Alle Straßen führen zum Rhein

  • Luft. Sie brauchte Luft und Sonne und den Duft nach frischem Gras, das mit seinem unerhört saftigen Grün eine reine Wohltat für das Auge war. Und nicht nur für Caras Augen. Auch für Pax Gaumen.


    Schon kurz nachdem Cara im Dämmerlicht ihres Zimmers erwacht war, war sie in einem sommerlich gelben Gewand im Stall des Lagers erschienen und hatte sich dort ihren Hengst von einem der Burschen satteln lassen. Schon am Blick des jungen Mannes war zu erkennen gewesen, dass er ihre Tunika ganz und gar nichts für reittauglich hielt. Aber was wussten schon die Männer.
    Gefolgt von einem Sklaven des Decimers, der sich anders als der gute Phocylides auf das Reiten verstand, hatte sie das Tier schließlich am Zügel durch das Castell geführt und sich hinter dem Stadttor in den Sattel geschwungen. Es gab nur wenige, die ihr auf dem Pferderücken etwas vormachen konnten. Pax unter ihr war unruhig. Sie spürte die Kraft seiner Muskeln, die viel zu lange eingeengt gewesen war.
    „Du darfst gleich..warte noch einen Augenblick“, wisperte sie ihm zu, indem sie den Hals des Rappen streichelte.


    Der Rhenus schlängelte sich direkt an der Stadt vorbei. Sie folgten ein Stück weit der Straße und bogen dann nach rechts, um querfeldein über sanft ansteigende Hügel gen Fluss zu reiten. Sie kreuzten gerade die Via Bingia, als ein anderes Paar aus der Stadt geritten kam.

  • Es gab Tage, da hielt sie es zu Hause nicht aus. Sie verspürte eine Unrast und auch eine gewisse Ungeduld. Warum konnte sie nicht genau bestimmen. Also entschloss sie sich kurzerhand einfach mal wieder auszureiten. Wäre Valerian zu Hause gewesen, hätte er ihr sicherlich abgeraten, aber es gab eigentlich keinen Grund es nicht zu tun. Sicherlich sie war schwanger, aber das hieß nicht zwangsläufig, dass sie nun den ganzen Tag im Bett bleiben musste. Ihr ging es gut, einmal von der morgendlichen Übelkeit abgesehen. Und so lange sie es nicht übertrieb, würde es auch nicht schaden, wenn sie einen kleinen Ausritt unternahm. Elissa hatte sie in ihre Pläne eingeweiht und dann auch kurzerhand mitgenommen. Ausnahmsweise saß sie einmal nicht auf dem Rücken des Rappen, sondern auf der wesentlich ruhigeren Stute. Einfach um sicher zu gehen, dass sie am Ende nicht doch ein dummes Risiko eingegangen war, nur weil sie einmal etwas Abwechslung brauchte.
    Eher gemütlich, als eilig hatten sie einen Weg entlang des Rheines gewählt, dort wo der Boden weich, das Gras besonders grün und das Wasser leise plätscherte. Der Wind zerzauste ihr leicht das Haar und brachte sie auf andere Gedanken. Hier draußen brütete sie einmal nicht darüber nach, wie es wohl Serrana im Augenblick ging und was gerade in Rom los war. Calvena spürte förmlich, wie sie ein wenig aufblühte.
    Am liebsten hätte sie sich ja jetzt ein Wettrennen mit dem Wind geliefert, aber das hielt sie dann doch für viel zu riskant und unüberlegt. Eine Schwangerschaft war ohnehin schon nicht gänzlich ungefährlich und da musste sie nicht noch ihr Glück heraus fordern.
    Lange war sie noch nicht unterwegs, sie hatte nicht mal die Straßen Mogontiacums hinter sich gelassen, als sie zu ihrer Überraschung auf ein vertrautes Gesicht traf. Ebenfalls hoch zu Rosse. Zwar hatte sie Iulia Cara nur kurz flüchtig kennen gelernt, doch diese roten Haare hatte sie nicht vergessen. Verblüfft brachte sie ihr Pferd zum stehen. Corona hatte ihr zwar erzählt, dass auch ihre Verwandte in Mogontiacum war, hatte aber nicht damit gerechnet ihr hier zu begegnen.


    „Bona dea! Das nenne ich eine Überraschung!“ rief sie freudig aus und winkte der Iulia zu. Zufälle gab es, die gab es gar nicht.

  • Die beiden Reiter kamen näher und bald wurde klar, dass es sich nicht um zwei Männer und Frauen handelte, deren Gewänder sich im hellen Licht eindeutig von der zumeist eher zweckmäßigen Kleidung der Männer unterschied. Irgendetwas an ihnen fesselte Caras Aufmerksamkeit. Eine Art Vertrautheit, deren Ursprung sie nicht richtig erfassen konnte. Noch ein Stückchen, dann eine der beiden auf einmal etwas aus. Diese Stimme kannte sie doch! Und nicht nur die Stimme, sondern auch das zart geschnittene Gesicht. In ihrer Erinnerung ratterte es, bis das Rad urplötzlich einrastete und ihr einen Namen ausspuckte:
    „Germanica Calvena!“, rief sie erfreut. Natürlich! Sie hatte die Germanica schon einmal bei den Megalesia – Wagenrennen. Damals, als Lucius Calliphana und sie in exakt dasselbe Keid gesteckt hatte. „Schön dich zu sehen! Was machst du denn hier?“, sagte sie und legte die letzten Meter in einem leichten Trab zurück. Corona hatte ihr von ihrer Begegnung freilich nichts erzählt und so hatte die Iulia tatsächlich keine Ahnung von Calvenas Anwesenheit in der Stadt.

  • Cara beeilte sich zu ihnen zu stoßen. Das Gesicht der Iulia zierte ebenso ein überraschtes Lächeln, wie Calvenas. „Hat dir Corona das nicht erzählt?“ fragte sie verwundert nach. Noch wusste sie nicht, dass die Verwandte Caras bereits abgereist war. „Mein Mann wurde hier her versetzt“, kurz schwand ihr Lächeln und sie wurde ernst. „Und ich hab ihn begleitet. Solange sind wir noch nicht in Mogontiacum. Aber ich bin schon Corona über den weg gelaufen!“ erzählte sie der Iulia. So hoch zu Ross sich zu unterhalten, war schon echt ungewöhnlich. Aber es war auch einmal etwas anderes. „Wohin bist du unterwegs?“ fragte sie dann direkt einmal nach.
    Das Elissa in ihrem Rücken eine missmutige Miene zog, bekam sie gar nicht mit. Eigentlich war die Sklavin gar nicht so begeistert von diesem Ausflug. Das lag nicht daran, dass sie nicht auch aus dem Haus wollte, sondern eher, dass sie ihre Herrin für Leichtsinnig hielt in ihrem Zustand auszureiten. Calvena hatte alle Proteste einfach stoisch ignoriert. Sie wollte raus und etwas reiten. Sie würde schon vorsichtig sein.

  • „Corona?“, Die Stirn der Iulia kräuselte sich. „Nein, sie hat mir nichts erzählt!“ Leise Empörung schwang in ihrer Stimme mit. „Aber sie hatte es gegen Ende auch recht eilig zurück nach Roma zu kommen. Mein Verwandter hat ihr einen Brief geschrieben und sie davon unterrichtet, dass ihre Mutter einen Unfall hatte...“
    Die Germanica schien nicht sehr begeistert davon zu sein, hier in Mogontiacum gelandet zu sein. Nur die rothaarige Frau, die sie begleitete schien noch missmutiger zu sein.
    „Was hat dein Ehemann denn angestellt, dass man ihn strafversetzt hat?“, fragte sie verschmitzt lächelnd und es keineswegs ernst meinend. Oft geschah es aber auch, dass unliebsame, allzu strebsame Politiker und Militärs nach Germanien geschickt wurden, um sie aus der heißen Zone des Geschehens zu verbannen und mundtot zu machen. Zumindest Calvenas Ernsthaftigkeit ließ darauf schließen, dass zumindest sie ganz und gar nicht von Germanien angetan war.
    „Runter an den Rhenus. Ich wollte zu einer schönen Stelle, an der ich als kleines Kind oft war“, antwortet Cara. „Magst du mich vielleicht begleiten?“

  • Corona hatte ihrer Verwandten also nicht erzählt, das es Calvena ebenfalls nach Mogontiacum verschlagen hatte. An sich fand sie das Land schön und genoss es auch, fern der römischen Hektik zu sein, doch die Umstände, wie es dazu gekommen war, hinterließen einen bitteren Geschmack. Das mit dem Unfall waren natürlich keine guten Nachrichten. „Das tut mir furchtbar Leid, ich hoffe Coronas Mutter geht es bald besser!“ Unfälle passierten, immer wieder, doch manchmal überstand man so einen Unfall nicht unbeschadet. Sie wünschte Corona und ihrer Mutter nur das Beste, und dass sich ihre Mutter recht bald erholen möge.
    Mit ihrer scherzhaften Frage, traf Cara einen etwas Wunden Punkt, doch sie erwiderte das Grinsen kurz. Schließlich konnte die Iulia nichts dafür, dass sie es sich mit dem PU verscherzt haben. „Angestellt eigentlich gar nichts, nur Vescularius Salinator Grenzen aufgewiesen, die dieser überschritten hat. Das hat ihm natürlich nicht gefallen und Valerian anschließend direkt hier her versetzt." Bei der Hochzeit war Cara nicht dabei gewesen, oder jedenfalls hatte sie diese nicht unter den Gästen entdeckt. Es waren so viele Leute da gewesen, dass sie keinen Überblick an diesem Tag gehabt hatte. Außerdem waren ihre Gedanken ganz woanders gewesen.
    An den Fluss runter zu reiten, war auch ihre Intention gewesen und so nahm sie die Einladung Caras mit einem freudigen Lächeln an. „Nur zu gern!“

  • „Das hoffe ich auch...“, entgegnete die Iulia. Nach allem, was sie durch Phocylides erfahren hatte, musste es sich um einen gravierenden Unfall gehandelt haben. Nachdem ihre Verwandte erst vor kurzem den Vater verloren hatte, wäre es wahrlich ein furchtbarer Schlag, nähmen die Götter nun auch die Pompeia. Das behielt Cara aber lieber für sich, schließlich wusste sie nicht in wie weit Corona Calvena in ihre familiäre Historie eingeweiht hatte.


    Noch bevor Calvena zu einer Antwort übergingen, erkannte Caram dass sie unabsichtlich genau ins Schwarze getroffen hatte.
    „Vescularius....Vescularius...“ Der Gensname sagte ihr etwas. Der Vescularius Salinator? Der Praefectus Urbi?“ hakte sie nach, um dann sofort eine zweite Frage hinten anzuhängen. „Mit welchen Zurechtweisungen hat dein Ehemann seinen Zorn auf sich gezogen?“
    Zusammen mit Lucius und dessen Frau Calliphana war sie damals auf der großen Doppelhochzeit zwischen Iunier, Germanicer und Quintilier gewesen, nachdem sie ihn einen ganzen Tag lang angebettelt hatte. Schließlich hatte der Iulier resigniert und sie mitgenommen. Die Auseinandersetzung zwischen der Germanica und dem Praefectus urbi war ihr aber gänzlich entgangen, hatte sie sich doch auf einer anderen Seite des Raumes mit einer hoch gewachsenen Vestalin unterhalten, die selbst einige der Männer um einen Kopf überragt hatte.


    Über Calvenas Zustimmung freute sich die Iulia. Seitdem Corona die Stadt verlassen hatte gab es neben ihr nur noch wenige Frauen im Haushalt des Legaten und die waren zumeist mit allerhand Sklavenarbeit beschäftigt, die auf einem so großen Anwesen wie dem Praetorium eben anfiel. Da sie die Gesellschaft ihrer Mutter nicht unbedingt suchte – die beiden schienen Jahrtausende zu trennen – und sich viele ihrer Freundinnen im Imperium zerstreut hatten, fehlte es ihr doch erheblich ein anderes weibliches Wesen, mit dem sie sich austauschen konnte. So nahm Cara Pax Zügel wieder auf und versetzte ihm einen sanften Schenkeldruck, auf welchen das feinfühlige Tier auch sofort reagierte und sich in Bewegung setzte. Zum Rhenus waren es nicht mehr allzu weit.

  • Kurz schwiegen sie und machten sich Beide ihre Gedanken zu Unfällen, die sich jederzeit ereignen konnte. Calvena bekam glatt das Gefühl, dass ihr Ausritt vielleicht doch keine so kluge Idee gewesen war. Selbst wenn sie nur im gemächlichem Tempo unterwegs war, ging sie ein gewisses Risiko ein. Sei nicht albern. Die Bauersfrauen ändern ihren Alltag auch nicht, nur weil sie Schwanger sind , vertrieb sie dann schließlich die düsteren Gedanken. Man konnte sich auch Dinge einreden.


    Cara sah sie völlig ungläubig an, als sie den PU erwähnte. „Also ich kenne nur einen Vescularius Salinator“, meinte sie amüsiert. Wurde dann aber wieder ernst. „Er hat sich auf der Hochzeit unmöglich benommen“, meinte sie und könnte selbst im Nachhinein diesem vulgären Mistkerl den Hals dafür umdrehen. Einen Vorteil hatte es, in Mogontiacum zu sein: Sie würde Salinator sicherlich nicht über den weg laufen. Nur konnte er ihnen selbst über diese Entfernung das Leben schwer machen. Valerian hatte ihr erzählt, dass jede Beförderung über Rom laufen musste und das Einverständnis Salinators benötigte. Das war besonders für einen Mann wie Decimus Livianus ärgerlich, der sich in seinen Befugnissen beschränkt fühlte. Nur würde Valerian wohl auch nicht befördert werden, solange Salinator darüber zu entscheiden hatte. Es war kompliziert und die Politik voller Intrigen. Niemand blieb davon unberührt. „Man muss sich vor dem Vescularier in Acht nehmen... ein kleiner Fehltritt und man bekommt seine Macht zu spüren!“ meinte sie etwas düster. Ihre Miene wurde dann aber wieder etwas freundlicher. „An sich finde ich Germanien schön, es ist schön dem Trubel von Rom zu entkommen, nur wäre ich gern unter anderen Umständen hier her gekommen!“


    Gemeinsam lenkten sie ihre Pferde Richtung Rhenus. Trotz der leisen Zweifel, welche sich bei ihr kurz gemeldet hatten, genoss sie diesen Ausflug hoch zu Ross. Der Tag war schön und es würde ihr schon nichts geschehen. Nur weil sie schwanger war, konnte man sie doch nicht den lieben langen Tag im Haus einsperren.

  • Cara, die nicht ahnte in welchem Zustand die Germanica war und welchem Risiko sie sich damit aussetzte, ritt lauschend neben Calvena einher. Das war ein weiterer Vorteil Mogontiacums. Fernab von Roma gab es niemanden, der ihr das Reiten verbieten konnte. Überhaupt schien es hier viel weniger Regeln zu geben. Natürlich stand man auch hier in der Öffentlichkeit. Aber „unangemessenes“ Betragen verbreitete sich nicht unbedingt wie ein Flächenbrand. So weit von der Ewigen Stadt entfernt mahlten die Mühlen gemächlich und langsam vor sich hin.
    Calvena schien amüsiert über ihren Unglauben zu sein. Es blieb aber bei einem kurzem Aufblitzen, ehe der Ernst in ihre Züge zurückfand. Ihre Antwort fiel jedoch ziemlich vage aus. Da war es wieder, das „unmögliche Verhalten“, das in Roma so rasch in aller Munde war. „Ich habe da scheinbar wirklich etwas nicht mitbekommen...aber ich war auch in ein Gespräch mit einer Vestalin vertieft.“ Das war schon ein Highlight, das man sich nicht so einfach entgehen lassen konnte. Immerhin bekam man die heiligen Priesterinnen so selten zu Gesicht, dass man meinen konnte, es gäbe nur eine in der ganzen Stadt. Dass die Iulia nach wie vor interessiert daran war, was denn so ungeheuerliches vorgefallen war, das war ihr deutlich anzusehen. Allerdings sah sich Cara nicht in der Lage die ältere nun mit Fragen zu löchern. Bisher waren sie sich nur zwei Mal begegnet und waren sich somit eigentlich noch fremd. Daher versuchte sie es mit einem diplomatischen: „Er muss sich wirklich unerhört verhalten haben. Ich schätze dich eigentlich als einen geduldigen und belastbaren Menschen ein.“ Das musste sie sein. Immerhin wirkte sie trotz der Unbilden, die ihr das Leben gespielt hatte fidel. Die Germanica schien regelrecht zu aus dem Inneren heraus zu blühen.
    Mit einem Nicken nahm Cara ihre nächste Äußerung entgegen. „Das kann ich gut verstehen...“, erwiderte sie mit einem leisen Lächeln. „Unfreiwillige Reisen sind immer die unerträglichsten – und dazu ist es eine lange gewesen. Ich habe die Strecke in den letzten Monaten gleich zweimal machen dürfen. Erst über den Winter, was ich niemandem empfehlen kann, und dann zu Beginn des Sommers. Meine Mutter schrieb einen Brief an Lucius, dass sie krank sei und ich kommen solle...“ Ihr Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel darüber, wie sehr sie davon angetan gewesen war. Nämlich gar nicht. Vermutlich hatte ihr Corona davon schon berichtet.


    Die Gruppe näherte sich einem kleinen Wäldchen, das vorwiegend von Laubbäumen bestanden war. Es war nur ein schmaler Streifen von wenigen Reihen, hinter denen der breite Fluss zügig dahin floss. Als sie zwischen den Bäumen einritten, wurde es schlagartig kühler und auch dunkler. Eine zarte Brise fuhr durch die Baumwipfel und brachte die Blätter zum Rascheln. Nur noch wenige Wochen und das Grün würde anfangen zu welken.

  • „Du hast Romana kennen gelernt?“ wechselte sie dankbar das Thema. Salinator verursachte bei ihr nur ein schlechtes Gefühl. Der Tag war zu schön, als das sie sich die Laune mit dem Gerede über den PU verderben wollte. „Sie gehört zu meinen engsten Freundinnen, ich hab sie kennen gelernt noch bevor sie Vestalin geworden ist“, erzählte sie Cara. Es war deutlich zu hören, dass sie die große Claudia mochte und auch respektierte. Romana hatte ihr Glück im Dienste Vestas gefunden, auch wenn es natürlich auch den einen oder anderen Schatten gab. Calvena unterdrückte ein Seufzen, als ihre Gedanken schon wieder um die Briefe kreiste, welche sie von Romana und auch Serrana erhalten hatte. Irgendwie schien sie nicht umhin zu kommen sich zu Sorgen und mit dem Gedanken zu spielen, nach Roma zu reisen und ihren Freundinnen bei zu stehen. Doch angesichts ihrer Umstände würde Valerian wohl nicht zulassen, dass sie diese lange Reise antrat. Außerdem wollte sie ihn ja auch nicht hier allein zurück lassen. „Sagen wir es einmal so: Salinator vulgär und im Grunde sind alle Frauen ob verheiratet oder nicht, ein Objekt der Begierde für ihn. Ich bin froh, wenn ich ihm nicht über wen Weg laufe!“ gab sie offen zu. Da war es wieder, das leidige Thema Salinator Vescularius. Irgendwie kamen sie nicht umhin. Aber sie war Cara deshalb nicht Böse. Über das Kompliment freute sie sich und sie schenkte Cara ein Lächeln. „Geduldig vielleicht, belastbar gut möglich, aber oft genug gehen die Pferde auch mit mir durch“, räumte sie ihre kleinen Schwächen ein.
    Ihr Gespräch wendete sich schließlich angenehmeren Dingen zu. „Im Winter würde ich nicht die Reise auf mich nehmen wollen. Bei Schnee und Eis dürfte es wirklich unangenehm sein, egal ob zu Pferde oder mit einem Wagen.“ Sie lenkten ihre Pferde gemütlich am Rhenus entlang und fanden sich wenig später in einem kleinen Wäldchen wieder. Es war angenehm Still an diesem Ort und hatte etwas Verwunschenes an sich. „Corona hat mir erzählt, dass deine Mutter erkrankt ist, ich hoffe es geht ihr jetzt besser?“

  • Die beiden mussten sich sehr nahe stehen. Vertrauen und Zuneigung waren es, was Cara aus dem Timbre ihrer Stimme herauslas. „Nicht wirklich kennen gelernt. Eher flüchtig miteinander gesprochen“, erwiderte Cara lächelnd. „Wann ist sie der Priesterschaft beigetreten?“
    Dieses Thema schien sie eindeutig mehr zu mögen, als das Gerede über den PU, auch wenn Cara einen leisen Schatten über ihrem Gesicht wahrnahm. Alles war wohl nicht so in Ordnung zwischen ihr und ihren Freunden. Die junge Iulia beschloss das Thema Salinator vollständig fallen zu lassen. „Vulgär“ und „Begierde“ waren Worte, die keinen Mann zur Ehre gereichten. Nicht so ein Mann wie es der Decimer etwa war. Und sie wollte Calvenas Stimmung nicht durch die Erinnerung an einen solchen Kerl trüben.
    Calvenas Eingeständnis ließ Cara schmunzeln. Dieses Problem kannte sie selbst nur zu gut. „Bis zu einem gewissen Grad kann jeder Unrecht und Dreistigkeit ertragen, aber irgendwann wird eine Grenze erreicht. Dann kann man einfach nicht mehr an sich halten…“


    „Es war auch ziemlich unvernünftig“, gestand sie im Hinblick auf die winterliche Überquerung der Alpen. Eigentlich war es eher Wahnsinn. Zumal sie zuvor noch an einem Fieber gelitten hatte. Aber die Götter waren ihrer Reise wohl gesonnen gewesen und hatten sie beschützt. Die Bäume teilten sich zum Flussufer hin und machten einer kleinen Lichtung Platz. Zu ihrer Linken erhob sich eine Trauerweide, deren lange, fadenartigen Äste fast bis auf den Boden reichten. Hier war sie oft gewesen. Erst als Kind zum Spielen, später als Heranwachsende zum Nachdenken.
    „Es geht ihr besser, ja…“, antwortete Cara. „Sie macht einen äußerst gesunden Eindruck, um ehrlich zu sein. Als wäre sie nie krank gewesen.“ Es war eines jener Begebenheiten in einer ganzen Reihe verschiedener Merkwürdigkeiten, die sie nach wie vor stutzig machten.

  • Mit der großen Claudia hatte sie sich als Erste in Roma angefreundet. Sehr schnell hatte sie sich mit ihr angefreundet und ihr dann auch den eigenen Kummer anvertraut. Sie hatten sich auf etwas ungewöhnliche Weise kennen gelernt, Romana war damals reichlich unsicher gewesen und hatte ebenso wie sie selbst eine Freundin gebraucht. „Letztes Jahr“, beantwortete sie Caras Frage offen. Das war ja schließlich kein Geheimnis. „Für sie ist damit ein Lebenswunsch wahr geworden und ich kenne niemanden, der so viel Leidenschaft Vesta entgegenbringt.“ Manchmal konnte Romana auch ein wenig beängstigend sein, wenn sie sich in ihre Leidenschaft stürzte. Dann klang die Claudia mit unter auch fanatisch. Aber diese kleinen Schwächen gehörten zu Romana, wie ihre Größe und auch Großherzigkeit. Trotz aller Sorgen um Serrana, wusste sie, dass Romana für diese da sein würde und ihr in dieser doch schweren Zeit beistehen würde. Auch wenn die Iunia wohl keine Ahnung hatte, was sie erwartete. Manchmal war die Wahrheit schmerzhaft und sollte dann dich verschwiegen werden.
    Das Thema Politik und Salinator ließen sie nun endgültig fallen. Ein anders Mal würde sie sich mit Cara noch einmal darüber unterhalten. „Ich muss oft genug aufpassen, dass mein Temperament nicht mit mir durchgeht!“ gab sie schmunzelnd zu.


    Zustimmend nickte sie, als die Iulia zugab, dass es etwas unvernünftig war mitten im Winter von Germanien nach Rom zu reisen. „Du hast es aber sehr gut überstanden!“ Calvena konnte ja nicht ahnen, dass Cara danach erst einmal lange krank gewesen war.
    „Mhm... vielleicht war deine Mutter auch einfach nur einsam?“, vermutete sie. „Einsamkeit kann einen auch krank machen, ebenso Sorge und ich bin mir sicher, deine Mutter hat sich ihre Sorgen um dich gemacht. Mütter machen sich immer Sorgen um ihre Kinder“, philosophierte sie. Bald würde sie auch Mutter sein.
    Die Lichtung, durch die sie ritten, wirkt verwunschen, so als sei sie nicht von diesem Ort. Als würden Najaden hier Leben. Wie es schön es hier war und wie friedlich.

  • Anerkennend nickte Cara. Sie selbst war ein gottesfürchtiger Mensch, konnte sich aber nicht vorstellen den Göttern einen so kompromisslosen Dienst zu tun. Einen Haken hatte die Äußerung der Germanica jedoch. „Erst vor einem Jahr? Ich dachte, Vestalinnen werden mit spätestens zehn Wintern berufen?“ Nun, so intensiv hatte sie sich mit der großen Frau damals doch nicht unterhalten.
    Wie wichtig eine gute Freundin war, das hatte die Iulia erst gerade eben wieder erfahren. Nachdem Corona überraschend nach Roma aufgebrochen war hatte sie eher missmutig einem langen, einsamen Sommer entgegen geblickt. Doch dann war unvermittelt Sentia Aemilia, die Freundin aus Kindertagen aufgetaucht und das Blatt hatte sich gewendet. Und jetzt auch noch Calvena! Noch ein paar Frauen mehr und sie konnten einen richtigen, anständigen Frauennachmittag veranstalten. Das brachte Cara auch zu ihrer nächsten Frage: „Ihr beide – dein Ehemann und du – habt ihr hier Familie oder seid ihr hier ganz allein?“


    Das Fieber, von dem sie noch geschwächt gewesen war, als sie Rom betreten hatte, das verschwieg Cara in diesem Zusammenhang lieber. Man hielt sie auch so schon für unvernünftig genug.
    Es klang nicht nach jenen Floskeln, die man angesichts einer sich zu sehr sorgenden Mutter anwandte, um seinen Gegenüber zu beruhigen. Es machte Cara stutzig. „Es klingt fast so, als würdest du...“, begann sie, hielt dann aber inne, schüttelte den Kopf und setzte erneut an: „Es kann gut sein, dass sie sich einsam gefühlt hat. Mein Vater ist vor langer Zeit gestorben und in den germanischen Wintern sterben die Älteren wie Fliegen....“ Aber der Gedanke daran, dass Calvena eventuell selbst bald Mutter werden würde, ließ sie nicht los.

  • „Es werden hin und wieder auch Ausnahmen gemacht, aber die Prüfungen sind dann wesentlich strenger. Welche Prüfungen das im genauen sind, kann ich dir nicht sagen. Das ist eine Frage die mir mein Lehrer damals auch nicht erklären konnte und wenn ich ehrlich bin, hab ich Romana bisher auch noch nicht danach gefragt“, antwortete sie auf die Frage Caras, welche sie schon fast erwartet hatte. Es war wirklich etwas ungewöhnlich, dass eine Vestalin erst so spät berufen wurde, aber bei Romana hatte sie nie den Zweifel gehabt. Schließlich war Vesta ihrer Freundin erschienen und hatte sie im Grunde selbst ausgewählt.
    „Valerians Schwester Valentina und seine Cousine Melina sind ebenfalls mit nach Mogontiacum gekommen. Valentina hat aber schon vorher hier gelebt und ist zu unserer Hochzeit extra nach Roma gekommen“, erzählte sie ihr. Dieses Gespräch war erfrischend und auch wenn sie Cara noch nicht lange kannte, schien dies ein beginn einer wundervollen Freundschaft zu werden. „Eigentlich wollten mein Onkel Sedulus mit Tochter und Frau her kommen, aber Serrana ist schwanger und so eine lange Reise wollte er ihr nicht zu Muten. Ich kann nur hoffen, dass er sein Versprechen gegenüber seiner Tochter einhält und sie ihr Pferd bekommt, sonst hat er wochenlang ein Biest im Haus. In der nähe ist die große Pferdezucht meines Onkels Avarus“, plauderte sie dann weiter.


    Fragend sah Calvena Cara an, als diese eine Frage nicht beendete und dann den Kopf schüttelte. Nun stellte sie sich selbst die Frage, wie sie klang? Schließlich zuckte sie mit den Schultern und ging nicht näher auf diese Aussage ein. „Wie lange ist dein Vater schon Tod?“ fragte sie dann. Ihren eigenen Vater hatte sie ja nicht kennen gelernt.

  • Diese Ausnahmen mussten sehr rar sein, bedeutete es doch, dass sich die Bewerberinnen durch und durch bewusst für diesen Weg entschieden. So zugewandt sie selbst den Göttern war – Vestalin zu werden, konnte sie sich nicht vorstellen. Es war einfach nicht ihr Ding. Dazu war sie viel zu emotional geleitet, zu unvernünftig. „Warum hat sie sich dafür entschieden? Es muss doch eine enorme freiheitliche Einschränkung sein – bei aller Ehre, die dieses Amt bringt.“
    Pax zog es näher an den Fluss heran. Sie ließ ihn gewähren und gab ihm mehr Zügel. Schnaubend streckte das Pferd entspannt den Hals.
    Ihr war nicht bewusst gewesen, dass die Quintilier eine dauerhafte Casa hier in der Stadt hatten. Eine Valentina kannte sie nicht, obschon sie ja selbst hier geboren worden war.
    „Es ist sehr hilfreich, wenn man ein paar Menschen um sich hat“, erwiderte sie. „Um nicht zu sagen Frauen“, Cara lächelte Calvena zu. Ja, es tat ihr gut. „Wie wäre es, wenn wir alle einmal in die Therme gingen. Was hältst du davon?“, fragte sie auf einmal, begeistert von ihrer Eingebung. Das Ufer war an dieser Stelle sehr flach, seicht und weich. Der Schlamm schmatzte auf, als Caras Pferd seine Hufe darauf setzte.
    „Ein sehr eigensinniges Kind, wie?“, Schmunzelnd dachte die junge Iulia an ihre eigene Kindheit zurück. Wie sie ihren Vater und ihren Bruder dazu überredet hatte, ihr Dinge beizubringen, die sich für ein römisches Mädchen eigentlich nicht gehörten. Unvermittelt fühlte sie einen Schwall der Sympathie für das unbekannte Mädchen. „Meinen Glückwunsch zum bevorstehenden Familiennachwuchs...!“ Es war nur vernünftig diese Reise nicht anzutreten, war man in anderen Umständen. Alles andere wäre Wahnsinn gewesen. Von einem Mann, der seiner schwangeren Frau diese Strecke zumutete, war nichts zu halten.
    „Ich glaube, von dieser Pferdezucht habe ich schon gehört...“ Klar, immerhin war Cara selbst Pferdevernarrt. „Nur besucht habe ich sie noch nicht...“
    Unauffällig schielte Cara zu der Germanica hinüber, auf der Suche nach einer verräterischen Wölbung um ihre Mitte. Doch falls eine da war, so war sie unter ihrer Gewandung nicht zu erkennen. Calvenas Frage riss sie aus ihren Gedanken. Ihr Vater...ein Thema, dass die junge Frau nicht so sehr mochte. Sie war ein ausgesprochenes Vaterkind gewesen. Er fehlte ihr schrecklich. „Vor etwa anderthalb Jahren“, antwortete sie fest und hielt den Blick nach vorn gerichtet, um nicht ihr verräterisches Gesicht zu zeigen. „Ich glaube, er fehlt ihr sehr...“

  • Die Frage warum Romana sich für die Lebensweg einer Vestalin entschieden hat, war leicht zu beantworten. Es war Vesta persönlich gewesen, die die Claudia ermutigt hat, diesen Weg einzuschlagen. Aber das war ein Geheimnis, welches Calvena nicht preis geben würde. Romana hatte es ihr anvertraut und sie würde es nicht ausplaudern, dafür war ihr die Freundschaft viel zu wichtig. „Die Frage solltest du ihr einmal selbst stellen, wenn sich die Gelegenheit ergibt“, antwortete sie stattdessen. „Ich kann dir nur sagen, dass sie ihre Entscheidung bisher nicht bereut hat!“ Das musste als Erklärung erst einmal genügen. Wenn Romana gewillt war Cara mehr zu erzählen, dann sollte es so sein, aber sie würde sicherlich nichts ausplaudern.
    Phoebe unter ihr schnaubte und machte dann auch einige Schritte in Richtung Fluss, um an einem Grasbüschel zu knabbern. Kurz tätschelte sie den Hals der Stute.
    Die Sehnsucht nach ein paar Freundinnen war deutlich aus Caras Stimme heraus zu hören. Anscheinend hatte sich die Iulia bisher ein wenig einsam gefühlt und war nun froh ein paar Kontakte knüpfen zu können. „Ein Besuch in den Thermen klingt gut. Ich werde Valentina und Melina fragen, was sie davon halten. Du bist aber auch herzlich eingeladen einmal mich in der Casa Quintilia zu besuchen. Also wenn du dich allein fühlst“, schlug sie ihr dann auch noch direkt vor. In der Regel war immer jemand zu Hause und über Besuch freuten sie sich alle.
    Bei dem Kommentar zu Sabina musste sie breit Grinsen. „Oh ja, das ist sie.“ Wie es wohl Sabina ging und was sie wohl gerade tat? Sicherlich den gesamten haushalt auf Trab halten und Laevina ein paar Streiche spielen. „Ich werde deine Glückwünsche in dem nächsten Brief ausrichten“, lächelte sie. Noch hatte sie nicht erwähnt, dass sie auch Nachwuchs erwartete. Noch war es ein kleines Geheimnis zwischen ihr und Valerian. Nur noch Elissa wusste davon. Demnächst würde sie es wohl allen verkünden müssen.
    „Die Pferdezucht ist recht bekannt“, zumindest wusste fast jeder etwas mit ihrem Familiennamen anzufangen. Das Cara nach einer verräterischen Wölbung schielte, entging ihr völlig, denn Phoebe entschied sich nun an einem anderen Grasbüschel gütlich zu tun und machte deshalb ein paar Schritte vorwärts.
    Die Miene Caras verdüsterte sich ein wenig, als sie dann auf deren Vater zu sprechen kam. „Das tut mir Leid.“

  • Die Vestalin selbst fragen. Das bedeutete, sie musste nach Rom zurück. Wann? Nicht mehr lange und das saftige Grün der Bäume würde sich rings um sie herum in goldenes Licht verwandeln. Dann durfte Cara mit dem Aufbruch nicht mehr allzu lange warten, wollte sie nicht Gefahr laufen, doch noch im tiefsten Winter die Alpen zu überqueren. Sie schauderte jetzt schon bei dem Gedanken. Eigentlich mochte sie es zu reisen...Die junge Iulia nickte und ließ das Thema damit fallen.
    Aus dem Augenwinkel heraus nahm sie wahr, wie es nun auch Calvenas Pferd Richtung Fluss zog. "Dahinten kommt eine sehr flache Stelle mit einer kleinen Wiese...Da könnten wir ein wenig rasten...", schlug sie vor.
    Ihr Gesicht hellte sich noch ein ganzes Stück weit auf, als die Germanica nicht nur anbot, ihren Vorschlag den anderen Mädchen vorzubringen, sondern sie auch noch einlud, sie einmal zu besuchen. "Vielen Dank! Das würde ich sehr gern tun!" In ihren Kindertagen hatte sie ihre Zeit nur sehr selten in der Casa Iulia verbracht, sondern war stetig bei igrendeiner Freundin, wenn sie nicht gerade ihrem älteren Bruder und seiner Bande nachgejagt war. "Mal sehen, vielleicht statte ich deinem Onkel demnächst einen Besuch auf seinem Gut ab. Ich überlege mir schon länger mir vielleicht noch ein zweites Tier zu zulegen...", fuhr Cara dann fort.


    "Hier ist es", Sie hatten eine weitere kleine Wiese erreicht, die im Durchbesser vielleicht drei Meter hatte. Ein verwitteter dicker Baumstamm ragte halb in den Fluss, der an dieser Stelle eine leichte Kurve machte und deshalb nicht sehr schnell floss. Sie ließ sich von Pax Rücken herunter gleiten und landete mit den Füßen dumpf im Gras. Es gab ihr einen Moment Zeit sich zu ordnen, die dunklen Schatten über ihrem Herzen zu vertreiben und zumindest äußerlich ein gefasstes Gesicht zu machen. Sie rückte die Zügel über Pax´ Hals zu recht. Für die 1 1/2 Jahre hatte die Iulia vollkommen das Zeitgefühl verloren. Es war lang und dann wieder so kurz. Sie ließ ihren Hengst laufen und frei darüber entscheiden, ob er lieber saufen oder grasen wollte. Auch die Sklaven waren inzwischen abgesessen und bezogen ihren Wachposten, von welchem aus sie auf die Tiere Acht geben würden. "Es ist schon lange her...", sagte Cara schließlich und hob die Schultern.

  • Eine Rast war eine gute Idee, denn kurz hatte Calvena Elissas Blick aufgefangen, der deutlich ausdrückte, dass sie diesen Ausflug hoch zu Ross für immer noch so keine gute Idee hielt. Vermutlich würde die Keltin ihr reichliche Vorhaltungen machen, wenn sie dann wieder allein und unter sich waren. Doch bis dahin würde sie den Tag genießen. „Gute Idee“, stimmte sie von daher Caras Vorschlag zu und lenkte ihre Stute in die angezeigte Richtung.
    Cara freute sich ehrlich über die ausgesprochene Einladung. Aus Erfahrung wusste sie ja selbst, wie es war, wenn man kaum ein vertrautes Gesicht um sich hatte und Anschluss suchte. Zwar hatte sie sich bereits hier eingelebt, aber ihr fehlten eben die Freundinnen mit denen sie sich über alles unterhalten konnte. Valentina und Melina waren Beide auf ihre Art sehr nett, konnten aber Romana, Septima und Serrana nicht ersetzen. Zumindest schrieben sie regelmäßig. Auf diese Weise hatte sie das Gefühl noch einen gewissen Anteil am Leben ihrer Freundinnen in Rom zu haben. Hier in Mogontiacum erreichten einen die Neuigkeiten erst Monate später und waren dann veraltet. Die Zeit verging einfach anders im entfernten Germanien. Die Intrigen waren nicht ganz so ausgeprägt, dafür gab es oftmals ein paar Reibereien zwischen Germanen und Römern.
    „Mein Onkel freut sich, wenn er ein gutes Geschäft machen kann“, schmunzelte sie Cara entgegen. „Ich begleite dich aber gern“, fügte sie dann noch hinzu. Sie konnte ja recht gut mit Avarus.


    Schließlich hatten sie die kleine Lichtung erreicht. Calvena ließ sich ebenso aus dem Sattel gleiten wie Cara und ließ ihre Stute dann frei herum laufen. Weit würde diese ohnehin nicht gehen. Entweder ans Wasser oder an irgendwelchen Grashalmen zupfen. „Es braucht eben Zeit bis bestimmte Wunden heilen“, sagte sie nachdenklich, als Cara meinte, der Tod ihres Vaters sei lange her. Vor nicht viel längerer Zeit hatte sie ihre gesamte Ziehfamilie verloren und Verlust schmerzte sie manchmal immer noch.

  • Die Zeit in Germanien schien tatsächlich eigenen Regeln zu gehorchen. Jedoch auch nur auf den ersten Blick und nur, wenn man sie in den Vergleich zu Rom setzte. Aber an Rom gemessen war generell immer alles anders. Ob langsamer, ländlicher, ärmlicher. Betrachtete man jedoch die einzelnen Regionen für sich, dann ließ sich feststellen, dass das Leben auch abseits der Hauptstadt des Imperiums pulsierte und lebte. Ein so verschlafenes, uriges Nest, wie sich viele Römer klischeehaft Mogontiacum vorstellten, war das Herz Germania Superiors eigentlich gar nicht. Für ein integriertes Mitglied der Gesellschaft gab es auch hier Freundschaft, Liebe, Intrigen, Abenteuer zu finden und zu bestreiten. Man musste sich nur darauf einlassen und was noch viel wichtiger war, falls man gerade aus Rom kam, die Fähigkeit besitzen, sich auch ein Stück weit von der Ewigen Stadt zu lösen, um seine Zeit nicht damit zu vergeuden, nur in Erinnerung und Selbstmitleid zu versinken und damit den Blick auf die Gegenwart zu verlieren. Cara fiel es im Moment schwer. Gerade weil sie hier schon so lange gelebt hatte, langweilte sie sich. Dadurch noch verstärkt, dass so viele alte liebe Freunde offensichtlich der Stadt den Rücken gekehrt hatten.


    „Ja, warum nicht? Eine zweite Meinung ist immer besser…“, Sie glaubte zwar nicht, dass der Germanicer die Katze im Sack unter die Menschen brachte – immerhin hatte er als Mitglied einer ehrenwerten Familie einen Ruf zu verteidigen – aber Vorsicht war immer besser als blindes Vertrauen. Die Vorsicht kam bei Cara ohnehin viel zu oft zu kurz.


    Auch jetzt.
    Während Pax und Calvenas Stute schon die ersten Grashalme in Angriff nahmen, entledigte sich die Iulia ihrer Sandaletten, hob ihr Kleid etwas an und testete mit ihrem Zeh die Temperatur des Wassers. Es war kalt, aber nicht unangenehm eiskalt. Der Schlamm gab leicht unter ihren Füßen nach. Ihrem Begleiter schien das gar nicht zu gefallen. Aufgeschreckt beobachtete der Sklave jede ihrer Bewegungen. Als der Fluss sie bis zur Hälfte ihrer Waden umfloss, ohne an ihr zu zerren, wandte sich Cara zu Calvena um. Die paar Augenblicke hatten gereicht, um die Schatten weiter zurück zu treiben. Kleine Fischchen schwammen neugierig heran und knabberten an ihrer Haut. Es kitzelte.
    „Das klingt, als hättest du damit schon einige Erfahrung….“, antwortete die junge Iulia.

  • Kurz ließ sie ihren Blick über die idyllische Lichtung gleiten, nichts schien den Frieden dieses Ortes zu stören und als Cara beschloss, einmal das Wasser zu testen, tat sie es ihr gleich. Noch war Sommer, es war herrlich Warm und das Wasser würde sicherlich ein wenig für Abkühlung sorgen.
    Einen Augenblick lang machten die Begleiter der Iulia den Eindruck, als wollten sie diese von dieser Idee abhalten. Aber was war schon dabei, tief war das Flüsschen nicht und es gab auch keine große Strömung. Oder sonst eine Gefahr die davon ausging. Da war reiten wesentlich risikanter…
    Auch sie watete, nachdem sie sich ihrer Sandalen entledigt hatte und den Saum ihres Kleides in ihren Gürtel gesteckt hatte, in das angenehm kühle Nass. Dabei versuchte sie so wenig Wellen wie möglich zu machen.
    „Ich kenne kaum jemanden, der nicht irgendwie einen Verlust erlitten hätte…“, meinte sie auf Caras Kommentar hin. "Der Tod gehört zum Leben dazu... nur ist man oft der Meinung, dass er zu früh gekommen ist. Und das was dann zurück bleibt ist Traurigkeit. Aber so lange wir nicht diejenigen vergessen, die wir geliebt haben, wird wohl immer ein Stück bei uns bleiben!" Diese Sicht der Dinge machte es ihr zumindest leichter, es einfach zu akzeptieren.

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