„Domina!“ Lysandra trat vorsichtig an ihre Herrin heran. „Ich weiß du würdest dich am liebsten weiterhin in deinem Zimmer verstecken… aber so wird das nicht ewig weiter gehen können. Avianus hat Gladiatorenspiele ausgerichtet und ich bin mir sicher, es würde ihn freuen, wenn du ebenfalls die Familie repräsentieren würdest...“ Es wurde Zeit, dass Flora ihre Trauer überwand und sich nicht mehr so melodramatisch und kindisch aufführte. Aber sie hütete sich davor, dies laut zu sagen. Einen Wutausbruch wollte sie nicht provozieren, deshalb mied sie auch Worte wie: Pflicht, Ehre und Verantwortung, damit würde sie die Aurelia sicherlich nicht aus ihrem Zimmer bekommen. Kurz warf sie Veleda einen Blick zu. Die beiden Sklavinnen hatten sich irgendwie zusammen gerauft und gemeinsam beschlossen ihre Herrin heute aus dem Zimmer zu locken. „Veleda hat noch nie Galdiatoren gesehen...“, das war ein fadenscheiniger Grund, aber alles was Flora dazu bringen konnte, endlich mal wieder sich ein wenig her zu richten und auszugehen, war ihr recht. Kurz gab sie nickend der Germanin ein Zeichen, sie sollte ruhig auch ein wenig die Domina bearbeiten.
Eher teilnahmslos warf Flora Veleda einen kurzen Blick zu. Ein Geschenk ihrer Mutter, bisher hatte sie sich für die Sklavin nicht interessiert. Doch jetzt fasste sie diese etwas genauer ins Auge. Groß, blond und mit markanten Zügen.
„Wir suchen dir eines deiner schönsten Kleider heraus… das Bad hast du für dich allein und wir machen aus dir die schönste Frau von Rom. Das Volk wird bewundert zur aurelischen Loge blicken!“ Ein wenig schmeicheln und an die Eitelkeit der Aurelia zu appellieren dürfte wohl auch nicht schaden. Jedenfalls hoffte es Lysandra. Erwartungsvoll sah sie ihre Herrin an, mit einem leichten Lächeln auf den Zügen.
Ganz leise seufzte Flora, ihr Blick glitt wieder hinaus in den Garten. Sie wollte nicht, sie wollte allein sein. Lysandra ging ihr mit ihren Bemühungen auf die Nerven. Warum nur konnte die Sklavin sie nicht einmal in Ruhe lassen. Ständig wuselte sie um sie herum, brachte essen, zupfte an ihren Haaren herum und plapperte dabei auch noch unermüdlich auf sie ein. Dabei wollte sie nichts hören, nicht hören, dass das Leben weiter ging. Die ersten Tage nach dem sie erfahren hatte, dass Narcissa Tod war, hatte sie nur in ihrem Bett verbracht und geweint. Mittlerweile waren Wochen und Monate vergangen und sie geisterte durch ihr Zimmer. Den Verlust immer noch wie einen dumpfen Schmerz in der Brust spürend. Es war so absurd, dass das Leben weiterging und dass niemand so zu trauern schien, wie sie. Es war fast so, als hätte die Familie nur einmal kurz Anteil genommen, nur um dann den Alltag wieder aufzunehmen. Aber vielleicht hatte Lysandra auch recht und sie sollte auch wieder an diesem Alltag teilnehmen. Vielleicht konnte sie den Schmerz dann leichter ertragen. Doch es behagte ihr nicht, gleich an so einem großen Spektakel Teil zu nehmen. Leicht zog sie sich die dünne Decke über die Schultern. Sie saß in einem Korbstuhl am Fenster und hatte die Beine an den Körper gezogen. Sie trug nur ein dünnes Nachthemdchen.
„Sieh nur, deine Locken sind auch ein gutes Stück wieder gewachsen…“, plapperte Lysandra einfach weiter und gab ihr keine Gelegenheit zu grübeln. Flora hob die Hand und fuhr sich durch die dunkle Haarpracht. Doch schon nach wenigen Fingerbreit kam sie nicht weiter, die Locken waren verfilzt und zerzaust. Irgendwie wurde ihr nun erst jetzt bewusst, wie lange sie die Welt schon ausgesperrt hatte.