„Hu?“
Die ohnehin nicht sonderlich adäquate Abwandlung der Frage Was hast du bitte gesagt? kam Hadamar mehr als Grunzen über die Lippen denn als vernünftiger Laut. Aber bitte, was sollte das Getue – er war hier nicht bei seiner Mutter, er war auch nicht bei Milacorix, er war unter Freunden. Nachdem Tavernenbesuche doch nicht ganz so günstig waren, jedenfalls für sie, trafen sie sich meistens so irgendwo, lümmelten sich mit mitgebrachtem Met an den Ufern des Rhenus oder an sonst einem Ort, wo sie darauf vertrauen konnten ungestört zu bleiben, und vertrieben sich so die Abende. Und da verstand man sich auch so. Ein Grunzen, im richtigen Augenblick, mit der richtigen Betonung, verstand eh jeder, da begriff er sowieso nicht ganz, warum man da dann bitteschön sich die Mühe machen sollte, das in einem ganzen Satz zu formulieren.
Einziges Pech: der vermaledeite Unterricht war das Thema, auf das Thore gerade gekommen war. Hadamar wusste nicht wie, weil er seine Aufmerksamkeit exakt in diesem Moment sehr intensiv dem Schlauch Met gewidmet hatte, der gerade mal wieder auf seiner Wanderschaft zu ihm gekommen war und leider, leider schon bedenklich zur Neige ging, aber: irgendwie war er offenbar darauf gekommen.
„Kleiner Schreiberling“, wiederholte Thore, der das Grunzen selbstredend richtig verstanden hatte und sich ebensowenig wie sonst einer der Anwesenden mit unnötigen Höflichkeiten aufhielt, mit einem leicht hämischen Grinsen, und verzichtete darauf, neben der Titulierung auch den Rest des Satzes zu wiederholen, der ohnehin nur als Vorlage für die Stichelei gedient hatte. Hadamar verzog das Gesicht. Dass er in der Casa Duccia nun seit geraumer Zeit Unterricht bekam, war konstanter Anlass zum Ärgernis. Ganz persönlich, weil es ihm gehörig gegen den Strich ging, und ganz allgemein, weil seine Freunde ihn deswegen aufzogen. Und das nicht mal zu Unrecht, fand er. Wo sie irgendwas Vernünftiges machen konnten, hatte er Unterricht. Dabei blendete er geschickt aus, dass das, was seine Freunde so Vernünftiges machen konnten, etwas war, was er bis zu seinem Einzug in die Casa Duccia kaum reizvoller gefunden hatte als jetzt den Unterricht: auf dem heimatlichen Hof schuften. Auch dass Thore mittlerweile bei einem Schmied in die Lehre ging, und Reik ebenso bald irgendwas anderes machen würde, wäre nun nichts, was Hadamar noch bis vor kurzem für sich in Erwägung gezogen hätte – er zog es im Grunde immer noch nicht in Erwägung, aber das hinderte ihn nicht daran, die Bequemlichkeit des Vorwands zu nutzen und sich einzureden, dass ihm das jetzt plötzlich doch recht verlockend erschien. Jedenfalls im Vergleich zu dem, was er zu tun hatte: in der Casa rum sitzen und lesen lernen und schreiben und irgendeinen anderen Kram, der angeblich nützlich war, aber auf Hel komm raus nicht in seinen Kopf hinein wollte. Hadamar war nicht dumm – aber er langweilte sich furchtbar in diesen Stunden, und er sah keinen Sinn darin. Jetzt, im Frühjahr, wo das Wetter so verlockend war, noch viel weniger.
„Zeig mal deine Hände her, sind die schon weich und zart geworden von der Schreiberarbeit?“ feixte Nandrad und machte Anstalten, sich Hadamars Arme zu krallen, aber der schlug die Hände beiseite. „So’n Schwachsinn“, maulte er, und zumindest in Teilen stimmte das auch, denn nur weil er Unterricht hatte, hieß das nicht, dass er sonst von jeglichen Arbeiten befreit war. Ganz im Gegenteil. Wenn er in der Casa war, wurde er eigentlich immer von irgendwem herumgescheucht, ob das nun Albin, Marga oder Elfleda war, machte keinen großen Unterschied. Die anderen gaben auf den Widerspruch allerdings wenig. „Wahrscheinlich fängst du bald in der römischen Verwaltung an und lässt dich rumkommandieren wie ein Leibeigener“, stieß Reik ins gleiche Horn, während Nandrad einen neuen Versuch startete, sich Hadamars Hände anzusehen – den dieser wiederum abwehrte, was nun allerdings dazu führte, dass sich daraus ein paar Handgreiflichkeiten entwickelten.
Thore grinste unterdessen nur, während die zwei sich kurz balgten, sorgte dann aber recht bald mit einem „Passt auf den Met auf, Jungs…“ für Ruhe, und fügte dann an: „Und haltet die Klappe. Hadamar in der Verwaltung, das ist doch absurd.“ Für einen winzigen Moment freute sich Hadamar fast darüber, dass Thore ihm beisprang. Fast. Immerhin kannte er Thore. Und nur für einen winzigen Moment. Denn dann begann sich auf dessen Gesicht ein genüssliches Grinsen auszubreiten, das Hadamar auch kannte, besser, als ihm lieb war. „Seine weichen Hände wird er doch viel besser in den Thermen der Römer als Masseur einsetzen…“ Und Widerspruch darauf war vergebliche Liebesmüh. Schon allein weil jedes weitere Wort erst mal in Gejohle und Gelächter unterging, das sich in Anfeuerungsrufe verwandelte, als Hadamar – der ohnehin nicht vorgehabt hatte, diese Beleidigung mit Worten zu kontern – sich nun auf Thore stürzte.
Irgendwann später lagen sie, schwer atmend und auf dem Rücken, nebeneinander. „Nimm’s zurück.“
„Vergiss es“, keuchte Thore.
Hadamar hatte mit nichts anderem gerechnet, immerhin hatte es gerade keinen eindeutigen Sieger gegeben. Sich noch mal auf Thore zu stürzen war auch keine Option – keine Lust, keine Ausdauer, keine Aussicht auf ein anderes Ende. Trotzdem passte ihm das nicht. Hadamar raffte sich immerhin dazu auf, sich aufzusetzen und Thore einen missmutigen Blick zuzuwerfen. „Ich könnt zur Legion gehen, wenn ich wollte!“
Für einen Augenblick verblüfft starrte Thore ihn an, bevor er sich nun auch aufsetzte, sich den Schlauch mit Met angelte und einen tiefen Zug nahm. Danach wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund, und danach erst schüttelte er den Kopf. „Du? Im Traum vielleicht.“
Jetzt klappte Hadamars Mund auf, als Empörung über ihn schwappte. „Bitte was?“
„Die Legion ist nichts für dich. Sönke, ja, der träumt ja schon seit ner halben Ewigkeit davon. Aber du…“
„Natürlich ist die Legion was für mich!“
Für einen Augenblick taxierte Thore ihn. Dann… war es wieder da, plötzlich, dieses genüssliche Grinsen. „Beweis es.“