Am Rande des Marktes - der Stand des Anaximander

  • Anaximander
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    "FISCHE!!! FRISCHE FISCHE!!!!", schallte die nicht allzu laute Stimme des Anaximander über den restlichen Randbereich des großen Marktes. Jenes Teils, der am wenigsten Aufmerksamkeit bekam und damit auch am ehesten für jene ungefährlich war, die eigentlich ja garkeine Aufmerksamkeit erregen wollten. Der Sklave Anaximande war im Besitz einer alten Frau die in mit zunehmendem Alter immer ruhiger geworden war, und daher kaum mehr kontrollierte, was ihr Leibsklave auf dem Markt noch so trieb. Was Anaximander selbst die eher sprichwörtlich zu verstehende Freiheit gab das zu tun, was sich sonst kaum einer traute: er fischte.


    PISCES stand in dicken Lettern im Holz seines Standes eingekratzt, genauso wie das Äquivalent in einigen anderen Sprachen. Anaximander hatte sehr viel Mühe darauf verwendet, die falschen Leute von dem abzulenken, was die richtigen Leute hoffentlich genau richtig verstehen würden: ein weiteres, dezent platziertes und kaum auffälliges Zeichen:



    Es war ein Risiko, das war ihm natürlich klar, aber es war nun mal das Erkennungszeichen der ihren. Eigentlich bedeutete es einfach nur: Fisch
    Wer aber wusste, was dahinter steckte, der las: Iosous Christós Theoú Hyiós Sotér. Jesus Christus, Gottes Sohn, der Erlöser.


    So kam es ihm auch kaum wirklich auf das Verkaufen seiner Ware an, die er jeden Morgen von gleich gesinnten Fischern am Ufer des Tiber und ab und an sogar von den Fischern am Meer kaufte, wenn sich ein schneller Heimtransport organisieren ließ. Wer genau hinsah, der bekam gar mit, wie Anaximander dann und wann für ausgehändigte Ware gar kein Geld annahm. Nein, es ging ihm um die Menschen. Jene, die schon zu ihnen gehörten, und jene, die es vielleicht irgendwann würden.
    Leute wie er starben häufig in den Gossen, wenn sie nicht vorsichtig genug gewesen waren, zusammengetreten von den Götzendienern die ihre in Stein gehauenen Bilder anbeteten und ihnen Heilversprechen abnahmen, die sie sowieso nie einlösen würden. Aber Anaximander war das Risiko nur allzu recht, würde er von dieser Welt gerufen, so würde ihm auch ein Platz in einer besseren Welt zuteil. Die Erlösung. Durch Jesus Christus, den Vollbringer so vieler schöner Wunder. Und genau deswegen fürchtete er sich nicht.. aber er war auch nicht so dumm um unnötige Risiken einzugehen, immerhin hatte er Gottes Werk auf der Erde zu vollbringen. Und seine Gemeinde nicht zu gefährden. Und genau deshalb hieß es: nicht zu laut schreien, nicht die billigsten Preise, nicht die teuersten. Nicht die schlechteste Ware, aber auch nicht die beste. Den Kopf unten halten.


    Und fischen.



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  • Der Frühling war hereingebrochen. Die Sonne strahlte freundlich auf die Menschen herab. Auch auf die unfreien Menschen. Corona sollte sich nach einer blauen, seidenen Stoffbahn umsehen und so hatte sie sich, pflichtbewusst wie sie nun einmal war, auf den Weg gemacht. Allerdings ließ sie sich Zeit. Sie sah sich nämlich mittlerweile nicht mehr nur in der Pflicht, für die Herrin da zu sein, sondern auch, sich ein wenig um sich selbst zu kümmern. Soviel hatte sie durch die claudische Belegschaft inzwischen gelernt. Sehr zum Leidwesen von Claudia Livineia, aber die wusste ja nicht einmal etwas davon.
    Mit leichten Schritten und ihrer einfachen Kleidung ließ sie also den Blick über die Waren und die Menge schweifen. Seit ihrem Gespräch mit Linos hielt sie auch nach dem ‚Fisch‘ Ausschau, den er ihr als Erkennungssymbol der Christengemeinde erklärt hatte. Sie wusste nicht, wie genau dieser Fisch aussehen sollte, wusste nicht, wo er sein sollte. Eine Tätowierung? Ein Schmuckstück? Oder war es nur das Wort ‚Fisch‘? Seit Wochen schaute sie sich danach um, weil sie mehr erfahren wollte. Linos hatte ihr einiges erzählt und alles hatte ihr Gefallen, aber das hatte nicht gereicht. Sie wollte mehr wissen, wollte mehr sehen. Ein Glaube, in welchem es nur diesen einen Gott gibt, ein Glaube, in dem Nächstenliebe gepredigt wird – das klang wundervoll. Keine ewig vielen, zu beachtenden Regeln, keine Zwänge, kein Hass – keine Sklaverei. So zumindest stellte sich das Christentum der jungen Sklavin inzwischen dar. Je länger sie Zeit mit ihrem geringen Wissen hatte, desto blühender wurde ihre Fantasie.
    Und auch jetzt gedachte sie jener neuen Religion. Umso verwunderte blickte sie auf, als sie einen Marktschreier hörte, der sie aus ihren Gedanken riss. Es war unerwartet, sie fühlte sich beinahe wie ertappt. Bis sie einsah, dass er einfach nur handelte. Oder? Es war das gleiche Spiel wie immer. Vernunft widersprach ihren Hoffnungen. Die Hoffnungen ließen sich nicht einsperren. Wieder ging sie hin. Langsam. Unauffällig. Nur einen Blick riskieren. Vielleicht auch zwei?
    Coronas Blick glitt über den Warenbestand. In das Gesicht des Händlers. In das Holz. Sie sah die Fischzeichnung, sie war ihr sofort ins Gesicht gesprungen. Sie kannte nicht einmal die Bedeutung des Fisches für die Christenheit. Sie wusste nur, dass es ein Erkennungszeichen war. Wie hatte Linos es gesagt? Es fiel ihr nicht mehr ein. Ihr Blick harrte einen Moment länger auf dem eingeritzten Zeichen. Einfach weitergehen? Ihr Blick traf den Händler. Dann wieder das Zeichen.
    Was, wenn sie sich irrte? Sie würde sich lächerlich machen, verhöhnt, verspottet. Ja, was wenn selbst Claudia Livineia davon Wind bekäme? Es würde einen Höllenärger geben – im wahrsten Sinne des Wortes. Dann rang sie sich durch. „Salve.“ Kam es nur sehr leise über ihre Lippen und sie lächelte den Händler an. Sie sprach so leise und zögerlich, dass es in dem Lärm der Menge beinahe völlig unterging. Aus tief dunkelblauen Augen sah sie zu ihm. Die leinene Tunika reichte ihr bis knapp über die Knie, sie war ebenfalls in dunklem Blau gehalten. Livineia legte Wert auf gutes Aussehen, sonst würde sie dies vermutlich gar nicht tragen. Ansonsten haftete der blonden Frau keinerlei Schmuck an. Keinerlei Schminke. Man sah, dass sie wohl kaum eine römische Herrin sein konnte. Zudem war sie recht hoch gewachsen. Nicht so groß, dass es sofort ins Auge sticht, aber schon größer als eine durchschnittliche, römische Frau. Aber das konnte man der gleichen Herkunft wie ihre blonde Haarfarbe zusprechen.

  • Anaximander
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    Er händigte gerade einer älteren Frau drei Percae aus, und gab seiner Stammkundin einen Preisnachlass, den er mit einem scherzhaften '...und damit treibe ich mich selbst in den Ruin, domina!' kommentierte. Das Geschäft lief heute gut, er war viele seiner Fische los geworden, und den kleinen Rest konnte man immernoch problemlos zu Garum verkochen und damit haltbar machen. Ein Mann fragte nach dem Preis für einen geräucherten Aal, und Anaximander schlug ihm ein Stück ab, damit der potentielle Kunde sich selbst von der Qualität des Fischs überzeugen konnte.


    'Mit Pinienholz geräuchtert... sehr nahrhaft und lecker.', unterstrich er seine Ausführungen, als jemand vor seinen Stand trat, und mit offensichtlicher Neugier etwas anstarrte, dass nicht direkt mit seiner Ware zu tun hatte. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, denn wenn sich jemand so genau mit seinem Stand beschäftigte, vor allem mit diesem gewissen Teil seines Stands, bedeutete das meistens Ärger. Anaximander gab dem Kerl zwei der Aale zum normalen Preis und vergaß dabei ganz die üblichen Floskeln, während er wie abwesend die Holzablage seines Standes zu putzen begann. Sein Blick traf den der Frau, die dann wieder auf den Fisch starrte, dann wieder ihn... dann wieder den Fisch.
    Rein zufällig hängte er den schmierigen Lappen an den Balken in dem das griechische Wort für 'Fisch' stand und verdeckte damit das geheime Zeichen der Christen. Heute wusste man nie. Erst kürzlich hatten wohl zwei Idioten einen zuviel über den Durst getrunken und auf offener Straße Werbung für die Sache Christi gemacht. Und dieser damit einen absoluten Bärendienst erwiesen. Elende Hornochsen... auf offener Straße!
    Anaximander ärgerte sich immernoch über soviel offen zur Schau gestellte Dummheit, die nicht nur diese beiden Trottel in Gefahr gebracht hatte, sondern wahrscheinlich auch einen großen Teil ihrer Gemeinde. Und genau deshalb hieß es jetzt umso vorsichtiger zu sein.


    'Salve.', erwiderte er mit betont geschäftlicher Unbekümmertheit den leisen Gruß der großen Nordfrau, 'Was darf's denn sein?'



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  • Sein Verkaufgespräch hatte sie eigentlich kaum mitbekommen. Sie hatte ihn einfach nur angesehen, beinahe innerlich hohl. Ihre Gedanken waren einfach nur immer wieder um ihre Vermutung gekreist. Als der Fisch dann plötzlich ihren Blicken entzogen wurde, rangen zwei verschiedene Eigenschaften in Corona. Sie war nicht dumm, konnte sich denken, dass der Fisch verborgen werden sollte. Andererseits aber war sie auch gutgläubig und wollte soetwas gar nicht erst vermuten. Vernunft und Idealismus ließen sich wie so oft nicht über einen Kamm scheren.
    Andererseits - Linos meinte ja auch, dass man mit diesen Informationen nicht hausieren ging. Und dass würde dieser Händler dann mit Garantie auch nicht machen. Corona hatte oft, gerade durch die Herrin, mitbekommen, dass Christen ganz offiziell zwar toleriert wurden, aber gewiss nicht gemocht. Und wer nicht gemocht wurde, konnte noch so gut durch irgendwelche Gesetze geschützt werden - Hass konnte man nicht zügeln. Auch sie konnte den Hass der Herrin nicht zügeln, wenn diese in ihrer Wut ausbrach.
    Und nun fragte der Händler auch noch, was es denn sein sollte. Sie war in Zugzwang. Sie musste sich entscheiden, ob sie die Tatsachen auf den Tisch packte, oder sich verschüchtert zurückzog. Auch sie hatte schließlich ein Restrisiko. Ihre Herrin würde zornig werden und sie selbst könnte sich vor diesem Manne ehrlich blamieren. "Ich suche einen ganz seltenen Fisch..." begann sie also stockend und versuchte sich in ein unsicheres Grinsen zu retten. "Er... er ist insgesamt gesehen, nicht besonders gefragt und geliebt, aber ich wollte... mehr über ihn erfahren... ihn für mich gewinnen.." Gut, das war peinlich genug. Am liebsten würde sie weglaufen. Das klang ja noch dümmer, als hätte sie ihn nach dem Erlöser gefragt. Sie spürte, wie sich heisse, rote Flecken auf den Wangen und der Stirn bildeten.

  • Anaximander
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    Seine Miene verzog sich für einen unkontrollierten Augenblick zu einer schiefen Grimasse, als er die Frau reden hörte, denn nun schien klar, wonach es ihr eigentlich verlangte. Was für Anaximander selbst bedeutete: da schwamm ihm gerade ein neuer Fisch ins Netz. Allerdings lief er damit auch Gefahr, sich etwas einzufangen was ihn selbst von seinem sicheren Boot in die Untiefen reißen könnte. Deshalb galt es auszuloten, was er sich da gerade eingefangen hatte.


    "Nun, dieser Fisch ist auch nichts für jedermann Geschmack..", dozierte Anaximander nun auf die Art und Weise, wie er jemandem erklärte auf welche Art und Weise man einen der selteneren Fische zubereitete, ohne sich daran umzubringen, "..aber für diejenigen, die wissen, was der Genuss dieses Fisches mit sich bringt, ist er eine Delikatesse die sämtliche andere Fische die man zuvor probiert hat im Vergleich verblassen lässt. Darf ich fragen, wie du von diesem Fisch erfahren hast?"





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  • Corona achtete sehr konzentriert auf die Worte des Christen - oder Händlers? Vermutlich beides. Sie hatte mit Zweideutigkeiten angefangen, die aber scheinbar korrekt bei ihm angekommen waren. Nun galt es den Schein korrekt zu wahren und am Ball zu bleiben. Oder vielmehr: Am Haken.
    Sie hielt ihren klaren Blick direkt in seine Augen gerichtet, um wirklich als 'Fisch am Haken' zu gelten. Außerdem wollte sie auch direkt den Mann erkunden, wie er es nun vermutlich auch mit ihr vorhatte. Aber natürlich war auch Vorsicht geboten. Sie antwortete also mit Bedacht, stellte die Stimme aber deutlich munterer als noch zuvor. Seine entspanntere Art lockerte auch sie nun etwas auf. "Ein guter Freund berichtete mir davon. Er hatte in Achaia von ihm gekostet und mir davon erzählt. Hier in Rom ist er allerdings noch nicht in den Genuss gekommen und berichtete mir wehmütig hiervon. Und nun bin ich auch äußerst neugierig." Das klang schon beinahe überzogen. Als wär es ein silberner Fisch, dessen Art sich auf wenige hundert Exemplare weltweit beschränkte.

  • Anaximander
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    "Achaia?", fragte Anaximander kritisch. Es gab mehrere kleine Gemeinden in Achaia, die ob der griechischen Polyalleserei ungefährlicher leben und wirken konnten als hier. Aber hier gab es am meisten zu gewinnen! Dies war die ewige Stadt, der Ort an dem Petrus zu seinem Mentor aufgefahren war, an dem Paullus das Martyrium erlitten hatte! Wo, wenn nicht hier konnten sie alles gewinnen?


    "Nun, wenn das so ist...", murrte der Sklave und packte einen Fisch ein, als hätte sich das Thema die ganze Zeit um diesen gedreht, "..bekommst du den hier umsonst. Quasi zum probieren. Wenn du dir dann noch sicher bist, suche mich doch noch einmal auf." Der Weg, den er ihr erklärte war nicht allzu schwer zu verfolgen, führte jedoch in eine der ruhigeren aber nicht unbedingt sicheren Gegenden Roms. Die Zeit, die er ihr dabei nannte, bekräftige die Vorstellung einer ziemlich unheimlichen Begegnung, die sich da anbahnen würde, wenn die fremde Nordfrau sich darauf einließ.


    "Vielleicht dann auf bald, Fremde! Vale bene!"



    SKLAVE - MEMMIA ASCINIA

  • Sie nickte auf Anaximanders Frage hin - genau, Achaia. Warum er so fragte, konnte sie sich nicht erklären. Ihre Hintergründe waren einfach zu schlecht. Auch wirkte er auf einmal etwas unfreundlich, aber das schüchterte Corona dann doch nicht ein. Dafür hatte sie hier einen viel zu wichtigen und großen Schritt für ihre Verhältnisse getan. Sie lauschte genau auf seine Worte, während sie den Fisch entgegen nahm, sehr genau.
    Sie kannte Rom kaum und sie wusste - noch - nicht, wohin dieser Weg sie führen würde. Dabei war Corona eine ziemlich ängstliche Persönlichkeit. Sie schloss ihre Augen und hakte noch einmal nach, wo der Weg genau entlang führte, dann bedankte sie sich mit einem Lächeln und machte sich wieder auf den Weg. "Wir werden uns gewiss wiedersehen." machte sie leise und ging ebenso unauffällig dahin, wie sie hierher gekommen war.

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