atrium | Wenn Blumen verwelken...

  • Es war der Morgen nach ihrer Sponsalia, es war nun offiziell, sie würde Tiberius Durus heiraten. Wirklich wohl fühlte sie sich bei diesem Gedanken nicht, was wohl vor allem daran lag, dass ihr Verlobter ihr Vater oder gar Großvater hätte sein können. Es war ihr schon immer bewusst gewesen, dass sie aus politischen Gründen heiraten würde, aber sie hatte immer gedacht, dass es dann ein Mann sein würde, der nicht ganz so alt sein würde. Ein junger aufstrebender Senator. Der romantische Traum von dem Ritter in strahlender Rüstung in den sie sich unsterblich verlieben würde, war nur ein kleiner Tagtraum gewesen um der Realität zu entkommen. Aber die Wünsche und Erwartungen der Gens gingen immer den eigenen Bedürfnissen vor raus. So auch in diesem Fall. Narcissa war nicht dabei gewesen, dabei hätte sie ihre Schwester gern bei sich gehabt. Sie konnte nicht verstehen warum ihre Zwillingsschwester in Terentum geblieben war. Es war nicht die Art ihrer Schwester, sie an einem so wichtigen Tag allein zu lassen. Dabei wusste ihre Mutter und somit auch Narcissa, dass die Sponsalia an der Caristia stattfindet. Lucilla hatte ihr schließlich geschrieben, wie sehr sie sich über diese Verbindung freute und wie Stolz sie doch sei.


    Noch ein wenig schlaftrunken saß sie vor ihrem Schminktisch und ließ sich die Haare bürsten, als ein Sklave den Kopf zur Tür rein steckte. „Da wartet ein Bote im Atrium. Er sagte es sei wichtig und er will dich sprechen!“ erklärte ihr. Verwundert blinzelte sie die letzte Müdigkeit davon. „Er will mich sprechen?“ „Ja, domina. Er hat sich als Marcus Asper vorgestellt!“ Marcus Asper war der Verwalter des Landgutes in Terentum. Ihre Mutter vertraute diesem Mann fast blind und wich ihr sonst auch nicht von der Seite. Ihr wurde flau im Magen, das verhieß nichts Gutes… war ihrer Mutter etwas zugestoßen? Die Jüngste war sie nun nicht mehr wirklich. Dies würde erklären, warum Narcissa noch nicht in Roma war. Wenn es Mutter nicht gut ging, dann würde ihre Schwester natürlich bei ihr bleiben. Und wenn es ihr erst seit einigen Tagen schlecht ging, dann würde eine Nachricht sie auch erst jetzt erreichen. Terentum lag schließlich nicht um die Ecke, sondern einige Tagesreisen von Rom entfernt. Selbst ein Bote, der sein Pferd oft wechselte würde bestimmt drei Tage benötigen. Eilig kam sie auf die Beine und schlug den Weg ins Atrium ein.
    Lysandra folgte ihr wie immer wie ein Schatten, durch diese Neuigkeit auch ein wenig aus der Ruhe gebracht. Schließlich hatte sie die Zwillinge deren ganzes Leben lang begleitet. Sie schätzte und fürchtete Lucretia Lucilla. Diese Frau war, zumindest unter den Sklaven, nicht gerade für ihren Sanftmut bekannt, aber sie war immer gerecht gewesen. Vor ihr konnte man nur Respekt haben.



    [Blockierte Grafik: http://i687.photobucket.com/albums/vv232/Aine_photos/af.jpg] Marcus Asper


    Unruhig ging er auf und ab, man sah ihm die Strapazen seiner Reise an. Die Kleidung war staubig, die Augen lagen tief in den Höhlen und es schien, als habe er ein paar Falten dazu bekommen zu haben. Die Last des Lebens schien ihn nieder zu drücken. Für so einen ritt war er eigentlich nicht gemacht. Eine eindrucksvolle Erscheinung war er nicht, mit dem schütteren Haar und den hageren Gesichtszügen, aber es war nicht die äußerliche Erscheinung, sondern der kluge Kopf, der ihn zu einem unersetzlichen Mann an der Seite von Lucretia Lucilla machte. Seine Erfahrung und auch seine Weisheit wusste die ältere römische Dame zu schätzen.
    Und genau aus diesem Grund eilte Flora durch die Gänge der Villa. Er konnte nur schlechten Nachrichten bringen. Ihre Mutter schickte ihre rechte Hand schließlich nicht einfach nur aus Freude an der Sache nach Rom. Es konnte eigentlich nur bedeuten, dass ihre Mutter entweder schwer krank war, oder aber gestorben. Schließlich war ihre Mutter schon lange nicht mehr die Jüngste.
    Flora war schon fast auf das Schlimmste gefasst, als sie das Atrium betrat. Dennoch konnte sie ein paar höfliche Floskeln über die Lippen bringen. „Salvete Asper. Lange haben wir uns nicht mehr gesehen. Was bringt dich nach Roma?“ kam sie dann doch aber recht schnell auf den Punkt. Nur mit Mühe hatte sie ein kleines Lächeln zustande gebracht. „Geht es Mutter gut?“ sprudelte dann auch schon die besorgte Frage aus ihr heraus.
    Der Verwalter schüttelte den Kopf, als einer der Sklaven ihm eine Erfrischung reichen wollte. Er hatte die letzten Tage sich die richtigen Worte zu Recht gelegt, doch kaum wurde er dem Zwilling gewahr, klang jedes Wort wie blanker Hohn. Nie war ihm etwas so schwer erschienen, wie die Neuigkeit, die er mit sich brachte. „Deiner Mutter geht es gut“, erklärte er und seufzte tief. Er wollte diese Aufgabe übernehmen, aber einer musste es ja tun.
    Erleichterung und auch Verwirrung zeichneten sich auf ihren Zügen ab. Sie konnte einfach nicht verstehen, warum er dann hier war.
    „Du solltest dich setzen!“ meinte er behutsam und deutete auf den Rand des Impluviums. Immer weniger konnte Flora verstehen, was hier vor sich ging. Etwas wiederwillig kam sie seiner Aufforderung nach und sah ihn anschließend dann aber auffordernd an. Als sie seinen Gesichtsausdruck sah, wurde ihr ein wenig flau im Magen.
    Warum musste ausgerechnet er diese Botschaft überbringen. Wie sollte er die richtigen Worte finden. Es versetzte ihm einen schmerzhaften Stich, als er in die grünen Augen sah. Schon immer waren sich die Schwestern ähnlich gewesen, äußerlich, wie auch vom Charakter, kaum vorzustellen, dass es nun nur noch einen Zwilling gab. „Es tut mir Leid, Flora…. Narcissa hatte einen Unfall“, hinter ihm erklang ein erschrockenes Keuchen. Lysandra schlug die Hände vor den Mund und wirkte mit einem Schlag um Jahre gealtert. Die nächsten Worte drangen Flora nur langsam ins Bewusstsein. „Sie ist Tod…“


    Sim-Off:

    Für alle offen!

  • Völlig Fassungslos starrte Flora den älteren Mann an. Sie konnte nicht wirklich begreifen, was er ihr soeben eröffnet hatte. Wenn sie ihn nicht so gut kennen würde, würde sie es für einen schlechten Scherz halten.
    Aber Marcus Asper war humorlos, ein Mann tiefster Ernsthaftigkeit und voller Pflichtbewusstsein.
    Nur ganz langsam tröpfelte die Bedeutung seiner Worte in ihr Bewusstsein. Unfall… Tod… Unfall … Tod … Unfall … Tod wie ein grausamer Singsang wiederholte sie seine Worte im Geiste und doch wollten sie so gar keinen Sinn ergeben. Es war so unwirklich, so unvorstellbar und irgendwie aberwitzig. Der Tod war so endgültig, aber es konnte doch nicht sein, dass ausgerechnet Narcissa ins Elysio eingegangen soll, war absurd. Zumindest in ihrer eigenen kleinen Weltvorstellung. Narcissa war immer da, selbst wenn sie räumlich getrennt waren. Niemand konnte verstehen, wie verbunden die beiden Zwillingsmädchen mit einander waren. Sie teilten alles, ihre Gedanken, ihre Geheimnisse, Erlebnisse und Träume. Narcissa war ihre Schwester, ihre beste Freundin, ein Teil ihres Selbst und noch viel mehr. Narcissa gehörte einfach zu ihr, sie brauchte sie wie Luft zum Atmen. Es konnte einfach nicht sein, dass sie plötzlich einfach nicht mehr da sein sollte.
    Plötzlich schien die Zeit still zu stehen und in diesem Augenblick zerbrach etwas in ihr. Binnen eines Herzschlages schien plötzlich die Welt unter zu gehen. Nicht laut und tosend, wie man vielleicht erwarten würde, sondern völlig leise. Als würde alles von Finsternis verschlungen werden.
    Flora sah sich an einem finsteren Abgrund stehen und spürte wie etwas in ihr für immer in absoluter Finsternis verschwand. Es war, als sei sie plötzlich ganz allein auf dieser Welt. Ein solch überwältigendes Gefühl der Einsamkeit hatte sie noch nie verspürt. Allumfassend und gewaltig. Kalt und dunkel und so endgültig.
    Das innere Band, welches sie immer verspürt hatte, war plötzlich gerissen und ließ sie völlig hilflos zurück. Treibend und orientierungslos in einem Meer aus Angst und Verzweiflung.
    Für die Dauer eines Augenaufschlages veränderte sich mit einem Male alles. Aus den grünen strahlenden Augen schien einfach jedes Leben zu weichen. Leer und ausdruckslos wurde ihr Blick, als sich ihre Augen mit Tränen füllten und ein heiseres Schluchzen ihrer Kehle entwich.


    Lysandra stand da, angewurzelt und geschockt. Mit vielem hatte sie ja gerechnet, aber nicht mit dieser Nachricht. Auch sie konnte nicht begreifen, wie dies hatte geschehen können.
    Im Hintergrund ließ der andere Sklave das Tablett mit den Getränken fallen. Wein, rot wie Blut, ergoss sich über die Fliesen. Fast könnte man meinen, dass ein böser Fluch auf der Familie lag. Gleich zwei Aurelier kurz nach einander wurden zu den Ahnen gerufen. Erst Manius Orestes und nun seine Schwester Narcissa. Ein schwerer Schicksalsschlag...

  • Nigrina kam gerade von einem ausgiebigen Einkaufsbummel durch die Stadt zurück – den sie zwar liebend gern mit einem Besuch in den Thermen abgeschlossen hätte, aber noch sollte niemand merken, dass sie schwanger war, daher war ihr das zu riskant, sich nackt zu zeigen –, als sie das Atrium der Villa Aurelia von der Porta kommend betrat. Sie musste nur einen Schritt hinein gehen, um zu sehen, dass etwas nicht stimmte. Die Atmosphäre schien merkwürdig drückend zu sein, die Anwesenden waren wie erstarrt – und da waren Scherben und Wein auf dem Boden! Ohne dass sich irgendwer darum kümmerte, den Dreck wegzumachen! Nigrina runzelte die Stirn und schickte dem Sklaven, der bei der Sauerei stand, einen kalten Blick zu. „Mach das weg“, forderte sie ihn auf, und der Sklave gehorchte. Auch die aurelischen wussten inzwischen, dass mit der Flavia nicht zu spaßen war. Spätestens seit einem der ihren die Zunge herausgeschnitten worden war.


    Nigrina indes näherte sich langsam dem kleinen Auflauf, der in der Nähe des Impluviums zu finden war. Ein ihr unbekannter Mann stand da, reichlich unauffällig im Äußeren, vor allem aber recht schmutzig. Dazu ein paar Sklaven. Und dann war da Flora, die am Rand des Impluviums saß und seltsame Geräusche von sich gab, die verdächtig nach Schluchzen klang. Nigrina runzelte die Stirn und schätzte die Situation im Bruchteil eines Moments ab. Hatte sie Lust darauf, sich nun anzuhören was um alles in der Welt da passiert war? Nein, eigentlich nicht, lautete die ehrliche Antwort. Allerdings: sie war Matrona. Mehr noch, sie war die Hausherrin. Verantwortlich für die Familienmitglieder. Und wer wusste schon, was für Neuigkeiten das wirklich waren. Flora jedenfalls schien schwer getroffen zu sein, und das ließ darauf schließen, dass es um irgendetwas Gewichtiges ging, und nicht etwa darum, dass beispielsweise ihr Lieblingskleid kaputt gegangen war.
    Nigrina ging also zu ihrer verschwägerten Cousine und berührte sie leicht an der Schulter. „Was ist passiert, Flora?“

  • Eine von Prisca handgeschriebene Liste sowie einen Korb mit sich rumtragend wanderte Tilla durch die aurelischen Räumlichkeiten und suchte alle kleineren Gegenstände zusammen, welche Prisca im flavischen Heim um sich haben wollte. Weil es sonst nicht mehr 'genauso so wie drüben sein würde'. Tilla verstand die Aussage nicht ganz und zuckte die Schultern. Für sie war es die Hauptsache ein Dach uberm Kopf zu haben sowie reichlich Lebensmittel zu verzehren, ansonsten war es ihr egal, wie karg oder wie reich die Räume ausgestattet waren, in denen sie sich zuweilen aufhielt oder aufhalten musste. Jetzt musste sie ins atrium Erneut nahm sie einen kleineren Gegenstand und legte diesen in den Korb. Diesmal war es eine kleine Vase. Nun bemerkte die junge Frau, dass durch die Wegnahme nun etwas auf der Anrichte fehlte, was die Vase ersetzen könnte. So ein Pech!


    Dass weitere Leute am selben Ort befanden, bekam Tilla mit. Die stumme Sklavin hatte jedoch nichts mit ihnen zu tun und bewegte sich leise, um niemanden zu verärgern, wie ein lautloser Schatten von Stelle zu Stelle. Ganz so, wie man es von ihr, einer Sklavin, erwartete. Die Ohren blieben gespitzt, deshalb bekam sie die Nachricht von dem alten Mann mit. Wie? Was? Narcissa verstorben? Was war denn nur los, dass die Götter die Reihen der Herren und Herrinnen nur so lichteten??!??! Auch die Sklavin der Blümchen war kreideweiss im Gesicht geworden. Langsam stellte sie den Korb auf den Boden und ging ein paar Schritte nach vorne aufs impluvium zu. Das Becken war durch den beinahe ständigen Regen sehr voll. Bevor sie jedoch Blümchen Flora erreichen konnte, kam eine Frau dazu, die sogleich alles zu erfassen wusste. Es war die Frau von Lupus, die Flavierin, die sich eingeheiratet hatte. Sie gab sogar Befehle. Tilla stand momentelang unentschlossen auf dem Fleck, nicht wissend, was sie machen und ob sie gehorchen sollte.


    Das letzte gut gemeinte 'sich-um-jemanden-kümmern' war ganz schön in die Hose gegangen. Ihre kurzen Haare zeugten davon. Schliesslich drehte sie sich um, winkte dem Sklaven, welcher das Geschirr verloren hatte, mit dem Aufwischen zu beginnen. Tilla zuppelte ein eigenes Tuch hervor und kniete sich nieder, um das Aufwischen zu beginnen. Die einzelnen Scherben steckte sie in einen heil gebliebenen Teil des Wasserkruges. Bald schon rochen ihre Hände nach Wein, ein für Tillas Nase widerlicher Geruch! Um sie von Geruch und Farbe zu reinigen, beugte sie sich zum Wasser und begann die Hände zu waschen, immer wieder besorgte Blicke zu Flora werfend. Das Händewaschen dauerte nicht lange. Tilla erhob sich und winkte den Sklaven mit sich. Auf der Wachstafel schreibend notierte sie für ihn was sie zu tun gedachte und dass er aufpassen sowie hilfsbereit sein sollte. Danach rannte die stumme Sklavin zur Haupttür der Villa Aurelia, raus auf die Straße und weiter zur Villa Flavia.


    Sim-Off:

    Bin dann mal wen Hilfreichen holen...

  • Kaum das Nigrina ihn anfuhr, erwachte der Sklave aus seiner Erstarrung, eilig senkte er den Blick. Murmelte ein „Sofort domina“ und beeilte sich dann die Scherben aufzusammeln. Alle Sklaven fürchteten sich vor der Flavia. Sie hatte einen Sklaven die Zunge heraus schneiden lassen, weil dieser getratscht hatte. Eine Bagatelle, mochte man meinen, aber Nigrina hatte dies nicht so gesehen. Eine Lektion für alle Sklaven des Haushaltes, man musste vor ihr auf der Hut und sie fürchten. Bisher hatten die Sklaven der Aurelia eigentlich ein entspanntes Leben geführt. Bis auf die üblichen kleinen Launen der Herrschaften. Ganz kurz nickte er Tilla zu, als diese ihm half. Er warf einen kurzen Blick auf das was Tilla ihm geschrieben hatte und nickte ein wenig unentschlossen. Was konnte er schon Angesichts dieser Tragödie ausrichten? Anschließend entschwand sie und er blickte ihr nur nach. Er sammelte die Scherben auf und sorgte dann dafür, nicht ins Visier der launischen Flavia zu gelangen.


    Wären die Tränen nicht gewesen, hätte sie auch eine Statue sein können. Völlig regungslos und aschfahl saß sie da und starrte in die Leere. Niemand würde ihren Kummer wohl jemals begreifen können. Plötzlich war da nur noch Einsamkeit. So allumfassend, dass es ihr den Atem nahm. Was um sie herum geschah bekam sie nicht mit. Narcissas Tod hatte sie erschüttert. Wobei erschüttert traf es nicht. Narcissa war Tod und es war, als sei Flora mit ihr gegangen.
    Erst eine leichte Berührung an der Schulter holte sie ein wenig zurück. Leicht hob sie den Kopf und sah Nigrina Gram erfüllt an. Sie bekam kein Wort über die Lippen, sondern begann nur heftig zu schluchzen.


    [Blockierte Grafik: http://i687.photobucket.com/albums/vv232/Aine_photos/af.jpg] Marcus Asper


    Marcus Asper verneigte sich leicht, als Nigrina neben ihn und Flora trat. Er fühlte sich völlig hilflos. Tröstende Worte würden den Schmerz nicht lindern. Die junge Aurelia war zu keiner Antwort im Stande. Also räusperte er sich leicht um auf sich aufmerksam zu machen. „Salve, Herrin“, begrüßte er sie mit dem nötigen Respekt und Achtung. Ein wenig erinnerte sie ihn ja an Lucretia Lucilla, eine ähnliche Ausstrahlung der Macht. Eine einehmende Persönlichkeit. Allein ihre Anwesenheit sorgte dafür, dass die Sklaven sie fürchteten. „Ich bin Marcus Asper und bringe leider schlechte Nachrichten.“ Er holte einmal tief Luft, bevor er seine Botschaft wiederholte. „Es gab einen schrecklichen Unfall. Narcissa ist tödlich verunglückt.“ Die näheren Umstände hatte er bisher noch nicht erläutert. Er wartete auch damit, um der Flavia die Möglichkeit zu geben, diese Nachricht aufzunehmen. Wer sie war, wusste er nicht. Er konnte nur raten und Vermutungen anstellen.

  • Der Sklave spurte, das war alles, was Nigrina wissen musste. Nachdem das sicher gestellt war, achtete sie nicht mehr weiter auf das übrige Gewusel im Atrium, sondern widmete sich der Aurelia, die wie ein Häuflein Elend da saß. Auf Nigrinas Berührung hin sah sie auf, fing an zu schluchzen – beantwortete allerdings nicht die Frage, was in der Flavia einen leichten Unwillen aufkeimen ließ. Da kam sie schon herbei, um da zu sein, gegebenenfalls sogar zu helfen, wenn es möglich war, und dann bekam sie noch nicht einmal eine Antwort?
    Allerdings kam es noch schlimmer, denn der Fremde, der da immer noch mitten im Atrium stand und eine Wolke aus abgestandenem Schweiß verbreitete, die Nigrina in ihrem momentanen geruchsempfindlichen Zustand noch unerträglicher fand als es ohnehin schon der Fall gewesen wäre – dieser Fremde also ergriff einfach das Wort und sprach sie an. „Habe ich mit dir gesprochen?“ Ihre Stimme wurde nicht lauter, war im Gegensatz sogar der augenblicklichen Stimmung angepasst eher leise, aber um nichts weniger lauernd. Zwar wusste der Kerl, was sich gehörte im Bereich der Begrüßung. Aber er hatte ungefragt gesprochen. Wenn sie von ihm hätte wissen wollen, was passiert war, hätte sie ihn gefragt, aber sie hatte mit Flora gesprochen, nicht mit dem Kerl. Und sie wusste schon, warum sie es bevorzugte, mit Sklaven und Bediensteten so wenig wie möglich zu reden, sah man von simplen Anweisungen einmal ab – diese zeigten leider häufig die Tendenz, die Gelegenheit zu nutzen und einen dann mit unnötigen Details zu versorgen, wie in diesem Fall beispielsweise wie dem eigenen Namen. Was Nigrina nicht im Mindesten interessierte. „Du wartest, bis du gefragt wirst“, fuhr sie fort, noch bevor der Kerl die Chance hatte auf ihre – ohnehin rhetorische – Frage zu reagieren. Und dann wedelte sie mit der Hand vor ihrer Nase herum, während sie eben diese rümpfte. „Und um Iunos Willen geh ein paar Schritte zurück.“


    Trotz ihrer Reaktion auf seine vorlaut geäußerten Worte sah Nigrina natürlich durchaus, dass er auch etwas tatsächlich Informatives von sich gegeben hatte. Sie wandte sich wieder Flora zu und ließ sich nun neben ihr nieder. Narcissa. Der Zwilling. Die potentielle Vestalin. Auf ihrer Sponsalia hatten sie sich gesehen, danach auch noch das ein oder andere Mal, aber dann war das Mädchen abgereist, zu ihrer Mutter, um diese noch einmal zu besuchen, bevor sie den Vestalinnen beitreten sollte. Und die war jetzt tot? Was für eine Schande. Als Vestalin hätte sie einiges an Prestige bringen können.
    „Oh, Flora...“ Wieder legte sie ihre Hand sacht auf die Schulter der Aurelia, ließ sie diesmal dort. Auch wenn sie selbst zu dem Typ Mensch gehörte, der mit Berührungen dieser Art nicht viel anfangen konnte, hieß das nicht, dass sie nicht um die Wirkung eben solcher Art von Nähe auf viele andere wusste. Gerade in solchen Situationen. Sie hatte es ja selbst vor nicht allzu langer Zeit erlebt, als Vera gestorben und Aulus am Boden zerstört war. Entsprechend ehrlich mitfühlend klang ihre Stimme. „Ich habe zwei Schwestern verloren, aber einen Zwilling... ich mag mir gar nicht vorstellen, wie das für dich sein muss.“ Fakt war, sie konnte es sich nicht vorstellen. Sie hatte zu keiner ihrer Schwestern ein sonderlich enges Verhältnis gehabt – wobei Leontia noch diejenige gewesen war, die ihr am nächsten stand, das allerdings mehr, weil sie zu ihr aufgesehen, sie bewundert hatte, nicht weil sie sie tatsächlich so innig geliebt hätte. Nein, Nigrina konnte sich nicht vorstellen, wie Flora sich wohl fühlen mochte. Veras Tod hatte in ihr zwar Betroffenheit ausgelöst, ihr zugleich aber auch ein fast schon absurdes Gefühl von Lebendigkeit verliehen. Sie war nicht von Pluto geholt worden. Leontia. Vera. Zahllose andere, wie jetzt Narcissa. Menschen starben. Kein Wunder, sie waren so furchtbar zerbrechlich, wenn man es genau betrachtete. Sie aber lebte. Und sie hatte festgestellt, dass sie das selten so intensiv spürte wie in jenen Momenten, in denen sie die Nachricht vom Tod eines Menschen erhielt, den sie besser gekannt hatte. Aber das war nichts, was sie mit Flora hätte teilen können. Selbst wenn die Aurelia nicht ähnlich betroffen gewirkt hätte wie Aulus nach Veras Tod, hätte Nigrina wohlweislich ihre Klappe gehalten.
    Während ihre Finger sachte Streichbewegungen auf Floras Schulter vollführten und sie beschloss, die Aurelia erst mal weinen zu lassen, sah Nigrina auf und nickte dem fremden Plappermaul kurz zu, zum Zeichen, dass sie diesmal ihn ansprach. „Was genau ist passiert?“

  • Als sich Nigrina neben sie setzte, konnte Flora nicht mehr an sich halten. Haltlos schluchzend warf sie sich der Flavia an den Hals und drückte ihr Tränen nasses Gesicht gegen deren Schulter.


    [Blockierte Grafik: http://i687.photobucket.com/albums/vv232/Aine_photos/af.jpg] Marcus Asper


    Marcus Asper kam zu dem Schluss, dass die junge Dame vor ihm genauso wie Lucretia Lucilla war. Eine Person die Respekt einforderte immer und überall. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte der humorlose Mann doch glatt gegrinst. Das Nigrina ihn so anfuhr beeindruckte ihn nicht im Geringsten. Mit solchen Damen wusste er umzugehen. Sie mochte eine Patrizierin sein, doch von ihrer überheblichen Art ließ er sich nicht beeindrucken oder den Mund verbieten. Da musste schon mehr kommen, dass er ernsthaft in Erwägung zog sich zurück zu ziehen. Aus seiner Sicht hatte die Flavia, von der er nicht wusste, dass sie eine Flavia war, noch eine Menge zu lernen. Besonders was die Einschätzung seiner Person anging. Er war kein Sklave, sondern der Spross einer durchaus wohlhabenden Familie. Nur hatte er schon vor Jahrzehnten mit dieser gebrochen. Aus diesem Grund nannte er auch niemals seinen Familiennamen. Er wollte mit seiner Sippe rein gar nichts mehr zu tun haben. Aber das würde er ihr sicherlich nicht auf die Nase binden. Dennoch tat er ihr den Gefallen und trat ein Stück zurück. Zeit für einen Thermenbesuch hatte er sich genommen. Wobei er zum Zeichen des Respekts leicht den Kopf neigte. Geduldig und mit ausdrucksloser Miene wartete er nun darauf, dass man erfahren wollte was genau vorgefallen war. Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken und richtete seinen Blick auf eines der Mosaike.
    Nachdem die Hausherrin ihrer Betroffenheit Ausdruck verliehen hatte, rückte er doch glatt wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Wieder räusperte er sich. Eine trockene Kehle war der Nachteil eines scharfen Ritts. Nun bedauerte Marcus es ein wenig, dass der Sklave so unachtsam gewesen war und den Wein verschüttet hatte. Aber das war nebensächlich.


    „Ein bedauerlicher Unfall“, begann er völlig emotionslos zu erklären. „Narcissa wollte das Frühlingswetter zu einem kleinen Reitausflug nutzen. Eigentlich nichts besonderes, wenn man bedenkt dass die Schwestern gut reiten können. Aber die Stute ist durchgegangen. Aufgeschreckt durch eine Schlange. Narcissa stürzte und brach sich das Genick.“

  • Als Flora sich ihr regelrecht an den Hals warf, musste Nigrina sich zum ersten Mal bemühen, ihre Fassade aufrecht zu erhalten. Götter, bitte, die Aurelia verwandelte sich in einen regelrechten Wasserfall, der sich über ihren Hals, ihre Schulter und ihr Kleid – ihr neues Kleid, von dem ihr Mann besser gar nicht erst erfuhr, was es gekostet hatte, selbst wenn er es nicht hatte zahlen müssen! – ergoss, und Nigrina wollte gar nicht daran denken, was in nicht allzu ferner Zukunft aus der Nase ihrer angeheirateten Cousine kommen – und an ihr kleben bleiben! – würde, wenn diese weiter so heulte.
    Dennoch, Nigrina riss sich nachgerade tadellos am Riemen. Sie sprang nicht auf, wie sie es am liebsten getan hätte, sie zuckte noch nicht einmal weg, sondern legte stattdessen tröstend einen Arm um die bebenden Schultern Floras. Sie war immerhin schwanger. Sie hatte in den vergangenen Wochen weit mehr und weit abstoßendere Körperflüssigkeiten von sich gegeben, als sie bis dahin für möglich gehalten hätte, und das durch ihren Mund. Und sie hatte eine Geburt vor sich, die noch viel ekelhafter werden würde. Da war das hier doch wohl ein Klacks dagegen.


    Sie saß also neben der Aurelia und ließ sie erst mal einfach weinen. Aulus war ja ähnlich gefühlsduselig, da hatte sie schon genug Erfahrung um zu wissen, dass es in solchen Fällen das Beste war, einfach abzuwarten. Der Kerl indes, der nach ihrer Zurechtweisung brav ein wenig zurückgegangen war und geschwiegen hatte, wie es sich gehörte für ihn, folgte nun ihrer nebenbei geäußerten Aufforderung und erzählte, was passiert war. Und Nigrinas Kopf fuhr hoch. „Sie ist WAS, bitte?“ entfuhr es ihr. Geritten? Eine Patrizierin?“ Nigrina konnte sich gerade sich gerade noch so das selber Schuld verkneifen, das ihr auf den Lippen lag. Die empörte Fassungslosigkeit ob dieser Neuigkeit allerdings konnte sie nicht verschleiern. Geritten! Welche Römerin mit Anstand im Leib ritt denn bitteschön? Und dann auch noch offenbar häufig genug, dass sie gut reiten konnte, und dass es nichts besonderes war?!? Nigrinas Urteil über die Zwillinge war ja ohnehin eher zweifelnd gewesen, wie schlicht bei den meisten Menschen, die sie kennen lernte, aber das hier war eine Information, die ihre Meinung gehörig absacken ließ. Reiten. Reiten! Eine Römerin, eine Patrizierin! Ritt wie ein Bauer durch die Gegend! Das musste an dem syrischen Blut liegen, das über die paar Generationen einfach noch nicht hatte ausdünnen können.

  • Sie begleitete Prisca den ganzen Weg bis zur Villa Aurelia und sah zu, dass Prisca endlich das atrium erreichte. Immer noch saß Flavia Nigrina bei dem nun alleine am Leben gelassenen Blümchen Flora auf der Umrandung des impluviums. Tilla tauschte fragende Blicke mit Prisca aus. Solle sie ihre Herrn bis hin zu den knieenden Frauen geleiten oder Prisca den restlichen Weg zu Flora alleine gehen lassen? Ohne, dass es ihr bewusst wurde, legte sie ihr eigenes Taschentuch in die andere Hand von Prisca und liess die Herrin machen was sie wollte. Schliesslich trat Tilla in den Hintergrund, stellte sich zu dem Sklaven, der vorhin alles verschüttet hatte. Von diesem Malheur war inzwischen nichts mehr zu sehen. Tilla nickte ihm anerkennend zu und wartete die Frauen aufmerksam beobachtend ab, was nun geschehen würde. Natürlich war sie bereit sofort einzugreifen, wenn sie benötigt oder gewünscht wurde.

  • Ob Nigrina diese körperliche Nähe zu ihrer angeheirateten Cousine angenehm war oder nicht, spielte für Flora in diesem Augenblick keine Rolle. Auch wenn das Mitgefühl vielleicht nur geheuchelt war, so war sie doch dankbar dafür und ließ ihrem Kummer an der Schulter der Flavia ihren freien Lauf. Von dem Gespräch bekam sie rein gar nichts mit. Die Nachricht über den Tod ihrer Schwester hatte sie so sehr erschüttert, dass sie nicht mitbekam, was um sie herum geschah. Die Worte des Verwalters plätscherten über sie hinweg, ohne dass sie den Sinn erfasste. Flora schluchzte nur, während diese sich echauffierte und nicht fassen konnte, dass die Zwillinge reiten konnten. Nicht gerade ein Freizeitvergnügen, dass für eine junge patrizische Frau geeignet war. Eben aus dem Grund, dass es gefährlich war. Das ausgerechnet Narcissa diesen schrecklichen Unfall haben musste, war schon irgendwie eine Ironie des Schicksals. Ausgerechnet die Besonnene der beiden Schwestern. Die Götter waren in ihrem Handeln grausam und launisch. Es schien fast so, als sei die Gens vom Unheil verfolgt. Wodurch nur hatten sie den Zorn der Götter auf sich gezogen? Warum Narcissa? Sie hatte ihr Leben Vesta weihen wollen. Ein frommer Wunsch und eine große Ehre. Und nun war ihr Leben einfach ausgelöscht. Tragisch…


    Seltsamerweise spürte Flora nur eisige Kälte und Einsamkeit. Da war nicht wirklich Schmerz, sondern nur das schreckliche Gefühl plötzlich völlig allein zu sein. Narcissa war immer ein Teil gewesen, immer anwesend, auch wenn sie räumlich getrennt waren. Das Gefühl jemanden an seiner Seite zu haben, der einen besser kannte als man sich selbst, würde niemand begreifen können. Plötzlich war alles, dass was sie mit Narcissa verband, einfach verschwunden. Zurück geblieben war nur eine furchtbare Leere, die sie nicht begreifen konnte. So allumfassend, dass es sie schier niederdrückte und ihr den Willen zu Leben nahm.


    [Blockierte Grafik: http://i687.photobucket.com/albums/vv232/Aine_photos/af.jpg] Marcus Asper
    Fassungslosigkeit zeichnete sich kurz auf dem Gesicht der Flavia ab, Es gelang ihr nicht so schnell, wie sie es wohl wollte, ihre Gefühle wieder zu verbergen. Er zog es vor, dies nicht zu bemerken. Für den Moment wartete er schweigend ab.

  • Nigrina runzelte die Stirn. Vorhin war der Bote noch geschwätzig gewesen – und jetzt, wo sie mit ihm sprach, antwortete er auf einmal nicht mehr? Und dann auch noch bei so einer Sache?Die Flavia gab sich gar keine Mühe, ihre Fassungslosigkeit zu verbergen. Sie sah auch gar keinen Grund darin. Das war einfach eine Schande, dass eine Patrizierin einfach so in der Gegend umher geritten war, als sei sie ein einfacher Bauer, der von A nach B kommen musste und zu faul war, um zu Fuß laufen – und sich natürlich keine Sänfte samt Träger leisten konnte. Und da rechnete sie die Gefahren noch nicht einmal mit ein, die das Reiten so mit sich brachte! Gut, Narcissa hatte Vestalin werden wollen, da konnte es ihr natürlich herzlich egal sein, ob sie womöglich unfruchtbar wurde durch das ständige Geschaukel. Aber da war ja noch das Risiko eines Unfalls, und was die Aurelia davon hatte, sah man ja nun. Jetzt konnte sie Pluto erklären, warum um alles in der Welt sie sich auf ein Pferd gesetzt hatte.


    Dem Kerl ihr gegenüber sah sie allerdings immer noch auffordernd entgegen. „Ich warte“, sagte sie eisig, während zugleich ihre Finger in einer stetigen Bewegung über Floras Schultern strichen, um ihr auf tröstende Art zu vermitteln, dass sie da war.

  • Es gab Klänge. Dann gab es Laute. Es gab Geräusche. Und schließlich gab es in Rom auch jede Menge Lärm, was sich nicht vermeiden ließ in einer Stadt mit so vielen Einwohnern. Das Gekläffe der Wachhunde, das nächtliche Rumpeln der Fuhrwerke, die tausend Stimmen, die man in den eigenen Villen so gut wie möglich auszusperren versuchte... Aber nichts war auch nur halb so enervierend wie das Heulen und Schluchzen eines Kindes an der Schwelle zur Frau. Sextus hatte nichts gegen junge Frauen. Wirklich nicht. Ganz und gar nicht. Die waren frisch, knackig und so eifrig, dass es die helle Freude war, wenn man sie mit ein paar Komplimenten aus der Fassung gebracht hatte und endlich voranschreiten konnte mit dem, was einen überhaupt das Gespräch mit einer solchen erst beginnen lassen hatte.
    Aber dieses ständige Geheule wegen alles und jedem, weil die Welt ungerecht und schlimm war und man als Frau ja doppelt arm dran wäre und so weiter und so weiter... Nein, da gab es nur wenig Geräusche, die dieser Elegie des Jammerns etwas entgegensetzen konnten.
    Und genau so eine schien sich im Atrium abzuspielen, als Flora in hoher Stimmlage zu heulen und schluchzen anfing. Eigentlich wartete Sextus auf das nun den Gesetzen eines jugendlichen Wutausbruches Gestampfe zu ihrem Cubiculum, vielleicht gepaart mit einem Ausruf über die Ungerechtigkeit der Welt/der Männer/der Götter/der Stadt/einer ihm ohnehin unbekannten Freundin, bevor eine Tür heftig zuflog und weiterer enervierender Lärm in einem Kopfkissen erstickt wurde. Doch irgendwie ließ die erwartete Ereignisabfolge auf sich warten. Nichts geschah. Das Heulen blieb und wurde noch eine Spur heller und nervtötender.


    Als nach zehn Minuten immer noch kein Ende in Sicht schien, stand Sextus von seinem sehr bequemen Schreibtisch in seinem Officium auf und ging doch einmal nachschauen. Wenn eine Frau so rumheulte, wollte sie gefunden werden. Seine Cousinen machten da keine Ausnahme. Und wenn sie sich schon solche Mühe gab, aufzufallen, und ein bisschen Aufmerksamkeit zu heucheln hieß, dass er danach 1. seine Ruhe hatte und 2. der beste Cousin der Welt war, dann opferte er eben ein wenig Zeit. Notgedrungen.
    Also kam er ins Atrium, fand dort wie zu erwarten Flora (am Heulen), wie weniger zu erwarten Nigrina (am Trösten) und gänzlich unerwarteter Weise einen häßlichen Kerl (am Rumstehen).
    “Was ist hier los?“ verlangte er zu wissen. Er ließ seine stimme durchaus etwas schneidend sein. Wenn Flora am Heulen war und der Kerl hier rumstand, musste man kein Genie sein, um zu erkennen, dass er daran wohl schuld war. Was hieß, dass das heutige Theaterstück nicht „Der Charmeur“ hieß, sondern eher „Der Erretter von Jungfern in Nöten“. Da musste man schon ein wenig selbstbewusster auftreten und nicht durch freundliches Gehabe seinem Gegenüber den Eindruck vermitteln, als sei man wirklich an ihm als Person interessiert. Noch dazu, wo der Kerl heruntergekommen genug aussah, um Sklave zu sein, wenngleich die Bulla fehlte. Libertinus oder Peregrinus vielleicht. Nichts von Wert.

  • Nigrinas Geduldsfaden, der generell schon nicht besonders belastbar war und jetzt, im schwangeren Zustand, noch weniger, wurde zusehends dünner und stand bald kurz vor dem Reißen. Eine Patrizierin, die ritt, eine andere, die vor Trauer und Verlust derzeit zu nichts zu gebrauchen war – was Nigrina nicht wirklich nachvollziehen konnte –, ein vollgeheultes Kleid und ein Bote, der erst plapperte und dann seine eigene Stimme verschluckt zu haben schien. Nicht das, was Nigrina sich unter einem gelungenen Tag vorgestellt hätte.
    Insofern war es durchaus ein Lichtblick für sie, als Sextus das Atrium betrat. Wenigstens einer, der seine Sinne beisammen hatte. Sie sah zu ihm. „Narcissa ist tödlich verunglückt“, teilte sie ihm ruhig mit. Sie dachte gar nicht darüber nach, ob die Frage womöglich an den Boten gerichtet gewesen sein könnte – das lag außerhalb ihres Vorstellungsvermögens. Der Bote war ein simpler Bediensteter, vielleicht sogar Sklave. Natürlich war er vorerst einmal nicht gemeint, solange zwei Patrizierinnen anwesend waren. Und von denen war ja nur eine in der Lage zu reden. Mit gerunzelter Stirn deutete sie eine Kopfbewegung in Richtung des Kerls an. „Laut ihm ist Narcissa bei einem Ausritt vom Pferd gestürzt.“ Sie warf einen Blick auf Flora, die immer noch an sie gelehnt da kauerte, ihr Gesicht an ihrer Schulter verbarg und von nicht enden wollenden Schluchzern geschüttelt wurde. „Holt einen Medicus“, warf sie in die Runde, an keinen bestimmten Sklaven gerichtet – aber natürlich reagierten sie dennoch.

  • Erst ganz langsam rückten die Worte des Überbringers ihr ins Bewusstsein. Zwischen Tränen und Schluchzern drang die ganze Tragweite seiner Worte zu ihr durch. Narcissa war verunglückt, ob durch Leichtsinnigkeit oder Übermut, wusste wohl niemand zu sagen. Narcissa war fort, einfach verschwunden. Alles was ihre Schwester ausgemacht hatte nur noch Erinnerung. Nichts weiter. Für einen winzigen Augenblick schien sie sich wieder zu fassen. Ein verschwommener Blick glitt zu Asper hinüber. Irgendwie hoffte sie, dass er doch nur einen grausamen Scherz machte. Doch ein Blick in die ernsten Züge ließ diese schwache Zuversicht zu einer gnadenlosen Gewissheit werden. Ihr Zwilling war Tod. Sie würde ihre Schwester niemals wieder sprechen können. Wimmernd sank ihr Kopf wieder zurück an Nigrinas Schulter. Flora fühlte sich so unbeschreiblich einsam. Sie könnte versuchen sich das alles als Lüge einzureden, dass es nur ein Alptraum war. Nichts weiter wie Einbildung und Trugbilder. Doch es war ein Alptraum aus dem sie nicht einfach erwachen konnte. Die Wahrheit war grausam. Ausgerechnet Narcissa! Warum sie? Ausgerechnet ihre Schwester, die ihr Leben Vesta weihen wollte. Die brave, die liebe Narcissa. Was bezweckten die Götter damit, ein Familienmitglied nach dem anderen zu sich zu berufen. Es schien kein Ende zu nehmen. Erst Corvinus, dann Orestes und nun Narcissa. Auf welche Weise hatten sie die Götter so sehr verärgert. Fragen auf die sie wohl niemals eine Antwort erhalten würde. Die Götter brauchten sich nicht rechtfertigen, sie taten wonach ihnen der Sinn stand.
    Beim Reiten gestürzt! Erneut hörte sie es und erneut konnte sie es einfach nicht glauben. Das konnten die Götter doch nicht gewollt haben. Narcissa war auf dem Wege gewesen der Göttin Vesta zu dienen und dennoch riefen zu die Götter nun ab? Das war doch nicht gerecht! Warum mussten immer die Guten so früh dahin scheiden. Und warum Narcissa? Hatte sie nicht erst ihren Bruder verloren? Nun verlor sie ihre Schwester und damit den letzten Menschen, mit dem sie offen und ohne sich zu verstellen sprechen konnte. Ihre Vertraute, beste Freundin und geliebte Schwester.
    Im nächsten Moment kam ihr dann aber doch ein Gefühl von Schuld. Warum war sie nicht bei ihrer Schwester gewesen? Wenn sie dabei gewesen wäre, dann wäre dieser schreckliche Unfall nicht passiert! Warum war sie nicht bei ihrer Schwester gewesen? Schwerste Schuldgefühle plagten sie nun und die Gründe, warum sie nicht bei ihrer Schwester gewesen war, rückten in den Hintergrund. Wie hatte sie ihre Schwester nur so in Stich lassen könne? Es schien für sie im Moment alles keinen Sinn mehr zu machen. Sie war verzweifelt und einsam.
    "Er soll verschwinden! Ich will ihn nicht mehr sehen!", würgte sie dann doch heraus. Sie wollte Asper nicht mehr in ihrer Nähe haben. Sie hasste diesen Mann für das, was er ihr angetan hatte. Er hatte ihr ihre Schwester genommen. Er vertrat für sie im Moment alles Böse der Welt, er war der Grund für ihren Schmerz und ihre Trauer.

  • Anstelle des Kerls, der wie angewurzelt und auch ebenso stumm wie eine Pflanze einfach stehen blieb und sich nicht rührte, antwortete seine Frau, was geschehen war. Narcissa war tot. Aber nicht nur irgendwie, nein, von einem Pferd gestürzt. Reiten. Als Frau. Wie dämlich bei allen Parzen war die Mutter der Zwillinge, dass man ihr nicht einmal die einfache Aufgabe überlassen konnte, ein Mädchen von 16 Jahren kurz bei ihr unterkommen zu lassen, ohne dass die etwas vollkommen unstandesgemäßes machte und sich dabei auch noch das Genick brach?! Sextus blieb kurz einfach stehen und beobachtete die Szene wie ein außenstehender ruhig und analytisch. Tief in seinem innersten formierte sich das steigende Bedürfnis, etwas Schönes zu zerstören. Nicht, weil es etwas getan hatte, nicht, weil es schön war und damit nicht zu dieser häßlichen Situation passte. Schlicht und ergreifend, weil er es konnte. Doch im Moment konnte er diesen urgewaltigen Trieben nicht nachgeben, musste Hausherr spielen und ruhig bleiben. Die Sklavin, die er sich heute Nacht nehmen würde – und das würde er – würde wohl die Konsequenzen dieses Ärgernisses tragen müssen.


    “Sie ist nicht von einem Pferd gestürzt. Sie starb beim Sturz von einer Leiter.“ Sextus sagte es, als wäre das eine feststehende Tatsache. Und im Grunde war es damit auch eine. Er würde sicher nicht zulassen, schon gar nicht während der Verlobungszeit zwischen Flora und seinem Patron, dass so eine Geschichte die Runde machte, die Aurelierinnen würden reiten. Bauern ritten auf ihren Eseln zum Markt, Eques ritten hier und da mal (weswegen sie ja auch Eques hießen), Soldaten ritten vielleicht noch in die Schlacht. Zumindest, sofern sie zu einer Ala gehörten und keiner Legio, und damit den Fußtruppen. Legionskommandanten und Offiziere ritten. Aber Patrizierinnen ritten unter keinen Umständen, und schon gar nicht sich selbst zu Tode. Jedes Kind wusste, dass reiten unfruchtbar machte, und Sextus würde nicht zulassen, dass Gerüchte aufkamen, die Aurelierinnen seien unfruchtbar.
    Das Geheule und Geschluchze von Flora ignorierte er dabei, auch wenn die den Kerl hier aus den Augen haben wollte. Sie war hysterisch und am kreischen, darüber hinaus jung und eine Frau. Nicht unbedingt die beste Grundlage, als dass Sextus ihren Wünschen verständnisvoll nachkommen würde. Nicht, solange es noch etwas zu klären galt. Auch wenn er wenigstens so tun musste, als interessiere ihn ihre Gefühlswelt. “Vielleicht möchtest du sie hineinbringen und hinlegen, bis der Medicus kommt?“ Er sprach es ruhig, mit einem Anflug von Sorge in der Stimme mit Blick auf das Häuflein Elend.


    Auch für Sextus war Narcissas Tod eine Katastrophe. Als vestalin hätte Narcissa der Familie hohes Ansehen bringen können. Wenn sie nicht irgendwo im Laufe ihrer Dienstzeit durch so etwas dämliches wie einen Reitunfall (Sextus kam über diesen Punkt einfach nicht hinweg) gestorben wäre, sie hätte bis zur Virgo Maxima aufsteigen können. Aber das war für ihn kein Grund, sich so gehen zu lassen, wie Flora es tat. Aber als Frau hatte diese wohl auch die Pflicht, lautstark jammernd zu klagen und zu heulen und sich die Haare zu raufen. Dennoch konnte er nur Verständnis heucheln. Seine Sorge hingegen hatte durchaus einen greifbaren Ursprung. Wenn Flora sich weiter so echauffierte, würde sie am Ende nicht mit einer kürzeren Trauerzeit einverstanden sein, so dass die Hochzeit mit Tiberius Durus planmäßig stattfinden konnte. Während der Trauerzeit durfte sie nicht heiraten. Was ein kleines Problem darstellte. Also galt es, sie ruhig zu stellen, und sei es mit einem Schlaftrunk.
    Und es galt, diesem Hampelmann hier noch klarzumachen, dass er seine Pferdegeschichte am besten gleich wieder vergaß. Sextus wandte sich also wieder der schweigsamen Pflanze zu, um ihn noch ausdrücklicher zu instruieren. “Ich hoffe, dass dieses Missverständnis mit dem Reiten für alle Zeit geklärt ist, und du auch die Mutter des Mädchens von solcherlei Aussagen abhalten kannst. Ein Sturz von einer Leiter ist so schon tragisch und schlechtes Omen genug, meinst du nicht?“ Natürlich war das eine rhetorische Frage. Aber Sextus hatte auch wenig Skrupel davor, zu drastischeren Mitteln zu greifen, um diesen Blödsinn zu unterbinden. Und er würde diesbezüglich noch mit Ursus wohl oder übel schreiben müssen.

  • Nigrina musterte ihren Mann, während sie ihm in knappen Worten mitteilte, was sich zu getragen hatte. Sie kannte ihn mittlerweile gut genug, um zu ahnen, dass er ähnlich wie sie so gar nichts von der Neuigkeit hielt, die er serviert bekommen hatte – und das nicht so sehr, weil, sondern vor allem wie seine Cousine gestorben war. Aber wie üblich beherrschte Sextus sich perfekt. Es war ihm nicht das Geringste anzusehen, was wohl wirklich in ihm vorgehen mochte, und selbst – oder vielleicht sogar gerade – in dieser Situation, in der sie fassungslos war über die Umstände von Narcissas Tod, in der Flora nach wie vor Rotz und Wasser auf ihre Schulter heulte, konnte sie nicht umhin ihn dafür zu bewundern. Sie wollte das auch können. So sehr sie sich im Augenblick auch im Griff haben mochte, insbesondere was Flora betraf, und gebührende Betroffenheit zeigte, und so wenig sie ihre Empörung verbergen wollte, weil das einfach ein Unding war, dass Narcissa geritten war – es blieb die Tatsache, dass ihre Fassade nicht einmal dann perfekt gewesen wäre, wenn sie es gewollt hätte. Sextus hingegen wirkte tadellos.


    Als ihr Mann dann etwas sagte, nickte Nigrina nur widerspruchslos. Sturz von einer Leiter. Das klang gut, das klang sehr gut. Das mit dem Reiten konnte man ja kaum herum erzählen. Auch wenn sich die Frage stellte, was Narcissa wohl auf einer Leiter zu suchen gehabt hatte... aber das war deutlich besser als die Wahrheit. Der Bote würde dazu gebracht werden müssen, sich an diese Version zu halten. Die Sklaven hier, jedenfalls die ihren, würden sich an alles halten, was man ihnen sagte, aber es konnte nicht schaden, es ihnen in diesem Fall noch einmal besonders einbläuen zu lassen. Dann war da noch Flora. Aber die war gerade so außer sich, dass sie sich später vielleicht selbst nicht mehr so genau daran würde erinnern können, woran Narcissa genau gestorben war... Vielleicht hatte sie es auch gar nicht mitbekommen, als der Bote ihr das erzählt hatte, war Flora ja schon völlig aufgelöst gewesen. In diesem Fall würde es auch für den überlebenden Zwilling nur die Wahrheit sein – aber das blieb abzuwarten, woran Flora sich später noch würde erinnern können. Aber die Mutter gab es auch noch. Lucretia und ihre Bediensteten.
    In ihre Gedanken hinein platzte Flora mit der Forderung, dass der Bote verschwinden sollte, und Nigrina verzog ganz kurz das Gesicht, als die plötzliche Bewegung sie spüren ließ, wie feucht der Stoff an ihrer Schulter geworden war. Erneut war es Sextus, der sie in gewisser Hinsicht rettete, indem er sie ablenkte. „Ja, das ist wohl besser“, antwortete sie ihm ruhig und verstärkte sachte den Druck der Hand, mit der sie nach wie vor über Floras bebende Schultern strich. Sie löste sich noch mehr von ihrer angeheirateten Cousine, erhob sich und versuchte Flora mit angedeutetem Druck verständlich zu machen, dass sie ebenfalls aufstehen solle. „Komm, Flora. Ich bringe dich in dein Cubiculum.“ Scheinbar geduldig stand Nigrina da und wartete auf eine Reaktion, während sie nebenbei weiterhin ihrem Mann lauschte, der nun dem Boten ins Gewissen sprach. Sie würde einen Dreck tun und sich selbst, noch dazu schwanger wie sie war, in irgendeiner Form körperlich anstrengen, um Flora zum Aufstehen und Gehen zu bringen. Sollte die Aurelia nicht innerhalb der nächsten Augenblicke reagieren, würde sie sie vom Parther oder einem anderen Sklaven tragen lassen, aber zunächst wollte sie Flora die Gelegenheit geben, zur Vernunft zu kommen, weit genug jedenfalls um zu begreifen, dass das Bett für sie im Moment wohl tatsächlich der beste Ort war.

  • Je länger sie Zeit hatte sich darüber bewusst zu werden, dass ihre Schwester Tod war und nie wieder zurück kommen wurde, desto elendiger fühlte sie sich. Sie hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Für Flora war es ein Weltuntergang. Es war, als wäre auch sie gestorben. Alles war unwichtig und es wurde auch nicht gerade Besser, wenn ihre Verwandten sich um sie kümmerten. Nur Narcissa hätte vielleicht den Schmerz lindern können. Aber ausgerechnet dieser wichtigste Mensch in ihrem Leben war nun Tod. Noch immer schluchzte sie an Nigirnas Schulter und ließ sich dann einer Puppe gleich auf ihr Zimmer bringen. Sie sperrte sich ein und wollte niemanden sehen.


    Sim-Off:

    Entschuldigt, dass ich euch so lange hab warten lassen und dass es jetzt auch so kurz geworden ist. Aber wenigstens hat das Ganze erst einmal ein Ende.

  • [Blockierte Grafik: http://i687.photobucket.com/albums/vv232/Aine_photos/af.jpg] Marcus Asper


    “Natürlich, sie starb bei einem Sturz von der Leiter”, stimmte er Lupus zu. Die Frage war nur, was um Himmelswillen denn eine Aurelia auf einer Leiter zu suchen gehabt hatte? Weder die eine noch die andere Erklärung was denn nun zum Tode Narcissas geführt hatte, war wirklich vorteilhaft. Aber wenn es der Wunsch von Lupus war, dass seine Cousine von einer Leiter gefallen war, dann sollte es so sein. Wobei er sich ziemlich sicher war, dass Lucretia Lucilla bereits eine eigene Version ausgedacht hatte. Eine die wesentlich mehr Stil hatte und auch etwas hermachte und nicht nach Dummheit und Leichtsinnigkeit schrie. „Ich werde es meiner Herrin ausrichten“, versicherte er.

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