tablinum | Ein unplanmäßiger Zwischenhalt

  • Im Tablinum angekommen, ließ Nigrina sich auf einem der bereitstehenden Korbstühle nieder und wartete, bis der Aurelier ihr nachgekommen war. Ohne dass es eines Winks bedurfte, wuselte einer ihrer Sklaven heran und fragte devot nach den Wünschen, nur um, sobald die Herrschaften sie geäußert hatten, wieder davon zu wuseln, um das Gewünschte zu bringen. Nigrina indes wandte sich wieder an den Fremden. „Was führt dich hierher?“

  • Scipio war der Hausherrin zügig gefolgt und ließ sich ebenfalls, wenn auch etwas zögerlich, in einem Korbstuhl ihr gegenüber nieder. Beim herbeigeeilten Sklaven orderte er etwas Wein, ehe auch er sich wieder seiner momentanten Gastgeberin widmete.
    "Ich hatte geschäftlich in Rom zu tun und mir kam zufällig zu Ohren, dass es einen Todesfall in der Familie gegeben hat. Das hat mich spontan dazu veranlasst, dem alten zu Hause einen Besuch abzustatten. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich unbedingt willkommen bin in diesem Hause.", erklärte er sich. Es war eigentlich einer der Gründe gewesen, der ihn dann doch so lange von zu Hause ferngehalten hatte. Er wusste nicht in wie weit er noch willkommen war. Seine Stiefmutter hatte damals alles daran gesetzt seinen Ruf innerhalb der Familie zu zerstören und ihm zu schaden. Letzten Endes war sie damit ja auch erfolgreich gewesen.

  • Siebzehn Jahre also war der Kerl nicht mehr in Rom gewesen. Und Nigrina schloss aus seinen Worten – und der Tatsache, dass ihr sein Name nicht geläufig war –, dass er in der Zwischenzeit auch herzlich wenig Kontakt mit seiner Familie gehabt hatte. Was er ihr zu ihrem Bedauern nicht von selbst erzählte war, wie er nun mit wem hier genau verwandt war, aber nun, das würde sie noch erfahren. Interessanter war in jedem Fall, was genau ihn nun nach dieser langen Zeit hierher trieb – denn dass nur ein Todesfall dahinter steckte, bezweifelte sie –, wie lang er genau zu bleiben gedachte – und was da vorgefallen war, dass er sich nicht ganz sicher war, hier willkommen zu sein, im Haus seiner eigenen Familie.


    „Ja, es ist tragisch. Die Aurelia hatte einige Todesfälle zu verkraften im vergangenen Jahr“, seufzte sie und mimte, ihrer Rolle gemäß, Betroffenheit. Irgendwo war sie ja auch betroffen, sie hatte immerhin in diese Gens hinein geheiratet, von der es nun auf der Straße hieß, dass die Götter ihr zürnten, aus welchen Gründen auch immer. Nigrina glaubte nicht daran, dass die Götter den Aureliern tatsächlich nicht mehr wohl gesonnen waren – aber es wäre dann doch ganz schön, wenn die Angehörigen aufhören könnten, wie die Fliegen zu sterben. Wenigstens für einige Zeit lang, bevor dieser Quatsch mit den wütenden Göttern beim Pöbel den Status eines Gerüchts verließ und tatsächlich für bare Münze genommen wurde. Sie hatte keine Lust darauf, sich jetzt einen anderen Mann suchen zu müssen, wo sie sich hier eingelebt und ihre Stellung gefestigt hatte. Und, nicht zu vergessen, schwanger war mit dem ersten Balg von Sextus. Apropos Sextus. So gern sie wenigstens erst mal weiter mit Scipio allein geredet hätte – man wusste ja nie, was sich so in Erfahrung bringen ließ und ihr womöglich einen Vorteil durch Wissensvorsprung verschaffen könnte –, es war unter den Umständen vielleicht doch besser, wenn sie einen Aurelier dazu holte. Und naturgemäß kam für sie da erst mal nur ihr Mann in Frage, auch wenn der genau genommen unter den Männern im Haus die Nummer zwei war. Was er aber zu ändern gedachte, und sie gedachte ihn dabei zu unterstützen. Sie machte eine vage Geste in Richtung der Sklaven. „Holt meinen Mann.“ Die hatten ja alle mitgekriegt, wer der Kerl war, also würden sie schon wissen, was sie zu Sextus zu sagen haben würden. Noch während einer von ihnen also loshuschte, um Genannten zu holen, kam ein anderer mit den gewünschten Getränken herbei und reichte sie ihnen. Nigrina nippte an ihrem verdünnten Wein und lächelte Scipio an. „Vielleicht ist die Frage naiv von mir... aber du gehörst doch zur Familie. Wie kommt es dass du glaubst, du wärst hier nicht willkommen? “

  • "Noch mehr Todesfälle? Oh weh, das wusste ich nicht. Ich hörte ledeglich vom Tod einer Aurelia Narcissa." Fragend sah er sein Gegenüber an. Er war wirklich schlecht informiert, das stellte er nun fest. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen den Kontakt mit der Familie komplett abzubrechen. Hätte er auch nur im Entferntesten geahnt, wie schlecht es um die Familie stand, dann hätte er schon längst einmal in Rom vorbeigesehen. Dennoch regte sich ein kleines Fünkchen Hoffnung, dass auch seine Stiefmutter zu den aus dem Leben Geschiedenen gehörte.


    Dass sie nun auch ihren Mann hinzuholen ließ, begrüßte er. Nicht, dass er es Leid gewesen wäre mit ihr zu sprechen, das Gegenteil war der Fall. Nein, es ging ihm im Moment primär nur darum, dass ihn jemand als Familienmitglied wiedererkannte. Und da kamen eben im besten Fall nur sein Cousin oder sein Bruder Orestes in Frage, wobei er auf eine Begegnung mit Letzterem auch gut verzichten konnte.
    Dankend nahm er sein Getränk entgegen und hörte geduldig die Frage seiner Gastgeberin an.
    "Das ist eine etwas längere Geschichte, aber ich will sie erzählen, auf die Gefahr hin dich zu langweilen.", meinte er, nahm jedoch vorher einen Schluck Wein, den er wie immer pur trank."Ich bin der Erstgeborene des Barrius Aurelius Scipio. Nach dem Tod meiner Mutter heiratete Vater irgendwann diese Lucretia Lucilla .
    Wir haben uns gegenseitig schon von Anfang an gehasst. Später, als die beiden dann einen Sohn bekamen, wurde es noch schlimmer. Wahrscheinlich hatte sie Angst, dass ich meinem Bruder Orestes das Erbe streitig machen würde. Sie versuchte mich immer irgendwie loszuwerden oder abzuschieben. Da es ihr jedoch nicht gelang, hat sie versucht mich mit Vorschriften so hinzubiegen, dass ich halbwegs erträglich für sie wurde. Natürlich habe ich mich dagegen gesträubt. Und das hat wiederum zu Streit geführt. Auch mit meinem Vater.
    Mit sechzehn Jahren habe ich dann einfach meine Sachen gepackt, habe mich bei meinem Vater verabschiedet und bin einfach weggegangen. Seitdem hatte ich quasi kaum mehr Kontakt mit der Familie. Das war wohl ein Fehler. Ich vermute meine Stiefmutter hat mich anschließend fleißig bei der Familie schlecht gemacht. Scheinbar mit Erfolg, denn irgendwann erreichte mich eine Brief, in dem mir Vater mitteilte, dass er mich enterben würde. Ich habe es geschehen lassen. Dann ist er irgendwann gestorben, das hat man mir auch noch mitgeteilt. Ich war nicht einmal auf der Beerdigung. Ich wusste, dass ich dort auf meine Stiefmutter treffen würde. Ich fürchte solange sie lebt, bin ich nicht mehr willkommen."
    , erklärte er ihr ziemlich ausführlich, wie er fand. Vielleicht würden damit ja auch schon weitere Fragen ihrerseits geklärt werden. Nun musste er jedoch auch eine Frage stellen, die ihm auf der Seele brannte. "Sie verweilt doch nicht etwa in Rom?" Spätestens jetzt sollte klar sein, dass die Begegnung mit der Stiefmutter das Letzte war, das er wollte. Eigentlich hätte er ja am Liebsten direkt gefragt, ob die Alte überhaupt noch am Leben war, aber er wusste ja nicht, wie die Flavia zu seiner Stiefmutter stand.

  • Nigrina nickte, ihre Miene betrübt – insgeheim aber dann doch... nun ja... erstaunt. Ein wenig. Perplex traf es vielleicht besser. Narcissa? Bei all den Todesfällen, die die Aurelier getroffen hatten, hatte er ausgerechnet von Narcissa gehört? Die hatte Vestalin werden wollen, aber die Betonung lag hier auf wollen. Sie war es noch nicht gewesen. Sie war einfach ein weiteres Töchterchen aus reichem Hause gewesen, das noch dazu fern von Rom von Pluto geholt worden war. Nicht die Tochter eines Senators, nicht einmal die Tochter eines Mannes, der auf dem besten Weg gewesen wäre Senator zu werden. Nicht die Frau eines Senators, oder eines Mannes, der auf dem besten Weg gewesen wäre... Nur die Schwester eines Mannes, der undsoweiterundsofort. Und so weit Nigrina es mitbekommen hatte, war sie noch dazu recht ruhig gewesen, hatte auch nicht allzu großen Wert darauf gelegt, in ihren Kreisen einen gewissen Bekanntheitsgrad zu erreichen. Und dennoch hatte Scipio von Narcissas Tod gehört – aber nicht etwa von dem Tod besagten Bruders. Der auf dem besten Weg... und noch dazu Augur gewesen war. Oder, beispielsweise, vom Tod Aurelius' Corvinus, seines Zeichens Senator und Pontifex. Ganz davon abgesehen, dass der sich selbst ins Messer gestürzt hatte. Kurz nachdem seine Frau sich getötet hatte. Kurz nachdem der Skandal von Nemi passiert war. Und DAS war etwas, worüber heute noch halb Rom sprach, in letzter Zeit sogar wieder eher ganz Rom, weil der Senat endlich in die Gänge kam und über Sühnemaßnahmen beriet.
    Diesmal allerdings beherrschte Nigrina sich weitestgehend, auch wenn sie nicht verhindern konnte, dass ihre Augenbraue sich schon wieder, diesmal leicht verblüfft, nach oben wölbte. „Narcissa, ja. Sie war etwa in meinem Alter, das ist tragisch.“ Und sie war selbst schuld gewesen, davon war Nigrina überzeugt. Eine Römerin ritt nicht. Narcissas Schicksal war der beste Beweis dafür, dass die Götter Frauen nicht auf Pferden sehen wollten. Dennoch seufzte Nigrina angemessen und verbarg ihre Gedanken sorgfältig. Und schwieg. Noch hatte der Aurelier keine Frage gestellt zu den weiteren Todesfällen, und sie war niemand, der freigiebig einfach Informationen verteilte, nicht solche jedenfalls, die etwas nutzen könnten, und schon gar nicht irgendwelchen Fremden gegenüber. Selbst wenn nicht der endgültige Beweis, dass er tatsächlich Aurelier war, noch ausgestanden hätte – sie kannte ihn nicht.


    Umso erfreulicher war es, dass er auf ihre Frage antwortete, und das sogar sehr ausführlich. Nigrina lehnte sich leicht zurück und lauschte ihm aufmerksam, und schon bei den ersten Worten musste sie sich bemühen, ruhig zu bleiben. Barrius Aurelius Scipio also. Und es wurde interessanter mit jedem Wort. Die Mutter gestorben, bei der Stiefmutter verhasst, vom Vater enterbt. Kein Wunder, dass er sich fern gehalten hatte. Andererseits... von Kampfgeist zeugte das nicht gerade. „Nun...“ Nigrina wählte ihre Worte mit Bedacht. „... wundert es mich nicht mehr, dass du deiner Familie so lange fern geblieben bist.“ Sie lächelte leicht. „Nein, Lucretia Lucilla weilt nicht in Rom. Schon lange nicht mehr. Sie lebt auf ihrem Landgut. Aurelia Narcissa war übrigens ihre Tochter.“, erwähnte sie, fast schon beiläufig.

  • Als Sextus von dem Sklaven gestört wurde, war er nicht unbedingt erbaut darüber. Er mochte keine Überraschungen, und schon gar nicht, wenn diese ihm von sprechendem Mobiliar überbracht wurden. Er hatte seinen Tagesablauf gern geplant und geregelt, ohne großartige Abweichungen, es sei denn, er hatte eben einen Zeitraum für eben jene geplant. Ein Besuch in den Thermen beispielsweise, um sich mit dem einen oder anderen Senator, den man dort mehr oder weniger zufällig traf, zu unterhalten. Oder ein kleines Schwätzchen mit einem Magistraten, der dringend ein Ergebnis bei Haruspizien präferierte und dem man daher die eine oder andere Gefälligkeit abschwatzen konnte. Dafür war Sextus gerne bereit, Zeit in seinen Tagesplan einzuordnen oder andere Dinge spontan zu verschieben oder gänzlich aus seinem Terminkalender zu streichen. Allerdings gehörte ein noch so höflich vorgetragenes “Dominus, Domina Flavia bittet dich ins Tablinum. Ein Gast wartet dort auf dich“ nicht zu den Dingen, denen er spontane Zeit einzuräumen pflegte.
    Ein Gast. Er erwartete heute keinen Gast. Gerade die wichtigen Gäste kündigten sich vorher an und standen nicht plötzlich vor der Türe, in der Hoffnung, der gewünschte Gesprächspartner würde schon da sein. Es war ja nicht so, als ob Sextus den lieben langen Tag nur in seinem Zimmerchen hockte und gespannt auf Gäste wartete. Auch wenn er sein Vigintivirat hinter sich gebracht hatte, hieß das ja nicht, dass er Däumchen drehte und darauf wartete, wie die Zeit bis zur Quästur verstrich.


    Aber gut, würde er sich diesen ''Gast'' mal ansehen. Er verscheuchte den Sklaven wie eine lästige Fliege, legte das Pergament, das er studiert hatte, wieder beiseite und begab sich ins Tablinum.
    Und da saß seine Frau auch, charmant wie meistens, und palaverte mit einem ihm gänzlich unbekannten Kerl gerade über Narcissa. Oder ihre Mutter. Sextus bekam nur die letzten zwei Sätze mit. Bei den Göttern, nicht noch so ein stinkender Vagabund mit Pferdegeschichten! Gab es ein Nest, wo der erste hergekommen war? Dieser hier hatte wenigstens den Anstand gehabt, sich vorher zu waschen, auch wenn er alles in allem immernoch nicht unbedingt beeindruckend war. Warum kamen immer irgendwelche häßlichen Kerle mit schlechten Nachrichten aus dem Nirgendwo vorbeigeschneit und keine wollüstigen, devoten, nackten Jungfrauen (auch wenn vorangegangene Attribute letzteres Substantiv ja fast ausschloss), die sich nur schnell entjungfern lassen wollten und nach ein paar schönen Stunden wieder brav und spurlos verschwanden? Dass Sextus den Mann nicht kannte, schloss schon im Grunde aus, dass der Kerl irgendwie politisch wichtig war.
    Nichts desto trotz kam er mit gewohnter Lässigkeit ins Blickfeld der Beiden und begrüßte den Mann höflich. Immerhin hatte er (noch) keinen Grund, anders zu reagieren. Mit etwas Glück ging es auch gar nicht um diese vermaledeite Pferdekatastrophe.
    “Salve. Verzeih, mir muss entfallen sein, dass wir heute einen Gast erwarten. Ich hoffe, meine Frau hat dich inzwischen gut unterhalten?“ Natürlich hatte sie das. Und auch, wenn Sextus Floskeln fast genauso wenig mochte wie Überraschungen, sie gehörten einfach zum Begrüßungsgeplänkel dazu. Und so ging er mit einem angedeuteten Lächeln zu den beiden hinüber und setzte sich auf einen freien Platz, so dass er beide gut im Blick hatte - und vor allem sie ihn. Man war ja Gastgeber, ob freiwillig oder nicht.

  • Noch ahnte er nicht, welche Familienmitglieder es noch aus dem Leben gerissen hatte. Er hatte es vorgezogen alle Bande gänzlich zu kappen. Außerdem lag Massilia ein wenig ab vom Schuss. Nicht gerade das pulsierende Rom. Klatsch und Tratsch interessierte ihn nicht, viel mehr, wie er sein Verlangen nach Frauen befriedigen konnte. Da er die richtigen Leute eingestellt hatte, florierte sein Weinhandel ohnehin und das ohne dass er sich groß die Hände schmutzig machen musste. Hin und wieder mal eine Entscheidung oder eine Unterschrift, ansonsten blieb ihm mehr Zeit für Vergnügungen. Nur liefen die Geschäfte in letzter Zeit nicht mehr ganz so gut. Die Konkurrenz wurde größer geworden und gerade das hatte ihn mal wieder zurück in die heimatlichen Gefilde gebracht. Kontakte knüpfen und Geschäfte machen. Der Händler mit dem er sich getroffen hatte, hatte natürlich gleich aus dem Nähkästchen geplaudert und ihn mit seinen unzähligen Geschichten über die Dekadenz der Nobilitas gelangweilt. Bis dieser dann beiläufig den Tod Narcissas erwähnte.
    Als tragisch bezeichnete Nigrina den Tod der Aurelier. Das war es durchaus, doch wirklich Trauer oder Bedauern konnte er nicht spüren, als er kurz in sich hinein horchte. Sie mochte seine Halbschwester gewesen sein, aber er hatte sie nie kennen gelernt. Gefühle waren also nicht vorhanden.
    Bewusst war er seiner Stiefmutter aus dem Weg gegangen. Dieses Biest hätte ihn wohl auch nicht empfangen. Leider hatte es nicht Lucilla dahingerafft, aber zu seinem Glück weilte sie auch nicht in Rom. Ansonsten wäre sie sicherlich schon längst aufgetaucht und es wäre schon nach wenigen Minuten zum Eklat gekommen. Es war eben nicht immer alles eitel Sonnenschein. Nach außen bot man das Bild der starken geschlossenen Familie, aber ein Blick hinter die Kulissen zeigte die tiefen Gräben. "Tragisch ist der Verlust von Familienmitgliedern immer" , bekundete er eher nachdenklich, denn betroffen.
    Es war leises Bedauern welches er verspürte. Vielleicht hätte er mehr um seinen Platz in der Familie kämpfen sollen. Doch wenn man permanent auf Widerstand traf, dann suchte man sich eben andere Wege. Auf diese Weise hatte er das Leben führen können, das er wollte. Und das war nur wenigen patrizischen Sprösslingen vergönnt. Außerdem war er der Bevormundung entkommen. Er war eben immer ein Mensch gewesen, der eigenständig über sein Leben entscheiden wollte. Das war ihm in seinem früherem Leben nicht vergönnt gewesen.


    Nigrina hatte ein hübsches Lächeln, da hatte Lupus wahrlich einen guten Fang gemacht. Hübsch und aus einer guten Familie, was wollte man(n) mehr. Er zog aber die unkomplizierten Beziehungen zu einer Lupa vor. Keine Eifersucht, wenn er sich mal nach anderen Frauen umsah, keine Tränen, wegen verletzter Gefühle und das wichtigste war: er hatte seinen Spaß. Das war nicht immer so gewesen, aber im Laufe der Jahre hatte sich seine Einstellung zu den Frauen doch etwas gewandelt. Er war vorsichtiger geworden.
    Doch er kam gar nicht dazu sich weiter Gedanken zu den Frauen zu machen. Denn es kam Lupus dazu. Er vermutete jedenfalls, dass es sich um ihn handelte. Mit der Selbstverständlichkeit des Hausherrn setzte er sich dazu. "Salve. Deine Gattin ist der Liebreiz in Person" , entgegnete er mit einem Lächeln. Durchaus ehrlich, wobei ihm das höfliche Geplänkel auch nicht wirklich lag.

  • Der Aurelier wirkte nicht übermäßig betroffen vom Tod seiner Halbschwester. Auch die Information, dass Narcissa seine Halbschwester gewesen war, förderte keine sonderlich interessante Reaktion zutage – Scipio ließ nicht einmal wirklich erkennen, ob dieses Wissen tatsächlich neu für ihn war, oder ob er das nicht auch schon irgendwo gehört hatte, welcher Linie Narcissa genau entstammte. So viel Informationen er ihr zuvor geliefert hatte, so sparsam ging er nun damit um, und das ließ sie ein wenig unbefriedigt zurück. Zumal sie nicht einmal genau zu sagen vermochte, ob er so ruhig wirkte, weil er in der Tat wenig betroffen war von Narcissas Tod – und ebenso wenig überrascht von der Tatsache, dass sie seine Schwester gewesen war –, oder weil er sich einfach nur zu gut unter Kontrolle hatte, um sich etwas anmerken zu lassen.
    „Wie Recht du hast“, stimmte sie ruhig zu, während sie ihn weiterhin aufmerksam beobachtete.


    Bevor das Gespräch allerdings weiter gehen konnte, hörte sie Schritte, und ein Blick in die entsprechende Richtung zeigte ihr, dass Sextus gekommen war. Mit einem leichten Lächeln begrüßte sie ihn und wartete ab, bis die beiden Männer ihr erstes Geplänkel ausgetauscht hatten – und sie warf Scipio ein gebührend geschmeicheltes Lächeln zu, als dieser ihr ein Kompliment machte. Dann allerdings, als er nicht weiter sprach, schaltete sie sich ein, an ihren Mann gewandt. „Schön, dass du kommen konntest, Sextus. Darf ich dir vorstellen? Nero Aurelius Scipio, Erstgeborener des Barrius Scipio. Er hat spontan beschlossen, uns einen Besuch abzustatten, nachdem er von Narcissas Tod hörte.“

  • Der Liebreiz in Person stellte dann auch gleich den Gast vor, nachdem dieser selbst die Gelegenheit dazu verpasst hatte. Und nicht als irgendwen oder gar Pferdeverkäufer, sondern als Sohn von Sextus' Onkel Scipio. Es folgte ein kurzer Moment des Schweigens, in dem Sextus sein Gegenüber kurz in Augenschein nahm. Geschickt, gerade diesen Namen anzuführen. Doppelt geschickt, es jetzt zu tun, wo Corvinus tot war. Dreifach geschickt, Sextus als angeblichen Cousin da aufsuchen zu wollen.
    “Du wirst sicher verstehen, dass diese Ankündigung doch etwas plötzlich kommt. Wir haben sehr lange nichts von dir gehört. Ich nehme an, du hast Beweise bezüglich deiner Identität?“
    Sextus glaubte dem Kerl erst einmal nicht. Jeder konnte hergehen und sich nennen, wie auch immer er wollte. Das hieß aber nicht, dass der Inhalt hielt, was der Name versprach. Und auch, wenn diese Behauptung der Wahrheit entsprechen sollte, war der Zeitpunkt doch auffällig genug, um Vorsicht walten zu lassen. Wäre er der, der er vorgab, zu sein, würde er nichts an dieser Frage – und den Dingen, die da folgen mochten – aussetzen können. Und bis die Identität des Mannes hier vor ihm eindeutig geklärt war, gab es für Sextus nicht auch nur den allerkleinsten Grund, ihm zu trauen. Im Zweifelsfall traute er auch nicht seinen Verwandten, die diesen Status erwiesenermaßen innehatten.
    Sextus wusste nicht, ob Avianus den Burschen hier erkennen könnte. Seines bescheidenen Wissenstandes nach hatte der älteste Sohn von Scipio mit diesem gebrochen, noch ehe Sextus auch nur zehn Jahre Alt gewesen war – und damit in einem Alter, in dem sein Lehrer ihm die Grundsätze von Makrokosmos und Mikrokosmos näherzubringen versucht hatte, nun, da er lesen und rudimentär rechnen konnte.
    Seit wann Avianus nun in Rom wohnte, wusste Sextus nicht zu sagen. Ursus könnte eventuell dessen Aussage eher bestätigen, aber der weilte ja nicht in Rom. Bei einem vertrauensseligen Idioten hätte der Bursche sich also einen hervorragenden Zeitpunkt ausgesucht, hier in der Villa ohne Ankündigung aufzukreuzen, da niemand anwesend war, der ihn als Hochstapler enttarnen könnte. Ob Flora wohl ihren ältesten Bruder kannte? Anzunehmen. Aber Sextus zögerte noch damit, nach ihr zu schicken. Seit ihrem Zusammenbruch wegen Narcissa war er aufgrund der näherrückenden Hochzeit mit Tiberius Durus etwas vorsichtiger, was Floras Einbeziehung in fragwürdige Situationen anging. Und über einen unbekannten lebenden Bruder und/oder Hochstapler könnte sie sich wieder ähnlich echauffieren wie über die tote Schwester.
    Erst einmal würde er sich geduldig anhören, was der Mann vor ihm überhaupt wollte, und inwieweit er sich erklären konnte. Dann würde er über die geeigneten Maßnahmen noch befinden, doch zunächst benötigte er mehr Informationen.

  • Er erwiederte den Blick seines Gegenübers. Er hatte in diesem Moment nichts zu verbergen und hatte es daher auch nicht nötig den Blick des Gastgebers zu meiden. Nein, er blickte ihm die ganze Zeit, während er ihn musterte, in die Augen. Ob das in diesem Moment unhöflich war oder nicht, das war ihm im Grunde egal.
    Die Frage, die sein vermeindlicher Cousin ihm dann stellte, brachte ihn allerding zum Nachdenken. Beweise bezüglich seiner Herkunft. Schwierig. Er blickte auf seinen Siegelring und drehte diesen am Finger herrum, wie er es oft tat, wenn er nachdachte. Eine schwere Frage, wie er fand. Damals hatte er nicht besonders viel mitgenommen, geschweige denn länger als nötig behalten. In Gedanken schritt er sein ganzes Haus ab, auf der Suche nach etwas, das ihn als Sohn dieses Hauses zu erkennen gab. Doch, da war doch etwas. Das Schreiben mit dem sein Vater ihn enterbt hatte, das hatte er aufgehoben. Aber wahrscheinlich war das schon wieder ein weiteres Problem. Am Ende hielt man ihn wohl noch für einen Erbschleicher. Und all das nur, weil die Tote sich als seine Schwester entpuppt hatte. Er befand sich im Moment in keiner guten Situation. Am Liebsten wäre er nun einfach gegangen, aber ein Rückzieher würde ihn nun nur noch unglaubwürdiger erscheinen lassen. "Ja, sicher habe ich Beweise. Allerdings nicht bei mir, auch nicht in Rom. In meinem Haus in Massilia allerdings habe ich das ein oder andere Dokument, welches meine Herkunft beweisen sollte." Das klang natürlich auch nicht besonders glaubhaft, auch wenn es die Wahrheit war.
    Im Moment kam er sich einfach nur dumm vor. Was dachte sein Gegenüber wohl gerade von ihm? Wer er war - Ein Erbschleicher, ein Hochstapler, ein Betrüger? Auch wenn er es nicht war, das Gegenteil beweisen konnte er im Moment nur schwer. Vielleicht konnte er ja seine Gastgeber in einem Gespräch vom Gegenteil überzeugen, folglich knüpfte er wieder an:"Jedenfalls wollte ich ursprünglich mein Beleid aussprechen. Auch wenn ich soeben erfahren musste, dass die Verstorbene meine Schwester war. Ich wusste nicht einmal, dass ich überhaupt eine Schwester habe. Als ich damals dieses Haus verließ, hatte ich auf jeden Fall noch keine. Nur einen Bruder. Wie geht es Orestes eigentlich?" Apropos: Sein Bruder würde ihn doch gewiss noch erkennen. Das erste Mal ins einem Leben war er froh einen Bruder zu haben, ansonsten hätte er gerne auf ihn verzichten können, ebenso auf seine Mutter. Vielleicht war er nun seine Rettung.

  • Nigrina lehnte sich ein wenig zurück und beobachtete die Szenerie, die sich vor ihr entfaltete. Sextus kannte den Mann ganz augenscheinlich nicht, was allerdings auch kein Wunder war in Anbetracht der Tatsache, dass der andere vor 17 Jahren verschwunden war. Nigrina kannte die Lebensgeschichte ihres Mannes nun nicht auswendig, aber auch sie wusste, dass er den größten Teil seiner Kindheit und Jugend in Griechenland verbracht hatte, wohin sich seine Eltern zurückgezogen hatten. Und Sextus war misstrauisch. Nigrina konnte das einerseits verstehen – als der Fremde ihr seinen Namen gesagt hatte, war sie wie von selbst davon ausgegangen, dass es schon jemanden in der Villa geben würde, der ihn erkannte. Wenn dem allerdings nicht so war... Nun. Sextus fragte ihn ohnehin nach Beweisen, und zur Not – bei diesem Gedanken verzogen sich Nigrinas Lippen zu einem nur angedeuteten Lächeln, das ein leicht hämische Note gehabt hätte, wäre es ein richtiges gewesen – konnte man immer noch Lucretia Lucilla herbitten. Es dürfte interessant sein zu beobachten, was Scipio davon halten würde, wenn es ausgerechnet seine ihm augenscheinlich verhasste Stiefmutter war, die ihn identifizieren würde. Oder was für ein Gesicht die Lucretia machen würde, wenn sie begriff, dass sie ihren augenscheinlich verhassten Stiefsohn ein für alle mal hätte los werden und endgültig aus der Familie verstoßen können – wenn sie nur vorher gewusst hätte, worum es ging... Oh ja, das klang nach einem Aufeinandertreffen, das Nigrina nur zu gern arrangieren – und selbstverständlich auch erleben – würde.


    Das Gespräch indes nahm seinen Fortgang, während Nigrina an ihrem Getränk nippte und einfach nur zuhörte. Für den Moment spielte sich alles zwischen den Männern ab – auch bei der letzten Fragen Scipios hatte sie nicht den Eindruck, dass diese in irgendeiner Form an sie gerichtet gewesen war, also schwieg sie für den Moment weiterhin und überließ Sextus vorerst das Feld.

  • Ach, in Massilia. Natürlich, wo auch sonst? Das war eine Schiffsreise von etwa 3 Tagen, plus 3 Tage zurück, plus ein Tag Aufenthalt dort, um die Dokumente zu suchen, plus jeweils ein Tag nach Ostia, einschiffen, oder von Bord gehen und nach Rom reisen. Alles in allem also eine satte Woche Zeit, sich einen Fälscher zu beschaffen und sich so ein Dokument herstellen zu lassen. Eins musste man dem Mann lassen, wenn er Betrüger war, beging er keinen Anfängerfehler, der ihn in Zeitnot bringen würde. Und auf der anderen Seite fiel er auch nicht durch Übereifer und besonderen Aktionismus auf, so dass man da misstrauisch werden könnte. Einzig sein steter blick gefiel Sextus nicht, schien er doch stetig prüfen zu wollen, ab welchem Zeitpunkt er ihm nicht mehr glaube.
    Doch Sextus machte es seinem Gegenüber schwer, in ihm zu lesen. Seine Gedankengänge waren schließlich innerhalb seines Kopfes und dort sicher verwahrt, und weder durch Mimik noch Gestik zu lesen. Er saß gemütlich da, fast entspannt, und blieb so nonchalant wie eh und je. Es gab noch keinen Grund, sein Gegenüber mit offenkundig gezeigtem Misstrauen in Grund und Boden zu stampfen, zumal die winzige Möglichkeit bestand, dass dieser Kerl wirklich Sextus' Cousin war.


    “Nun, seit einem halben Jahr gleichbleibend. Er ist gestorben.“ Sextus sagte das weder humorvoll noch gehässig, es war lediglich eine kleine Feststellung, und allenfalls Nigrina konnte daraus wohl den beißenden Humor erkennen, dessen Sextus sich manchmal bediente, wenn er sich überlegen fühlte und eine Situation als unbereichernd empfand.
    Bevor Scipio nun reagieren konnte, änderte Sextus ein wenig seine Haltung und kam seinem Gegenüber etwas entgegen. “Da es wohl nicht der Tod deiner Geschwister ist, der dich nach Rom treibt, erlaube mir die Frage, wie wir zu diesem Vergnügen kommen?“ Er hatte nichts übrig für ausgetauschte Höflichkeiten, die ihm weder kurz- noch langfristig etwas einbrachten. Da wollte er nun lieber wissen, was sein Vielleicht-Verwandter nun eigentlich wollte. Effizienz war etwas, das Sextus weitaus mehr schätzte als so etwas Ungreifbares wie Emotionalität.

  • War sein Cousin eigentlich schon immer so gewesen? Er versuchte sich zu erinnern, auch wenn ihm das nicht gelingen wollte. Er wusste nichts mit diesem Mann anzufangen, er konnte ihn nicht einschätzen und wusste nicht woran er mit ihm war. Glaubte er ihm oder nicht? Hielt er ihn für einen Betrüger oder Erbschleicher oder nicht? Äusserlich ließ sich sein Cousin nichts anmerken. Es schien fast so, als wäre ihm alles gleichgültig. So auch die Mitteilung, dass Orestes bereits seit einem halben Jahr verstorben war.In Scipios Ohren klang das wie ein schlechter Scherz. Nach der Schwester, die er nicht gekannt hatte und die gestorben war, war nun auch sein Bruder bereits vergangen. Am Liebsten hätte er nun laut losgelacht. Es klang alles so unglaubwürdig, war aber dennoch kein Scherz. Das brachte ihn nun doch etwas aus der Fassung und er benötigte erst einmal einen Schluck Wein, um dieses Thema herrunter zu schlucken. Der Tod einer Unbekannten war eine Sache, aber der Tod Orestes war da schon ein anderes Paar Stiefel."Das wusste ich nicht. Wahrscheinlich wäre ich schon früher wiedergekehrt, hätte ich von Orestes Tod erfahren. Aber zum eigentlichen Grund meines Aufenthaltes in Rom:
    Nun der Grund meines Aufenthaltes hier ist rein geschäftlicher Natur. Man muss schließlich auch von etwas leben. Ich bin hier, um mit neuen Lieferanten ins Geschäft zu kommen. Ich besitze einen übrigens einen größeren Weinhandel in Massilia."
    Wahrscheinlich würden sie ihn nun belächeln, nur weil er auf ein solchens Gewerbe angewiesen war, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen und ein standesgemäßes Leben zu führen. Es reichte ihm und er war eigentlich sogar relativ stolz darauf. Das hatte er selbst geschafft und war folglich auch von niemandem abhängig.
    Er nahm erneut einen Schluck Wein und sprach ,ehe sein Cousin sich äussern konnte, weiter. Er konnte sich bereits ausmalen, dass dieser sich mit dieser Antwort nicht begnügen würde und weiter hinterfragen würde. Scipio erleichterte ihn daher, indem er seinerseits weitere Informationen preis gab.
    "Um die nächste Frage vorwegzunehmen: Es war früher nicht nötig gewesen in Rom Lieferanten zu gewinnen. Früher lief das Geschäft quasi von allein. Doch die Konkurrenz schläft nicht, das lässt sich nicht leugnen." Dass seine Geschäfte in letzter Zeit nicht mehr besonders gut liefen wollte er freilich nicht zugeben. Wahrscheinlich hätte ihn das noch mehr wie einen Erbschleicher erscheinen lassen. Aber er brauchte und wollte keine Almosen. Er hatte diesen Handel aufgebaut und er würde ihn auch retten können, dessen war er sich sicher.

  • Sofern Sextus unterstellen würde, in dem Mann den vor sich zu haben, den dieser vorgab zu sein, hätte er wohl auch gesagt, dass diesem die Nachricht vom Tod des Bruders nahe ging. Natürlich bemerkte er den Schluck und das unsichere Huschen in den Augen, auch wenn sich sein Gegenüber den Göttern sei dank nicht zu größeren emotionalen Devotionen hinreißen ließ. Allerdings war das für Sextus kein Beweis einer tatsächlichen Verwandtschaft oder ähnliches. Nicht jedes Lächeln war ein Ausdruck von Freude, nicht jede Träne ein Ausdruck der Trauer. Manchmal war ein Lächeln einfach nur ein Lächeln, eine Träne einfach nur eine Träne, und ein Griff nach dem Wein einfach nur ein Griff nach dem Wein. Interpretationen solcherlei Dinge sollte man nur dann vornehmen, wenn man sein Gegenüber einzuschätzen gelernt hatte. Und so weit war Sextus noch nicht.


    Der Grund der Anwesenheit des Mannes hier in diesem Haus erschloss sich Sextus indes auch nach der Erklärung nicht. Er war also in Roma, um ein paar Geschäftspartner für seinen Weinhandel aufzutun. In der Villa Aurelia würde er wohl kaum solche finden. Natürlich induzierte die Art und Weise der Antwort, dass sein Gegenüber Geld haben wollte. Wenn er aber darauf pokerte, dass Sextus ihm solches anbieten würde, dann kannte er seinen Verwandten schlecht. Selbst seinen eigenen Geschwistern hätte Sextus nur dann Geld gegeben, wenn diese eine für ihn vorteilhafte Begründung dafür geben konnten. Und Scipio hier stand ihm nicht einmal annähernd nahe genug, um das dafür nötige Vertrauen zu haben. Und Sextus glaubte auch nicht, dass dieser hier war, um einen Vertrag über eine Geldleihe mit ihm zu machen.
    “Nun, dann wünsche ich dir bei deinen Geschäften viel Erfolg.“ Was sollte Sextus sonst sagen? Er brauchte keinen Wein, zumindest nicht in größeren Mengen und regelmäßigen Abständen. “Ich würde dir vorschlagen, du versuchst es in ein paar Tavernen. Auch wenn diese meist ihren Wein selbst zusammenpanschen. Doch vermutlich kennst du die potentiellen Abnehmer deiner Waren besser als ich, so dass mein Rat hier nur bedingt von Vorteil ist.“

  • Scipio schien es, als hätten sie sich gegenseitig missverstanden. Er war nicht hier um seiner Verwandschaft irgendetwas zu verkaufen, sein Verkaufsgebiet war Massilia, geschweige denn Geld von ihnen zu erbitten, wie es seiner Meinung nach aus den Worten seines Verwandten herrausklang. Warum auch? Noch war er nicht pleite, ausserdem hätte er sowieso niemals um finanzielle Hilfe gebeten, dazu war er zu stolz. Desweiteren hatte er sein Gewerbe aufgebaut und auch nur er alleine würde es retten. Dazu brauchte er keine Hilfe, vor allem nicht von seiner Familie, die ihn wahrscheinlich nur belächelte, beim Gedanken an seinen Broterwerb, war es doch nicht gerade das, was man unter einer standesgemäßen Berufung für einen Patriziers verstand. Aber er war eben doch anders und da er sich nicht hatte anpassen wollen, war er damals auch aus Rom fortgezogen. Nein, eigentlich wollte er ja nur wieder etwas Kontakt mit der Familie aufnehmen, aber die war, wie er sie in Erinnerung behalten hatte. Das schien immer noch nicht klar zu sein. es wurde wohl Zeit etwas deutlicher zu werden. "Ich denke wir missverstehen einander. Ich bin nicht hier, um irgendetwas zu verkaufen. Auch bin ich nicht hier, um irgendwelche Leute um Geld zu bitten. Zum einen bin ich hier, um Lieferanten zu finden, die mich mit Wein beliefern, damit ich diesen auf meinem Absatzmarkt in Massilia verkaufen kann, zum anderen bin ich hier, da ich eigentlich vor hatte, nachdem ich von diesem Todesfall meiner angeblichen Schwester gehört habe, wieder Kontakt mit der Familie aufzunehmen. Nicht mehr und nicht weniger." Das sollte nun deutlich genug gewesen sein und er war sich sicher, dass er vielleicht nun nicht mehr ganz den Anschein eines Erbschliechers machte, der er ja auch nicht war.

  • Er kam den ganzen weiten Weg von Massilia, um Kontakt zu seiner Familie zu knüpfen? Sextus blinzelte einen Moment, ohne etwas zu sagen, und sah dann kurz mit undurchschaubarer Miene zu seiner Frau hinüber. Konnte er solche Gefühle nach Anschluss an die Familie verstehen? Nein, nichtmal ansatzweise. Er hatte eine Unzahl von Brüdern und Schwestern, und er vermisste nicht einen davon. Nicht einmal eine Minute lang. Warum auch sollte irgendwer so empfinden? Geschwister waren in gewissem Maße nützlich, sie härteten ab. Sextus würde nicht sagen, dass er keine positiven Erinnerungen an seine Geschwister hatte, aber er war erwachsen und kein Kind mehr. Seine Geschwister hatten ihre Leben, er hatte seines. Ab und an schrieb man sich. Das war's. Sein Blick ruhte kurz auf Nigrinas wachsendem Bauch, wo sein Kind heranwuchs. Auch dem gegenüber hatte keine übereifrigen Empfindungen. Schon gar nicht, wo es noch nicht auf der Welt oder geschweige denn in einem Alter war, in dem es ihm nützlich sein konnte. Konnte er also so einen Wunsch nach Kontakt verstehen? Nicht wirklich.


    “Nun, dann hast du einen ungünstigen Zeitpunkt gewählt. Neben mir wohnen nur noch Aurelius Avianus und Aurelia Flora hier. Aurelius Ursus ist in Mantua und kann das Pomerium aufgrund seines Kommandos nicht betreten.“
    Prisca ließ Sextus absichtlich weg. Dass Frauen verheiratet wurden, so bald es opportun schien, war selbstverständlich. Da rechnete niemand mit einem längeren Aufenthalt im Haus der Gens. Dass Prisca so lange hier im Haus gelebt hatte und nicht ordentlich nach der ersten Blutung verheiratet worden war, war schon fast schändlich.
    “Flora ist verständlicherweise gerade nicht auf Besuch eingestellt.“ Was die freundliche Umschreibung war. Sie hatte sich in ihr Zimmer eingeschlossen und wollte nicht herauskommen. Besorgniserregend für Sextus, immerhin konnte es die Hochzeit mit seinem Patron gefährden. Doch hatte er noch keinen Weg gefunden, mit einer Frau verständlich reden zu können, wenn diese von Gefühlen überwältigt war. Da musste ein anderes weibliches Wesen die Drecksarbeit übernehmen, er war dafür nicht geeignet.
    “Sie empfängt derzeit niemanden, ich denke nicht, dass sie für einen ihr unbekannten Halbbruder sich repräsentabel herrichten will. Wenn du es wünscht, kannst du aber morgen zur Saluatatio bei Aurelius Avianus vorbeischauen. Da er Ädil ist, ist die Chance dann am größten, mit ihm sprechen zu können.“
    Sextus verstand nichts von den Gefühlen von Anbindung an die Familie, aber das hieß nicht, dass er nicht Auskunft über Avianus geben könnte. Wie jeder, den Sextus nicht kannte, konnte er Scipio auch weiterleiten, so dass Avianus sich mit dem Problem rumschlagen konnte. Und die Frage seines vermutlichen Vetters klang so, als würde er gerne mit weiteren Verwandten sprechen.

  • Nigrina verharrte ruhig auf ihrem Platz, leicht zurück gelehnt, ihr Getränk locker in einer Hand, gelegentlich daran nippend, und hörte zu. Sie fand es gar nicht so uninteressant, dem Gespräch der beiden Männer zu lauschen, die Reaktionen zu beobachten. Sextus blieb wie üblich beinahe unlesbar, auch wenn sie meinte, das ein oder andere inzwischen dennoch erkennen zu können. Auch wenn sie ganz sicher keine Ehe führten, in der sie regelrecht aneinander geklebt zu sein schienen, verbrachten sie naturgemäß dennoch regelmäßig Zeit miteinander, und da kam man nicht umhin, sich besser kennen zu lernen. Vorausgesetzt man wollte das auch, und zumindest Nigrina hatte durchaus ein reges Interesse daran, ihren Mann zu kennen – und einschätzen zu können.


    Was sie nach wie vor ein wenig merkwürdig fand, war Scipios lange Abwesenheit von seiner Familie. Bei den Göttern, wenn er Aurelier war, dann hätte er jedes Anrecht darauf gehabt, auch die Vorzüge seiner Familie in Anspruch zu nehmen. Stattdessen hatte er sich vertreiben lassen und einen Weinhandel eröffnet. Nein, das verstand Nigrina ganz und gar nicht, hatte sie doch eine andere Auffassung von Stolz. Und warum genau er nun jetzt wieder kam, erschloss sich ihr auch immer noch nicht so ganz... Aber was seine Identität betraf, fände sie es immer noch köstlich, einfach die Lucretia herzubeordern und sie auf Scipio treffen zu lassen, ohne ihr vorher zu sagen, was sie erwartete. Anhand ihrer Reaktion dürfte sich wohl erkennen lassen, ob der Mann die Wahrheit sprach oder nicht... und Nigrina freute sich schon auf die Schimpftirade, wenn er tatsächlich der war, der er vorgab zu sein.
    „Ich werde Flora auf jeden Fall Bescheid geben, dass du hier warst. Ich kann nichts garantieren, aber möglicherweise würde sie dazu kommen, wenn du mit Avianus sprichst.“

  • Avianus, Flora, Ursus... alles Namen, die ihm nichts sagten. Waren das wirklich alle, die noch hier lebten? Etwas enttäuscht war er schon, hatte er doch gehofft jemanden zu treffen, den er noch von früher kannte. Es blieb ihm wohl nichts weiter übrig, als sich damit abzufinden.
    Flora, wieder fiel dieser Name. Was interessierte ihn denn diese Unbekannte? Frauen interessierten ihn im Grunde nur, wenn er seine eigenen Triebe befriedigt wissen wollte, sonst waren sie ihm herzlich egal. Was interessierte ihn dann diese Flora? Er hätte sein Gegenüber glatt gefragt, wer denn dies Flora war, dass ihn ein Treffen mit ihr wichtig war, doch die Erklärung folgte auf dem Fuß. Scheinbar war sie seine Schwester. Wieder war er überrascht. "Dann ist diese Flora meine Schwester? Es gibt doch nicht zufällig noch mehr Geschwister, von denen ich wissen sollte?", fragte er und zeigte kurz ein freches Grinsen. Die Frage war jedoch durchaus ernst gemeint. Von seinen Gastgebern erfuhr er ja bisher herzlich wenig und er wollte nicht noch einmal überrascht werden, wenn sich herausstellte, dass er noch mehr Geschwister hatte. Insgeheim fragte er sich bereits, wie viel Kinder seine Stiefmutter, dieser furchtbare Drachen, denn noch hatte. Was wenn seine Halbschwester genau so war, wie ihre Mutter. Wollte er die dann überhaupt kennen lernen? Eigentlich schon, schließlich war sie ja so etwas wie seine Familie. Nur musste er vorerst einmal die Gelegenheit bekommen, diese zu Gesicht zu bekommen. Die Salutatio war womöglich eine gute Gelegenheit. Vor allem wenn seine Schwester wirklich die Gelegenheit ergriff, wenn sie erfahren würde, dass er morgen wiederkehren würde.
    "Dann werde ich morgen mein Glück bei diesem versuchen." Dann machte ihm die Hausherrin doch Hoffnungen. Sie würde seiner Schwester also Bescheid geben. Hoffentlich würde diese ihn auch kennen lernen wollen. "Ich danke dir. Ich hoffe vielleicht morgen dann meine Schwester kennen zu lernen."

  • Noch immer erschien es Sextus etwas merkwürdig, wie jemand trotz des Bruches mit seiner Familie nicht wissen konnte, wie die eigenen Geschwister wohl hießen. Über so etwas stellte man üblicherweise Nachforschungen an, bevor man in das Heim seiner Verwandten ging. Sextus wusste auch nicht, wie seine unzähligen Neffen heißen mochten, aber er würde sich erkundigen, ehe er eines seiner Geschwister besuchen würde. Theoretisch zumindest, er hatte nicht vor, einem seiner Brüder oder seiner Schwestern im Leben noch einmal zu begegnen. Das hieße, er würde nach Griechenland zurückgehen, und das wäre wohl auf einen Machtverlust hier in Rom zurückzuführen. Folglich keine Option, über die nachzusinnen er Muse hatte.
    “Ja, Flora ist deine Schwester, und nein, ich weiß nichts von weiteren Geschwistern“, meinte er nur so distanziert wie das ganze Gespräch über und beschränkte sich auf ein charmantes Lächeln.


    Und zum Glück erledigte sich diese ganze Angelegenheit nun auch von selbst, da sein gegenüber den Vorschlag mit Avianus dankend aufnahm und wiederkommen wollte. Damit hätte Avianus das Problem mit der nicht geklärten Identifikation jenes Mannes und sextus konnte sich wieder wichtigen Tagesgeschäften widmen, ohne sich über solcherlei den Kopf zu zerbrechen.
    “Dann wünsche ich dir bei beiden Unterfangen Glück und dir heute noch einen angenehmen Tag, sofern dies nach diesen Neuigkeiten noch möglich ist.“ Dass er Flora zu Gesicht bekäme, glaubte Sextus nach dem bisherigen Verhalten seiner Cousine nun nicht, und im Grunde war es ihm auch egal, ob die Geschwister sich sehen würden. Aber dies gehörte eben zu den Phrasen, die man beim Abschied so von sich gab.

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