Schwere Entscheidungen oder: Tauscht man Familie gegen Rom?

  • Nach dem Abend im Hause der Tiberier marschierten Avianus und Lupus, natürlich in Begleitung einiger Sklaven zu ihrem Schutze durch die nächtlichen Straßen der Stadt.


    Avianus war versunken in Gedanken. Überrascht über die Worte Durus' in jenem Abend. Es war nicht einfach, die Entscheidung seines Lebens. Die Worte hallten immer wieder als Echos durch Avianus' Gedanken. Sein innerer Konflikt, den er schon seit dem Moment der Verkündung hatte, schien sich auszubreiten auf alle Ebenen seines Geistes. Er stimmte Durus zu. Doch war es das Wert, dieses Risiko, sein eigenes Leben zu opfern? Zum Wohle Roms sich selbst aufs Spiel zu setzen, vielleicht mit dem Preis, das Reich und die Traditionen, wie sie von ihnen gekannt wurden, zu retten? Seit langem war er wieder hilflos in seinen Entscheidungen. Er hatte damit nach dem Tode Vaters kaum zu kämpfen gehabt. Nun war seine Welt innerhalb eines Abends eine Andere... so kannte er Durus nicht. Solch ein Gespräch hatte er nie führen müssen. Und das schlimmste aller Gefühle war es, wenn er es richtig fand, an dieser Verschwörung teilzunehmen, und es dennoch scheute, weil der Preis ihres Versagens zu hoch war. Natürlich, er war Politiker. Er traf immer Entscheidungen. Doch es war diesmal anders und konnte seine ganze Familie betreffen.


    Er ging Szenarien durch, sie schwiegen somit auch zur Verwunderung der wachsamen Sklaven, während sie durch die Gassen gingen. Wie hoch war wohl die Lebenserwartung der Familie, wenn sie scheitern würden? Was gewannen sie, wenn Salinator tot war? Ruhm? Höhere Ämter? Reichtum? Oder einfach nur ein reines Gewissen, Rom gerettet zu haben. Der Dienst an Rom war doch, wofür sich zumindest Avianus verschrieben hatte. Anders vermochte man Salinator nicht zu stoppen, er teilte also den Gedanken des ehemaligen Consuln Durus. Doch war nun wichtiger? Die Familie oder der Dienst an Rom? Konnte er so selbstlos in dieser Sache sein? Der Dienst über alles?


    "Was denkst du zu der Sache vorhin", fragte er Lupus direkt. Sie wurden nicht belauscht, die Gassen schienen leergefegt.

  • Rom hatte geschätzt eine Einwohnerzahl von etwa einer Million. Davon waren ein paar hundert in den nobleren Familien, und davon etwa ein Zehntel durchaus geeignet, einem jungen, aufstrebenden Patrizier auf seinem Weg in die Politik zu helfen auf die ein oder andere weise. Einige waren Senatoren, andere mit solchen Verwandt oder verschwägert oder sonstwie verbunden. Es hatte gute zwei Dutzend Personen gegeben, zu denen Sextus hätte gehen können, um sich als Klient anzubieten. Natürlich war bei seiner Herkunft ein patrizischer Patron vorzuziehen gewesen, aber selbst da hätte es noch bestimmt zehn Personen gegeben, die sich als nützlich erwiesen hätten. Wieso also hatte er mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit gerade den rausgepickt, der wahnsinnig war? Das musste ein verborgenes Talent zu sein, unter allen möglichen Wegen gerade den zu finden, der mit Felsbrocken übersäht und an beiden Seiten von Dornengestrüpp gesäumt war. Vielleicht sollte er sich an der Schola als Magister einschreiben lassen für einen Kurs. 'Anderswo kriegen sie Ponyhof und werden mit frisch geschorener Babylammwolle beworfen. Aber hier, hier lernen sie, wie man so richtig in Scheiße greift und blutet. Willkommen im Leben!'


    Avianus riss ihn aus der fast philosophischen Betrachtungsweise der gegenwärtigen Situation, als er ihn direkt auf offener Straße ansprach. Gut, es war niemand da, den sie sehen konnten, dennoch war Sextus sich nicht sicher, ob es so eine gute Idee war, offen zu sprechen. Aber solange er nicht zu explizit wurde und im gemütlichen Plauderton verblieb, sollte er wohl antworten können. Beschattet wurden sie augenscheinlich nicht.
    “Ich denke, dass es alle Beteiligten Kopf und Kragen kosten wird, wenn es nicht besser durchdacht wird. Eine Sache kann noch so nobel und noch so edel sein, wie sie will, sie wird dennoch scheitern, wenn sie kein solides Fundament vorzuweisen hat. Es zu vollenden ist eine Sache, doch entweder gibt es keinen Plan für das, was geschieht, wenn es getan ist, oder er weiht uns nicht ein.“ Sextus nannte bewusst keine Namen. So leer die Gassen auch sein mochten, er traute dem Schein nicht. Und für Hochverrat gab es nach wie vor eine recht unangenehme Strafe. Er hatte kein Bedürfnis für nähere Bekanntschaft mit dem tarpejischen Felsen. Und Verbannung war auch recht hinderlich für seine politische Karriere.
    “Ich sehe nicht den militärischen Rückhalt gegeben, der dafür nötig wäre. Man darf nicht vergessen, dass beide Betreffende selbst beim Militär gedient haben, und dort nach wie vor viele Freunde haben. Ob ein ausgewachsener Bürgerkrieg das Mittel ist, das eingesetzt werden sollte, ist fraglich. Noch dazu weiß ich die Stimmung des Plebs nicht einzuschätzen in dieser Sachlage. Und wenn wir eines gelernt haben sollten, dann das, dass das niederste Volk jeden noch so feinen Senator mit Freuden zerfleisch und auffrisst, wenn man ihm Anlass dazu gibt.“ Sextus war überheblich und eingebildet, aber nicht so überheblich und eingebildet, als dass er das vergessen würde. Der Pöbel war vielleicht ein notwendiges Übel, aber auch ein verdammt mächtiges Übel, wenn er losgelassen war. Und sollte das Volk mit einem Kaiser Tiberius – denn das vermutete Sextus hinter dem ganzen Plan – nicht einverstanden sein, weil es seinen Kaiser Aelius liebte, dann hatten sie gewaltigere Probleme, wenn sie nicht vorher schon ein wenig Propagandaarbeit getrieben hatten. Das wäre nicht die Erste Verschwörung, die wegen so etwas nach Ausführung des Attentats noch scheiterte.

  • Natürlich war ihm klar, dass sie hier nicht so direkt über den Sachverhalt reden sollten, keine Namen nennen sollten. Obwohl sie nicht beobachtet waren, so waren Risiken immer und überall gegeben. Avianus sah sich in seinem näheren Umfeld um, sie liefen immer noch die gleiche, leblose, nächtliche Straße entlang. Ihre Schritte, hallten an den Gemäuern wieder. Einer nach dem anderen, tok, tok, tok, quer durch die Gasse. Eigentlich, fragte sich Avianus, warum er sich so groß Gedanken darum machte. Wäre er ein wenig jünger, würde ihn der jugendliche Tatendrang und Übereifer schon dazu animieren, an der Verschwörung teilzuhaben. Warum? Einfach, weil es der einzige Weg war! Weil es seiner Ansicht nach richtig war!
    Und das war es auch - doch er war älter geworden. Er hatte gelernt, abzuwägen und keine voreiligen Entscheidungen zu treffen. Alles, was er tat, musste gut durchdacht sein. Und in Hinsicht dessen, ob es durchdacht war, hatte Lupus recht. Selbst wenn sie erfolgreich waren, mussten sie am Ende noch am Leben bleiben. Bedächtig nickte Avianus. "Ich habe diesem Mann gedient", sagte er vorsichtig, ohne Namen zu nennen, "Er ist nicht dumm. Er hat etwas in der Hinterhand - vielleicht will er wissen, wie wir dazu stehen. Wollte unseren Mut und unsere Hingebung erproben. Doch selbst die größte Hingebung bringt nichts, wenn..." Avianus verstummte mitten im Satz. Den Satz wollte er dann doch nicht zu Ende sprechen. Sie brächte einem nichts, wenn sie einen toten Mann aus einem mache, wollte er eigentlich sagen.


    Ihre Lage hatte durchaus einen philosophischen Charakter. Warum, musste man sich wohl fragen, wurden so wenige Menschen mit einer Entscheidung konfrontiert, die so vieler Menschen Leben beeinflussen konnte? Warum mussten sie Entscheidungen treffen, die nur nur ihr eigenes Schicksal beeinflussen konnte? Es war unklar. Avianus dachte nach... am Ende misst sich die Stärke eines Mannes auch daran, welche Entscheidungen er trifft und wie er mit ihren Konsequenzen lebte oder starb.
    Und ja, der Pöbel! Natürlich! Die Macht der Masse, die man sich zu eigen machen konnte, oder von der man verschlungen werden konnte! "Nicht, wenn der Senator klug genug ist, das Volk auf seine Seite zu ziehen. Bedenke, Sextus, dass der Einfluss auf den Pöbel einer der größten ist, den man ausüben kann. Über den militärischen Rückhalt mache ich mir angesichts unserer Verbündeten keine Sorgen. Eher darum, wie man das anstellen will." Man sollte nur nicht unbedingt dämlich sein und den Pöbel wieder gegen sich aufwiegen, sobald man sich zu höherer Macht aufgeschwungen hat. Sonst konnte es sein, dass man diese nicht mehr lange genug auszukosten vermochte.

  • “Ich halte ihn auch nicht für dumm.“ Allenfalls für wahnsinnig und unüberlegt. Aber wäre er schlicht nur dumm, hätte Sextus überlegt, ihn zu manipulieren und zu steuern. Allerdings schloss schon seine durchaus hohe Stellung aus, dass Durus ein manipulierbarer Dummkopf war. “Andernfalls hätte ich mich kaum so an ihn gebunden.“ Doch, hätte er. Immerhin hatte er Corvinus da seinerzeit vertraut, als es um die frage ging, wen er als Patron wählen könnte. Was wieder einmal bewies, dass man sich selbst ein genaues Urteil bilden sollte und sich nicht auf andere verlassen sollte, erst recht nicht blind. Aber gut, diese Lektion hatte das Schicksal ihm wieder eindrucksvoll ins Gedächtnis gerufen.
    Was sein Vetter weiter zu sagen hatte, klang irgendwie logisch. Und doch, es war schrecklich pathetisch. Ihre Mut und ihren Willen austesten, also bitte. Für Sextus waren solcherlei Beweggründe etwas, mit dem man die Schwachen und Dummen ködern konnte, aber er wollte bitte Fakten, ehe er sich entschied, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Ihm war es schnurzpiepegal, ob Salinator das personifizierte Böse in Menschengestalt war, das sich zum Tyrann aufschwang und mehr Menschenleben forderte und den Senat mehr brüskierte als seinerzeit Caligula. Er selbst war da moralisch flexibel genug, sich damit zu arrangieren, solange er dennoch sein Stück vom Kuchen abbekam. Von daher musste sein Patron da schon mit mehr aufwarten als einer Rede, die vor Pathos geradezu troff. Mut testen... das passte zu der Rede. Sextus konnte nur hoffen, dass sein Patron das nur spielte um zu sehen, ob seine Mitverschwörer schwach genug wären, sich von schönen Worten blenden zu lassen.


    “Dann sollte er das aber machen, und nicht ad hoc. Der Pöbel ist wankelmütig und denkt meist nicht weiter als bis zur nächsten Mahlzeit, allerdings erinnert er sich durchaus daran, wenn diese mehrfach von selber Stelle ausgegeben wurde. Ich denke, Nemi könnte uns da durchaus helfen, sofern er denn den Willen hat, seine Stellung und seine Möglichkeiten da auszuschöpfen.“
    Es war ganz einfach. Es gab noch immer keinen Schuldigen, den man dem Volk zum Zerfleischen vorgeworfen hatte. Und sicher, es mussten auch die Maßnahmen getroffen werden, um die Götter wirklich zu versöhnen. Allerdings hieß das nicht, dass man nicht den einen oder anderen Gefolgsmann des Vesculariers in die Sache hineinziehen und mitopfern konnte. Es musste nicht einmal direkt sein, nur ein kleines Licht... Es wäre zu überlegen, denn aufgrund des invasiven Charakters so einer Maßnahme würde es den Praefectus Urbi auch warnen, dass da etwas im Busch war. Folglich dürfte auch nicht zu viel Zeit zwischen unterschiedlichen Maßnahmen liegen.
    “Wie gesagt, ich bin bislang nicht überzeugt. Für das Risiko, das dabei besteht, sind die aufgeführten Gründe zu dürftig und der aufgezeigte Weg zu undurchdacht. Und ich weiß auch nicht, ob der militärische Rückhalt so groß ist. Ich weiß nicht einzuschätzen, ob der werdende Vater“, womit Sextus Ursus meinte, "so viel riskieren würde." Wobei dessen Frau als Tiberia wohl bis zum Hals mit drinstecken würde.

  • Dass Durus rein vom Können her fähig war, eine Verschwörung einzufädeln und am Laufen zu halten, dies traute Avianus dem Tiberier durchaus zu. Er hatte gewiss schon Dinge geplant, die auch ein großes Ausmaß hatten. Rein charakterlich hatte er sich jedoch etwas anderes vorgestellt, und so ließ die Überraschung den Aurelier noch immer nicht in Ruhe.
    "Vielleicht", spekulierte Avianus, "Wird der Pöbel nicht mitbekommen, was im Hintergrund lief. Er lässt sich ohnehin zu gerne abspeißen. Mit schönen Worten und Versprechungen blenden. Wenn wir ihn nicht auf unserer Seite gewinnen können, dann lassen wir ihn eben nichts wissen. Ganz einfach." Man musste ihnen nur Honig um den Mund schmieren, das ganze mit einem kleinen Taschengeld garnieren und man hatte die Macht des Pöbels auf seiner Seite. Schon viele große Männer haben dies so gehandhabt. Cäsar war einer derer, die das so ähnlich gehandhabt hatten.


    "Dies wird er entscheiden müssen, ich werde ihn darauf ansprechen", sagte Avianus gedankenverloren, "Wenn er uns helfen will, haben wir mächtige Verbündete. Wenn nicht, wird ihm niemand einen Vorwurf machen. Vielleicht hätte ich an seiner Stelle auch nicht mitgemacht." Hmm... "mitgemacht". Das klang, so wie Avianus es sagte, nach einem Vereinstreffen. Zwar hatte Avianus seine Zweifel, doch es gab da diese moralische Stimme in ihm, die sagte, dass er das Richtige tun würde. Und wenn er starb, dann tat er das mit der richtigen Überzeugung. Er würde teilhaben an der Verschwörung und wenn er starb, dann nicht als Feigling mit beflecktem Gewissen.
    "Ich werde teilhaben... aber nur, um unsere Traditionen zu schützen und mir und auch allen anderen wieder Möglichkeiten zu geben." Mit Möglichkeiten waren natürlich jene gemeint, die durch Salinators Politik so gut wie beschnitten waren.

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