Triclinium Minor | Obskure Gespräche

  • Da Durus auch plante, Flavius Flaccus in die Verschwörung einzuweihen - zumal er sein Klient war und deshalb hoffentlich sowieso niemals etwas gegen ihn unternehmen würde - wurde er mit einiger Verspätung zu einem Gespräch unter vier Augen geladen (die Augen von Lukios, dem getreuen Sekretär des Tiberiers zählten natürlich nicht). So lag der alte Tiberier auf seiner Kline und erwartete seinen Gast...

  • Hier war er nun also erneut in der Villa Tiberia und konnte nicht so recht einschätzen, was ihn wohl erwartete. - Ein Umstand, den Flaccus nicht besonders gut leiden konnte, denn er war gewohnt, stets von allen Dingen Kenntnis zu haben, um so Überraschungen, die doch zum größten Teil eher unliebsamer Natur waren, nach Möglichkeit zu verhindern. Dennoch fühlte er sich natürlich geehrt, von seinem Patron, einem Consular und Pontifex zu einem persönlichen Gespräch geladen zu werden und so war er der Einladung desselben selbstredend gefolgt und wurde nun, gemeinsam mit seinem griechischen Leibsklaven, der seinem jungen Herrn nicht von der Seite wich, durch die Gänge der tiberischen Villa zum kleineren Triclinium geführt, wo der Hausherr ihn schließlich auf einer Kline liegend erwartete. Mit einer angedeuteten Verbeugung trat der Flavier ein. "Salve patronus. Deine Einladung ehrt mich.", begrüßte er den Tiberier und trat näher.

  • "Nimm Platz!"


    meinte Durus und wies mit der Hand auf die Kline neben sich. Unterdessen trat ein Sklave heran und servierte Wein. Der Tiberier dagegen dachte kurz nach und meinte dann


    "Wie geht es dir? Was für Neuigkeiten gibt es im Hause Flavia?"

  • Der Aufforderung des Tiberiers nachkommend ließ Flacus sich auf der Kline zur Seite seines Patrons nieder. "Es geht mir ausgezeichnet, danke der Nachfrage Ich hoffe deine Reise ist ebenfalls ohne größere Strapazen vorübergegangen?", antwortete der Flavier auf Durus' erste Frage und sponn das gesellschaftliche Spiel der höflichen Nachfrage weiter. Neuigkeiten im Hause Flavia? Die gab es tatsächlich! "Überaus erfreuliche!", antwortete Flaccus also lächelnd. "Doch gewiss hast du bereits davon gehört. Flavius Gracchus wurde eine Tochter geboren. Sie trägt den Namen Flavia Flamma.", erzählte er munter, doch darüber hatte der Tiberier zweifellos schon persönliche Nachricht von Manius Gracchus erhalten, schließlich boten sich den beiden Senatoren und Pontifices gewiss ausreichend Gelegenheiten. "Ich selbst", brachte Flaccus das Gespräch schließlich auf sich persönlich, "bin im Moment damit beschäftigt, die Vorbereitungen für das diesjährige Fest der Dea Dia zu treffen." Denn schließlich hatte er sich bei der letzten Contio der Arvalbrüder dazu bereit erklärt, für die Pferderennen Sorge zu tragen.

  • Ehe Durus antwortete, hörte er zuerst die Neuigkeiten aus der Villa Flavia, die scheinbar durchaus erfreulich waren - wenn auch nicht so erfreulich ,wie sie hätten sein können. Tatsächlich hatte er noch nicht davon erfahren, da er erst vor kurzem nach Rom gekommen war und zuerst die rein politischen Geschehnisse aufgeholt hatte. Dass nun eine weitere potentielle Heiratskandidatin für die nächste Generation existierte, war in jedem Fall nicht ungünstig.


    "Fand eine Contio der Arvales Fratres bereits statt?"


    fragte er dann auf die letzte Bemerkung - offensichtlich machte Flavius Piso seine Aufgabe als Magister recht gut...


    "Im Übrigen war meine Reise sehr erfreulich: Meine Güter in Syria sind in gutem Zustand und ich konnte auch mit Cicurinus, dem Statthalter sprechen, was ein sehr anregendes Gespräch war, das tiefe Einblicke in die Provinz bot. Allerdings war die Rückreise ein wenig...strapaziös, vor allem die Stürme in der Ägäis - ich werde wohl die nächsten Tage noch hauptsächlich liegend verbringen müssen."


    Er lächelte um zu zeigen, dass ihn diese Aussicht nicht allzusehr schreckte.

  • Gewiss barg die Geburt einer Tochter für einen hohen Senator, wie auch für jeden gewöhnlichen Mann aus der plebs, vordergründig wenig Vorteile, und dennoch konnte eine kluge und überdies ansehnliche Frau von unschätzbarem Wert in allerlei gesellschaftlichen Belangen sein. Auch hier konnte die Möglichkeit, sie äußerst geschickt zu verheiraten nur als eine der unzähligen Facetten ihres Potentials betrachtet werden. Doch das tat im Gespräch mit dem ehrwürdigen Tiberier nun kaum etwas zur Sache. Jener schien ohnehin nicht länger im Bereich der flavischen Familiensituation hängen bleiben zu wollen, sondern sprang, bildlich gesprochen, sogleich munter auf den Wagen der Unterhaltung über kultische Belange auf, sodass Flaccus, der dieses Thema ohnehin dem anderen vorzog, sogleich beruhigend erwiderte. "Wenn du fürchtest, dass die Arvalbrüder in deiner Abwesenheit zusammengetreten sind, so kann ich dich beruhigen. Ich spreche von der letzten Contio, als mir die unaussprechliche Ehre zuteil wurde, in die ehrwürdige Gemeinschaft aufgenommen zu werden und Onkel Piso überdies zum Magister der Bruderschaft gewählt wurde. Er versprach die diesjährigen Festlichkeiten zum Fest der Dea Dia außergewöhnlich prächtig zu gestalten und übertrug mir die ehrenvolle Aufgabe, mit den Principes der Factiones bezüglich der Pferderennen im Hain ins Gespräch zu kommen."


    Dann berichtete der Tiberier kurz über seine Reise nach Syria, die offenbar weitgehend zufriedenstellend verlaufen war. Einige Male nickte Flaccus, etwa als Durus das Gespräch mit dem Statthalter Cicurinus als ein sehr anregendes bezeichnete, oder auch bei der Erwähnung der stürmischen Ägäis. "Neptun ist unberechenbar...", murmelte der junge Flavier, der die Launen des Gottes trotz ausgiebiger Opfer bereits auf seinen Fahrten nach Griechenland am eigenen Leibe erfahren hatte. Dennoch schien das zuversichtliche Lächeln des Tiberiers dessen Bemerkung, er werde die nächsten Tage zum Großteil liegend verbrigen müssen, ein wenig zu relativieren. "Ich hoffe mein Besuch bereitet dir keine Unannehmlichkeiten?", fragte der Flavier also mit einem Anflug von Besorgnis in der Stimme nach, als sein Patron geendet hatte, schließlich war der Tiberier nicht mehr der Jüngste, und selbst Flaccus hatte die Seefahrten stets als durchaus anstrengend empfunden.

  • Die genauen Abläufe der letzten Contio hatte Durus schlicht vergessen - wieder machte sich also das Alter bemerkbar... Aber offensichtlich machte sein Klient auch hier seine Arbeit gut.


    "Nein, nein - nur wegen kleinerer Probleme kann ich doch meine Pflichten als Patron und Politiker kaum völlig vernachlässigen. Dabei fällt mir ein: Wann planst du deine politische Karriere zu starten?"


    Immerhin war Flaccus beileibe kein Knabe mehr und da er über den entsprechenden Rang verfügte, war es wohl an der Zeit, den Cursus Honorum zu beschreiten...

  • Die Frage nach dem Beginn seiner politischen Karriere hatte Flaccus bereits erwartet, und doch war ihm gerade diese eine überaus unangenehme. Wie gerne hätte er doch bereits zur nächsten Wahl kandidiert, doch die Wege der Götter schienen selbst dem kultisch durchaus bewanderten Flavier zuweilen unergründlich. "Ein leidiges Missverständnis ließ mich die Frist zur Bekanntgabe meiner Kandidatur für die nächste Wahl versäumen, sodass ich das Vigintivirat wohl erst im nächsten Jahr bekleiden werde. Doch ich will die Zeit keinesfalls ungenützt verstreichen lassen sondern versuchen, die flüchtigen Bekanntschaften im Kreis der Senatoren, die ich bereits im Rahmen meines Tirocinium Fori bei einem der Consuln des letzten Jahres, Purgitius Macer, schließen durfte, noch vor der nächsten Wahl nach Möglichkeit zu vertiefen." Darüber hinaus würde er sich eifrig bei den Vorbereitungen und der Durchführung der Fests der Dea Dia einbringen, und wohl auch seine rhetorischen und philosophischen Studien fleißig vorantreiben. Zu schade, dass er noch immer keinen geeigneten Gesprächspartner gefunden hatte, um gemeinsam philosophische Gedankenkonstrukte zu bilden, oder auch einfach mal ein kleines Gedicht zu verfassen.

  • "Oh, wie unerfreulich."


    kommentierte Durus das Versäumnis, das er nicht zum ersten Mal hörte - sein eigener Sohn hatte es eines ums andere Mal verpasst, sich rechtzeitig zu den Wahlen zu bewerben. Erfreulicherweise hatte es nun geklappt er strebte endlich auf sein erstes öffentliches Amt zu...


    "Eine ganz andere Frage: Hast du bereits Bekanntschaft mit Verscularius Salinator gemacht? Also persönliche Bekanntschaft?"


    Der Anlass für seine Einladung war ja im Grunde eine Einbeziehung in die Verschwörung - also musste er einen Einstieg finden.

  • "Unerfreulich ... in der Tat.", murmelte der junge Flavier und war erleichtert, als sein Patron unmittelbar ein neues Thema anschnitt, dessen Verbindung zum ersten jener im speziellen Fall seines Gesprächspartners wohl nicht ahnen konnte. Dennoch schien Flaccus der gedankliche Sprung doch ein großer, sodass er erst nach einem kurzen Moment des Überlegens antwortete. "Vescularius, ja, in der Tat. Ich ersuchte ihn zwei Mal um Gefallen - erfolglos." Ein Schluck Wein zwischendurch. "Beim ersten Mal bat ich ihn um eine schriftliche Erlaubnis, um auf der Durchreise zu meinen Gütern in Campanien in Misenum bei unserem Imperator Caesar Augustus - mögen die Unsterblichen ihn gesunden und nach Rom zurückkehren lassen! - vorstellig zu werden. Grundsätzlich wollte ich lediglich der Tradition folgen, nach der junge Männer edler Abstammung sich vor Beginn ihrer Karriere dem Kaiser vorstellen, um dann als dessen Kandidaten die Wahlen zum Cursus Honorum zu bestreiten, überdies hinaus strebte ich damals jedoch auch danach, die Zeit bis zu meiner Kandidatur zum Vigintivirat als Praefectus Viatorum für Italia zu überbrücken, denn der Posten war vakant und es bot sich so die einzigartige Möglichkeit, Erfahrungen in der Provinzverwaltung wie auch in militärischen Bereichen gleichermaßen zu erwerben. Meine Mühen wurden jedoch nicht mit Erfolg gekrönt." Eine kurze Pause nutzte Flaccus dazu, um durch einen Schluck des ausgezeichneten Weines seine trockene Kehle zu befeuchten. "Das zweite Mal wurde ich erst unlängst bei dem Praefectus vorstellig, als ich ihn um den Gefallen bat, meinen Namen auf die Liste der candidati principis zu setzen, um so doch noch zur Wahl antreten zu können. Wieder wurden meine Hoffnungen zerschmettert." Die sich aufdrängende melancholische Stimmung kämpfte der Flavier mit Gewalt nieder und fügte mit fragendem Gesichtsausdruck hinzu: "Doch weshalb die Frage?"

  • Die Behandlung des Kaisers durch Flaccus schien eher gegen Durus' Vorhaben zu sprechen, doch andererseits war es auch nicht ausgeschlossen, dass dies eine reine Floskel war - immerhin schien er keine Sympathie für Salinator zu empfinden.


    "Ich bin der Meinung, dass dieser Vescularius eine Gefahr für unseren Staat und die Mores Maiorum ist. Wie ich hörte, maßt er sich nicht nur an, im Namen des Kaisers nach Gütdünken zu handeln, sondern inzwischen sogar seine Herrschaftsinsignien zu tragen!"


    Damit spielte Durus auf die 24 Liktoren beim Sühneritus der Diana an, von denen sein Klient hoffentlich auch schon gehört hatte - wenn er nicht selbst daran teilgenommen und es gesehen hatte.

  • Flaccus' Behandlung des Kaisers bestand tatsächlich aus der kühlen Wiedergabe allgemeiner Floskeln, was jemand, der den jungen Flavier näher kannte, unschwer an der fehlenden Leidenschaft in seinen Worten, dem nicht vorhandenen Feuer in seinem Blick erkannt hätte. Seine wahre Meinung über den Kaiser konnte er schließlich unmöglich einem der höchsten Politiker des Staates an den Kopf werfen, zumal es keine sonderlich gute war. Seine wahre Meinung über das Kaisertum an sich wagte er indessen nicht einmal seinen engsten Vertrauten zu offenbaren, schien doch seine Neigung zur Begeisterung für republikanische Ideale die Vergangenheit seiner eigenen gens mit Füßen zu treten. In der klaren Äußerung gegen die unerhörte Dreistigkeit des Vesculariers allerdings, der rücksichtslos alles jedem wahren Römer Heilige mit seinem triefenden Spott und von Selbstgefälligkeit triefendem Hohn verdarb, sah Flaccus seine eigene Empörung über das Tun Salinators bestärkt. Er nickte also ernst. "Selbst religiöse Gebote tritt er mit Füßen. Es war wohl im letzten Jahr, da marschierte er mit Barbaren durch das Pomerium - unter Waffen!" Vom Eklat der 24 Liktoren beim Sühneritus der Diana, an dem der Flavier natürlich selbst teilgenommen hatte, ganz zu schweigen.

  • "Soweit ich weiß, begleiten diese Barbaren ihn ständig..."


    bemerkte Durus, wobei er Salinator wohl "zugute halten" musste, dass er immerhin den Senat mit seinen seltsamen Skythen verschonte - dennoch war es ein gewaltiger Affront, an den der Tiberier sich schon fast gewöhnt hatte. Immerhin waren auch die Cohortes Urbanae und Prätorianer - wenn auch meist versteckt - bewaffnet unterwegs.


    Er beugte sich etwas vor, sodass nicht jeder hören konnte, was er sagte - sein Vertrauen gegenüber den Sklaven war doch begrenzt.


    "Einige Freunde und ich sind der Meinung, dass dieser Mann untragbar ist für Rom und das Reich. Wir sind der Meinung, er sollte beseitigt werden!"

  • Ernst nickend und mit einem starren Gesichtsausdruck bestätigte der Flavier die Worte seines Patrons, denn auch er hatte den Vescularier in der Öffentlichkeit stets in Begleitung der grässlichen Barbaren gesehen. Dann allerdings beugte der ältere Tiberier sich etwas vor und formte Worte, die Flaccus im Geiste sich zu wiederholen zwang, um sicher zu gehen, dass sich ihm ihre Bedeutung korrekt und ohne Missverständnisse erschloss. Als er einigermaßen überzeugt war, dass Durus tatsächlich gesagt hatte, was er gehört zu haben kaum glauben konnte, hob sich seine linke Augenbraue ein wenig empor und verweilte dort, einen Ausdruck der Verwunderung ins Antlitz des Flaviers zaubernd. Der neben ihm liegende Senator und Pontifex pro Magistro hatte tatsächlich eben, zweifellos im vollsten Besitz seiner geistigen Kräfte, seinem Klienten eröffnet, dass er nicht irgendeinen Beamten des Reiches - nein! - den vom Imperator Caesar Augustus eingesetzten Stadtpräfekten von Rom persönlich, zu töten (denn was anderes konnte sich schon hinter dem unschönen Wort "beseitigen" verbergen?) trachtete. Erst nach und nach realisierte der junge Flavier das volle Ausmaß dieser Offenbarung, die gleichsam eine Einweihung in finstere Machenschaften bedeuten mochte, deren bloße Vorstellung Flaccus nicht ganz geheuer war, und den damit verbundenen Vertrauensbeweis des Tiberiers. Was schließlich konnte jenen so sicher machen, dass der Flavier nicht unmittelbar nach diesem Gespräch dem Praefectus Urbi Nachricht zukommen lassen würde, über jene düstere Wolke, die am Horziont aufzuziehen im Begriff war. Der junge Mann stand schließlich erst am Beginn seiner Laufbahn und mochte unter Umständen durchaus berechtigte Hoffnung tragen, ein derartiger Dienst für Salinator würde ihm die besten Voraussetzungen für eine strahlenden Karriere schaffen. Abgesehen von der Tatsache, dass Durus, zweifellos zu Recht, sicher sein konnte, dass der Vescularier eine solche Meldung als Hirngespinst eines weltfremden Patriziers abtun mochte, war es allerdings auch mit der pietas des Flaviers keinesfalls in Einklang zu bringen, seinem Patron zuwider zu handeln. Nach diesen Augenblicken der Überlegung also, in denen er noch nicht bis zur erschreckenden Erkenntnis, in welche Gefahr er sich durch seine nächsten Worte mitunter begeben würde, vorgedrungen war, nickte Flaccus und presste seine Kiefer dabei so stark zusammen, dass sein Gesicht kantige Züge annahm. "Dieser ... Meinung bin auch ich, patronus" Er sprach leise und blickte dem Tiberier dabei tief in die Augen, um die Aufrichtigkeit seiner Worte zu unterstreichen. "Zum Wohle Roms ist es wohl unvermeidlich."

  • "Wärst du also bereit, mir dabei behilflich zu sein, Flavius?"


    fragte Durus weiter, da sein Klient ihm recht aufrichtig geantwortet zu haben schien. Tatsächlich war es natürlich bereits jetzt riskant, den Plan zu verraten, doch möglicherweise kam man über ein kleines Gespräch auf den eigentlichen Plan hinüber, den Flaccus dann hoffentlich ebenfalls befürwortete.

  • Flaccus schluckte und atmete tief durch. Der Schritt von der bloßen Mitwisserschaft hin zu den tatkräftigeren Dingen eines solchen ... Vorhabens, schien nun nur noch ein kleiner, welchem jedoch nichtsdestotrotz immenses Gewicht innewohnte. Moralische Bedenken erhoben sich nicht, denn Salinator von seinem Thron zu stürzen war zweifelsohne eine gute Sache, ja gleichsam eine strahlende Tat zum Wohle der Stadt und des Reiches. Doch auch das Volk von Rom müsste das Ableben des Praefectus Urbi als eine solche Erlösungstat sehen, um das Rechtsverständnis des Flaviers einigermaßen befriedigen. Andererseits verlor eine edle Tat auch durch den Unbill der Bevölkerung nichts an ihrer Rechtmäßigkeit, oder? Konnte es überhaupt einen anderen Weg geben? Musste der Tod des Vesculariers nicht die einzig logische Konsequenz aus seinem verderblichen Handeln sein? Fragen überschlugen sich im Kopf des jungen Mannes, doch vermutlich war die Zeit der Entscheidung bereits abgelaufen, wahrscheinlich hatte er schon mit dem Übertreten der tiberischen Schwelle sein Schicksal besiegelt, denn im Besitz jenes Wissens, welches ihm nun zuteil geworden war, stellte er für den Senator und seine Mitverschwörer eine empfindliche Bedrohung dar, sollte er sich nicht in ihre Reihen eingliedern. Wenn überhaupt, so konnten seine Überlegungen nun also nur noch der Rechtfertigung, keinesfalls der Entscheidungsfindung dienen, und waren damit auch auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Seine Aufmerksamkeit nun also wieder in vollem Maße seinem Patron und der Sache an sich zuwendend, nickte Flaccus abermals und kräuselte nachdenklich seine Lippen. "Ich bin bereit, alles in meiner Macht stehende zu tun, um die Sache zu unterstützen, denn es ist zweifellos ein edles Unterfangen." , erklärte er also mit belegter Stimme in jenem Ton, der bedeutenden Worten Klang zu verleihen vermag. Wenngleich nicht außerordentlich viel "in seiner Macht" stand, so konnte er dem Vorhaben möglicherweise wenigstens durch seinen klangvollen Namen den Anschein der Rechtmäßigkeit geben, wie es einst auch der Name eines gewissen Iuniers war, der nicht unwesentlich zur Legitimation einer an sich schändlichen Tat beitragen sollte. Erst langsam bekam Flaccus eine Ahnung von der politischen Gewaltigkeit des Vorhabens bei welchem er nun mitzuwirken im Begriff war.

  • "Und was glaubst du, wie sollten wir vorgehen?"


    fragte Durus weiter und wartete, was sein Klient nun antwortete. Der Fragetechnik des Sokrates folgend wollte er Flaccus von selbst darauf kommen lassen, dass zum Wohle des Reiches die Beseitigung Valerianus' ebenfalls unausweichlich war - soweit er wusste, war der junge Flavier ja ausreichend intelligent...

  • Wie vorgehen beim Sturz eines Tyrannen? Platon schoss dem jungen Flavier unvermittelt in den Kopf, vielmehr durch jenen hindurch, denn immer noch fühlte er sich auf seltsame Weise benommen, ob der tiefgreifenden Offenbarung, die der Tiberier gewirkt hatte, nicht Herr der Situation und noch weniger seiner selbst. Der Kreislauf. Gedankenfetzen einer längst vergangenen Zeit schwirrten in den nebeligen Sphären flavischen Denkens umher. Milder Herbst in Athen, abends Diskussionen bei den zahllosen Symposien, Philosophie, oder wenigstens der Versuch sie zu betreiben - auch mit Xenophanes. Herrschaftsformen, sechs an der Zahl, die sich in zyklischer Abfolge den Staat unterwerfen. Auf die Tyrannis musste notwendigerweise die Aristokratie folgen. "hoi aristoi...", murmelte Flaccus geistesabwesend. - Aber waren sie die Besten des Volkes, des Reiches, der Stadt? Schien es nicht anmaßend das Geschick des Staates in die Hände weniger zu geben, insbesondere wenn es sich bei jenen um Verschwörer handelte, Umstürzler, Mörder? Der Tod des Tyrannen ist notwendig, um dem Volk die Freiheit zu schenken. War Rom nicht frei? Lastete tatsächlich ein solches Joch der Tyrannei auf den Schultern rechtschaffener Bürger, oder würde der Tod des Einzelnen nur Macht für Wenige sichern, ohne etwas zu ändern? Oligarchie. So schnell? Das Volk würde sich erheben, früher oder später - sich erheben müssen - der Kreislauf war endlos. Der Tod des Einzelnen zum Wohle des Reiches?


    Flaccus räusperte sich. Töten ja, aber wie? Verdeckt, im Geheimen, womöglich mit Gift - das mochte nicht ins Bild des edlen Unterfangens passen, welches der Flavier bereits entworfen hatte. Doch würden sie nicht genau das sein, Mörder und Giftmischer, für Salinator, für Rom, für den Staat? Hieß nicht den vom Caesar bestimmten Stadtpräfekten zu vergiften, den Staat zu vergiften? - Die Dosis macht das Gift. - Es gibt keinen Unterschied zwischen Gift und Heilmittel, alles entscheidet sich in der Art der Anwendung. Vermochte dieses Gift den Staat zu heilen? - War ein Glied des Körpers hoffnungslos verdorben, musste man es nicht abtrennen und die Wunde mit Feuer schließen, um die Reinheit des gesamten Körpers nicht zu gefährden? War der Körper denn rein, der Staat? Das Haupt, caput, der princeps, war es bei klarem Verstand? Agrippa Menenius Lanatus. - Die Fabel. - Doch war der Magen nicht gänzlich verdorben? Konnte er denn den Leib noch bei Kräften halten und die Glieder nähren? Wer würde dem kopflosen Körper einen neuen Kopf aufsetzen? Musste es denn ein einzelnes Haupt sein, sollte die Macht nicht wie in den goldenen Zeiten der alten Republik auf den Schultern der Besten lasten, den Männern des Senats, zum Wohle des Volkes? Barg der geplante Umsturz nicht auch die Möglichkeit einer Neuordnung des Staates aus den Wurzeln der Republik? Konnte ein starker Senat nach dem Tod des Vesculariers und dem Ableben des siechenden Kaisers die Macht an sich binden und Rom unter Kontrolle halten? Doch wer könnte die Armeen in Zaum halten, die gewiss ihre imperatores als Kaiser proklamieren würden? Es mochte eines starken Senatsheeres bedürfen, um solche Ansprüche, wenn nötig mit Gewalt, niederzuschlagen.


    Flaccus erschrak sichtbar über die Kette seiner Gedanken, die ihn weit vom eigentlichen subiectum cogitationis fortgeleitet hatte. Wie war also vorzugehen bei Salinators Ermordung? "Ich ... hielte es für wichtig, es öffentlich zu tun. Es müsste unmissverständlich klar sein, dass er dem Unbill des Volkes zum Opfer fällt. Getragen werden müsste das Unterfangen allerdings von hervorragenden Männern des alten Adels und auch einigen besonders beim einfachen Volk beliebten Politikern. Dann müsste der Senat dem princeps einen geeigneten Mann aus den eigenen Reihen als neuen praefectus urbi präsentieren, den jener, anscheinend ohnehin nicht mehr fähig, klar zu denken, zweifellos akzeptieren würde." Er runzelte die Stirn.Ja, so müsste es vonstattengehen! "Die Abwesenheit und Schwäche des Kaisers und dessen Unvermögen, die Amtsgeschäfte wahrzunehmen und Rom zu lenken, sollten zu einer weiteren Stärkung des Senats führen, sodass nach dem Ableben des Kaisers, welches ob der Schwere seiner Krankheit gewiss nur eine Frage der Zeit ist, der Senat die Herrschaft zweifellos an sich nehmen könnte, da es dem Sohn des princeps gewiss an Unterstützung der Truppen und des Volkes zur Durchsetzung seiner möglichen Herrschaftsansprüche mangeln würde. So...", überlegte Flaccus laut weiter, "... wäre es möglich, Rom in altem Glanz erstrahlen zu lassen und von allen Makeln der Tyrannis, der impietas und politischer Willkür zu befreien!" Zur Bekräftigung seiner Worte nickend, war der Flavier nun mit dem Ergebnis seines komplexen Gedankenkonstruktes durchaus zufrieden, wenngleich er es lediglich als ein hypothetisches ansah und nicht ernsthaft mit einer Möglichkeit zur Durchsetzung desselben rechnete. Nichtsdestotrotz ließen seine dunklen Augen das Funkeln ob der Begeisterung für hehre politische Ideale nun nicht mehr missen.

  • Offensichtlich teilte sein Klient nicht die Meinung des Patrons - ein offener Umsturz war für Durus nicht nur riskant, sondern eigentlich sogar dumm. Dass man allerdings dem Princeps eine Herrschaft des Senats folgen ließ, war gänzlich ausgeschlossen - für den alten Tiberier war die Lehre aus den Wirren vor der Regentschaft des Augustus ein klares Zeichen.


    "Nein, nein. Die Legionen brauchen einen legitimen Kommandeur. Wenn wir niemanden an die Stelle Valerianus' setzen, wird jemand dies selbst tun - oder im schlimmeren, aber wahrscheinlicheren Falle mehrere. Denke nur an den Tod des unsäglichen Nero!


    Ebenso befürchte ich, dass du die Willenskraft Valerianus' unterschätzt. Meines Erachtens nach ist er keineswegs eine Marionette von Salinator, vielmehr ist er der Herr, der die Zügel schlaff hält. Bei meinen Besuchen bei ihm stellte er sich zumindest stets stramm hinter den Vescularier. Ebenso dürfen wir seine Günstlinge und Schergen nicht übersehen, die eine derartige illegitime Tötung beim Kaiser anklagen werden!"

  • Was für den alten Tiberier an Dummheit grenzen mochte, konnte wohl der jugendlichen Leidenschaft seines cliens zuzuschreiben sein, der die Stirn runzelte, als jener seine eigene Sicht der Dinge darlegte. Hier schien allerdings auch der Molosser begraben, denn nun sprach der Tiberier bereits davon, jemanden an die Stelle Valerianus' zu setzen, und ging damit viel weiter, als Flaccus selbst im jugendlichen Überschwang. Er sprach von Kaisermord. Schweres Schweigen lastete über den beiden, nachdem Durus geendet hatte, denn wiewohl nicht explizit ausgesprochen, so wurde hier doch in aller Klarheit Hochverrat betrieben. Mit der Erkenntnis dieses Umstands, dessen Folgen, sollte dieses Gespräch an die Öffentlichkeit dringen, Flaccus als Iurist nur allzu genau kannte, realisierte der junge Flavier auch, dass es nun tatsächlich keinen Ausweg mehr gab. Bereits mit diesem Treffen hatte er sich sich der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens schuldig gemacht, ein Umstand, der seiner politischen Karriere, noch ehe sie begonnen hatte, ein jähes Ende zu setzen vermochte, vielmehr aber auch lebensgefährlich werden konnte. "Verstehe ich dich richtig, patronus ...", er sprach mit einem Mal sehr leise, "... du sprichst allen Ernstes davon, den Kaiser zu ermorden?" Natürlich tat er das, doch die ganze Sache war einfach dermaßen unvorstellbar, dass Flaccus sie schlichtweg nicht verstehen wollte. Er saß im Haus eines Consulars, der darüber hinaus an der Spitze des höchsten Priesterkollegiums der Stadt stand und unterhielt sich darüber, Hochverrat zu begehen und das offenbar nicht in ehrenwerter Weise coram publico, sondern im Geheimen.

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