Tablinum | Namen und Traditionen

  • Sim-Off:

    Wer dazukommen mag, darf gerne anwesend sein


    Sextus war zwar gewiss nicht jeden Tag zu Nigrina gekommen, um sie zu sehen, aber er ließ sich zumindest jeden Tag nach ihrem Befinden erkundigen. Und er meinte, dass seiner Frau auch ganz recht war, dass er nicht um sie herumscharwenzelte, während sie so schrecklich unförmig und unrepräsentabel aussah. Es war im Grunde dasselbe wie schon in den letzten Wochen ihrer Schwangerschaft, als sie wie ein praller Ball durchs Haus mehr gerollt denn gegangen war und sich nie weiter als nötig vom nächsten Abort entfernt hatte. Auch da hatte er sie schlicht in Ruhe gelassen, um ihr nicht noch zu zeigen, wie unerotisch er ihren Zustand gefunden hatte. Frauen reagierten auf so etwas meist recht ungehalten, in der Schwangerschaft dazu mit einer äußerst nervtötenden Art und Weise: Sie heulten.
    So aber überging er peinliche Begegnungen, ließ ihr Zeit, wieder Gesichtsfarbe zu bekommen und sich einigermaßen repräsentabel herzurichten, ehe er sich mit ihr gemeinsam wieder vor dem Hausstand zeigte. Es war der neunte Tag nach der Geburt des Jungen, und bislang war er kräftig und gesund. Und so war es an der Zeit, ihm auch einen Namen zu geben. Nun, da absehbar war, dass er nicht an den Folgen der Geburt starb, lohnte sich das Benennen des Kindes auch. Was natürlich nicht hieß, dass er nicht an den zahlreichen anderen gründen sterben konnte, die Kinder gerne dahinrafften. Er konnte krank werden, Fieber bekommen. Er konnte zu viel erbrechen. Er konnte eine Kolik bekommen. Er konnte im Schlaf einfach aufhören, zu atmen. All das passierte gerade bei Jungen noch häufiger als bei Kindern im allgemeinen sowieso schon. Nichts desto trotz war es brauch, einem Jungen nach dieser Zeit einen Namen zu geben, in der vagen Hoffnung, er möge ihn länger als ein paar Wochen tragen.


    Sextus wusste nach wie vor nicht, was er von diesem schreienden, quäkenden Bündel zu halten hatte. Glücklicherweise hatte er nicht mehr als nötig mit ihm zu tun, da es bei seiner Amme gut untergebracht war. Wenn es einmal in der Lage wäre, sich artikuliert auszudrücken, würde er sich näher mit diesem Menschen beschäftigen, bis dahin gab es aber nur diesen einen Pflichttermin, zu dem er den ganzen Hausstand eingeladen hatte. Wobei 'eingeladen' eigentlich nur auf die Gensangehörigen zutraf. Die Sklaven hatten sich zu versammeln gehabt, damit ihnen ihr zukünftiger Herr vor Augen geführt werden konnte und sie sich schon einmal den Gedanken vor Augen führen konnten, dass dieser kleine Wurm trotz allem immernoch höher stand als jeder einzelne von ihnen.


    Und so wartete Sextus in einer seiner besseren Togae im Tablinum auf seine Frau, damit die das Kind vor ihm ablegen und er es offiziell aufnehmen und benennen konnte. Ein Mummenschanz, sicherlich, aber wer wollte sich schon der Tradition verwehren?

  • Nigrina konnte sich nicht daran erinnern, sich je so schlecht gefühlt zu haben wie in diesen Tagen nach der Geburt. Ganz im Gegensatz zu ihrer Schwester Vera war sie gesundheitlich nie sonderlich empfindlich gewesen oder gar dauerhaft geschwächt, und seit sie die ersten Jahre hinter sich gelassen hatte, in denen Kinder so furchtbar anfällig waren, war sie auch nicht mehr wirklich krank gewesen. Und selbst diese Kinderkrankheiten waren nicht so schlimm gewesen, oder jedenfalls die, an die sie sich noch erinnern konnte. Nein, nichts war vergleichbar damit, wie dreckig es ihr jetzt ging, nach dieser elenden Geburt, die – das hatte ihr die Hebamme versichert – selbst für eine erste Geburt deutlich länger gedauert hatte als normalerweise, die – das hatte ihr die Hebamme ebenfalls versichert – auch deutlich schwieriger gewesen als normalerweise, selbst für eine erste Geburt. Nur brachte es ihr nichtsl, was die Hebamme ihr alles versicherte. Nicht das Geringste. Es half ihr nicht, wenn sie wusste, dass andere Frauen weniger zu leiden hatten. Entsprechend war ihr nicht nur vollkommen egal, wie so was normalerweise ablief – sie hätte der Hebamme am liebsten den Hals umgedreht, als diese damit ankam, wenn sie nicht so schwach gewesen wäre. Die Frau allerdings begriff immerhin, als Nigrina sie anfauchte, dass die Flavia nichts dergleichen hören wollte. Stattdessen konzentrierte sie sich auf all ihre Heilkunst, als ersichtlich wurde, dass sich Nigrinas Zustand nicht so schnell besserte wie erhofft.
    Die Tage nach der Geburt verbrachte die Flavia im Bett. Sie hatte aufstehen, hatte irgendetwas tun wollen, und natürlich hatte sie sich über die Anweisungen der Hebamme diesbezüglich hinweg gesetzt – aber sie hatte sehr schnell gelernt, dass sie in diesem Fall besser gehorchte. Genauer gesagt in dem Moment, in dem sie sich aufgesetzt und gleichzeitig die Beine aus dem Bett geschwungen hatte – und im nächsten Augenblick beinahe aus dem Bett gekippt und zu Boden geknallt wäre, hätten starke Arme sie nicht aufgefangen. Momente lang war ihr so schwarz vor Augen gewesen, dass sie keine Ahnung gehabt hatte, wie sie wieder ins Bett gekommen war, und erst hinterher erfuhr sie, dass der Parther sie aufgefangen und wieder hingelegt hatte. Seitdem war sie gehorsam gewesen und liegen geblieben, so schwer es ihr auch gefallen war.
    Noch schlimmer als die Untätigkeit waren eigentlich nur die Schmerzen. Ihr Unterleib fühlte sich an wie aufgerissen, dazu der Schnitt, den die Hebamme hatte machen müssen, und in den ersten paar Tagen hatte sie unter Kopfweh gelitten, dass es nicht mehr feierlich war. Sie war beileibe kein Sensibelchen, aber das, was sie erlebte, war hart an der Grenze dessen, was sie noch erträglich fand, und das trotz des schmerzlindernden Gebräus, das die Hebamme ihr verabreichte. Was vielleicht daran lag, dass Nigrina es nicht allzu sehr mochte und mit ihrem Körper um jeden Tropfen feilschte, den sie weniger trinken konnte. Das Zeug vernebelte ihr so sehr die Sinne, dass sie das Gefühl hatte nicht mehr bei klarem Verstand zu sein, wenn sie zu viel davon trank, und so angenehm ein schmerzfreier Zustand und das Gefühl, auf einer Wolke dahin zu schweben, auch sein mochten – Nigrina zog es dann doch vor, klar denken zu können. Auch wenn das hieß, dass sie Schmerzen ertragen musste.
    Dennoch jammerte sie nicht – schon gar nicht bei den Gelegenheiten, bei denen sie jemand besuchte, doppelt und dreifach nicht, wenn ihr Mann ihr einen Besuch abstattete, und auch vor ihren Sklaven gab sie sich selten diese Blöße. Nur leider gab es nichts, was sie dagegen tun konnte, dass sie nach wie vor die Hebamme brauchte, dass diese regelmäßig vorbei kam, sie untersuchte, ihren Genesungsfortschritt beurteilte. Dazu kam, dass Nigrina sich gezwungen sah, nach einigen Tagen auch noch einen Medicus holen zu lassen. Die Hebamme konnte davon beleidigt sein so sehr ihr das Spaß machte, aber wenn sie schon nichts tun konnte, dass alle mitbekamen, dass es ihr nicht gut ging, wollte die Flavia wenigstens, dass es ihr schnell wieder besser ging. Und da konnte ein Heilkundiger mehr nicht schaden, fand sie; auch wenn Medici keine Ahnung von Geburtsheilkunde hatten, hatten sie Ahnung vom Rest, von Wunden, von Blutverlust, von Schmerzen.
    Allein die immer noch tägliche Anwesenheit der Hebamme reichte aber schon, um den anderen Bewohnern klar zu machen, dass es ihr nicht so gut ging, wie sie es gern gehabt, oder wenigstens alle anderen glauben gemacht hätte. Allen voran Sextus, aber der wusste nicht nur von den Besuchen; der ließ sich täglich berichten, wie es ihr ging. Wenn er da war und sie direkt oder die Hebamme wenigstens in ihrem Beisein fragte, konnte sie immerhin ihr Garum dazu geben, aber die Diskrepanz zwischen den Beschreibungen ihres Zustands in ihrer Anwesenheit und jenen, die Sextus bekam, wenn sie nicht dabei war, wollte sie lieber nicht wissen. Sie hasste den Gedanken, dass er sie für schwach halten könnte. Aber wenigstens ließ er ihr die meiste Zeit ihre Ruhe, und das wusste sie zu schätzen, umso mehr, da sie ihm im Bett liegend kaum ausweichen oder gar davon laufen konnte, wenn sie keine Lust auf seine Gesellschaft hatte.
    Nach mehreren Tagen dann war ihr zum ersten Mal erlaubt worden aufzustehen, oder es wenigstens auszuprobieren – und heute nun verließ sie zum ersten Mal ihre Gemächer, auf eigenen Beinen hieß das, denn sobald sie durfte, hatte sie sich selbstverständlich täglich ins Balneum tragen lassen. Nicht nur weil sie sich vernünftig waschen wollte, sondern auch, weil das warme Wasser wirklich, wirklich angenehm war.


    Den Parther und andere Sklaven im Schlepptau, die das Kunststück schafften, gebührenden Abstand zu halten und trotzdem nah genug bei ihr zu sein, dass sie sie im Zweifel auffangen konnten, falls sie wieder umkippte, betrat Nigrina dann neun Tage nach der Geburt das Atrium. Von dem Kind hatte sie in den letzten Tagen herzlich wenig mitbekommen, außer den regelmäßigen Berichten der Amme, die sich um den kleinen Kerl kümmerte, bei denen sie ihn in der Regel auch mitbrachte, damit Nigrina ihn selbst begutachten konnte. Das Zerknautschtsein hatte sich gelegt, der Winzling war nach wie vor gesund, und die Amme hatte Verstand genug, immer dann zu kommen, wenn er gerade schlief, weswegen Nigrina recht zufrieden war mit ihm.
    Auch jetzt war er ruhig, ob er nun schlief oder nicht, konnte sie nicht genau sagen, da ihn nach wie vor die Amme trug – die, darauf hatte Nigrina Wert gelegt, kein anderes Kind stillte. Die Frau hatte eine Menge Geld dafür bekommen, dass sie sich für ihr eigenes Kind nach einer anderen, wie auch immer gearteten Lösung umsah. Es ging nicht an, dass ihr Kind sich die Brust mit einem anderen teilen musste; erst recht, wenn dieses andere deutlich unter seinem Stand war.
    Kurz bevor sie vor Sextus ankam, ließ sie sich den Jungen geben, um die letzten Schritte mit ihm auf dem Arm zu gehen und ihn dann nach einem kurzen Gruß vor ihrem Mann auf den Boden zu legen.

  • Sextus stand einfach feierlich da und wartete, wie seine Frau hereinkam, das Bündel Mensch auf dem Arm. Zum Glück schlief sein Sohn gerade oder hatte sonstigen Grund, still zu sein. Auch, wenn man dem Kind mitsamt der Amme ein möglichst ruhiges Zimmer möglichst abseits der Schlafgemächer der anderen Hausbewohner überlassen hatte, war bisweilen das Schreien des Kindes zu hören. Vor allem in der Nacht störte das doch empfindlich. Und so war der Aurelier froh, dass er momentan sich keine Gedanken um die Schmerzgrenze seiner Ohren aufgrund hochfrequentigem Kinderkreischen machen musste.
    Nigrina bewegte sich noch langsam, allerdings sah sie schon weitaus besser aus als das letzte Mal, als er sie gesehen hatte. Auch wenn es Sextus nachdenklich stimmte, dass sie offensichtlich Unterstützung brauchte beim Gehen. Nicht, dass er wirklich Ahnung von Geburten und dergleichen hätte, allerdings waren die meisten Sklavinnen, die geboren hatten, zwei Tage später wieder bei der Arbeit. Manche sogar noch am selben Tag. Gut, die konnte man kaum mit einer feinen Dame von stand vergleichen, dennoch brachte dieser Umstand Sextus dazu, sich darüber Gedanken zu machen, ob dies wohl der normale Gang der Dinge wäre. Indes konnte er aber nichts an den Umständen ändern, so dass er jegliche Reflexion dieses Sachverhaltes auf einen unbestimmten späteren Zeitpunkt verschob.


    Er wartete also, bis sie seinen Sohn vor ihm abgelegt hatte, und blieb einen Moment einfach in der Ruhe des Raumes unter den Blicken der Anwesenden stehen, ohne sich zu rühren. Erst nach etwa einer Minute, nachdem sein Sohn anfing, aufzuwachen und leise zu wimmern und zu quengeln, blickte er auf ihn hinab und ging in die Knie. Der ganze Stoff, in den der Knabe gewickelt war, war ungemein unpraktisch, wenn man versuchte, ein Kind hochzuheben. Leider funktionierte es nicht ganz so reibungslos, wie er sich das gewünscht hätte, da das kleine bisschen Mensch dennoch eine erstaunliche Mobilität an Armen und Beinen zutage legte und er sich ebenfalls nicht sicher war, wie fest er das Kind halten konnte, ohne es zu beschädigen. Es dauerte also eine gefühlte Ewigkeit, auch wenn es wohl nur ein etwas längerer Augenblick war, bis er das Kind in beiden Händen um den schmalen Torso mitsamt Decke gegriffen hatte und es hochhob, direkt auf Augenhöhe.
    Der Kopf des Kindes ging nach hinten, die Augen waren zugekniffen wie bei einem Hundewelpen und das Ding zitterte ganz leicht, öffnete einen zahnlosen Mund, um ganz leise zu quäken. Noch allerdings war es nicht dabei, zu schreien. Sextus hatte nicht vor, so lange zu warten, bis es das tun würde, und begann also die feierliche Vorstellung seines Sohnen.
    “Seht, dass dies mein Sohn ist. Er ist Mitglied dieser Gens, Mitglied meiner Familia, und Herr über die Sklaven des Hauses. Da er im Licht des frühen Morgens geboren wurde, soll sein Name Lucius lauten. Jedes Jahr an den Iden des Mai soll seinem Genius zu ehren am Hausaltar geopfert werden, um an den Tag seiner Namensgebung zu erinnern.“ Sextus hatte noch überlegt, dem Kind zur besseren Unterscheidbarkeit noch einen Cognomen zu geben, dann aber darauf verzichtet. Die folgenden Söhne würde er nummerieren, den ersten konnte er sich so merken. Und momentan war kein weiterer Lucius Aurelius im Haus, schon gar nicht im Säuglingsalter, so dass es zu Verwechslungen kommen könnte. Sein Sohn sollte sich seinen Cognomen verdienen, wie Sextus sich den seinen verdient hatte: Als Jugendlicher im Wettstreit mit seinen Freunden.


    Nun aber mit neuem Namen ausgestattet fing Lucius doch an, lauter zu quäken, da ihm diese Art des Haltens wohl missfiel. Allzu bereitwillig gab Sextus das Kind an die herbeitretende Amme wieder ab. Und damit war die kleine Zeremonie im Grunde auch schon beendet.

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