Cubiculum| Iullus Quintilius Sermo

  • "Brüderchen?!"


    Melina lugte vorsichtig durch die Tür. Ihre Augen strahlten, denn sie war sichtlich voller Hoffnung, dass ihr Bruder endlich anwesend war und ihre Einsamkeit vertreiben würde. "Hallo?" Sie stieß die Tür ebenso vorsichtig auf. Nun stand sie im Zimmer. Würde Sermo anwesend sein?

  • Sermo war anwesend. Er entpackte gerade seine Reisetruhe. Tuniken waren auf dem Bett verteilt, Schals, Unterwäsche, Schreibutensilien. Gerade entpackte er vorsichtig die Figuren der Laren, die er in Kleidungsstücke und Handtücher eingewickelt hatte, um sie halbwegs vor Schaden zu bewahren.
    "Melina, komm' rein," sagte er, als er die Stimme seiner Schwester erkannte. Er hob den Blick und bedeutete ihr mit einem Lächeln, den Raum zu betreten. "Wie geht es dir, Schwesterchen?"

  • Melina sprang mit einem Satz ins Zimmer. "Mir geht es gut, da du jetzt wieder da bist. Germanien ist recht öde," begann sie zu plappern. Sie lehnte sich an eine Kiste und blickte ihren Bruder mit ihrem breiten Grinsen an. "Mogontiacum bietet nicht die Gesellschaft, die ich suche. Es gibt keine Feiern, keine Freundinnen und auch sonst recht wenig Kultur. Es ist alles recht kalt, auch die Menschen. Ich möchte dich aber nicht damit belästigen. Was treibt dich eigentlich hier her? Mir wurde gesagt, dass du einen neuen Posten hast." Während sie so dahinplapperte, spielte sie mit ihren Haaren und warf diese ab und an zurück, um sie dann wieder hervorzuholen. "Mein Brüderchen beginnt also seine Karriere im kalten Germanien. Ich hoffe nicht, dass du ein skrupelloser Machtmensch wirst. Ich bin es nämlich nicht," stellte sie klar und schaute Sermo nun mehr ein wenig ernster an.

  • Öde? Na, hier gab es doch wohl auch noch ein paar wohlhabende römische Familien, die sich untereinander besuchten. Oder man traf Römer in den Thermen. Oder vielleicht doch nicht? Melina jedenfalls bestritt, dass Mogontiacum das Richtige für sie war. "Öh," machte er zwischendrin, hatte jedoch keine Gelegenheit sich zu ihrer Beschwerde zu äußern, denn sogleich fragte seine Schwester ihn aus. "Richtig erkannt, ich werde Procurator Civitatium. Ich führe damit die Aufsicht über die Provinzverwaltung von Germania Superior." Während er so sprach, betrachtete Sermo seine Schwester, um sich ein Bild von ihrer Entwicklung in Abwesenheit zu machen. Sie war ein Stückchen gewachsen und wirkte mittlerweile erwachsener. Nicht zuletzt war sie auch noch um einiges schöner geworden. Ihre folgenden Worte ließen Sermo schmunzeln. "Germanien wird im Sommer auch wieder warm, keine Sorge. Und du kennst mich doch, ich würde niemals für Macht unanständige Dinge tun!" Für den Aufmerksamen Beobachter troffen seine Worte nur so von Ironie. Melina mochte es in ihrer Naivität nicht erkennen, das konnte Sermo nicht so recht beurteilen. Allerdings war es ihm im Grunde genommen auch gleich, ob Melina seinen Charakter nun kannte oder nicht. Er unterdrückte einfach ein breites Grinsen ob ihrer Gutgläubigkeit und hoffte, dass er sie bald an einen reichen Kaufmann oder Politiker in Rom verheiratet bekam, damit er sich zumindest langfristig nicht mehr um ihr Wohlergehen zu sorgen brauchte. Allein kam die Kleine ja keine Woche durch's Leben, wenn sie als fügsame ordentliche Frau bestehen wollte.

  • Die Aussage ihres Bruders zum Wetter kommentierte sie mit einem schönen Nicken. Denn eine andere Gegebenheit drängte sich in den Vordergrund.


    Macht! Ja, das interessierte ihren Bruder. Schon als Kind träumte er davon, ein großer Mann zu sein. Melina konnte diese Ambitionen nie teilen, was die beiden charakterlich auseinander dividierte. Dennoch waren sie Bruder und Schwester, was diesen Malus deutlich ausglich. Melina liebte ihren Bruder und ihr Bruder liebte sicherlich auch seine Schwester. Nur blieb die Tatsache, dass Melina sich einen anderen Lebenswandel wünschte. "Mein Bruder gewinnt an Einfluss. Wie wirst du eigentlich diesen Einfluss nutzen? Ich hoffe nicht, dass du mich gewinnbringend verheiraten wirst." Natürlich bemerkte Melina die sanfte Ironie in seinen Worten, denn sie war nicht derartig naiv, wie man gerne glaubte. Sie war durchaus intelligent und reflektiert. "Ich hoffe nur nicht, dass du mich für deine Karriere benutzt. Ich würde dir das nie verzeihen. Ich bin deine Schwester, vergiss das nicht." Ihr Blick gewann deutlich an Ernsthaftigkeit und ebenso an Würde. Man konnte sogar ein wenig Berechnung erkennen. "Ich würde gerne selbst meine Partie auswählen. Natürlich auch um der Familie politisch zu helfen aber bitte überlass mir diese Wahl," sprach sie gleich ein ernstes Thema an.

  • Während Melina jetzt weiter ihre Ansichten zum besten gab, hörte Sermo geduldig zu, die Stirn dann und wann forschend gerunzelt. Was redete sie da? Natürlich würde er sie für die Familie gewinnbringend verheiraten, was dachte sie denn? Verständnislos schüttelte Sermo den Kopf und richtete den fragenden Blick auf seine Schwester. "Melina, Schwesterherz," begann er in einem Ton, der eine Spur Bedauern in sich trug und gleichzeitig Ratlosigkeit ausstrahlte. "Wir beide wissen, dass es nur die eine Möglichkeit gibt. Die Heirat ist ein politisches Mittel. Wir werden einen reichen Ehemann für dich finden, der eine möglichst hohe Position wo auch immer hält, das ist dir doch wohl klar?" Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte Sermo seine Schwester nun, deren Illusionen er hoffentlich schnell zerstreuen konnte. "Ich bin mir sicher, dass es nicht zu deinem Schaden sein wird. Du vertraust mir doch, oder? Glaub mir, wir finden einen passenden Mann für dich." Womit er meinte, dass er einen Mann finden würde, der seinen Anforderungen entsprach. Wenn Melina nicht mit ihm als Mann glücklich wurde, so gab es immer noch Leibsklaven, mit denen sie glücklich werden konnte. Solange sie keinen Skandal auslöste, indem sie es mit anderen römischen Bürgern trieb - was völlig ausgeschlossen war, denn sexuelle Ausflüge außerhalb der Ehe waren selbstverständlich nur mit solchen Personen von geringerem Stand erlaubt - war Sermo alles egal, solange sie nur ein möglichst reicher und mächtiger Kerl zur Frau nahm. Aber das würde er seiner Schwester natürlich niemals so offen sagen, Iuno bewahre! "Also," versicherte er noch einmal. "Wir finden zusammen jemanden, der dir ein guter Gatte sein wird. Vertrau mir." Schließlich lächelte er noch aufmunternd und streichelte Melina beruhigend über die Wange. Manchmal konnte sie ein echter Stresshase sein. Warum musste sie sich auch immer in die Männerangelegenheiten einmischen?

  • Melina spürte, dass ihr Bruder nur seine eigenen Interessen durchsetzen wollte, insbesonders seine politischen Interessen. Die junge Frau legte die Hände vor sich auf die Knie. Seine vielen Worte konnten nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass es nur um ihn ging; niemals um Melina. Sie seufzte. "Wer will mich schon nehmen," murmelte sie halblaut, so dass es Sermo hören konnte. Ihren Augen wanderten auf den Boden. Ihre Stimmung schlug mal wieder um, denn die Traurigkeit über den Egoismus ihres Bruders und das kalte Germanien überfielen sie. Eigentlich hatte sie gehofft, dass ihr Bruder und sie ein wenig herumalbern oder schlicht Brettspiele spielen würden. Ein wenig Zeitvertreib eben und nun war sie wieder das Heiratsobjekt. Melina war eben launisch, wenn nicht sogar zickig.

  • Sermo machte erst große Augen, als Melina plötzlich ihre offensichtliche Frustration so offen äußerte. Das hätte er ja überhaupt nicht erwartet. Melina wollte gar nicht unverheiratet bleiben! Das hatte Sermo zwar bisher immer irgendwie angenommen, aber so zeigte sich jetzt die Wahrheit. Gleich darauf runzelte er die Stirn und versuchte seine Schwester zu beruhigen. "Melina, erzähl keinen Unsinn," wies er sie liebevoll zurecht. "Dich wird ein reizender junger Mann zur Frau nehmen, der dir einen guten Haushalt mit vielen Sklaven und großen Festen bieten wird. Und ihr werdet viele gesunde Kinder haben und du wirst glücklich sein." Oder sie wurde von einem fetten, alten, nach Schweiß stinkenden, runzeligen Mann genommen, dessen Zähne verfaulten und der sie schnaufend besprang, um wenigstens einen einzigen Erben in diese Welt zu setzen und wenige Jahre darauf an der Gicht zu verrecken, eine unglückliche Witwe und einen Halbwaisen zurücklassend. Oder Melina starb gleich im Kindbett, was Sermo ihr nicht wünschte.

  • Ahja? Melina zweifelte an den Worten ihres Bruders. Sie war sich unsicher, ob er sie wirklich ernst meinte. Sermo war ein Machtmensch, der nur zu gerne, Melina meistbietend loswerden würde. Sie verkniff ihre Augen. "Hmmm," machte sie und nickte ihrem Bruder verspielt zu. "Wenn du das sagst," formulierte sie ein wenig zweideutig.

  • "Ja, das sage ich," bekräftige Sermo entschieden und schenkte ihr dabei einen Blick, der von Entschlossenheit und vermeintlicher Ehrlichkeit nur so strotzte. Daraufhin fuhr er leichthin fort. "Na komm, jetzt zieh' nicht so eine Trauermiene! Lass uns ein wenig die Zeit vertreiben. Haben wir ein paar Spiele hier? Ich hoffe doch, dass diese Casa mehr zu bieten hat als zwei biedere Sklavenmädchen und Wein!" Er lachte und hakte sich kurzerhand bei Melina ein. Während er sie aus dem Zimmer führte, wechselte er geschickt das Thema. "Hast du dir eigentlich mal eine Leibsklavin zugelegt? Für diese ganzen Frauensachen, die du nicht alleine machen müsstest, weißt du? Und als Gesellschaft vielleicht auch. Als Anstandsdame quasi, wenn du verstehst was ich meine." Er grinste, erwartete er doch nicht, dass eine Anstandsdame bei Melina noch großartig nötig war, denn sie hatte ganz bestimmt bereits damals mit einem der Straßenjungen intime Erfahrungen gesammelt, womit ihre Jungfräulichkeit hinfällig wäre. Aber um den Schein zu wahren, würde sie selbstverständlich trotzdem eine Sklaven zu diesem Zwecke benötigen.

  • Spielen? Ja, das war eine gute Idee. Melina wollte Zerstreuung und Ablenkung. Sie nickte eifrig. "Ja, gerne." Melinas Lächeln kehrte zurück und ließ ihr Gesicht noch mehr strahlen. Sie war eine Schönheit, auch wenn sie dies selbst noch nicht wirklich wahrnahm. "Anstandsdame? Ich bräuchte eine echte Freundin und meinen Freundeskreis." Nun wirkte sie wieder verschloßener.

  • "Ja, Freundinnen brauchst du auch," stimmte Sermo zu, ein Lächeln auf den Lippen. Man stelle sich vor, vielleicht gingen hier ja demnächst regelmäßig schöne junge Freundinnen seiner Schwester ein und aus. Bei dem Gedanken wurde es Sermo ganz warm ums Herz. Oder so. "Aber eine Anstandsdame gehört dazu, keine Frage," neckte er sie, auch wenn er das was er sagte eigentlich ernst meinte. Dennoch sprach er das Thema den restlichen Tag lang nicht an, sondern genoss es einfach die Zeit mit seiner Schwester zu verbringen.

  • Selbst in diese Sache mischte sich ihr Bruder ein. Melina verkniff ihre Augen und blickte ihn deutlich ernster an. Sie wirkte ein wenig verzogen und in allen Belangen zickig. Melina wollte sich ihrem Bruder, besonders ihrem älteren Bruder, nicht unterordnen. Sie liebte ihre Freiheit. Die junge Frau knuffte ihren Bruder frech in die Seite und kicherte dann. Wenigstens so konnte sie ein wenig Macht über ihn ausüben, indem sie ihn ärgerte.

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