Die Pläne waren gemacht, das Nachbarhaus gekauft, der Nachbar ausgezogen, also konnte es bald losgehen mit dem Umbau und der Erweiterung der Casa Purgitia. Was vor Jahren für einen aufstrebenden Jungsenator und eine kleine Schar von Hausangestellten noch mehr als groß genug war, war heute für einen Consular mit Frau doch ein bisschen zu eng. Erst Recht, falls aus den beiden doch noch eines schönen Tages eine komplette Familie werden sollte. Aber bevor es soweit war, gab es nicht nur für die beiden noch etwas zu tun, sondern auch für die Bauhandwerker, die zumindest das Platzproblem beheben sollten. Und bevor die beginnen konnten, mussten die Götter und Geister noch in die Planung eingeweiht und um Zustimmung gebeten werden. Immerhin gab es gleich mehrere Dinge zu klären: Der Baulärm würde die guten Geister des Hauses stören und in Unruhe versetzen, durch das zu erwartende emsige Ein und Aus der Handwerker würden mehr böse Geister als üblich die Möglichkeit haben, ins Haus einzudringen und außerdem übernahm man ja das Nachbarhaus, dessen Geister den neuen Besitzer noch gar nicht kannten.
Also begab sich Macer am Morgen nach der Salutatio zum Hausaltar, brachte Kohle zum Glimmen, legte Weihrauch auf und zog die Toga über den Kopf. Das erste Gebet galt dem Genius Loci, um seine Zustimmung für den Ausbau zu erhalten. Als Opfergaben gab es Wein und Kekse. Nachdem sich Macer sicher war, damit zumindest die Geister seines Hauses auf seiner Seite zu haben, konnte er sich an die Götter und Göttinnen wagen. Als erstes kam Vesta an die Reihe. Als Göttin der häuslichen Angelegenheiten durfte sie bei einer räumlichen Erweiterung des Haushaltes nicht ungefragt bleiben. Ihr brachte Macer Obst und frische Blumen dar. Letztere würden auf dem Hausaltar stehen bleiben und immer wieder erneuert werden, solange die Bauarbeiten liefen. Als zweites kam Silvanus Domesticus an die Reihe, der Hüter der Hausgrenzen. Mit ihm fürchtete Macer weniger Probleme, würde er doch die Grenzen seines Hauses erweitern und dem Gott damit sicher nicht zu nahe rücken. Erneut gab es Wein und Kekse, um auch diesen Gott für seine Pläne gnädig zu stimmen.
Nachdem sich Macer der Zustimmung dieser beiden Gottheiten sicher war, setzte sich eine kleine Prozession in Gang, an deren Spitze er schritt und die ihn aus der eigenen Casa hinaus und in die leerstehende Nachbarcasa wieder hinein führte. Auch hier gab es einen Hausaltar, an dem sich der Vorbesitzer wenige Tage zuvor von den Geistern des Hauses verabschiedet hatte. Nun war es an Macer, sich als neuer Besitzer mit eben jenen bekannt zu machen und sie mit seinem ersten Opfer gnädig zu stimmen. Erneut gab es Wein und Kekse als Opfergaben. In Form einer kleinen Votivfigur war auch der Genius Loci der Casa Purgitia dabei, damit er sich mit seinem neuen Kollegen nebenan schonmal bekannt machen konnte, bevor sie mit der Zusammenlegung der beiden Häuser zu einem werden würden. Oder so ähnlich. Ganz genau wusste Macer nicht, was Geister da machten, aber er hoffte, die beiden würden sich miteinander arrangieren. Vorsichtshalber ließ er ein paar Kekse mehr da. Dann wandte er sich an den Silvanus domesticus dieses Hauses, der logischerweise ein anderer war als jener seiner eigenen Casa. Jetzt musste er hoffen, dass der Vorbesitzer gute Arbeit geleistet hatte, denn diesmal ging es tatsächlich um einen Eingriff in die Grenzen des Hauses. Richtig vorbereitet, würde Silvanus diesen aber eben nicht als feindlichen Eingriff sehen und ihm nicht im Wege stehen. Erneut gab es zum Gebet Wein als Opfergabe, einen Kuchen und auch ein paar Münzen. Landbesitz konnte man schließlich kaufen, da war Macer ganz pragmatisch.
Während des Opfers und der Gebete machte das Haus keine komischen Geräusche, keine Tür knallte, kein Balken knackte, kein Putz rieselte von den Wänden. Macer deutete das als Zeichen, dass ihn weder der Genius Loci dieses Hauses noch der zuständige Silvanus gleich wieder vor die Tür setzten und fuhr daher mit der Zeremonie fort. Um genau jene Türe, durch die er eben gekommen war, sollte es nämlich jetzt als nächstes gehen. Durch die Zusammenlegung der Häuser würde sie nämlich überflüssig werden und sollte verschlossen werden. Und das ging nach Macers Meinung nicht ohne die Zustimmung von Ianus, dem Gott der Durchgänge. Den würde er zwar später auch nochmal brauchen, wenn der neue Durchgang zwischen den beiden Häusern geschaffen war, aber doppelt gebetet hielt bekanntlich besser. Also zog die Prozession zurück zur Tür, durch die sie eben gekommen waren und hielt vor dem Türpfosten an. Hier versuchte Macer mit einem Gebet den Gott der Ein- und Ausgänge darauf einzustimmen, dass genau hier bald kein Ein- und Ausgang mehr sein würde. Ein großzügiger Schluck Wein sollte dem Gott die Aufnahme dieser traurigen Nachricht erleichtern. Und weil Wein beim Ausgießen immer nach unten lief und folglich auf die Türschwelle traf, schloss Macer auch gleich Cardea, die Göttin der Türschwellen und Drehtüren mit in sein Gebet ein und spendierte ihr einen eigenen Schluck. Eine Drehtür war hier zwar nicht, aber vielleicht freute sie sich trotzdem und machte Ianus den Abschied leichter.
Nachdem sich Macer sicher war, auch hier alle seine Pflichten ordnungsgemäß erfüllt zu haben, führte ihn der Weg wieder zurück vor den eigenen Hausaltar. Mit der Zustimmung aller betroffenen Götter im Rücken wollte er nun noch um Schutz und gutes Gelingen der Baumaßnahme bitten und dafür hatte er sich Minerva als Ansprechpartnerin ausgesucht. Diesmal wurde das Gebet wieder von Obst und Blumen begleitet und auch diese sollten auf dem Altar stehen bleiben und ständig erneuert werden, bis die Maßnahme erfolgreich abgeschlossen war. Außerdem gelobte Macer der Göttin noch eine weiße Ziege, falls die Handwerker ihre Sache gut machen sollten und die Arbeiten planmäßig und ohne Unfälle abgeschlossen werden sollten. Unfälle kosteten nämlich auch Geld und wenn es schlecht lief deutlich mehr als eine Ziege. Da Minerva zur capitolinischen Trias gehörte, ließ er sich etwas mehr Zeit als bei den anderen Göttern, um auch ganz sicher zu sein, ihren Beistand zu haben.