Auch in Italien machte sich allmählich der kalte Herbst bemerkbar. Die Bäume verloren ihr kräftiges grün, ließen ihre Kleider aus Blättern fallen, die sich wild verteilt bunt, orange, gelb und braun quer durch die Via Praetoria zogen. Es war kalt, der durchdringend starke Wind brauste einem mit Pfeifen durch Mark und Bein. Reatinus hatte heute nur einen dünnen Mantel an, als er ziellos durch das Lager streifte, fest in der Hand einen Brief, den er kürzlich zugestellt bekam. Er spürte die Kälte nicht, denn er war selbst kalt geworden. Schlecht hätte er sagen können, er war die germanische Kälte gewohnt. Nein, mittlerweile war auch sein Geist karg, starr. Denn er war allein, hatte niemanden. Keine echte Familie um sich, nur wenige Freunde und Diener. Familienmitglieder, ja, es waren noch ein paar übrig. Doch sie waren am anderen Ende der bekannten Welt. Und Crispina? Ja, er liebte sie. Und noch mehr als das fürchtete er, sie zu verlieren. Sie hat die Reise über die Alpen vielleicht doch nicht sehr gut überstanden.
Während er durch das Castellum streifte, die Via Praetoria entlang, öffnete er mit zittrigen Händen den Brief, den er bekommen hatte, las ihn erneut und hoffte, aus einem Alptraum zu erwachen. Er schloss die Augen und öffnete sie erneut. Der Brief war immer noch da. Alles war noch da. Kein Traum, leider. Er bog mit gedankenversunkenem Gesichtsausdruck in die Via Principalis, ging auf den Exerzierplatz zu. Ziele hatte er keine. Er würde im Leben vielleicht nicht mehr viel erreichen - warum brauchte er da noch Ziele? Um sich die Illusion zu machen, noch zu etwas gut zu sein? Dieser abwegige, verrückte Gedanke, dass für ihn noch nicht alles vorbei sei?! Sich falsche Hoffnungen zu machen, sich selbst Dinge einzureden und später schmerzhaft aus der eigenen Illusion entrissen werden? Nein. Das wollte er nicht.
Er blieb kurz stehen, an einer der Barrackenwände und schlug mit der blanken Faust ein Mal frustriert gegen die Wand. Seufzend schlenderte er weiter Richtung Exerzierplatz. Was für ein Leben...
Nicht reserviert! Wer mag, der soll!