Wir befinden uns im Jahre 108 n. Chr.. Die Blicke der ganzen Thermae Agrippae sind von der Flavia eingenommen. … Der ganzen Thermae Agrippae? Nein! Ein einer unbeugsamen Iunia gehörendes Augenpaar hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.
Und das Leben ist nicht leicht für die römischen Damen, die als Besatzung in den befestigten Lagern Flavia, Helvetia, Aurelia und Kleinbonum liegen...
Nun, ganz so drastisch war es vielleicht nicht. Axilla hatte schon kurz geschaut, als die Flavia sich ins Becken zu den anderen jungen Mädchen dazugesellt hatte. Sie war rein vom Äußerlichen her wohl die jüngste, wie Axilla wohl die Älteste sein mochte. Aber ihr Blick war von ihr sicher ebensowenig gefangen wie von der rothaarigen Keltin. Es gab dutzende rothaarige Kelten. Diese waren für ihre roten Haare ja nicht nur berühmt, sondern auch berüchtigt, und nicht nur eine feine römische Dame zwang ihre keltischen Sklavinnen, sich die Haare abschneiden zu lassen, um sich daraus eine schöne rote Perücke machen zu lassen. Und immerhin lebte man in einer Zeit, in der die ursächliche Variation auf Chromosom 16 noch nicht durch das viel dominantere, südländische, dunkelhaarige Erbgut verwischt und verwaschen wurde. Selbst zweitausend Jahre später würde man das noch schön sehen können, dass in Gegenden, die von der Völkerwanderung am wenigsten betroffen waren und so noch am stärksten der keltischen Abstammung verhaftet waren (wie beispielsweise Scotia oder Hibernia), der Anteil der Rothaarigen im zweistelligen Prozentbereich war.
Natürlich wusste Axilla das alles nicht. Für sie war es nur nicht so ungewöhnlich, dass eine Keltin rote Haare hatte. Aber vielleicht hatte die Aurelia, die aus welchem Grund auch immer sich von der Helvetia beim Cognomen nennen ließ, auch nur höflich sein wollen. Oder aber es stimmte, was Archias immer gesagt hatte, und Patrizier waren einfach irgendwie alle gaga. Und wenn das von jemandem kam, der selber gaga genug war, vom tarpejischen Felsen zu springen, musste das schon ganz schön gaga sein.
Trotzdem blieb Axilla erst mal sitzen und sah sich im Bad um. Überall waren Frauen im Gespräch miteinander, und keine davon beachtete die kleine Truppe junger Mädchen am Rand. Wieso auch, wo es doch so viel wichtigeres gab? Hier ein Gerücht über eine neue Orgie, dort ein paar Neuigkeiten über die Geliebte eines Magistraten, da eine Geburt, und noch weiter hinten ein Racheschwur für eine Nichtigkeit. Kurzum, vermutlich hätte schon Iuppiter selbst das Dach von den Thermen heben müssen und nackt Hula tanzen, um die Aufmerksamkeit der versammelten Damenschaft der ganzen Therme zu erhalten. Und vermutlich hätte es selbst dann einige Damen gegeben, die einfach munter weiter geplaudert hätten, ohne ihn zu bemerken.
Halbherzig hörte sie zu, und wurde erst hellhörig, als sie den Namen Flaccus hörte. Sie wandte der Flavia wieder den Blick zu und hörte ihre Erklärung an. Eine Cousine also. Aber interessanter war, dass die Aurelia sich nach Flaccus erkundigte. Und interessant war auch, dass Piso nun ausgerechnet Aurelia Prisca geheiratet hatte. Na, die beiden passen zueinander. Einer so hohl wie der andere, dachte Axilla nur etwas missmutig, ohne sich äußerlich etwas anmerken zu lassen. Dass sie nicht geladen war, wunderte sie nicht im geringsten. Sowohl die Aurelia als auch der Flavier hatten schon ihre nicht-ganz-so-süße Seite kennen gelernt. Und beide waren selbst schuld daran gewesen. Vielleicht hatte Archias einfach recht, und Patrizier waren wirklich alle gaga.
Die Sklavin sagte ein paar Worte auf, ohne dass Axilla einen näheren Zusammenhang erkennen konnte. Aber immerhin bemühte das Mädchen sich. Irgendwie schien der Sklavin die ganze Situation peinlich. Vielleicht war sie schüchtern und schämte sich ihres Körpers? Dabei sah sie eigentlich ganz hübsch aus.
“Dann bist du eine Schwester von Flavia Nigrina?“ fragte Axilla dazwischen und lächelte das halbe Kind vor ihr im Becken freundlich an. Wenn sie eine Schwester von Piso war, musste das ja so sein. Nigrina wenigstens war eine Frau, von der Axilla nicht sagen würde, sie sei bescheuert. Eigentlich war die immer ganz nett gewesen, sie hatte sie ja sogar zu ihrer Sponsalia damals mit diesem Aurelier eingeladen.
Den Neuankömmling bedachte Axilla wie alle anderen zuvor mit einem kurzen, freundlichen Blick.