Als Nigrina langsam durch die geöffnete Tür trat, die in das Cubiculum ihres Mannes führte, bemerkte sie doch fast so etwas wie... Nervosität, auch wenn sie sich das weder anmerken ließ noch zugegeben hätte. Spätestens seit dem gestrigen Abend hatte bereits eine gewisse Unruhe von ihr Besitz ergriffen. Sicher, sie hatte sich auf die Hochzeit gefreut, sowohl auf die Feier wie auch auf die Tatsache, endlich verheiratet zu sein. Aber eben nicht, weil sie sich darauf freute ihr Leben künftig mit einem Mann zu teilen, an den sie sich anpassen musste, auch nicht, weil sie sonderlich erpicht darauf gewesen wäre, die Villa Flavia zu verlassen und in eine ihre fremde Villa zu ziehen, sich an eine ihr fremde Familie gewöhnen zu müssen, und schon gar nicht, weil sie für den Mann, der vom heutigen Tage an der ihre sein würde, in irgendeiner Form mehr empfand. Nein, sie hatte sich darauf gefreut, weil sie wusste, welchen Machtgewinn diese Ehe bedeutete, für ihre Familie und nicht zuletzt auch für sie – eine Matrona war nun mal anders angesehen als ein unverheiratetes Mädchen, gleich aus welcher Familie sie stammte. Und nun, immerhin... ihr Mann war zwar nicht das Familienoberhaupt der in Rom ansässigen Aurelier, aber sie war – derzeit jedenfalls – die einzige Matrona im Haus, was sie nicht nur symbolisch, sondern auch faktisch zur Herrin des gesamten Haushalts machte, solange der jetzige Legat der I. tatsächlich der Villa fernblieb und der andere Senator nicht heiratete.
Wie auch immer: ganz tief in sich konnte Nigrina eine gewisse Nervosität nicht leugnen. Das Eheleben war einfach neu für sie, und auch das, was sie nun in der Nacht erwarten würde, war – auch wenn man sie ganz sicher nicht als so unerfahren bezeichnen konnte, wie es vielleicht eigentlich hätte sein sollen –, wie sie es ihrem Vater versprochen hatte neu für sie. Dennoch wusste sie genug, um sich auch darauf zu freuen, dass sich dies nun ändern würde, was jedoch nichts an dieser Grundnervosität änderte, die sie trotz allem spürte, und die sich bereits am Vorabend angekündigt hatte, als sie den üblichen Traditionen gefolgt war. Ein Spielzeug hatte sie verbrannt, das einzige, das sie noch aufgehoben hatte von früher, speziell für diesen Zweck; die Tunica recta angezogen, die in der Tat hervorragend gelungen war – kein Wunder, hatte Nigrina die daran arbeitende Sklavin doch peinlich genau überwacht; und all das andere, was dazu gehörte, der Wollgürtel, die Frisur, der Brautschleier. Eines musste Nigrina diesen Traditionen lassen: auch wenn sie das Potential hatten zu nerven, sie schafften es irgendwie, eine passende Stimmung zu kreieren. Und sogar die Nacht war halbwegs passabel verlaufen, weil Nigrina sich einen Dreck darum geschert hatte, was beim Schlafen kaputt ging an ihrer Frisur oder ähnliches. Am Morgen hatten sich einfach die Sklaven ihrer noch mal angenommen und alles so hergerichtet, wie es sein sollte. Die Feier indes war tatsächlich traditionell verlaufen, und – wie hätte es anders sein können – rauschend gewesen. Beider Familien absolut würdig. Kein Wunder, denn Nigrina hatte nichts, aber auch gar nichts, dem Zufall überlassen. Hatten die Sklaven bei der Vorbereitung der Verlobungsfeier noch geglaubt, schlimmer könnte es nicht kommen, so hatten sie bei den Hochzeitsvorbereitungen feststellen müssen, dass es sehr wohl noch schlimmer sein konnte. Deutlich schlimmer. Nigrina hatte sie – sowohl flavische wie auch aurelische, diesmal – übler angetrieben als ein Auriga sein Gespann, wenn es um Sieg oder Niederlage ging. Und sie hatte auch nicht lange gefackelt bei jenen, die auch nur den Anschein eines Widerworts gaben, oder eines Zweifels. Oder auch einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Der Aufwand hatte sich allerdings definitiv gelohnt, denn die Feier war im wahrsten Sinne des Wortes eine Traumhochzeit geworden, wie man sie sich vorstellte bei einem patrizischen Paar – gerade dann, wenn die Braut eine Flavia war.
Und nun stand sie also hier, im Gemach ihres Gatten, ging vor ihm hinein, bis sie etwa die Mitte erreicht hatte, und begann dann langsam, mit ruhigen Bewegungen, den Schleier zu lösen, ohne sich zu ihm umzudrehen. Dies war einer der wenigen Momente, in denen sie um Worte verlegen war. Sie hatten bisher noch nie so wirklich Gelegenheit gehabt, miteinander zu sprechen – sicher, ein paar Worte hier und da, bei der Sponsalia, bei dem ein oder anderen Treffen in der Verlobungszeit, bei der Hochzeitsfeier... Aber es waren immer andere dabei gewesen, und gerade bei den Feiern war einfach zu viel los gewesen, als dass der Aurelius und sie sich tatsächlich einmal ausgiebiger miteinander hätten beschäftigen können. Kein Vergleich zu ihrem ersten Treffen im Theater. Nigrina drehte ihren Kopf leicht in seine Richtung, ohne ihren Körper der Bewegung folgen zu lassen, und löste den Schleier endgültig. „Kommt die Jagd also zu einem Ende“, murmelte sie, auf eben dieses erstes Treffen anspielend, das sie mit Abstand am reizvollsten empfunden hatte.