Kontrollgänge und Marktstreit

  • Bei einem seiner üblichen Kontrollgänge durch den Markt wurde Avianus von seinem persönlichen Sekretär begleitet und spähte mit Argusaugen nach groben Ungereimtheiten auf dem Markt, besichtigte die Stände und hielt genauestens Ausschau nach Streitfällen und Verdachtsfällen. Meistens spielte sich auf dem Markt nichts Besonderes ab und auch heute war alles bis auf den üblichen Markttrubel an diesem Frühlingstag ruhig. Zu ruhig für seinen Geschmack. Er sehnte sich fast schon nach ein wenig Spannung - denn was war das schon, wenn man im Amt den Markt kontrollierte und alle brav waren? Das war doch langweilig!
    Aber man sollte vorsichtig mit seinen Wünschen sein, diese Weisheit traf auch in seinem Fall zu.


    An einer Gebäudewand, an der mehrere Aushänge angebracht waren, hing dort einer, der besonders ins Auge stach. Ungläubig las er die wenigen Wörter, rieb sich die Augen, dachte, er sehe schlecht. Doch es war Wirklichkeit, hier lag Ärger in der Luft und es war als Aedilis Curulis seine Pflicht, dem nachzugehen. In seiner Funktion als Marktkontrolleur nahm er diesen Aushang vorläufig ab, beschloss, sich nach diesem Händler zu informieren. Er würde herumfragen müssen, wer das war. Tigranes: Den kannte er nicht, hoffentlich war er leicht zu finden.


    In der nähe stand ein Fischhändler, auf den Avianus mit entschlossenem Gang zuhielt. "Salve", grüßte er den Mann und inspizierte wenn er schon hier war den Fisch. Es roch unverwunderlicherweise wie Fisch, zum Glück nicht nach Vergammeltem. Und es sah essbar aus - kein Grund, einzugreifen. "Ich bin der amtierende Aedilis Curulis Aurelius Avianus. Hast du hier zufällig einen Ölhändler zu Gesicht bekommen, der sich Tigranes nennt?"

  • Der Fischhändler, ein stämmiger Gallier mit gelblichem Bart, grüßte den Aedil freundlich, wie er fast jeden Menschen freundlich begrüßte. Schließlich waren sie alle potentielle Kunden. Über die gestellte Frage musste er dann auch nicht lange nachdenken, auch wenn er natürlich lieber über seine Ware Auskunft gegeben hätte. "Tigranes, den Ölhändler? Na klar! Diese Richtung, nächste Gasse rechts, dann kommt er bald auf der linken Seite", erklärte er breitwillig und deutete in die Richtung, in die der Aedil als erstes gehen müsste.

  • Beim ersten Anlauf unerwarteterweise gleich die richtige Auskunft erhalten - so musste das funktionieren und schade, dass es das nicht immer tat! Zufrieden mit dem Händler wühlte Avianus in seinen Taschen und kramte zwei Sesterzen hervor, die er dem Mann aus Dankbarkeit als kleine Belohnung überreichte und setzte somit seinen Gang mit einem kurzen "Danke" fort. Dicht gefolgt vom privaten Sekretär, welcher den Aushang in einer Hand mitführte, marschierte er voller Tatendrang in die gewiesene Richtung und bog rechts in die Gasse ein, die ein wenig enger war und wo sich viele Käufer hindurchzuzwängen versuchten. Er hasste es, solche Gassen zu betreten!


    Aufmerksam sah sich Avianus um und fand prompt jemanden auf, der Öl in Amphoren feilbot. Ein Stand, wo nur wenige Leute waren, was vielleicht auch dem Aushang geschuldet sein durfte. Er müsste sehen, was dahinter steckte - Wahrheit oder unlauterer Wettbewerb?
    Avianus trat näher, natürlich mit einer gebührenden Portion an Vorsicht und sprach diesen "Tigranes" an. "Salve", stellte er sich vor, "Ich bin Tiberius Aurelius Avianus, amtierender Aedil. Sag, bist du Tigranes und hattest du in letzter Zeit unzufriedene Kunden?"

  • Tigranes, ein mittelgroßer Mann mit hageren Gesichtszügen und tiefliegende Augen kam diensteifrig und mit zuvorkommendem Lächeln auf den Aedil zu. "Salve, Aedil. Welche eine Freude, dich hier zu sehen. Das habe ich doch gar nicht verdient, dass du dich so um meine Geschäfte sorgst. Aber danke der Nachfrage, ich habe nur zufriedene Kunden. Ich verkaufe schließlich auch nur bestes Öl. Gewiss möchtest du dich davon überzeugen. Sieh hier, alles ordentlich verschlossen. Alles beschriftet. Das ist beste Qualität. Das hier ist aus Campanien. Das hier von der Peleponnes. Dort das aus dem Gebiet der Bastetani. Dort drüben das aus Glanum und das daneben aus Capsa. Ich kenne jeden meiner Lieferanten."

  • Der amtierende Aedil warf in der Tat einen kontrollierenden Blick auf die Amphoren, die der hagere Ölhändler anbot und nahm sich exemplarisch einige von ihnen heraus, um den Geruch zu prüfen und goss sich einen der Tropfen auf den Finger, um daraus zu probieren. Die geschah auch, während der Händler ihn mit Lobpreisungen zu seinen Produkten überschüttete. Er war wenig beeindruckt, doch in der Tat stellte er hier nichts fest. Nun wusste er nicht, hatte der Händler sich verändert, war er noch nie schlecht oder wollte ihn einfach jemand benachteiligen?
    "Nun ja, offenbar hast du Feinde, Tigranes", sagte Avianus, ließ sich den mitgenommenen Aushang geben und las laut daraus vor. Anschließend ließ er den Mann die Worte verdauen, um ihn mit einem fragenden Blick zu belegen: "Willst du dazu Stellung nehmen?"

  • Tigranes schnaubte verächtlich über die vorgelesenen Worte. "Wer gut ist hat Neider! Ich führe diesen Laden seit über 20 Jahren und ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe. Wer solchen Unsinn verbreitet, gehört aus der Stadt geworfen! Was soll ich dazu noch groß Stellung nehmen? Zu sowas sage ich nichts! Hier ist mein Laden, hier ist meine Ware, hier sind meine Kunden! Alles in bester Ordnung. Ich lasse mir nicht so ans Bein Pinkeln!"

  • Es war zu erwarten gewesen, dass Tigranes über den Text alles andere als erfreut sein würde. Doch für Avianus war es auch hart festzustellen, ob da wirklich etwas dran war. Der Aurelier hob beschwichtigend die Hände und versuchte es auf die ruhige Tour: "Bitte, bewahre die Ruhe. Das Problem wird sich lösen lassen, doch brauchen wir jemanden, den wir deswegen zur Rede stellen könnten. Daher die Frage, ob du nicht zufällig einen Feind hättest. Oder ein Streit mit einem Kunden." Vielleicht haben die Worte des Aureliers dem Gedächtnis des Ölhändlers ein wenig auf die Sprünge geholfen.

  • Trotz aller Verärgerung war Tigranes ein Mensch, der nicht gern ins Blaue schoß. Er legte viel Wert darauf, gegenüber seinen Kunden und Lieferanten immer Herr der Lage zu sein. "Natürlich erwarte ich, dass das Problem gelöst wird! Wie ich schon sagte: Wer gut ist hat Neider. Natürlich habe ich Konkurrenten. Ich könnten sie dir alle aufzählen. Aber das führt doch zu nichts. Ganz offensichtlich habe ich einen Feind - den, der das da geschrieben hat."

  • Allmählich verlor Avianus die Geduld. "Keine Namen, keine Problemlösung", sagte er ganz einfach, denn er war alles andere als gewillt, wie der letzte Idiot durch die Märkte zu streifen und die Nadel im Heuhaufen zu suchen. Er könnte Tigranes auch aus dem Verkehr ziehen, doch dies war nicht, was Avianus wollte - würde er damit doch die Interessen desjenigen vertreten, der für diesen Text verantwortlich war.

  • "Bitte?" Tigranes schaute den Aedil mit einer Mischung aus Verwunderung und Empörung an. "Du erwartest von mir, dass ich aufs Geratewohl ein paar Namen nenne? Aedil, das kann ich nicht tun. Ich bin ein ehrlicher Mann! Die eigene Ehre ist das Wichtigste, was ein Händler wie ich haben kann! Es ist beschämend, dass ich mit solchen Schmierereien beleidigt werde, aber du kannst nicht von mir verlangen, dass ich mich deshalb auf dieselbe Stufe wie solche Betrüger begebe und wahllos andere Händler beschuldige!" Es schien so, als wenn er selber Ermittlungen anstellen musste, wenn der Aedil ihm nicht helfen wollte.

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