Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne...

  • Grüne Wälder zogen an ihr vorbei. Ein Grün, das sie schon so lange nicht mehr gesehen hatte, ein Grün, wie es es in Italia nicht gab, dunkel und satt dort, wo die Nadelbäume zuhauf waren, heller, lichter, und koloriert in Gelb und Rot dort, wo der Laub seinen Platz hatte. Ihr Herz zog sich zusammen, als sie es sah, als sich ihr Blick darin verlor. Italia hatte sie hinter sich gelassen. Ohne großen Abschied. Sie war einfach gegangen. Sie war ohnehin schon an diesen Punkt gekommen, lange bevor sie darum gebeten hatte, sich auf das Landgut zurückziehen zu können, und die Zeit, die vergangen war, hatte das nicht geändert. Hätte sie Abschied genommen, es wäre wohl nur darauf hinausgelaufen, dass sie doch nicht gegangen wäre. Also... war sie einfach gegangen. Uland und seine Familie hatten sie besucht, kurz vor ihrer Abreise, und sie hatte die Gelegenheit ergriffen und war mitgekommen, obwohl es ihr schier das Herz zerrissen hatte. Und doch hatte sie gewusst, dass es richtig war. Für sie, für ihren Sohn, und wohl auch für ihn. Sie wusste, dass er es jedem Recht machen wollte, ihr, seiner Frau, seiner Familie... Aber sie wusste auch, dass das nicht ging. Dass er es nicht konnte. Und dass es ihn zerreißen würde auf Dauer. Es war eine Entscheidung, die er nicht treffen konnte – die aber, hätte er sie treffen können, nur in eine Richtung hätte gehen können. Er hätte sich nicht für sie entschieden. Er hätte es gar nicht gekonnt, darüber war sie sich sicher. Er war viel zu sehr Römer, viel zu sehr verhaftet in dem, was seine Gesellschaft von ihm forderte. Dass er diese Entscheidung dennoch nicht hatte treffen können, war etwas, was sie ebenso sehr mit Trauer wie mit einer merkwürdigen Art von Glück erfüllte. Es zeigte schlicht, was sie ihm bedeutete. Dennoch allerdings war klar, ihr zuwenigst, dass es so nicht weiter gehen konnte. Und so hatte sie ihm die Entscheidung, die zu treffen er nicht in der Lage war, abgenommen – und war verschwunden. Mit einem blutenden, zerrissenen Herzen.


    Verschwunden war sie, zu den grünen Wäldern, die sich nun vor ihr auftaten. Schritt um Schritt hatte ihre Reise sie ihnen näher gebracht. Schritt um Schritt brachte sie sie ihnen nun näher. Die Stadt lag hinter ihr. Sie meinte noch Uland zu hören, der sie überreden wollte zu bleiben. Meinte noch Feruns Blick zu sehen, in dem sie Bedauern, aber vor allem Verstehen lesen konnte. Es gab keinen Grund für sie, in dieser Stadt zu bleiben. Es gab keinen Grund für sie, im römischen Reich zu bleiben. So sehr ihr Sohn dort ebenso seine Wurzeln haben mochte wie dort, wo sie hinging... dies war nicht die Zeit für ihn, sie zu entdecken. Eines Tages würde es sie vielleicht geben, für ihn, aber nicht jetzt. Abgeschnitten von dem, was sie in den letzten Jahren gehalten hatte, was ihr Sicherheitsnetz gewesen war, sich fühlend wie im freien Fall, trieb es sie zurück zu ihren Ursprüngen, zu ihrer Familie, jenen die noch lebten. Was Rom und sein Reich an Möglichkeiten bot, hatte sie nie wirklich interessiert, sah man von der Faszination der Geschichten ab, die man entdecken konnte. Das würde sie vermissen... aber Geschichten würde es auch in ihrer Heimat genug geben. Geschichten entstanden durch Leben.


    Und sie lebte. Jahre zogen ins Land... und sie lebte. Lebte ihr Leben mit der Leidenschaft, die ihr seit Geburt gegeben war, die sie in ihrem Innersten ausmachte. Erlebte, wie ihr Erstgeborener wuchs. Erlebte alte Beziehungen, die, verdorrt, vertrocknet, verkümmert, wieder erwachten, und neue, die, frisch gesät, gediehen. Erlebte Liebe, in all ihren unterschiedlichen Facetten. Erlebte, erneut, wie neues Leben in ihr wuchs. Erlebte, wie ihre Kinder lebten. Erlebte Glück und Leid, die so manches Mal unendlich dicht beieinander lagen.


    Und als Hel sie eines Tages, schließlich, endlich, holte, kam sie auf leisen Sohlen. Nicht wie in der Nacht ihrer Geburt – fordernd, tobend und tosend, und zugleich so unwiderstehlich und sirenengleich, dass es kein Entrinnen gab und keine Gegenwehr... und keine Möglichkeit, außer der Gnade der Dunklen Göttin, die sie wieder hatte gehen lassen... Als Hel sie dieses Mal besuchte, da war ihre Gegenwart so sacht und zart, als wäre sie eine Mutter, die ihr Kind in den Arm nahm, um es in den Schlaf zu wiegen.



    And if the night runs over
    And if the day won't last
    And if your way should falter
    Along this stony pass


    It's just a moment
    This time will pass


    [size=6]U2 - Stuck in a moment[/size]

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!