tablinum | Schwesternherzen

  • Und Nigrina ließ ihre kleine Schwester warten. Nicht übermäßig lange – aber sie ließ sie warten. Schon aus Prinzip, sollte ja keiner den Eindruck bekommen, sie säße einfach nur herum und hätte nichts besseres zu tun, als irgendwelche Besucher zu empfangen, die ganz spontan und ohne jeden Termin einfach so vorbei kamen. Auch wenn der Besucher ihre Schwester war, die selbstredend keinen Termin brauchte, um sie zu besuchen. Flavia war Flavia.


    Nach einer angemessenen Zeit also tauchte Nigrina im Tablinum auf, in das Domitilla geleitet worden war, ganz die Hausherrin, ihr Äußeres tadellos wie stets, und kam mit einem strahlenden Lächeln auf die Kleine zu. Naja, nicht mehr ganz so Kleine. „Domitilla! Welch Freude, dich zu sehen!“ Sie umarmte ihre Schwester. Derartige Begrüßungen verfehlte bei ihren Geschwistern selten seine Wirkung, darin unterschied sich Domitilla nicht wirklich von Aulus, hatte sie den Eindruck. Und die Kleine stand auf sie. So sehr Nigrina sich darüber aufgeregt hatte, dass ihr Vater es der Kleinen erlaubt hatte in Rom zu bleiben, obwohl sie noch so jung war – sie hatte schnell festgestellt, wie angenehm es war, sie hier zu haben. Das war... das war wie mit Leontia. Nur dass sie, Nigrina, sich nun auf einmal in der Rolle der großen Schwester wieder fand. Derjenigen, die bewundert wurde. Sie hatte nicht lange gebraucht um zu realisieren, welche Vorteile das haben konnte, ganz zu schweigen davon, wie toll das war, wenn man jemanden hatte, der so zu einem aufsah.
    Und die Krönung des Ganzen: sie lebten nicht in derselben Villa. Was hieß, dass Nigrina sich um gar nichts zu kümmern brauchte. Alles Relevante oblag hier in Rom zwar ohnehin Aulus, aber würden sie beide im selben Haus leben, würde Nigrina natürlich zur Verfügung stehen müssen, wenn irgendetwas war. Sie wäre eine Anlaufstelle für Domitilla bei allen kleineren und größeren Katastrophen des Alltags, die die Kleine ereilen mochten und bei denen sie Unterstützung brauchte. Mal ganz davon abgesehen, dass Nigrina dann sicherlich nicht würde vermeiden können, dass sie gelegentlich aneinander geritten, wenn sie die Nase voll hatte von der Kleinen. Durch die räumliche Trennung hatte sie weitestgehend ihre Ruhe, wenn etwas los war, und konnte die Situationen vermeiden, in denen ihr Geduldsfaden reißen könnte. Was es umso leichter machte, einen guten Eindruck auf die Kleine zu machen, damit sie sie weiter toll fand.
    „Entschuldige bitte, dass du warten musstest, aber ich hatte noch zu tun“, lächelte sie, während sie hinsetzte und sich von einem Sklaven einen Becher verdünnten Saft reichen ließ. „Wie geht es dir?“

  • Und das Warten ging fröhlich weiter! Offenbar machten sich die Sklaven des Hauses einen Spaß daraus, Besucher warten zu lassen oderNachrichten erst dann zu übermitteln, wenn sie längst schon nicht mehr neu waren. Das Mindeste war es, mir etwas erfrischendes anzubieten. Doch auch darauf hatte ich warten müssen! Zss…
    Doch dann, endlich! Ich hörte Schritte nahen. Da kam sie, meine Schwester! Strahlend lächeln, einfach umwerfend aussehend, adrett und topmodisch gekleidet, ganz die Hausherrin eben. Meine Augen begannen zu leuchten. So wollte ich auch einmal sein, wenn ich… groß war? Groß war ich ja schon. In wenigen Wochen wurde ich vierzehn! Nun ja, lassen wir das besser.
    Ich erhob mich, als sie mir entgegen kann und mich umarmte. Ach, wie ich das liebte, von meiner Schwester so herzig gedrückt zu werden! Umso länger versuchte ich diese Umarmung zu halten. "Nigrina! Ich freue mich auch. Es ist schon wieder so lange her!" entgegnete ich ihr und schenkte ihr ebenso ein strahlendes Lächeln.
    Sei entschuldigte sich für die üble Warterei, die wohl nur wegen der Unfähigkeit der Sklaven zustande gekommen sein mochte. Doch ich winkte nur ab, als ob dies nicht weiter schlimm gewesen war.
    "Ach das! Ich kam ja auch unangemeldet. Aber heute Morgen, als ich aufgestanden bin, hatte ich das dringende Bedürfnis, dich wieder sehen zu wollen. Natürlich hätte ich auch schnell einen Sklaven schicken können, der meinen Besuch hätte ankündigen können. Aber daran habe ich nicht wirklich gedacht. Entschuldige bitte!" Also merke, fürs nächste Mal, Sklave vorausschicken, um meinen Besuch anzukündigen! Schließlich wollte ich ja auf meine Schwester einen guten Eindruck machen. Sie war ja die einzige, die ich noch hatte.
    "Oh danke, mir geht es gut! und jetzt erst recht, da du jetzt da bist!" Ich setzte mich wieder, als auch Nigrina sich setzte.
    Ach, ich freute mich einfach! In Nigrinas Nähe fühlte ich mich einfach wohl. Meine große Schwester!
    "Du, Nigrina, ich wollte dich einmal etwas fragen..." begann ich schließlich mit meinem Dauerlächeln auf den Lippen.

  • Sim-Off:

    Domitilla wurde gleich nach ihren Wünschen gefragt ;)


    Domitilla war so begeistert, sie zu sehen, wie Nigrina erwartet hatte, so wie Domitilla auch die letzten Male reagiert hatte, und sie genoss es. Natürlich. Wer genoss es nicht, sich in Bewunderung zu sonnen? Allerdings galt es, dafür auch etwas zu tun. Sich entsprechend zu verhalten. Das richtige Maß zu finden aus... Zuneigung und Ablehnung. Oder Zuckerbrot und Peitsche, wenn man so wollte. Leontia hatte das perfektioniert, die hatte sie am ausgestreckten Arm verhungern lassen, wenn ihr danach war, das aber auf eine Art, dass Nigrina sie gerade deshalb umso mehr bewundert hatte. „Oh, mach dir deshalb nur keine Gedanken. Du kannst jederzeit vorbei kommen, wenn dir danach ist.“ Auch wenn Nigrina es tatsächlich vorziehen würde, wenn ihre kleine Schwester das nächste Mal einen Sklaven vorschicken würde, aber das sagte sie nicht laut. Die Kleine war ja schon von selbst auf den Gedanken gekommen. Allerdings... „Erzieh deine Sklaven doch dahingehend, dass sie von selbst wissen, was zu tun ist, wenn du jemandem spontan einen Besuch abstatten willst. Manche haben dieses Potential“, lächelte sie. Und wofür fütterte man das Pack denn sonst durch und gab ihnen die Gelegenheit, in den angesehensten Villen zu arbeiten und nicht in einem Steinbruch – wenn nicht dafür, dass sie auch mitdachten. Als Domitilla dann ankündigte, eine Frage zu haben, hob Nigrina leicht ihre Augenbrauen – beide, zur Abwechslung – und gab sich angemessen neugierig und gespannt. „Na los, was ist?“

  • War es nicht das größte Glück, welches mir zu Teil werden konnte, eine so nette und verständnisvolle Schwester zu haben. Ich hatte für mich schon schnell herausgefunden, dass ich, gleich was da kommen mochte, immer zu ihr kommen konnte. Sie würde stets ein offenes Ohr für mich haben und dabei kannten wir uns nun erst wenige Monate. Jedes Mal, wenn ich an meine Schwester dachte, wurde mir schmerzlich bewusst, was ich all die Jahre in meiner Kindheit zu entbehren hatte.
    Dabei konnte ich noch viel von ihr lernen. Ihren Tipp mit den Sklaven würde ich mir, wie alles andere auch, zu Herzen nehmen. Gerade wenn ich an meine Neuerwerbungen dachte, konnte ich noch viel experimentieren.
    Doch nun zuerst zu meiner Frage, die mir schon seit einigen Tagen auf der Zunge brannte. Meiner Kinderfrau hätte ich diese Frage niemals stellen können. Schon gar nicht meiner Mutter, da uns ja der physische Kontakt verwehrt war. Aber auch in einem Brief an sie, hätte ich sie nicht stellen können. Aber meiner Schwester! Sie würde verstehen und mir auch letztlich helfen können.
    "Ja also, äh… also versteh mich nicht falsch. Also ja, ähm… Nigrina, wie kann ich es anstellen… auf diskrete Weise, versteht sich…. dass ich die Aufmerksamkeit eines… eines Mann… äh… Jungen gewinne… ohne natürlich aufdringlich oder billig zu wirken?"
    Puh, das war schwerer, als ich gedacht hatte. Ich hatte meine Stimme gedämpft, damit keiner der anwesenden Sklaven etwas verstehen konnte. Mir war es einfach peinlich, über so etwas laut zu sprechen.

  • Nigrina tat nicht nur so, sie war durchaus auch tatsächlich ein wenig gespannt, was ihre Halbschwester wohl wollen könnte. Domitillas Herumgestottere führte allerdings nahezu sofort dazu, dass Nigrina ihr am liebsten über den Mund gefahren wäre. Dass sie mit der Sprache herausrücken sollte. Aber sie wusste, dass das ganz sicher nicht gut war. Damit würde sie die Kleine nur verschrecken, und wenn das öfter geschah, wäre die traurige Konsequenz, dass sie auf ihre Bewunderung würde verzichten müssen. Ganz davon abgesehen, dass mittelfristige Planungen – wie die Kleine an irgendwen Wichtigen zu verheiraten und damit eine Verbindung aufzubauen, die Nigrina nützlich sein würde – von ihr nicht mehr mit beeinflusst würden können, wenn sie es sich mit Domitilla verscherzte. Vor allem würde sie dann möglichen Verbindungen Domitillas – die sie später sich einmal haben würde, auch außerhalb ihrer Ehe – nicht profitieren können.
    Also hieß es: Zähne zusammenbeißen und sich nichts anmerken zu lassen. Sie beschloss, es als Training zu sehen, um ihr Temperament zu zügeln, saß weiterhin da und sah ihre Schwester gespannt an.


    Was Domitilla dann aber sagte, verblüffte Nigrina dann doch. Sie wollte wissen, wie man flirtete?
    Flavische Augenbrauen wanderten noch ein Stückchen höher, während sich zugleich ein feines Lächeln auf ihren Zügen ausbreitete. „Die Aufmerksamkeit eines Mannes?“ Wozu von Jungen reden. Domitilla war durchaus bereits im heiratsfähigen Alter, aber dann würde es kein Junge werden, den sie ehelichen würde. Zwar war Nigrina klar, dass die Kleine nicht vom Heiraten sprach und vermutlich nicht einmal wirklich – nicht in letzter Konsequenz – daran dachte, aber das hinderte sie ja nicht daran, gleich klar zu formulieren.
    Der Klang ihrer Stimme passte sich Domitillas an und wurde ebenso ein wenig leiser, so dass auch ihre Worte von den anwesenden Sklaven nicht verstanden werden konnten. Das Lächeln auf ihren Zügen veränderte sich ein wenig, wurde zu einem neckenden Schmunzeln. „Oh, da gibt es einige Möglichkeiten. Eine der besten ist, sie am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen. Ihnen nur Krumen deiner Aufmerksamkeit hinzuwerfen. Auf die Art bringst du sie dazu, dir nachzulaufen. Weil sie dich erobern wollen, und nichts tun Männer lieber, als etwas zu erobern.“ Jetzt zeigte sich kurzzeitig ein Grinsen auf ihrem Gesicht, bevor es sich wieder abschwächte und einem neugierigen Ausdruck Platz machte. „Warum fragst du? Sag nicht du hast jemanden kennen gelernt...“

  • Die Art und Weise, wie ihre Augenbrauen nach oben gingen, welches eine urflavische Geste der Überraschung und womöglich auch der Missbilligung war, begann ich wieder zu schwanken. War es der rechte Moment, über eine solch delikate Angelegenheit zu sprechen? Wenn nicht meine Schwester, mit wem hätte ich sonst darüber sprechen sollen? Selbst meine Mutter wäre für eine solche Thematik nicht empfänglich gewesen.
    Doch meine anfängliche Furcht stellte sich schnell als unbegründet heraus, denn Nigrina begann sogleich, mich mit praktischen Tipps zu überschütten. Das alles hörte sich so unglaublich einfach an. Doch wenn ich es mir recht überlegte, kamen mir doch berechtigte Zweifel, ob mir dies auf Anhieb gelang. Vielleicht sollte ich vorher einmal üben, bevor ich mich ans Werk machte. Irgendein Sklave müsste wohl dafür herhalten.
    Nigrina grinste, allerdings nur ganz kurz. Doch dieses Grinsen bewirkte, dass ich mich wieder verunsichert fühlte. Erst recht, als sie danach fragte, ob ich jemand kennengelernt hatte.
    "Ich? Nein! Aber in Anbetracht der bevorstehenden Feier… dachte ich…." Nun ich dachte an die vielen jungen Männer aus gutem Hause, die ebenfalls zur bevorstehenden tiberisch-aurelischen Sponsalia eingeladen waren. Das war doch die willkommene Gelegenheit, sich einmal …umzuschauen.

  • Manchmal war es redlich ermüdend, Haruspex zu sein. Wie erklärte man einem Idioten, dass er dumm ist? Mit diesem Problem hatte sich Sextus eben geschlagene drei Stunden herumgeschlagen, nur um einem Mann begreiflich zu machen, dass wenn er wirklich wünschte, dass die Götter ihm öffentlich für ein Vorhaben gute Vorzeichen bescherten und er das wirklich vor seinen Freunden und der gesamten Familie durchgeführt haben wollte und wirklich einwandfreie Vorzeichen brauchte, um sie für seinen Plan, das Familienvermögen in eine etwas risikobehangene Unternehmung zu stecken, begeistern zu können, dass er dann vielleicht ein wenig lukrativer in der Entlohnung des Haruspex sein sollte, der das Opfer durchführen würde. Sextus war wirklich kurz davor, dem Mann eine Zeichnung zu malen, in der Hoffnung, dass dieser dann die Anspielung verstehen würde. Mehr als Anspielungen konnte Sextus nicht fallen lassen, Bestechlichkeit war ja zumindest offiziell ein Vergehen. Solange er aber keine Bestechung forderte oder aktiv dazu aufforderte, war alles in ganz normalen Bahnen. Und dieser Kerl war wirklich der erste Mensch gewesen, den Sextus getroffen hatte, der das alltägliche Geschäft der Gefälligkeiten nicht zu verstehen schien.


    Und so kam er nach Hause, froh, eben wieder dort zu sein, wo er seine Sätze nicht langsam dreimal wiederholen musste, so dass sie ins Bewusstsein seiner Umgebung einsickerten wie Honig auf besonders dummes Brot. Er ging in Richtung der Schlafzimmer, als er Stimmen aus dem Tablinum hörte. Seine Frau und noch eine weibliche Stimme, die er nicht kannte.
    Kurz überlegte Sextus, dann änderte er seinen ursprünglichen Plan. Vielleicht gehörte die zweite Stimme ja einem potentiellen Abenteuer. Und Sextus hatte keine Skrupel, auch mit Freundinnen seiner Holden zu schlafen, sofern diese die Kriterien erfüllten: Hübsch, jung, willig, von keinem ihm gefährlich werdenden Stand (und damit unter Nigrinas Stand) und dumm genug, sich darauf einzulassen. Als er dann das Tablinum betrat und die beiden Frauen im Gespräch vorfand, kam er aber nicht umhin, die zweite Frau für ein wenig jung für ein Abenteuer wahrzunehmen. Nicht zu jung, aber doch sehr jung. Und potentiell zu gut gekleidet, um sämtliche zuvor aufgezählten Kriterien zu erfüllen. Und zumindest der des Standes war obligatorisch.
    “Guten Tag, meine Damen“ grüßte er beschwingt beim Eintreten. “Ich wusste gar nicht, dass wir heute einen Gast erwarten“, wandte er sich mit seinem vollsten Charme dem Besuch zu, im Wissen, dass Nigrina sie einander vorstellen würde. Immerhin war sie die Hausherrin und Gastgeberin.

  • So so, angesichts der bevorstehenden Feier. Nigrina lehnte sich ein Stückchen zurück und beschloss, ihre Halbschwester ein wenig im Auge zu behalten bei der Verlobungsfeier ihrer angeheirateten Cousine mit dem alten Sack, der der Patron ihres Mannes war. Es ging ja nicht an, dass Domitilla sich einfach irgendwem an den Hals warf. Oder sich verguckte, was in diesem Alter nur zu leicht ging – Nigrina wusste das, allzu lang war das immerhin noch nicht her bei ihr, dass sie so alt gewesen war, und sogar sie hatte das ein oder andere Mal für einen Kerl geschwärmt, wenn auch nicht auf diese lächerliche Art, die manche ihrer Freundinnen an den Tag gelegt hatten und immer noch legten. Da war das Aufwachsen mit Vater und ältester Schwester dann doch zu prägend gewesen, als das Nigrina sich je so sehr für einen Mann begeistert hätte, dass nur noch dieser gezählt hätte. Mit dieser Einstellung also, und mit dem vollen Gewicht ihrer vier, fast fünf Jahren mehr an Lebenserfahrung beschloss Nigrina, Domitilla im Auge zu behalten, um zu verhindern, dass sie sich irgendwie unflavisch verhielt. Und sich zu verlieben und im Zuge dessen der Lächerlichkeit preis zu geben gehörte da eindeutig dazu.
    Die Kleine allerdings lächelte sie nur weiterhin an. „Nun ja, solche Feierlichkeiten bieten sich ja auch an, um sich umzusehen. Es werden sicher einige passable Männer dabei sein.“ Hatte der Tiberier nicht einen Adoptivsohn, der noch unverheiratet war? Wer wusste schon, wie schnell der Alte abkratzte, und dann wäre diese Verbindung wieder hinfällig, womöglich noch bevor Flora ein Kind kriegen konnte. Andererseits: der aurelische Legat war ja mit einer Tiberia verheiratet, und Sextus' war Klient des Tiberiers. Nein, Domitilla war wohl besser aufgehoben bei einem anderen Mann, aus einer anderen Familie.


    Bevor Nigrina allerdings weiter sprechen konnte, hörte sie ein Geräusch, und nur kurze Zeit später betrat ihr Mann das Tablinum. „Sextus.“ Auf ihrem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, das nicht anders als bezaubernd bezeichnet werden konnte. „Oh, hatten wir auch nicht. Unser Gast hier hat spontan beschlossen, mir heute einen Besuch abzustatten. Möchtest du dich zu uns setzen?“ Sie wies auf einen der freien Stühle, und irgendwo aus dem Hintergrund tauchte ein Sklave auf, um dem Aurelier anzubieten, was auch immer er wünschen mochte. Nigrina setzte sich derweil ein wenig bequemer hin, gespannt auf das nun Kommende. Sie wusste, erlebte es sowohl bei anderen hin und wieder als auch selbst, wie charmant Sextus sein konnte, wenn er wollte. Und wenn er wollte, war es sehr schwer, dann nicht schwach zu werden, ihm zu widerstehen – selbst für sie, die ihn auch von einer anderen Seite kannte.
    Sie wusste auch, dass Domitilla, genauer gesagt ihr Verheiratungspotential, auch für seine Pläne nicht ganz unwichtig war, das hieß, so lange Nigrina und er ein Ehepaar blieben, und noch sah nichts danach aus, als würde sich das so bald ändern.
    Und zu guter Letzt: sie war sich sicher, dass er sich noch zu gut daran erinnern konnte, wie sie reagiert hatte, als sie das erste Mal von der Kleinen gehört hatte. „Darf ich vorstellen?“ Sie wandte sich zuerst an ihren Gast, wie es sich gehörte. „Das ist mein Mann, Sextus Lupus. Sextus, das ist Domitilla, meine Halbschwester.“

  • Wie schön, dass Nigrina genauso sah! Mit ihrer Hilfe, so hoffte ich, könnte ich bestimmt jemand kennenlernen oder wenigstens Kontakte knüpfen. Letztendlich war es doch recht nützlich, potentiell heiratswillige Kandidaten kennenzulernen, als am Ende eine böse Überraschung erleben zu müssen. Vorbeugen war immer besser, als das Nachsehen zu haben.
    Kaum hatte meine Schwester geendet, richteten sich meine Augen gen Tür, durch die ein recht attraktiver Mann hereinkam. Ohne Frage handelte es sich hierbei um meinen Schwager, den ich zwar bis dato noch nicht zu Gesicht bekommen hatte, ihn aber als solches deutete. Er begrüßte mich freundlich, obwohl ich unangemeldet hereingeschneit war. Und Nigrina strahlte geradezu. Ob das Liebe war? Wenn man sich freut, wenn der Mann nach Hause kommt? Wie sie seinen Namen ausgerufen hatte! Als ob sie sich nach ihm gesehnt hatte, obgleich er nur für wenige Stunden fort gewesen war.
    Sie bot ihm an, sich zu uns zu setzen. Nachdem sie das getan hatte, wirkte sie gleich viel entspannter. Ich nahm an, das hing einfach mit seiner Gegenwart zusammen. Ob mir das auch dereinst widerfahren würde, dass ich so glücklich und zufrieden sein konnte, wenn mein Ehemann nach Hause kommt? Wenn Nigrina in allen Dingen mein Vorbild war, so hoffte ich doch von nun an, einmal einen Ehemann wie diesen Aurelier zu erhaschen. Die beiden schiene das ideale Paar zu sein, die sich gesucht und schließlich auch gefunden hatten. Dass es so etwas gab! Beeindruckend, sehr beeindruckend!
    Natürlich war auch ich war sehr erfreut, meinen Schwager endlich einmal kennenzulernen. Und dies war mir auch sehr deutlich anzusehen. Nigrina stellte uns einander vor. Ich lächelte aufgeregt dabei und himmelte meinen Schwager regelrecht an.
    "Es ist mir eine große Freude, dich endlich einmal kennenzulernen, lieber Schwager!", sprudelte es aus mir heraus. Doch gleich darauf bremste ich mich wieder um den Ärmsten nicht vollzuplappern. Kleine Mädchen, die ständig nur unnützes Zeug daherplapperten, beeindruckten den Aureliersicher nicht.

  • Als Nigrina die Kleine als ihre Schwester vorstellte, kamen ein paar Informationen zusammen, die Sextus innerlich zusammenfasste. Zum einen schied das Mädchen als mögliche Interims-Sexualpartnerin damit aus. Es bestand nicht nur die Gefahr, dass sie es ihrer Schwester petzte, wenn er sie fallen ließ, sondern – und das war weitaus schlimmer – den Flaviern als solches. Junge Mädchen waren, was solche Dinge anbelangte, weit weniger vernünftig, als ihre älteren Ausführungen. Und die waren schon nur teilweise der Logik zugetan. Und natürlich, sollte Nigrina bei der bevorstehenden Geburt doch das Zeitliche segnen, musste er sich mit den Flaviern gut stellen, um eine entsprechende Partie als Ersatz aushandeln zu können. Dafür mochte die Kleine durchaus noch taugen, wenn sie nicht schon an einen anderen verschachert worden war.
    Die zweite Information betraf ein Gespräch, das schon länger her war und das er mit seiner Frau seinerzeit geführt hatte, als ihre Schwangerschaft noch in den Anfängen gewesen war. Nigrina war ganz und gar nicht davon angetan, dass ihre kleine Schwester ebenfalls in Rom war und damit ihr den Rang streitig machte. Zumindest hatte Sextus das so verstanden, dass das Hauptärgernis war, dass sie jünger war und dennoch ihren gemeinsamen Vater becircen hatte können, sie hierher zu schicken.
    “Es ist mir auch eine außerordentliche Freude, dich kennenzulernen, liebste Schwägerin. Deine Schwester hat in ihren Beschreibungen von dir glatt vergessen, zu erwähnen, welch liebreizend junges Wesen dir gegeben ist.“ Anstatt sich zu setzen, gab Sextus der Flavia einen flüchtigen Handkuss und trat dann an ihr Vorbei zu dem Sklaven, der ihm etwas anbieten wollte. Er schenkte sich selbst mit Wasser gemischten Wein ein – diese Hohlköpfe hier mischten es ohnehin nur falsch – und schlenderte dann ganz gemütlich um die Damen herum zu einem der freien Stühle. “Ich hoffe, ich habe die Damen nicht gestört? Meine eigenen Schwestern pflegten mich aus dem Zimmer zu werfen, wenn sie sich unterhielten, mit eben jener Begründung“, fuhr er leicht fort.
    Als er so hinter Domitilla war, dass sie ihn nicht sehen konnte, seine Frau hingegen schon, erlaubte er sich einen kleinen Spaß, um Nigrina aufzumuntern. Wenn Sextus wollte, konnte er durchaus auch zu seinem Weib charmant sein. Als er so also hinter ihr stand, deutete er kurz auf die Jüngere und formte mit seinem Mund kurz die Frage, ob sie diejenige welche sei. Und kurz danach machte er ein fragendes Gesicht und machte mit seinen Händen – in der Rechten noch immer der Weinbecher – kurz und unauffällig diese Bewegung, die einen umgedrehten Hals andeutete, und grinste dabei von einem Ohr zum anderen. Es war zwar einige Monate her, dass seine Frau ihre Schwester für das schwere Verbrechen, römische Luft zu atmen, umbringen wollte, aber sicher erinnerte sie sich noch daran. Und es war einfach zu lustig, zu sehen, wie sie wohl reagierte.
    Nur allzu lang konnte er nicht auf die Antwort warten, sonst würde Domitilla noch einen stockenden schritt oder etwas anderes bemerken. Er hingegen war in Bewegung und ging flüssig weiter zu einem freien Stuhl, wo er sich erst einmal hinsetzte. Viel zu gepolstert und weich für seinen Geschmack, aber der Wein machte das durchaus wieder wett.

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