Unendliche Erleichterung. Vorsichtig trat Neriman auf die wankenden Bretter, die ans Schiff gelegt waren, um an Land zu kommen. Das Schaukeln war furchtbar und als ihre Füße endlich festen Boden berührten, hätte sie am liebsten laut gelacht. Aber was war das? Die Erde bewegte sich ebenso wie das Schiff, das sie gerade hinter sich gelassen hatte, schaukelnd und unruhig. Erschrocken hielt sie sich am nächstbesten Arm fest, sonst wäre sie tatsächlich gestürzt. Lautes Gelächter vom Schiff drang zu ihr herüber, die Männer amüsierten sich köstlich über den hilflosen Anblick, den sie wohl abgab. Neriman drehte entrüstet den Kopf, bedachte jeden einzelnen mit einem bösen Blick und hätte ihnen zu gerne ein paar Verwünschungen entgegengeschleudert, hätte sie gekonnt. Nur langsam verflog der Äger, ihre Begleiter kamen nach und nach von Bord und allmählich hielt auch der Boden wieder still, so dass sie den helfenden Arm wieder loslassen konnte. Die Männer gingen derweil wieder ihrer Arbeit nach, nur hier und da war noch ein leises Kichern zu hören.
Geduldig wartete sie mit ihrer kleinen Gruppe, bis das Gepäck abgeladen war. Ein Karren wurde gebracht, auf den alles aufgeladen wurde. Nerimans Aufmerksamkeit wurde aber schon bald davon abgelenkt. Sie stand staunend da und bekam den Mund nicht mehr zu bei all der überwältigenden Vielfalt, die es hier zu sehen gab. Sie kannte bislang nur kleine Dörfer, allenfalls ein paar größere Orte, in denen sie Handel trieben. Das hier jedoch überstieg ihre Vorstellungskraft um Längen. Nicht nur die Bauwerke um sie herum, auch die Menschen waren so verschieden, wie sie nur sein konnten. Aber auch Neriman selbst hatte sich verändert. Sie trug nun nicht mehr das weite Gewand der Wüste, sondern das beste Kleid ihrer Mutter. Ihr Vater gab es ihr zum Abschied. Es war gewebt aus buntem Stoff, kostbar bestickt mit Gold und Silberfäden und Neriman trug es mit stolz. Dazu das Tuch, das sie niemals eintauschen würde. Das und die Hose, die sie noch unter dem Kleid trug, war alles, das an ihre Herkunft erinnerte.
Eine Hand griff ruckartig nach ihrem Arm, zog sie ruppig mit sich. "Komm schon, wir müssen weiter. Oder willst du hier Wurzeln schlagen? Wir brauchen einen Schlafplatz und etwas zu essen." Neriman ließ sich mehr ziehen, als dass sie selbst ging. Viel zu sehr hielt immer wieder etwas ihren Blick gefangen, hätte sie zum Stehenbleiben animiert, wäre ihr Begleiter nicht so energisch gewesen. Irgendwo wurde sie schließlich in ein Haus geschoben, den Weg zum Hafen würde sie alleine wohl nie wieder finden. Im Moment verschwendete sie auch keinen Gedanken daran, die Aussicht auf Schlaf schob mit einem Mal alles andere zur Seite. Als hätte er nur darauf gewartet, signalisierte ihr Körper seine Müdigkeit, seine Erschöpfung und sie schaffte es gerade noch in das Bett, das man ihr zuwies. Dass man ihr die Schuhe auszog, eine Decke über ihr ausbreitete und das Gepäck ans Fußende stellte, bekam sie schon nicht mehr mit.