mit diesem Aurelius unter einer Decke, steckst du!“, keifte er und machte übertriebene Bewegungen mit seinen Armen. “So was von unter einer Decke! Wie kannst du sowas nur denken!“, beschwor er sie laut und mit genervter Stimme.
    Als sie ihn schließlich ihrerseits nachäffte, lief er leicht rot an im Gesicht. “Was weißt du denn schon von wahrer Liebe! Du weißt doch nicht, was das überhaupt ist!“ Tief holte er Luft, um laut loszuschmettern. “Liebe ist... pass auf die Fuhrwerke auf!“, rief er, als knapp an ihnen eines vorbeidonnerte. Es war Nacht, die Zeit der Fuhrmänner, wo auf Roms Straßen die Wägen herumfuhren, etwas, was ihnen am Tage nicht gestattet war. “Liebe ist mehr als Lust. Wenn du mit irgendwelchen Sklaven oder Sklavinnen rumbumst, dann ist das doch keine Liebe! Liebe ist göttlich, und kommt direkt von den Göttern! Schon mal was gehört von Venus und Amor?“, wetterte er, ohne es auf den Punkt zu bringen. “Es kommt doh nicht darauf an, wie lange ich sie schon kenne, sondern, was ich ihr gegenüber empfinde! Jetzt sage ich dir mal was! Meine Liebe zu ihr entstand, nachdem ich Venus geopfert hatte! Ich war vorher wie du, mit verschlossenem Herzen, welches wie aus Stein war! Aber nun verspüre ich das, was du so niederträchtig veräppelst! Ohne sie, das weiß ich, kann ich mir gleich einen Dolch in die Brust jagen!“ Wer Piso kannte, würde wohl wissen, dass er kaum für so was fähig wäre. So weit ging sein Mut – oder aber konvers seine Feigheit – nicht. Viel eher würde er sich eine Zeit lang im Cubiculum einschließen und die Niederträchtigkeit der Welt beklagen. Oder sich in der Arbeit vergraben, hoffend, er würde dort die Erfüllung finden.
    Doch was sie nun sagte, setzte dem ganzen noch ein Sahnehäubchen auf. Er musste sich beherrschen, dass er nicht total explodierte. “Was heißt das, nicht zu einem vernünftigen Ende bringen! Ja, das mache ich schon! Aurelier, in Ordnung, aber der da wird dein Leben zum Tartarus auf Erden machen!“, darauf beharrte er ungeachtet ihrer Einwürfe. “Zum Tartarus! Verstehst du nicht, dass du versuchst, sehenden Auges ins Verderben zu rennen? Ja, den Mut, mir die die Suppe zu spucken – das Chuzpe, Nigrina, das ungeheuere CHUZPE! Potential? Ja, das Potential, rumzuhuren und rumzumorden, bis er irgendwann ins Tullianum geworfen wird! Auf jeden Fall, wenn er immer so drauf ist wie heute! Verstehst du das nicht?“, wiederholte er sich, nciht bemerkend, dass seine Argumente langsam begannen, sich im Kreise zu drehen. “Was der alles wagen würde, das hat man doch gesehen! Dieser miese kleine Verbrecher, du hast doch keine Chance gegen ihn, wenn er dich unterdrückt, wie es sogar sein gutes Recht ist, verdammt noch mal!“ Frustriert kickte er noch einmal einen Stein vom Boden auf. Jener traf irgendwo in der Ferne etwas Metalliges und plumpste dumpf zu Boden. “Ich will nicht, dass du den heiratest! Kapiert?“, blaffte er sie an. “Ich... Scheiße.“ Seine Stimme sackte ab, und hohl blickte er sie auf einmal an. “Götter. Ich klinge wie ein kleiner Corvinus.“ Die Dimension seines Zugeständnisses konnte man leicht an dem Ausmaß erkennen, wie er gegenüber Nigrina über den Senator innerhalb der Gensmauern schon geschimpft hatte.

  • „Unter einer Decke, natürlich“, höhnte Nigrina. „Wo ich ihn heut das erste Mal gesehen hab! Aber klar, schon haben wir uns verschworen gegen dich!“ In ihr brodelte es immer mehr, so sehr, dass ihr völlig egal war, wer da auf der Straße an ihnen vorbei rumpelte. „Liebe ist lächerlich!“ schnauzte sie zurück. „Einzig und allein da, um aus halbwegs vernünftigen Menschen Idioten zu machen! Sieht man doch an dir! Einen Dolch in die Brust! Ein Flavier würde sich einen Dolch in die Brust rammen aus Liebe! Da ist es doch besser wenn du mich mit irgendwelchen Sklaven oder Sklavinnen vergnügst!“ Für einen winzigen Moment schoss Nigrina der Gedanke durch den Kopf, Piso könnte wissen, was sie so trieb. Aber das war unmöglich. Er war schon lange nicht mehr in Ravenna gewesen, abgesehen von seinem letzten Besuch, und bei dem war sie nicht dort gewesen, sondern hatte sich auf einem ausgedehnten Besuch befunden bei einer Freundin in Baiae. Und Papá hätte ihm niemals von dem erzählt, was er wusste, das glaubte sie einfach nicht. Nein, Piso konnte davon nichts wissen, und auch wenn sie im Grunde nicht wirklich etwas dagegen hätte, war es vielleicht doch besser, wenn es dabei blieb. Oder hatte etwa eine Sklavin getratscht? Für einen Augenblick verdüsterte sich ihre Miene. Sollte DAS der Fall sein, würde sie es herausfinden. Und diese Sklavin würde ihres Lebens nicht mehr froh werden. Besser gesagt, diese Sklavin würde den Tag bereuen, an dem sie geboren worden war, dafür würde Nigrina höchstpersönlich sorgen. Sie hatte sich bisher noch nicht die Zeit genommen, die flavischen Keller zu besichtigen, aber Gerüchten zufolge sollte es dort einige Räumlichkeiten geben, die für die Behandlung derartiger Sklaven wie gemacht waren.


    Genauso wenig wie sie jedoch wollte Piso aufgeben. Dieser ganze Streit drehte sich nicht mehr um Prisca oder Lupus, jedenfalls nicht für Nigrina. Es ging nicht darum, dass sie unbedingt Lupus heiraten wollte – sie kannte ihn ja überhaupt nicht. Es ging darum, dass sie Piso nun unmöglich nachgeben konnte. Um keinen Preis. Um GAR keinen Preis. Erst recht nicht, weil Piso auch nicht daran dachte aufzuhören. „Mich unterdrücken? MICH unterdrücken?!? Das soll er nur versuchen! Ganz davon abgesehen, dass er einen Dreck hat, aber ganz sicher nicht das Recht dazu! Ich heirate den Kerl doch nicht cum manu, das würde Papá doch niemals zulassen, und deswegen wird er einen Dreck können, solange die Patria Potestats nicht auf ihn übergeht! Aber vielen Dank auch, dass du mir gar nichts zutraust, von wegen ich hätte keine Chance gegen ihn“ schimpfte Nigrina zurück. Als ob sie sich gefallen lassen würde, dass sie irgendwer unterdrückte! Sie schnaubte wütend und wollte erneut zurückfauchen, als Piso plötzlich einknickte. Aber wie. Er klang wie der Wachhund? Das war einiges, gemessen daran, wie sehr er über den geschimpft hatte. Nigrina schwieg einen Moment und runzelte misstrauisch die Stirn. „Da muss ich dir ausnahmsweise mal Recht geben“, ließ sie dann in patzigem Tonfall vernehmen. „Du magst auf den Schwingen wahrer, feuriger Liebe durch die Luft eiern, aber ICH hab andere Ansprüche an meinen Ehepartner. Und Lupus macht den Eindruck, als könnte er das erfüllen. UND ich WERDE Papá schreiben, dass er kommen soll!“

  • Piso machte eine unwirsche Bewegung mit seinen Händen. “Liebe ist nicht lächerlich! Liebe ist... was erkläre ich dir das? Hat eh keinen Sinn!“ Sie veräppelte ihn für seine Ansage, dass sie mit Lupus unter einer Decke steckte und dass er schon von Suizid zu sprechen anfing. Piso entgegnete das nur mit einem mitleidshaschenden: “Ich bin entsetzt, wie wenig Verständnis du mir entgegenbringst!“ Er schüttelte den Kopf. Und er stellte sich vor, wie es gewesen wäre, wäre Vera hier gewesen. Hätte sie ihm auch so dermaßen Zores gegeben? Vielleicht. Aber nicht so böse wie Nigrina, von deren sexuellen Vorlieben er freilich nichts wusste – sonst hätte er ihr das schon längst um die Ohren gehaut.
    Nigrina zeterte etwas von wegen Unterdrückung, was Piso absolut nicht einsah. Zwar unterstand eine Frau, die sine manu heiratete – und was anderes kam ja gar nicht einmal in die Tüte – nicht der Patria Potestas ihres Mannes, aber Eigenständigkeit sah anders aus. Nigrina rannte da sehenden Auges ins Unglück! Piso hatte keine Ahnung, wieso, bis ihm plötzlich etwas aufging.
    “Jetzt weiß ich, warum du so zickig rumtust. Du hast dich in ihn verknallt! Von wegen, du hast da andere Ansprüche! Kann ja nicht anders sein! Oh Mann! In diesen Scheißer! Ich glaube es ja nicht! Warum gerade in ihn!“, krakeelte Piso, der glaubte, des Rätsels Lösung gefunden zu haben. “Und dann schmähst du noch das Konzept der Liebe, nur um zu verheimlichen, dass du dich total verschossen hast, bis über beide Ohren! Wieso gerade der, was hat der bloß? Was hat der bloß außer Gewalttätigkeiten auf Lager?“
    Wäre es Liebe, wäre Piso in einer verzwickten Situation. Zwar hatte der Flavier mit Hypokrisie kein Problem, aber Liebe auf der einen Hand zu verherrlichen und auf der anderen herunterzuziehen wäre sogar für ihn eine Stufe zu groß. Elende Kacke. Es musste so sein, dass Nigrina sich verliebt hatte oder so, egal, was sie über Liebe sagte, um ihre Gefühle zu kaschieren! So und nicht anders!
    Er winkte mit einer übertriebenen Geste ab. Vater und Brief schreiben. Ach, Götter. Frustriert bis zum Geht-nicht-mehr blickte er sie an. Piso war durch den ganzen Zoff ziemlich durchgeknetet. Er als leicht zimperlicher, ästhetischer und im Grunde harmoniebedürftiger Mensch hielt sowas nicht lange durch. Er selber war schon stur wie ein Ochse, aber gegen Nigrina hatte er selten je einen Blumentopf gewonnen. So auch nicht diese Nacht. Immerhin würde er nicht von seiner Meinung ablassen. “Weißt du was, Nigrina? Tu doch, was du nicht lassen kannst. Rutsch mir den Buckel runter. Leck mich am Arsch. Schreib doch deinen Scheißbrief, wenn es dich glücklich macht. Ich bin doch nicht dein Kindermädchen, verflucht noch mal. Du wirst schon sehen, was du davon hast, dass du mich so ignorierst. Ich für meinen Teil wünsche dir eine schlechte Nacht und grauenhafte Albträume, und deinem geliebten Scheißlupus gleich noch dazu!“, giftete er zornig, bevor er sich umdrehte und so schnell wie er konnte von dannen marschierte. Wenn Nigrina ihm noch was nachrief, würde er es ignorieren. Zuhause würde er fluggs ins Bett fallen und sich die Decke über den Kopf ziehen, bevor er genau die Nacht verbringen würde, von der er an diesem Abend gewollt hätte, dass Nigrina sie hatte.

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