Tablinium | MTD et Aurelia Narcissa

  • Der alte Tiberier saß auf seinem Stuhl, flankiert von seinen Sekretären. Die meisten von ihnen hatten Tabulae in ihren Händen, einer jedoch balancierte ein Tablett mit Weinbechern.


    "Salve, Aurelia!


    Entschuldige, dass wir keinen früheren Termin finden konnten. Irgendwie kam ständig etwas dazwischen."


    begrüßte er das Mädchen freundlich.

  • Der Ianitor führte die beiden Frauen durch die Villa geradewegs in das große tablinum, in welchem der Hausherr, umringt von seinen Angestellten bereits auf sie wartete. Narcissa, neugierig wie sie war, hatte sich taktvoll in der fremden Umgebung umgesehen und wandte den Blick nun, ein Lächeln auf den Lippen, dem Tiberier zu. Einen Moment war sie sichtlich irritiert angesichts der Gefolgschaft, die er um sich geschart hatte, ehe sich Narcissa wieder fing. Er hatte sie ja nach der salutatio zu sich bestellt und die fiel bei einem wichtigen Mann wie dem ehemaligen consul gewiss entsprechend groß aus. Deshalb wohl auch die vielen Schreiber.
    "Salve Tiberius", erwiderte sie seine Begrüßung und trat näher, während sich Lysandra in den Hintergrund zurückzog. Jetzt kam es auf sie an.
    "Der Termin ist für mich vollkommen in Ordnung - ich bin eher froh und sollte dir dafür danken, dass du dir für mich Zeit genommen hast. Du hast gewiss viel zu tun..." Ihre äußere Ruhe trog über ihre innere Aufregung hinweg. Tatsächlich fühlte sich die Aurelia ziemlich unsicher und wusste nicht so recht, wie sie dieses Gespräch führen sollte.

  • Durus überging die Bemerkung über seine große Beschäftigtheit - natürlich war es wahr, aber er legte keinen großen Wert darauf, dies ständig zu betonen. Stattdessen lächelte er nur freundlich und meinte


    "Jetzt nehme ich mir aber für dein Anliegen Zeit. Also, du möchtest Vestalin werden, ja?"


    Die Frage war natürlich rhetorischer Natur, denn das hatte sie ja bereits während der Sponsalia von Lupus offenbahrt. Damals war auch schon ihr Alter zur Sprache gekommen - was natürlich weiterhin ein gewisses Problem darstellte:


    "Du bist allerdings etwas alt um die Ausbildung zu beginnen. Dennoch werden wir sehen, ob der Pontifex Maximus darüber hinwegsehen kann. Aber du wolltest noch von etwas berichten, soweit ich mich erinnere!"


    Er sah sie erwartungsvoll an. Tatsächlich war er etwas gespannt - sie hatte ja bereits ein paar kryptische Andeutungen gemacht!

  • Sein Lächeln und seine indirekte Ermutigung lösten ein wenig Narcissas Anspannung. Schon einmal hatte der Tiberier sie nach ihren Beweggründen gefragt gehabt. Ihre Antwort auf der sponsalia ihres Verwandten war aber eher unkonkret geblieben, nicht zuletzt deshalb, weil sie sich unsicher darüber gewesen war, was sie überhaupt dem Pontifex antragen konnte. Genau genommen war es ursprünglich nur ein Wunsch ihrer Familie gewesen; Ein Wunsch, den sie lange verweigert hatte. Bis sie der Claudia begegnet war, die ein überaus gewachsenes Überzeugungspotential besaß.
    „Ich muss zugeben, dass es ursprünglich nicht meine eigene Eingebung war“, setzte Narcissa vorsichtig an, „und ich war auch nicht sehr begeistert davon...“, darauf bedacht weiche Worte zu verwenden. Worte wie „Verweigern“, „widerstreben“ hätten ihn wohl schon sofort dazu gebracht, sie der Tür zu weisen. „Zumindest bis mir wie aus dem Nichts heraus bei den Nonae Caprotinae eine Vestalin begegnete. Das hat mich gelinde gesagt ziemlich verstört. Es war so unglaublich: So kurz nachdem man mir den Vorschlag nahe gelegt hat und dann ausgerechnet in dieser Menschenmenge!“ Narcissa spürte wie das alte Bewusstsein, dass es sich um einen kaum zu glaubenden Zufall handelte, den Zweifel daran und die erschrockene Feststellung, dass es womöglich so gewollt gewesen war, sie durchströmte. „Danach habe ich die Nacht mit Nachdenken verbracht, ehe es mich früh morgens zum Hausaltar zog. Kaum stand ich davor, als das erste Licht des Tages auf den Altar fiel – das ließ für mich nur einen Schluss zu. Und der hat mich nun zu dir gebracht“, schloss sie ihre Ausführung.

  • Die Geschichte klang ziemlich seltsam. Eine Begegnung mit einer Vestalin, dazu noch mit Claudia Romana, die nicht gerade als Inbegriff der Ratio bekannt war - böse Zungen diffamierten sie gar als superstitiosa! Aber vielleicht war alles das auch nur ein Vorwand - vielleicht wollte die Familie es tatsächlich nur und sie hatte sich letztendlich gefügt!


    "Und dein Vater befürwortet dein Ansinnen?"


    fragte er aber scheinbar ungerührt weiter. Diese Frage war höchst wichtig, denn sie ersparte dem Pontifex Maximus viel Ärger!

  • „Absolut“, antwortete ihm die junge Aurelia ohne Zögern. Zwar war die Geschichte zunächst über Aurelius Corvinus ins Rollen gebracht worden, doch war es ihr Bruder im Einvernehmen mit der Mutter der Zwillinge gewesen, die sich Narcissa als Vestalin gewünschte hatten. „Oder besser gesagt mein Bru-“, Sie biss sich auf die Lippen, als ihr der halbe Satz schon entfleucht war. Orest war mit einer Tiberia verlobt gewesen. Diese Verlobung war gelöst worden. War es ratsam, eine Verbindung herzustellen? Es war zu spät. „Mein Bruder ist für meine Schwester und mich verantwortlich.“ Wenn sie Glück hatte, dann kam sie doch noch um die Nennung des Namens herum. Zumindest vorerst.

  • Immerhin...oder doch nicht - offensichtlich war Narcissas Vater bereits verstorben. Dies war selbstverständlich nicht gerade die beste Voraussetzung: Eigentlich sollte eine Discipula der Virgines Vestales nämlich etwa sieben Jahre alt sein und lebende, freigeborene Eltern besitzen. Immerhin konnte Durus aber zumindest davon ausgehen, dass Narcissas Eltern einem ehrenvollen Beruf nachgegangen waren.


    "Verstehe."


    antwortete der alte Tiberier daher eher knapp. Dann runzelte er nachdenklich die Stirn - dies konnte er unmöglich alleine entscheiden.


    "Dann empfehle ich Dir, Dich schriftlich an den Pontifex Maximus zu wenden und mir den Brief vorzulegen. Ich werde ihn dann gemeinsam mit einem Gutachten von meiner Seite an den Kaiser schicken."


    Die Vorgehensweise entsprach der von Claudia Romana, weshalb der Pontifex pro Magistro sie für die beste hielt.

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