Tablinum | In Sachen Frauen

  • Sermo pflegte für gewöhnlich die römischen Traditionen. In vielerlei Hinsicht war er dabei konservativ zu nennen, entsprach also dem typischen Bild eines Römers. Wieso nämlich etwas ändern, wenn man auch die Werte seiner Ahnen pflegen konnte und sich damit lästige Neuerungen sparte?
    Nun hatte Sermo nach der Arbeit und dem darauf folgenden Thermenbesuch häufig noch viel Zeit bis zur Cena - die er seltener allein als vielmehr im Kreise der wenigen betuchten römischstämmigen Cives Mogontiacums verbrachte - in der er sich mithilfe zeitgenössischer oder klassischer Literatur bildete oder jenes einst Gelernte wieder auffrischte. Die mogontinischen Thermenbibliotheken boten zwar nicht einmal einen Bruchteil dessen, was jene in Rom beherbergten, doch es reichte aus.
    An manchen Tagen jedoch war selbst die einsame Beschäftigung im Tablinum ihm ein Graus und so ließ Sermo derweil den Gedanken freien Lauf. Und so kam es nicht selten, dass ihn sein Geist nach Rom führte zu der Frau, die er sein Weib wohl hoffentlich bald würde nennen können. Vor einigen Monaten, als er nach Germanien kam, bestand für ihn kein Zweifel an der zukünftigen Verbindung zwischen den Decimern und Quintiliern. Doch mit jeder fortschreitenden Woche erwachten mehr kritische Stimmen in ihm. Insbesondere die Meldung, Decima Seiana sei nun auch noch Rectrix der Schola Atheniensis, ließ ihn aufhorchen. Was trieb diese Frau dort im Süden? Wie kam sie dazu so aktiv zu sein? So eigenständig? Seiana war nun Auctrix der Acta Diurna und leitete gleichzeitig auch noch die umfänglichste Bildungsstätte des Reiches, vom allseits bekannten Museion Alexandriens womöglich einmal abgesehen. Daraus wollte der arme Quintilier nicht so recht schlau werden, trotz allem stundenlangen Grübeln.
    Das Treiben der Decima nämlich widersprach allen Vorstellungen, die Sermo von einer uxor bona, einer guten Gattin, hatte. Sie sollte fügsam sein, dem Manne gehorsam, sich niemals öffentlich in seine Angelegenheiten einmischen und ihm erst recht nicht widersprechen. Doch wie sollte das wohl möglich sein, wenn diese Decima die Acta führte? Musste sie da nicht zwangsläufig bald auch Dinge veröffentlichen, die womöglich auch irgendwann Sermos Meinung und Einstellung entgegen liefen? Und überhaupt war Seiana jetzt bereits um ein vielfaches bekannter und vermutlich auch angesehener, als Sermo es in den nächsten Jahren überhaupt werden konnte! Wie sollte er, der stolzeste Römer von allen, im Schatten seines Weibs die Sprossen der Karriereleiter weiter erklimmen? Würde er nicht auf ewig nur die Nummer zwei bleiben? Der Ehemann, der die hohe Decima geheiratet hatte? Nein, das wollte er nicht! Das konnte er nicht! Er musste handeln, jetzt sofort!
    "ISSAAAA!" erscholl sogleich der Befehl, der dem jungen Sekretärsklaven des Quintilius galt. "Dominus?" gab dieser im gewohnt demütigen Tonfall seine Anwesenheit in Sekundenschnelle zu erkennen. "Issa, ein Brief. Decima Seiana. Notiere." Einen Augenblick ließ er dem Jungen Zeit, sich Wachstafel und Griffel zu schnappen und sich bereit zu machen, dann diktierte er folgende Worte.





    Ad:
    Auctrix Actae Diurnae
    et
    Rectrix Scolae Atheniensis
    Decima Seiana

    Casa Decima
    Roma - Italia



    Hochgeschätzte Decima Seiana,


    meine hochachtungsvollsten Grüße voran. Zudem möchte ich dir meine Glückwünsche über deine Ernennung zur Rectrix bekunden. Dir gelingt es wahrlich immer wieder noch eine Portion Ruhm und Ehre für die Decima zu erlangen. Glücklich schätzen kann sich ein jeder, der im Glanz deiner Gens wandeln darf.


    Umso betrübter stimmt es mich darob dir folgendes mitteilen zu müssen.
    Obschon wir eine Abmachung getroffen hatten dahingehend, dass nach meiner Tätigkeit in Germania Superior ich nach Rom bald zurückkehren sollte, um mit dir schließlich den Ehebund einzugehen, so muss ich doch feststellen, dass es mir so bald nicht möglich sein wird die ewige Stadt wiederzusehen. Meine Tätigkeit als Procurator Civitatium hält mich hier länger als erwartet und es ist nicht gewiss, wann sich mir die Möglichkeit bietet in die italischen Lande heimzukehren.
    Darum halte ich es derzeit für nicht praktikabel dich weiterhin an unsere Abmachung zu binden und löse mich also hiermit von dem Heiratsangebot, das ich dir gemacht habe. Ich bedaure diesen Schritt sehr und möchte dich wissen lassen, dass ich deine Person weiterhin hoch schätze.
    Im Übrigen liegt diesem Schreiben eine Übertragungsurkunde am Grundbesitz bei, den ich als Mitgift überschrieben bekam.


    Ich verbleibe mit hochachtungsvollen Grüßen und wünsche dir den Segen der Götter.



    I. QVINTILIVS SERMO
    CASA QUINTILIA - MOGONTIACUM - GERMANIA SUPERIOR


    [Blockierte Grafik: http://img24.imageshack.us/img24/8500/quintiliersiegelsmrot.png]
    ANTE DIEM XI KAL AUG DCCCLXI A.U.C. (22.7.2011/108 n.Chr.)

  • "Fertig? Gut. Dann notiere weiters folgende Urkunde," wies Sermo seinen Sklaven daraufhin an, der zur Wachstafel wechselte und zu schreiben begann.


    URKUNDE


    Hiermit übertrage ich, Iullus Quintilius Sermo, Eques Imperii im Amt des Procurator Civitatium, den Landbesitz, welchen ich als Mitgift vom Senator Marcus Decimus Livianus für die Ehebindung mit Decima Seiana erhalten habe, an eben diese mangels Eingehung der genannten Bindung.



    I. QUINT. SERMO


    ANTE DIEM XI KAL AUG DCCCLXI A.U.C. (22.7.2011/108 n.Chr.)

  • Issa notierte Gesagtes, ließ den Brief von seinem Herrn unterschreiben und siegeln und entschwand dann gen Regia, wo er die Schreiben gleich zur Postannahme eingeben würde. Sermo lehnte sich derweil nachdenklich zurück. Weiber! Immer war es dasselbe mit ihnen. Nie machten sie das, was man von ihnen erwartete, es sei denn man bezahlte sie großzügig. Grimmig rief er nach Pera, die er in die Vorratskammer schickte, denn es dürstete ihn nach einem guten Tropfen. Als die Sklavin zurückkehrte, saß Sermo fernestarrenden Blickes an seinem Schreibtisch und schien sie gar nicht so recht zu bemerken. Erst als Pera das Glas vor ihm platzierte und halb-halb mit Wein und Wasser füllte, zeigte er wieder eine Reaktion.


    Tief in Gedanken versunken betrachtete Sermo seine Sklavin. Seine Sklavin? Wenn er so genau darüber nachdachte wusste er überhaupt nicht, wessen Eigentum sie nun konkret eigentlich war. Gehörte sie seinem Vetter Valerian? Oder doch dessen Weib Calvena? Er konnte es nicht sagen. Jedenfalls hatte Sermo festgestellt, dass Pera sich in letzter Zeit verändert hatte. Sie war immer noch ruhig und besonnen, machte jedoch wenn sie sich von niemandem beobachtet wähnte häufig ein betrübtes Gesicht. Offensichtlich war sie nicht recht zufrieden, besonders seit ihre Schwester Gaia so hart bestraft worden war. Die jüngere der beiden Schwestern war seitdem deutlich verschlossener und anderen Menschen gegenüber kurz angebunden. Beinahe konnte man sie als scheu, gar ängstlich, bezeichnen.
    Ob die schwere Strafe wohl diese Veränderung ausgelöst hatte? War Sermo daran schuld, dass Gaia anders geworden war? Selbst wenn, so kümmerte es ihn doch nicht. Die Schläge, die er der jungen Sklavin mit dem Stock gegeben hatte, waren gerechtfertigt und verdient gewesen. Sklaven, die sich nicht gebührlich benehmen konnten, mussten schließlich die Strenge ihres Herrn spüren, damit sie wieder zu sich fanden. Wenn man Sklaven nämlich wie Glas behandelte, wurden sie frech und stellten hinterher gar noch Ansprüche. Undenkbar für Sermo!
    Im Gegensatz zu Pera hatte Sermo die jüngere Schwester Gaia auch noch nie so recht gemocht. Und wenn Sermo eine Frau mag, dann bezieht sich das üblicherweise nicht auf Sympathie oder ein Hingezogen Sein. Nein, Sermo mochte Pera auf der Ebene einer schlichten körperlichen Anziehung, die sie auf ihn ausübte. Immerhin entsprach sie dem typisch nordischen Klischee: Groß gewachsen, helles lockiges Haar, und die unverkennbare Bleiche der Bevölkerung der nördlichen Provinzen, die mit jener der Italiker, Iberer oder gar der Ägypter und Syrer nicht zu vergleichen war. So wirkte sie auf Sermo ebenso exotisch wie die keltische Caelyn. Wenig verwunderlich war es daher, dass der Quintilier sich Pera nicht selten ins Bett holte, wenn er keine Lust auf die wenigen mogontinischen Freudenmädchen oder eine riskante Affäre mit einer Nachbarstochter hatte. Es war also ein merkwürdiges Verhältnis zwischen Pera und ihrem Herrn einerseits und Pera und ihrer Schwester andererseits; und immer lag eine seltsame Spannung in der Luft, wenn sie zu dritt im Raum waren. Das jedoch kam bei weitem nicht oft vor, denn Gaia mied ihren Herrn so gut sie konnte. Sermo gefiel das gut, denn so nutzte die junge Sklavin jede freie Minute um fließig ihren Pflichten nachzugehen und so dem Quintilius aus dem Weg gehen zu können. Pera machte diese Situation sichtlich zu schaffen, aber auch dies störte Sermo nur geringfügig. Er würde diese elende Provinz, in der die Arbeit ihn nicht zu fordern wusste und deren Bewohner teilweise recht schräg drauf waren, hoffentlich in Kürze hinter sich lassen. Und damit würde er auch die Sklavinnen hier zurücklassen, die er einem Vilicus unterstellen würde, womit er sich nicht mehr mit ihnen würde herumschlagen müssen.


    Bei Iuppiter, wie sehr sehnte er bereits den Tag seiner Abreise herbei!



    [Blockierte Grafik: http://i687.photobucket.com/albums/vv232/Aine_photos/pera.jpgPera
    Pera hatte indes der tiefgründiger Blick ihres Herrn verunsichert, was sich darin äußerte, dass sie in ihrer Bewegung inne hielt und fragend den Blick erwiderte. "Dominus?" brachte sie fast flüstern heraus, schluckend. Blinzelnd fand der so Adressierte zurück ins Hier und Jetzt, als wäre er aus einem Tagtraum erwacht. "Pera," gab er zurück; in einem Tonfall, der den Außenstehenden auf Verwunderung schließen lassen würde. "Hmm. Äh..." Einer plötzlichen Eingebung folgend suchte Sermos Blick den Hortus. Das Wetter war recht angenehm und im wingeschützten Garten würde es auch noch zu etwas späterer Stunde warm genug zum Verweilen sein. "Richte eine Liege und ein Tischchen im Garten her. Ich wünsche draußen zur Cena zu liegen." Pera brauchte einen Augenblick um die aufgetragene Anweisung zu verinnerlichen, woraufhin Sermo sie mit einem herrischen Wink entließ. "Sehr wohl," gab sie hastig ihr Verständnis kund und huschte hinaus, die nötigen Vorbereitungen zu treffen.
    Sermo nahm derweil gemächlich das Weinglas zur Hand und führte sich einen großen Schluck des hellen Getränks zu. Es war ein Weißwein aus Norditalien, dessen Namen er allerdings leider bereits vergessen hatte. Er musste Pera noch einmal fragen, wenn sie wiederkam. Aber bis dahin würde er einfach noch etwas hier sitzen. Und nichts tun. Und dabei genüsslich Wein schlürfen. Oh ja, das würde er tun.

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