[Tablinum] Nachforschungen und Ergebnisse

  • Von der morgentlichen Salutatio aus führten Macers Schritte heute gleich in sein Arbeitszimmer, um mit seinem Tiro die Ergebnisse seiner Recherche zu besprechen. "Nimm' Platz, forderte er ihn auf und setzte sich seinerseits ebenfalls auf einen Stuhl. "Dann berichte, was du in Erfahrung bringen konntest."

  • Flaccus folgte der Einladung des Consuls in dessen Arbeitszimmer und ließ sich dort auf einem Stuhl nieder. Aus dem sinus seiner Toga brachte er eine Wachstafel zum Vorschein, auf der die wichtigsten Ergebnisse seiner Nachforschungen in komprimierter Weise Platz gefunden hatten.


    "Nun gut,", begann der Flavier und überflog nochmals die Notizen, "im Grunde sind die Nachrichten durchaus erfreuliche, es gibt kaum Senatoren, die ihr Dasein im Senat durch die bloße participatio an den Sitzungen als berechtigt ansehen. Im Grunde sind sich die meisten der viri clarissimi durchaus bewusst, dass enorme öffentliche Verantwortung auf ihren Schultern lastet, und handeln auch ensprechend. Sie besetzen Ämter in der Stadt- oder Provinzialverwaltung, engagieren sich im Cultus Deorum, in den alten Priestercollegia der Sodalii, Fetiales oder Arvales Fratres oder den quattuor amplissima collegia. Gerade jene Männer, die eine Statthalterschaft in gewisse Provinzen geführt hat, bleiben auch danach oft noch mit den betreffenden Regionen verbunden und vertreten deren Interessen in der Stadt. Erwähnung sollte sicherlich auch der Einsatz bei den Factiones finden, der, wiewohl nicht von besonders staatstragender Bedeutung, so doch überaus öffentlichkeitswirksam erscheint. Auch die Germanitas Quadrivii, die sich dem Bau und Erhalt von Schreinen für die Lares Compitales widmet, hat einige Senatoren in ihren Reihen, ja sogar der Magister derselben, ist mit Germanicus Sedulus im Senat vertreten."


    Eine kurze Pause, in der Flaccus innehielt und einen etwas ernsteren Ausdruck aufsetzte.


    "Dennoch gibt es auch Männer, die es nicht für sonderlich notwendig erachten, alles daran zu setzen, sich besonders zu egagieren, wiewohl nahezu immer plausible Gründe vorliegen. Octavius Victor zum Beispiel, von dem ich dir übrigens Grüße übermitteln soll, lässt nach seiner Erkrankung, in der er alle seine Pflichten abgegeben hat, erst wieder alles "langsam anlaufen". Andere Männer sind zwar offiziell noch Mitglieder des Senats, haben sich jedoch aus den Geschäften weitgehend zurückgezogen, wie etwa Titus Helvetius Geminus - ein überaus beeindruckender alter Mann übrigens, der dich sehr schätzt, Consul. Manche Senatoren waren jedoch auch überhaupt nicht für mich zu sprechen, ja bei Lucius Annaeus Florus und Lucius Aelius Quarto gelang es mir nicht einmal ein Gespräch mit einem ihrer scribae zu führen! - Doch das stellt eindeutig eine Ausnahme dar, die meisten Männer des Senats habe ich als durchwegs freundliche, sehr ehrenvolle und um das Wohl der res publica ehrlich bemühte Menschen kennengelernt...", skizzierte der junge Flavier seine Beschäftigung der letzten Tage kurz, um dann für weitere Fragen des Consuls zur Verfügung zu stehen.

  • Macer hörte aufmerksam zu und stellte zu seiner eigenen Überraschung und Freude fest, dass das Ergebnis der Recherche deutlich positiver ausfiel, als er erwartet hatte. "Ein Ergebnis, das wohl kaum positiver hätte ausfallen können", stellte er daher erst einmal in der Zusammenfassung fest. Er hätte diesen Rechercheauftrag allerdings nicht gestellt, wenn er auch dieses positive Ergebnis nicht noch kritisch hinterfragen wollte. "Zumindest der Zahl der Titel und Vereinigungen nach ein wirklich umfassendes und breites Spektrum, welches da von den Senatoren betrieben wird. Hattest du denn auch den Eindruck, dass alle gleichermaßen engagiert darin sind, ihre Mitgliedschaft in den genannten Vereinigungen auszuleben? Ich kenne das beispielsweise von den Factiones recht gut. Keine spart dort an namhaften Mitgliedern in ihren Reihen und zum Teil auch an ihrer Spitze, aber nicht alle sind gleichermaßen aktiv und manche scheint es eher zu lähmen, dass ein prominentes, aber kaum engagiertes Mitglied an ihrer Spitze steht", berichtete er aus seinem direkten Erfahrungsschatz. Genau solche Beobachtungen waren es, die ihn zum Nachdenken über das Engagement der Senatoren gebracht hatten.

  • Im Grunde schien Macer mit dem Ergebnis der Nachforschungen durchaus zufrieden sein, und doch wollte er jenes auch kritisch hinterfragen. Flavius Flaccus runzelte die Stirn. "Wie engagiert die einzelnen Senatoren tatsächlich darin sind, ihre Mitgliedschaft in den betreffenden Vereinigungen auszuleben, ist natürlich eine schwierige Frage. Zwar hatte ich grundsätzlich den Eindruck gewonnen, dass ihnen doch gerade an den Factiones etwas liegt und sie auch über die momentanen Entwicklungen derselben gut bescheid wissen - dass kaum engagierte Miglieder die Gefahr darstellen solche Vereinigungen eher zu lähmen als zu fördern ist allerdings einleuchtend. Dennoch muss natürlich bedacht werden, dass die Pflichten eines Senators - und das wirst du wohl am besten wissen -", schob der Flavier mit einem Lächeln an den Consul ein, "überaus vielfältig sind, gerade bei den Männern, die auch Ämter bekleiden. Es stellt sich tatsächlich die Frage, wie viel Einsatz einem solchen Mann auch in Bezug auf die Factiones zusätzlich noch abverlangt werden kann und darf ... im Grunde sollte es doch dort ausreichend andere Männer geben, die Dinge am laufen halten, und die prominenten Mitglieder schon alleine durch ihren Namen und ihr Vermögen den Vereinigungen gewisse Vorteile bringen ... oder sehe ich das falsch?", fügte Flaccus noch vorsichtig hinzu und blickte Macer an.

  • "Oh, ich hatte meine Frage keineswegs nur auf die Factiones beziehen wollen", warf Macer schnell ein, als er feststellte, dass sich der Flavier an diesem Stichwort festbiss. "Das wäre auch gar nicht meine Aufgabe als Consul, mich nun konkret um deren Geschicke und Wohlergehen zu kümmern. Mir geht es eher genau um den umgekehrten Blick", erklärte er rasch noch einmal seine Intention. "Es gibt sicher Senatoren, die nur eine kleine Menge an Verpflichtungen eingehen und scheinbar unbedeutende Posten bekleiden, diese jedoch mit Elan und Engagement zum Wohle Roms ausfüllen und es gibt möglicherweise auch Senatoren, die pro forma eine Vielzahl von Aufgaben übernomnmen haben, bei jeder jedoch mit Verweis auf ihre vielen anderen Verpflichtungen bestenfalls das allernötigste tun und somit dem Wohl Roms weit weniger nützlich sind, als es auf den ersten Blick scheint. Zumindest ist letzteres ja das, was über solche Senatoren gerne auf den Straßen erzählt wird. Ich halte es für meine Pflicht als Consul, solche Ansichten entweder durch den Beweis des Gegenteils zu zerstreuen und das Ansehen der Senatoren damit zurecht zu rücken, oder aber die Senatoren daran zu erinnern, dass ihr Verhalten nicht zur Steigerung des Ansehens ihres Standes beiträgt." So oder so lief es wohl darauf hinaus, dass Macer für ein gutes Ansehen der Senatoren in der Öffentlichkeit sorgen wollte - und nur noch nicht wusste, ob er dazu die Senatoren oder die Öffentlichkeit ansprechen musste.

  • "Hmmm, ich verstehe.", machte Flaccus auf den Einwurf Macers und dessen Erklärung seiner eigentlichen Intention hin, nickend. Der Consul wollte offensichtlich das, seiner Meinung nach etwas verblasste, Ansehen des Standes in der Öffentlichkeit wieder zurechtrücken, ihm gleichsam den alten Glanz wiederverleihen. "Diese Fragestellung, mit welchem Engagement die einzelnen Senatoren tatsächlich ihren Verpflichtungen nachgehen, lässt sich wahrlich nur schwer beantworten.", begann der junge Flavier also zögernd, "Und würde wohl auch weit intensiverer Nachforschungen bedürfen ... diese wiederum könnten den Senatoren allerdings in einem gänzlich falschen Licht erscheinen, und einigen Unmut im Senat verursachen.", fuhr er vorsichtig fort. "Versteh' mich nicht falsch, ich teile deine Ansichten natürlich voll und ganz, doch ich habe in den zahlreichen Gesprächen mit Senatoren in den letzten Tagen einen durchaus ehrenvollen und rechtschaffenen Eindruck von den Männern des Senats gewonnen, und sehe auch keinen Grund, an ihrem Wort, oder gar ihrem Willen, sich mit ganzer Kraft für das Wohl der res publica einzusetzen, zu zweifeln.", versuchte er einen neutralen Standpunkt zu wahren, "Natürlich mag es einige Männer geben, die ihre persönlichen Interessen denen des Staates vorziehen, und dementsprechend auch wenig Zeit für diverse Vereinigungen, oder die Sorgen ihrer Klienten, aufbringen, doch handelt es sich dabei, meiner Meinung nach, um einen verschwindend geringen Anteil der Senatoren. Die Mehrzahl der Männer des Standes ist sich ihrer Verantwortung durchaus bewusst, und versucht ihr auch nach allen Kräften gerecht zu werden. Ja, kann durchaus als Beispiel altrömischer pietas angesehen werden.", führte er seine Betrachtungen zu einem apologetischen Abschluss, um dann nach einer kurzen Pause erneut das Wort zu erheben. "Bedrohung für den Glanz des Senatorenstandes sehe ich vielmehr aus einer gänzlich anderen Richtung als vom Gerede des einfachen Volkes her, aufziehen.", begann er, denn er fühlte sich verpflichtet, dem Consul seine ehrliche Sicht der Dinge kundzutun. "Ich fürchte nämlich, in der kurzen Zeit der Beschäftigung mit der Tagespolitik in der Stadt durchaus beunruhigende Tendenzen wahrgenommen zu haben, die, obwohl der princeps nie dem öffentlichen Empfinden ferner gewesen war, die Befugnisse des Senats zugunsten jener des Kaisers, oder vielmehr des Stadtpräfekten, zu beschneiden trachten. Sollten diese Bestrebungen Früchte tragen, liefe der Senat - die Götter mögen es verhüten! - in Gefahr, tatsächlich lediglich zu einer Vereinigung von reichen Männern, ohne tatsächlichen Anteil am politischen Geschehen Roms, zu verkommen." Der junge Flavier schluckte tief. "Ich bitte abermals, versteh' mich nicht falsch, doch ich fürchte die Präferenzen müssten anders gesetzt werden. Zweifellos steht das Wohl der res publica im Vordergrund, doch diese bedarf eines glänzenden Senates - der sich zweifellos nur aus den fähigsten Männern zusammensetzen sollte - in erster Linie jedoch auch greifbaren Einfluss auf das öffentliche Leben der Bürger und die politischen Geschehnisse im gesamten Reich besitzen muss. Diese Sorge müssten die ehrwürdigen Senatoren in erster Linie tragen, und - sei versichert! - das Ansehen des Standes in der Öffentlichkeit würde sich zweifellos wieder zu jener alten, strahlenden und ehrenvollen Form hin verbessern."

  • Macer hörte der ziemlich umfangreichen Antwort seines Tiros genau zu. Immerhin sollte dieser Mann sein politischer Lehrling sein und da wollte er ihm natürlich auch etwas von seiner eigenen Meinung mitgeben, falls dieser bisher eine andere hatte. Zwischenzeitlich gingen die Ausführung auch in eine Richtung, mit der Macer zumindest in der Form nicht ganz einverstanden war, aber zum Ende hin hellte sich seine Miene deutlich auf. "Gut erfasst!", lobte er dann. "Vielleicht etwas umständlich und weitschweifig ausgedrückt, aber im Kern trifft es genau das, weshalb ich mich um das Ansehen der Senatoren sorge und weshalb ich glaube, dass das Problem nicht nur die Wahrnehmung auf der Straße ist. Es findet derzeit unbestreitbar eine Machtverschiebung zugunsten des Imperators und seines Praefectus Urbi statt. Diese basiert weitgehend darauf, dass der Praefectus Urbi seine Kompetenzen bis auf's Äußerste ausnutzt, wenn nicht sogar punktuell überschreitet. Möchte man es positiv ausdrücken, haben wir eine äußerst engagierten Praefectus Urbi. Zu wessen Wohl er sich engagiert, lassen wir mal dahingestellt. Möchten wir nun den Einfluss des Senates erhalten, müssen wir diesem engagierten Praefectus Urbi einen engagierten Senat entgegen setzen. Einen, in dem jeder Senator seinen Einfluss voll ausnutzt. Einen Senat voller engagierter Senatoren eben. Hätten wir einen Praefectu Urbi, der seiner Arbeit nicht nachkommt, wäre es leicht, seine Absetzung zu fordern. Niemand würde ihn vermissen. Andersherum ist es genauso. Einen Senator, der seine Verpflichtungen nicht ernst nimmt, kann der Praefectus Urbi mit Erlaubnis des Kaisers leicht aus dem Senat entfernen. Auch ihn wird niemand vermissen. An seiner Stelle kann er dann einen Mann seines Vertrauens in den Senat berufen. Wenn wir dies verhindern wollen, müssen wir dafür sorgen, dass der Praefectus Urbi nicht einfach Plätze im Senat freiräumen kann. Und das geht eben am einfachsten, indem jeder Platz mit einem Mann besetzt ist, der dort beste Arbeit leistet. Verstehst du, was ich meine?"

  • Flaccus' Miene nahm einen durchaus zufriedenen Ausdruck an, als Macer seine Ansichten lobte, wenngleich er bei den Worten "umständlich" und "weitschweifig" etwas die Stirn runzelte. Umfassend und detailreich wären Adjektive mit deutlich positiverer Konnotation, die er selbst seinen Worten zuschreiben würde. Doch sein Ausdruck konnte, obwohl in lateinische Worte gekleidet, den griechischen Einfluss im rhetorischen Stil wohl nur spärlich verbergen. Und doch war eine ausführliche Antwort, jedenfalls dem Empfinden des Flaviers nach, nichts verwerfliches. Nach diesem kurzen Gedankenspiel richtete Flaccus seine Aufmerksamkeit wieder völlig auf die Worte des Purgitiers, der seine Ansichten offenbar weitgehend teilte, ja selbst die offensichtliche Machtverschiebung, weniger zu Gunsten des Praefectus Urbi an sich, sondern vielmehr der konkreten Person von Vescularius Salinator, erkannte. Ja vielmehr als das, denn noch im gleichen Atemzug wartete der Consul auch mit einer in ihrer Simplizität genialen Gegenstrategie auf. Der Senat durfte dem Vescularier einfach keine Angriffsfläche bieten. Jeder einzelne Senator würde seinen Einfluss zur Gänze ausnutzen müssen. "Ich verstehe.", nickte Flaccus, "Aber dazu müsste der Senat als geschlossene Einheit auftreten - doch der Praefectus Urbi hat gewiss nicht wenige Freunde im Senat, die dessen Engagement bei Freiräumen von Plätzen keineswegs verurteilen, sondern vielleicht sogar begrüßen? Aber gerade eine solche Einheit wäre, so denke ich, in politischer Hinsicht notwendig, um einen gewichtigen Gegenpol zum Kaiser und seinem Stellvertreter in Rom zu bilden. Kann der Senat nicht klar Position beziehen, läuft er doch Gefahr, seine politische Berechtigung zu verlieren, oder sehe ich das falsch? Eine Gruppe, zusammengesetzt aus den dreihundert nobelsten Männern Roms, die lediglich die Dekrete des Kaisers formal bestätigt wäre doch im Grunde völlig nutzlos...", spann der Flavier ein hypothetisches Gedankenkonstrukt.

  • "Eine Gruppe von dreihundert Männern, die alle derselben Meinung sind wäre zumindest in ihrer Größe ebenso nutzlos", antwortete Macer schmunzelnd. "Zweifellos kann Einigkeit in bestimmten Situationen hilfreich sein, aber genauso hilfreich kann Meinungsvielfalt sein. Wenn alle dasselbe sagen, werde sie auch schon wieder austauschbar. Einig im Engagement, streitbar in der Sache lautet also mein Credo, wenn du so möchtest", teilte er seine etwas differenziertere Sichtweise mit. "Dass es Vertraute des Praefectus Urbi gibt, die ihren Platz eben dadurch gewonnen haben, dass andere Senatoren weniger engagiert waren, ist ja nichts grundsätzlich Schlechtes. Nein, wenn sie selber engagiert sind, hat es sogar seine Berechtigung! Es ist kein Zeichen von Stärke, eine bestimmte Gruppe oder Meinung von vorne herein auszuschließen. Ein Gegenpol zum Kaiser zu sein bedeutet nicht, sein Gegner zu sein. Auch die formale Bestätigung eines kaiserlichen Edikts ist ein wichtiger Akt, denn es ist gleichsam die Bestätigung des Kaisers selbst. Solange jeder Senator dies aus Überzeugung tut, ist daran nichts auszusetzen. Ebenso ist es mit jeder anderen Tat eines Senators - wenn er es aus Überzeugung und im Sinne Roms tut, ist es gut. Wenn er es nur um seines eigenen Ruhmes Willen tut, ist es schlecht. Ich möchte keinem Senator vorschreiben, was er zu tun und zu lassen und zu denken hat. Jeder Senator ist würdig genug, dies alleine zu entscheiden. Einzig derjenige ist unwürdig für den Senat, der nichts tut oder nicht denkt."

  • Als Macer schmunzelnd einwarf, dass eine Gruppe von dreihundert Männern derselben Meinung ebenso nutzlos wäre, musste der junge Flavier sich mit Mühe eine Entgegnung verkneifen. Die nobelsten Männer Roms in völligem Einmut stellten seinen Überlegungen nach einen überaus beträchtlichen politischen Faktor dar, den selbst ein Kaiser nicht einfach ignorieren konnte. Dann allerdings erklärte der Purgitier seine differenzierte Sichtweise und konnte seinen Schützling durch seine klugen Gedanken überzeugen. Einig im Engagement, streitbar in der Sache.: Das klang gut - so etwa musste es wohl in den goldenen Zeiten der Republik ausgesehen haben. Doch diese seine wohl etwas verklärende Sicht der alten Ordnung öffentlich kundzutun, hütete Flaccus sich wohlweislich, war er sich doch nur zu deutlich bewusst, dass der soziale Aufstieg gerade seiner eigenen gens untrennbar mit dem Prinzipat als staatlicher Ordnung verknüpft gewesen war. Und die nächsten Worte Macers vermochten der ohnehin bereits auf ein außergewöhnliches Maß gewachsenen Bewunderung seitens des jungen Aristokraten noch einmal beträchtlichen Aufwind zu geben. Über allgemeine Sentenzen gelang es dem Consul, stets in den schillernden Farben der Moral und reichlich pathetischem Beiwerk, den ästhetischen wiewohl gleichsam auch den intellektuellen rhetorischen Sinn des jungen Mannes anzusprechen, und die Botschaft seiner Worte Flaccus auf diese Weise noch deutlicher vor Augen zu stellen. Begeistert nickte jener also, als Macer an das Ende seiner Erläuterungen gelangt war. "Ja, genauso muss es sein. Letztendlich liegt gerade in der Meinungsvielfalt das stärkste remedium gegen Willkür! Der leidenschaftliche Einsatz tritt also nahezu auf dieselbe Stufe wie die formalen Inhalte der Streitfragen!"

  • Die Botschaft schien angekommen zu sein. Zumindest deutete Macer das eifrige Nicken seines politischen Schülers so und ebenso dessen Zusammenfassung. Eine erneute feierliche Bestätigung und Zusammenfassung der Zusammenfassung ersprate sich Macer daher. "Wenn alle dieser Ansicht folgen würden, wird Rom zweifellos ewig Bestand haben", sagte er stattdessen und ließ ganz bewusst offen, ob er damit seine eigene Ansicht oder die Ansicht seines Schülers über seine Ansichten meinte. Inhaltlich kam das zwar auf dasselbe heraus, aber das eine wäre Eigenlob gewesen, das andere nicht. "Und deshalb ist mir eben daran gelegen, dass jeder Senator sein gesellschaftliches Engagement und seine Verantwortung ernst nimmt. Aber wir werden sehen, was sich erreichen lässt in der begrenzten Zeit, die uns bleibt", schloss er dann mit dem, mit dem sie das gespräch begonnen hatten.

  • "Daran besteht gar kein Zweifel!", warf der junge Flavier überzeugt ein, als Macer Rom ewigen Bestand voraussagte. Die Stadt am Tiber würde den Orbis Terrarum bis in alle Ewigkeiten beherrschen und dominieren, dessen war sich Flaccus völlig sicher. Nichtsdestotrotz würde ein besonders eifriger Senat diesem, vom Fatum bereits vor Urzeiten festgesetzten Lauf der Dinge, an dem selbst die unsterblichen Götter nicht zu rütteln vermochten, gewiss nicht hinderlich sein. Dann allerdings fuhr der Purgitier schon fort und ließ dabei, ob bewusst oder nicht mochte fraglich bleiben, ein Stichwort fallen. "Die begrenzte Zeit ... du sagst es.", meinte der Flavier, denn auch die Zeit des einzelnen Tages war schließlich begrenzt, und die nächsten Verpflichtungen, nach der morgendlichen Salutatio bahnten sich für den Consul zweifellos bereits an. "Wohin darf ich dich heute begleiten?", fragte Flaccus also höflich nach, voll Vorfreude auf einen weiteren Vormittag im Gefolge des Purgitiers, von dem er in der Zeit seines Tirociniums bereits in mannigfacher Hinsicht gelernt und profitiert hatte.

  • Heute stand keine Senatssitzung an, so dass Macer einen vergleichsweise ruhigen Tag vor sich hatte. "In die Basilica Ulpia", erklärte er daher. "Es findet dort ein recht interessanter Prozess wegen Veruntreuung statt, in dem Annaeus Repentinus als Anwalt der Klage auftritt. Falls du seinen Namen noch nicht kennst, solltest du ihn dir merken. Zweifellos einer der besten Anwälte der letzten Zeit." Dass Macer so etwas sagte, wollte schon etwas heißen, da er sich normalerweise in juristischen Dingen zurück hielt. "Es wird ein zügiger Prozess werden, denke ich. Wir werden danach Zeit für die Thermen haben."

  • Ein juristisch geprägter Vormittag sollte es also werden und das kam Flaccus durchaus gelegen, denn gerade in diesem Bereich fühlte er für sich persönlich noch den größten Lernbedarf vor seinem tatsächlichen Eintritt in den Cursus Honorum. Als der Consul den Namen des Anwalts der Klage nannte, nickte der junge Flavier, denn Annaeus Repentinus war auch ihm als hervorragender Prozessredner durchaus bekannt. Zwar hatte er selbst den Annaeer erst einmal gehört und sich mit dessen offensichtlichem Hang zum Attizismus in der Rhetorik nicht gänzlich anfreunden können, doch zweifellos hatten seine Worte durch ihre Kraft und Klarheit einen bleibenden Eindruck auf den jungen Aristokraten hinterlassen. Die Aussicht auf den anschließenden Besuch der Thermen war Flaccus eine ebenso erfreuliche, konnte man doch gerade dort am besten beobachten, wie sich ein mächtiger Politiker in der Öffentlichkeit abseits der rostra zu verhalten hatte. "Das klingt ja wunderbar!", meinte er also, zögerte allerdings noch sich zu erheben, falls Macer noch etwas zur Sprache bringen oder seinem tiro ein kleines officium übertragen wollte.

  • "Nun, dann sollten wir auch aufbrechen", schlug Macer vor. Sein Zeitgefühl war auch ohne einen Blick zum Sonnenstand recht gut, so dass er schätzte, dass der heutige Prozesstag schon bald beginnen würde. Zumal der vorsitzende Praetor nicht dafür bekannt war, ein Langschläfer zu sein. Weitere direkte Aufträge für seinen Tiro hatte er auch nicht, so dass er sich erhob. Schweigend würden sie den Weg durch die Stadt deswegen aber noch lange nicht verbringen.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!