Auf und davon - Zwei Sklaven auf der Flucht

  • "Kreta? Aha!" Hatte ich zwar schon mal gehört, konnte es aber gerade geographisch nicht wirklich einordnen. Offenbar kam Linos aus "gutem Hause". So nannte man das doch, wenn man ´nen reichen Papi hatte, der vielleicht sogar noch was zu melden hatte. Unter anderen Umständen wären wir uns wahrscheinlich gar nicht begegnet und wenn doch, dann wäre er zu mir wahrscheinlich nicht so nett gewesen.
    "Ach echt, die haben dich überfallen und verschleppt?" Ich biss ein Stück Brot ab und kaute zufrieden. Ganz schön blöd, dass es damit bald vorbei sein würde, wenn das Brot erst mal aufgebraucht war.
    Natürlich wollte Linos, nachdem er sich ein wenig entblättert hatte, auch etwas über mich wissen. Quid pro quo, oder wie das heißt. Ich räusperte mich, bevor ich begann. "Naja, eigentlich ist meine Geschichte nichts Besonderes. Wie du dir bestimmt denken kannst, komme ich aus Gallien. Naja, an meinen Vater kann ich mich nicht erinnern. Der Dreckskerl hat sich aus dem Staub gemacht, als mein Bruder und ich noch ganz klein waren. Aber unsre Mutter hat uns trotzdem groß gekriegt, bis sie starb. Danach hatten wir niemanden mehr, der sich um uns kümmerte und wir landeten auf der Straße. Ich musste klauen gehen, damit wir überleben konnten. Und dann, eines Tages bin ich geschnappt worden. Einer von den Typen, meinte, es wäre doch ´ne tolle Idee, mich nicht zu kreuzigen, sondern zu verkaufen. So landete ich in Rom. Zuerst war ich bei so ´nem reichen Typen. Den hatte ich richtig gern und er mich auch. Vielleicht." Mannomann, ich kriegte doch jetzt nicht etwa Pipi in die Augen? "Na, und als er dann ´ne Andere heiratete, bin ich abgehauen. Danach landete ich bei Sermo, diesem Mistkerl." So, das musste genügen. Mehr wollte ich nicht von mir preisgeben.

  • Es war wirklich schlimm wie das Schicksal manchmal mit den Menschen umging. Normalerweise machte man sich nie oder nur seltenste darüber Gedanken, kaum hörte man aber von den Schicksal eines einzelnen Menschen, sah es schon ganz anders aus.
    „Aus galten also? Ja ich hörte von den Hafenstädten dort. Ach das ist eine Idee dort wohnt ein guter Kunde, man könnte ihn schon fast einen Freund meines Vaters nennen. Ich habe keine Vorstellung von Gallien ist das Klima dort wie hier?“ Ich holte den Käse hervor. „Hiervon doch bestimmt auch ein Stück? …. Wenn du nicht weißt wo du hin sollst kannst du mit nach Kreta kommen. Es wird dir dort bestimmt gefallen. Vielleicht hast du es schon gehört wir Griechen sind ein fröhliches, gastfreundliches Volk. Auch wenn wir zu Hause Sklaven haben ist es ganz anders bei uns. Es sind mehr Angestellte, sie haben sehr viel Freiheit und Prügel oder dergleichen gibt es nicht. Mein Sklave war mein bester Freund und hat alles mit mir zusammen gemacht. ….“ Ich erschrak, da mir einfiel ich hatte etwas falsches gesagt bezw. mich falsch ausgedrückt.
    „Natürlich kämst du nicht als Sklavin mit. Du könntest von vorne anfangen und mein Vater würde dir bestimmt helfen, wenn du dir etwas aufbauen möchtest.

  • "Da wo ich herkomme, ist es so ähnlich, wie hier. Aber weiter südlich am Meer, soll es viel wärmer sein." Keine Ahnung ob das stimmte. Massalia kannte ich bisher auch nur im Winter. Und auch da hätte ich mir beinahe den Allerwertesten abgefroren. Überhaupt fand ich das Meer nicht so prickelnd. Vielleicht, weil ich es nicht so mit Schiffen hatte. Darauf wurde es mir jedes Mal tierisch schlecht und ich reiherte mir dann garantiert die Seele aus dem Leib.
    Linos begann von Kreta zu reden und wie es den Sklaven dort ging. Naja, einige Griechen hatte ich ja in meinem Leben schon getroffen. Und nicht alle waren nett und ehrlich zu mir gewesen. An dem Sprichwort, trau keinen Griechen, die mit Geschenken kommen, war meiner Ansicht nach etwas dran.
    "Mhm, ich weiß noch nicht," antwortete ich, auch wenn ich ihm schon glaubte, dass er aus mir keine Sklavin machen wollte, wenn ich mit ihm kam. Und ob Sklaverei auf Kreta anders war, das bezweifelte ich mal ganz stark. War doch völlig Wurscht, ob man dort anders behandelt wurde. Am Ende war man trotzdem unfrei und konnte nicht das machen, was man wollte. Aber schön, Sklaverei war eben was ganz normales und gehörte einfach dazu. Das hatte es schon immer gegeben und wahrscheinlich würde sich das auch nicht so schnell ändern. Wenn man allerdings selbst zum Sklaven wurde, sah man das etwas anders.


    Ich aß erst mal weiter, während meine Gedanken darum kreisten, was wohl in ein paar Wochen war. Ob ich Aretas je wieder sehen würde? Vielleicht war er ja längst tot. Oder vielleicht frei? Sobald ich die Möglichkeit hatte, wollte ich ihm schreiben. Aber vorerst mussten wir die Wildnis hinter uns lassen.

    Die Nacht brach endgültig herein. In der Ferne sah man noch vereinzelt einige Lichter, die aber nach und nach auch erloschen, bis nur noch der Mond auf uns niederschien. Unsere zweite Nacht in Freiheit!


    Als der Morgen graute, lag dichter Nebel unterhalb des Gipfels. Dennoch mussten wir weiter. Linos Kräuter hatten meinen Füßen etwas geholfen. Anfangs spürte ich kaum Schmerzen. Auch blutete es nicht mehr. Doch ich konnte mir schon denken, dass es so nicht lange bleiben würde.
    Die Bäume die vor uns im Nebel auftauchten, wirkten gespenstig. Wenn hier einmal Menschen gelebt hatten, so hatten sie kaum etwas hinterlassen. Ihre Hütten aus Holz und Lehm waren längst vergangen. Nur ihre Befestigungsmauern zeugten noch von ihnen. Und auch die würden in einigen Jahren noch gänzlich zusammenfallen.
    Nach wenigen Schritten nur, fanden wir eine Quelle, aus der ein kleines Rinnsal floss. Ich hatte richtigen Durst und etwas Wasser, um wenigstens das Gesicht zu waschen, war auch nicht schlecht. Das kalte Nass war eine Wohltat! Auf dem Gaumen und auf der Haut. Plötzlich hielt ich ein und spitzte die Ohren. "Hörst du das, Linos?", flüsterte ich meinem Begleiter zu. Aus dem Nebel drangen seltsame Geräusche, ähnlich die von Tieren. Aber ich konnte sie erst nicht richtig einordnen. Ich hörte genau in die Stille hinein und vernahm nach einiger Zeit ein leises Mäh.

  • Ich war schon ein wenig enttäuscht, auch wenn mein Verstand es nach vollziehen konnte, dass Caelyn nicht mit mir kommen wollte. Irgendwie hatte ich gedacht sie, sie hat mir zur Flucht verholfen, zumindest war sie der Verstärker dazu, nun kann ich auch etwas für sie tun.
    Es war auch einfach nur völlig blauäugig von mir die Flucht ohne die geringste Vorüberlegung und Planung zu starten. Ich hatte aber noch nur Caelyn helfen wollen. Natürlich wollte ich es immer noch, doch langsam machte ich mir auch Sorgen um meine eigene Zukunft. Mit diesen und ähnlichen Gedanken schlief ich irgendwann in der Nacht ein.


    Am nächsten Morgen weckten mich die Geräusche die von Caelyn kamen. Ein Glück die Nebelfeuchtigkeit legte sich auf allem ab und mir kam wieder die Sorge was ist wenn das Wetter schlechter wird.
    Unsere Umgebung kam mir immer unwirklicher vor. Ob dies am Nebel oder der Einsamkeit lag wusste ich nicht, wohl aber dass ich mich Unwohl deshalb fühlte.
    Der Zustand von Caelyns Füßen schienen sich wieder zu verschlechtern. Sie hinkte wieder leicht als sie zu einem nahen winzigen Bach ging.
    Plötzlich kribbelte es an meinem Hinterkopf und schon fuhr meine Hand dorthin. Ein merkwürdiges Geräusch, wenn auch noch leise, drang an meine Ohren.
    Da kam auch schon die Frage von Caelyn, gleichzeitig baute sich mir das Bild des Wildschweins auf, welches mich vor nicht zu langer Zeit verfolgte. Vielleicht gab es ja noch mehr von seltsam ,wilden, unbekannten Tieren hier in Germanien.
    Vorsichtshalber zückte ich das Messer, hätte aber dabei fast laut los gelacht. Das Messerchen bei einem Kampf mit einem Wildschwein, dieser Gedanke war wirklich zu albern.
    Den Blick in Richtung Geräusch, nickte ich bei Caelyns Frage und stand da in nervöser, ängstlicher Erwartung.

  • Wie versteinert war ich stehengeblieben und lauschte dem näherkommenden Geräusch. Wenn ich mich nicht irrte, mischte sich nun auch der leise Klang eines Glöckchens darunter. Mein erster Gedanke war der an eine Schafs- oder Ziegenherde. Aber hier oben lebte doch niemand mehr. Also warum sollte hier oben eine Herde sein?
    Gemächlich tauchte vor mir schließlich eine weiß-braune Ziege auf, deren Glöckchen, dass sie um den Hals trug, bei jeder Bewegung läutete. Neugierig blieb sie stehen und beäugte uns. Erleichtert atmete ich auf. Die Ziege trottete weiter zur Quelle und trank etwas Wasser.
    Ich sah zu Linos hinüber. Ob er das Gleiche dachte, was ich gerade dachte? Frische,leckere Ziegenmilch! Aber wir hatten kein Gefäß, worin wir die Milch hätten auffangen können.

  • Den Atem anhalten, mit gezücktem Messer stand ich da mit etwas wackeligen Beinen, den mutigen spielend und starrte dem näherkommenden Geräusch entgegen. Etwas vertrautes baute sich in mir auf. Hatte ich so etwas nicht schon einmal gehört? Eine Gefahr ging aber nicht davon aus. Gemächlich kam das kling Ton näher, dann wie aus dem nichts stand sie da. Eine Ziege, eine ganz gewöhnliche Ziege mit prall gefüllten Eutern.
    Hörbar ausatmend, hätte ich fast laut los geprustet. Allein die Vorstellung von meinem eigen Bild bei dieser Situation brachte ein breites Grinsen auf mein Gesicht.
    Die Ziege betrachtend, kam von mir ein grüblerisches: “Die Ärmste hat auch Durst, genau wie wir. Kannst du eigentlich melken? Ich nicht, selbst wenn, ein Gefäß brauchten wir dann schon. Allerdings…. Obwohl …. Aber in deinem Zustand, vielleicht geht es doch, mit meiner Hilfe. Was meinst du wenn ich die Ziege festhalte, ob du dich so darunter legen kannst, dass der Milchstrahl direkt in deinen Mund geht? So könntest du einmal reichlich Milch trinken. Es würde nicht nur den Durst löschen, sondern dir auch Kraft geben und gut tun. “
    Zufrieden mit einer Idee schaute ich Caelyn an. Sollte dies klappen könnten wir die Ziege ja auch mit nehmen, allerdings müsste wir ihr dann das Glöckchen abnehmen.

  • Klar konnte ich Ziegen melken! Wir hatten ja früher auch eine. Und da hatte ich auch genau das gemacht, was Linos nun vorschlug. „Gute Idee!“ Und schon hockte ich mich auf den Boden und schob mich unter der Ziege durch, bis ich in der richtigen Position lag. "Siehst du, das geht ganz einfach. Nämlich so! Das kannst du auch mal probieren!" Die ersten Spritzer der warmen süßlichen Milch landeten in meinem Mund. So was Leckeres hatte ich schon lange nicht mehr gehabt!
    Als ich satt war, erhob ich mich wieder und machte wohl ein ganz schön nachdenkliches Gesicht. "Na ja, das ist ja schon irgendwie seltsam, so ´ne Ziege hier oben. Die muss irgendeinem gehören, der garantiert auch regelmäßig kommt, um sie zu melken. Oder sie ist einfach nur ausgebüchst, so wie wir."
    Natürlich hatte ich auch überlegt, die Ziege mitzunehmen. Aber das war vielleicht zu riskant. Am Ende bekamen wir wegen ihr auch noch Ärger. Andererseits hätten wir dann immer frische Mich."Ich glaube, wir sollten besser weiter gehen!"

  • So einen wandelnden Milchladen mitzunehmen, war bestimmt nicht die schlechteste Idee die hatte. “Sag mal, so eine Ziege sieht doch, wenn sie nicht gerade besondere Merkmale hat, aus wie jede andere. Woher will der Besitzer den Wissen, dass dies seine ist oder es beweisen können? Gut, ich bin nun nicht wirklich derjenige der sich bei diesem Thema auskennt. Nur dachte ich, wenn wir ihr das Glöckchen abnehmen, könnten wir uns mit ihr leise davon schleichen.” Seufzend schaute ich nochmals zur Ziege bevor wir uns auf den Weg machten.
    Hoffentlich kamen wir bald an einem Gehöft vorbei. Vielleicht gab es dann dort etwas Fallobst für uns, denn langsam steigerte sich mein Hunger doch.

  • So kam die Ziege mit uns. Wir setzten unseren Weg fort, bis über das Gipfelplateau. Auch dort hörten wir bald das Rufen weiterer Ziegen. Nur sehen konnte man sie noch nicht . Auch "unsere Ziege" machte sich nun bemerkbar. Der Nebel verzog sich nur langsam. Vielleicht war dies auch der Grund, weshalb wir den Ziegenhirten, der ganz offensicht auch der Besitzer der Ziege war, nicht gleich gesehen hatten. Allerdings hörten wir ihn dann ganz schnell, nachdem er uns mit seiner Ziege entdeckt hatte. "He, ihr diebisches Gesindel! Bleibt stehen! Wo wollt ihr mit meiner Ziege hin?"
    Wie angewurzelt blieb ich stehen. Endlich erkannte ich den Hirten mit dem wutverzerrten Gesicht. Na toll! Da war er schon, der Ärger! "Habt wohl gedacht, ihr könntet euch einfach so aus dem Staub machen?! Dreckiges Diebesgesindel. Ihr solltet euch was schämen! ", zeterte er weiter, verstummte dann aber, als er meinen Bauch sah.
    "Wir wollten deine Ziege nicht klauen. Ehrlich! Wir haben sie nur viel weiter unten gefunden. Wir haben gedacht, sie hat sich vielleicht verlaufen," log ich. Vielleicht nahm uns der Hirte ja die Gesichte ab. "Sie hat anscheinend ihr Glöckchen verloren. Die hättest du so wahrscheinlich nie wieder gefunden!"
    Der Hirte sah auf das Halsband der Ziege, an dem tatsächlich das Glöckchen fehlte. "Na wenn das so ist… dann dank ich euch schön!" Er warf noch einmal einen leicht ungläubigen Blick auf uns und wollte dann mit seiner Ziege zu seiner Herde zurück.
    "Ach bitte, bevor du gehst… ich fürchte, wir haben uns verlaufen und unsere Vorräte gehen bald zu Ende. Gibt es hier in der Nähe ein Gehöft, wo wir uns wieder mit Vorräten eindecken können?"
    Der Hirte blieb stehen. "Ein Gehöft? Weiter unten, am Fuß des Berges habe ich meinen Hof. Wenn ihr wollt, könnt ihr mitkommen."

  • Ich kam erst gar nicht dazu dem Ziegenhirte etwas zu erzählen, Caelyn war natürlich schneller. Man konnte merken sie hatte sich auf den Straßen durchschlagen müssen und war um keine Ausrede verlegen.
    Noch während ich daran zweifelte, ob der Ziegenhirte uns glaubte, fragte sie ihn nun auch noch nach Hinweise für Vorräte.
    Innerlich schmunzelnd folgte ich der kleinen Karawane.
    Ob wir von dem der selber kaum etwas hatte wirklich so Vorräte bekommen würde blieb ab zu warten. Ich für meinen Teil war erst einmal froh, dass wir wieder in tiefere Regionen kamen. Allerdings wäre die gefahr hier entdeckt zu werden nun wieder größer.
    Während wir so dahin wanderten überlegte ich, ob Menecrates mich überhaupt vermisste oder ob er froh war den faulen, verpeilten, fußlahmen ewig hungrigen Manuel, wie er mich, warum auch immer nannte, endlich los zu sein. Nein das bestimmt nicht, denn bestimmt hätte er mich, sein Eigentum lieber verkauft, um so noch Gewinn durch ihn zu haben. Wer verliert schon gerne einen Teil seines Eigentums.

  • Nachdem die verlorene Ziege sich wieder zu ihren Artgenossen gesellt hatte und wir das Gipfelplateau überwunden hatten, machten wir uns an den Abstieg hinunter ins Tal. Gelegentlich warf der Hirte einen Blick auf uns, ansonsten war er ziemlich wortkarg. Sein Misstrauen war noch nicht ganz ausgeräumt. Nur einmal fragte er nach meinen Füßen, weil er bemerkt haben musste, dass ich wie auf Eiern lief. Aber ich blockte nur ab und meinte, ich hätte mir Blasen gelaufen.


    Nach gut zwei bis drei Stunden Fußmarsch tauchte vor uns eine Hütte aus deren Rauchfang grauer Rauch aufstieg. Je näher wir kamen desto intensiver roch es nach frischgebackenem Brot.
    "Ihr habt Glück! Meine Frau backt gerade Brot," sagte der Hirte und rief nach seiner Frau. Kurz darauf öffnete sich die Tür und eine hagere Frau trat heraus. Sie musterte uns kurz aber kritisch. "Wen hast du denn da mitgebracht?" Sie klang nicht wirklich begeistert.
    "Ich hab die beiden oben am Wall getroffen. Sie haben eine von unseren Ziegen gefunden, die verloren gegangen war," erklärte ihr Mann. "Ach ja, eine Ziege, die verloren ging." Mir kam es so vor, als hätte sie unsere wahren Absichten längst durchschaut. Wahrscheinlich glaubte sie kein Wort von dem, was ihr Mann ihr da erzählte. "Na und jetzt? Jetzt schleppst du sie hierher?", knurrte sie in ihrem misstrauischen Ton weiter.
    "Wir bräuchten einige Vorräte. Wir haben noch einen langen Weg vor uns," warf ich schließlich ein. Ihr prüfender Blick traf mich sofort. An meinem schwangeren Bauch blieb er hängen. "Du bist schwanger!", stellte sie dann fest.

  • Warum verwunderte mich das Verhalten dieser Frau nicht. Ich musste unbedingt etwas unternehmen. Nicht nur, das Caelyn eine Pause und vernünftiges Essen wegen ihrer Schwangerschaft brauchte, es waren auch ihre Füße die mir Sorgen machten. Das waren keine Blasen, wie sie es dem Ziegenhirten erzählt hatte, was ihr Schmerzen bereitete. Wann würde sie endlich ein wenig mehr Vertrauen zu mir haben?
    Noch einmal tief seufzend, gab ich mir einen Ruck und meinte zu der Frau: „Wir brauchen wirklich Vorräte und sieh braucht dringend eine Pause“, dabei wies ich mit dem Kopf zu Caelyn. „Ich werde auch gerne für das Essen und eine Nacht im Stall arbeiten“. Nun hatte ich es gesagt, ganz freiwillig, wollte ich, Linos Arbeiten. Unwillkürlich musste ich grinsen. Manch einer der mich aus Rom und Mogontiacum kannte, wäre bei meinem Angebot vor Staunen der Mund offen stehen geblieben.

  • Kaum hatte Linos das Wort ergriffen, wanderte ihr Blick auf ihn. Diesmal war er es, der von oben bis unten begutachtet wurde. "Bist du der Vater?", fragte sie nur abschätzig und ging gar nicht auf Linos Angebot ein. "Ja," sagte ich schnell, um Linos mit dieser Lüge zuvor zu kommen. Schnell sah ich zu ihm hinüber und lächelte ihm verschwörerisch zu. Am Ende wäre sie nur noch misstrauischer geworden. Besser, sie hielt uns für ein Paar, dass auf der Wanderschaft war, warum und wohin auch immer.
    Im Gegensatz zu seiner Frau, wollte sich der Hirte Linos Angebot keinesfalls durch die Lappen gehen lassen. Deshalb mischte er sich schnell ein, bevor seine Frau uns noch vergraulte. "Frau, jetzt red nicht zu viel! Du siehst doch, die junge Frau ist schwanger und an den Füßen hat sie Blasen. Sie läuft ganz schlecht! - Natürlich könnt ihr ein paar Tage hier bleiben. Deine Frau kann sich ausruhen. Und eine helfende Hand kann ich immer gut brauchen!" Bevor die Frau noch etwas sagen konnte, führte ihr Mann uns in ihre Hütte, die aus Lehm gebaut und mit Stroh gedeckt war.
    Im Inneren war es nur spärlich eingerichtet. Eine Feuerstelle, ein gemeinsamer Schlafplatz, der mit Fellen und Stroh ausgelegt war, ein Tisch und drei Bänke. Ob das Paar Kinder hatte? Nichts deutete darauf hin. Die Frau war auch schon älter. Nicht mehr im gebärfähigen Alter. Vielleicht waren die Kinder schon aus dem Haus. Ich wagte jedenfalls nicht danach zu fragen.
    "Setzt euch doch! Frau, bring etwas Met!", sagte der Mann. Missmutig folgte sie den Anweisungen ihres Mannes und stellte einen Krug und drei Becher auf den Tisch. Sie selbst setzte sich nicht zu uns, sondern blieb etwas abseits stehen, um uns zu beobachten. "Was führt euch in diese abgelegene Gegend? Ihr seid weit entfernt von der Straße," fragte der Mann, als er uns einschenkte.

  • Bei der Alten musst du vorsichtig sein, mit der ist nicht gut Kirschen essen, dachte ich mir.
    Zögernd folgte ich der Aufforderung und trat als letzter in die Hütte. Langsam ließ ich mich auf der Bank nieder, während es in meinem Kopf fieberhaft arbeitete. Was wäre wenn die Beiden uns hier behielten nur um uns anschließend für ein Entgelt zu verraten. Obwohl sein Angebot war ehrlich, ihr wäre dies eher zuzutrauen.
    Was für ein Glück, dass ich nicht als Sklave gezeichnet war, abgesehen von den Narben der kürzliche Bestrafung. Wie es bei Caelyn aussah wusste ich nicht.
    „Wie schon erwähnt, wir haben uns verlaufen. Eigentlich sind wir auf dem Weg zu ihrer Verwandtschaft. Sie will zu gerne das Kind im Kreise der Familie bekommen.“ Besseres fiel mir gerade bei der an mich gestellte Frage nicht ein. Das ich nicht von hier oder aus Gallien kam konnte nun wirklich jeder bemerken.

  • Richtig wohl fühlte ich nicht in meiner Haut. Der Mann begann uns auszufragen und seine Frau ließ uns nicht aus den Augen. Auch wenn der Met gut roch, trinken konnte ich davon nichts. Linos war mir mit seiner Antwort zuvor gekommen. Man musste schon sagen, er hatte richtig Fantasie! Genau das gleiche wollte ich auch sagen. "Ja, zu meiner Familie nach Divodunum," log ich bestätigend.
    "Divodunum," wiederholte der Hirte nachdenklich. "Da habt ihr aber noch einen langen Weg vor euch. Und das zu Fuß…" Dieser Satz blieb einige Sekunden im Raum stehen. Mir kam es so vor, als lastete diese Feststellung schwer auf unseren Schultern. "Ein Fuhrmann hat uns ein Stück mitgenommen. Eigentlich hatten wir gehofft, bald wieder jemanden zu finden, der uns auch für den Rest der Strecke mitnimmt. Aber dann wurde es langsam dunkel und wir suchten nach einer Bleibe für die Nacht. Auf dem Berg sahen wir die Mauern und hatten auf eine Siedlung gehofft. Aber leider…" Der Hirte verfolgte gespannt meine Geschichte, die ich ihm auftischte und begann dann lachend zu nicken. "Ja, ja, die Mauern. Aber dort oben wohnt schon lange keiner mehr. Als mein Urgroßvater noch ein Kind war, war die Stadt dort oben schon aufgegeben worden. Man sagt, es spukt dort oben. Aber wenn ihr mich fragt, dann ist das Humbug!" Aus irgendeinem Grund sah er zu seiner Frau, die zwar nichts erwiderte, aber mit der letzten Bemerkung ihres Mannes nicht einverstanden zu sein schien.
    "Also wir haben keine Geister gesehen, nur heute Morgen, als wir die Rufe der Ziege hörten, hatte ich ein bisschen Angst." Langsam begann ich mich zu entspannen. Endlich nippte ich auch an dem Met. Solange uns niemand weiter ausfragte, wer wir waren und was wir vor hatten, hörte ich mir gerne das Geschwätz des Hirten an.

  • Ich beobachtete die Frau des Ziegenhirten genau während Caelyn erzählte und schon begann das Kribbeln an meinem Hinterkopf. Während meine Rechte dort hin griff und kratzte, versuchte ich recht gelassen zu wirken und ergriff mit der Linken den Becher Met. Ich fixierte sie genau und war noch fester entschlossen ihr nicht zu trauen. Wenn wir ein paar Tage hier blieben, mussten wir sie genau im Auge behalten. Langsam nahm ich einen Schluck und nickte vor mich hin. “Ja mit den Geistern ist das so eine Sache, die einen glauben dran und die anderen tun es mit einem dummen Spruch ab. Doch glaubt mir es gibt mehr Sachen die sich unserer Kenntnis entziehen als ihr euch je vorstellen könnt.” Nach einem weiteren Schluck Met nickte ich abermals vor mich hin, “aber du sagst es, der Weg nach Divodunum ist noch sehr weit.“ Obwohl ich gar nicht wusste wo dieses Divodunum lag gab ich mich wissend. “ Ihr kennt nicht zufällig jemanden der uns mit nehmen kann? Vielleicht ein Händler der regelmäßig die Strecke fährt?”
    Des weiteren interessierte mich noch, was der Ziegenhirte für Arbeit für mich hatte.
    “Welche Arbeit hast du denn für mich?”

  • "Na, wenn du meinst," entgegnete der Hirte und trank seinen Becher aus. "Mhm, lass mich mal nachdenken. Nicht weit von hier gibt es ein Dorf. Dort könnt ihr mal nachfragen, wenn ihr weiterziehen wollt." Aber zuerst sollte wenigstens dieser fremde Kerl für die großzügige Gastfreundschaft des Ziegenhirten arbeiten, dachte sich derselbe. Wie gut, dass es Linos selbst war, der das zur Sprache brachte. "Nun, die Zäune müssten mal wieder repariert werden. Ihr habt ja selbst gesehen, diese dussligen Viecher hauen sofort ab, sobald sie merken, dass der Zaun irgendwo ein Loch hat. Und dann das Dach. Das gehört auch noch repariert." Ihm wäre sicher noch viel mehr eingefallen, hätte ich nicht plötzlich mein Gesicht vor Schmerz verzerrt und gestöhnt.
    "Ist was?", fragte der Hirte erschrocken. Vielleicht dachte er schon, das Kind käme jetzt. "Ach nichts, nur meine Füße," antwortete ich beschwichtigend. "Meine Frau wird sich gleich um dich kümmern. - Frau!" Ein Wink genügte und sie setzte sich in Bewegung. "Komm hier herüber!", sagte sie zu mir und deutete auf ihr Schlaflager. "Leg dich dort hin!" Ich tat, was sie sagte und machte es mir auf dem Fell bequem. Die Frau nahm einen meiner Füße, öffnete den Schuh und zog ihn nicht besonders vorsichtig aus. Ich musste mich echt zusammenreißen, um nicht zu schreien. Das tat so furchtbar weh, als ob mir jemand die Fußsohlen vom Fleisch reißen wollte.
    Sie entfernte die Reste von Linos Kräutern, die er für mich am Abend zuvor gesammelt hatte. Als dann meine Fußsohle zum Vorschein kam, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Wahrscheinlich weil dort, wie erwartet, gar keine Blasen waren, sondern längliche Striemen, die teils verheilt, teils wieder aufgeplatzt waren. "Was ist das denn?", fragte sie mich irritiert. "Ach, ich hatte vor einigen Wochen einen Unfall," log ich wieder. "Ich bin aus Versehen barfüßig in einen Scherbenhaufen getreten." Naja, keine wirklich gute Ausrede, aber mir fiel nichts besseres ein auf die Schnelle. Die Frau sah mich nur an und verkniff sich jeglichen Kommentar. Sie nahm meinen anderen Fuß, öffnete den Schuh und entfernte auch hier die Kräuter. Dann holte sie einen Topf, in dem sich eine Paste befand, die für Wunden aller Art geeignet war. Bevor sie jedoch die Paste auf meine Wunden verteilte, säuberte sie sie zuerst. Zum Schluss verband sie meine Füße mir zwei Leinentücher. "Du solltest versuchen, nicht so viel zu laufen. Aber du kannst mir bestimmt auch im sitzen helfen," sagte sie dann noch. Ich nickte und versuchte zu lächeln."Klar!"
    Der Hirte war inzwischen aufgestanden und schaute noch einen Augenblick seiner Frau zu, wie sie mich verarztete. Dann wandte er sich aber an Linos."Komm, wir gehen gleich an die Arbeit!"

  • ."Komm, wir gehen gleich an die Arbeit!"
    Dieser Satz brachte mich in die Wirklichkeit zurück. Nun wusste ich endlich was mit Caelyns Füßen oder besser gesagt Fußsohlen, los war. Wie dämlich waren unsere Herrschaften die Römer eigentlich? Bestraften ihre Sklaven mit Schlägen auf den Fußsohlen. So konnten wir bestimmt nicht für sie hin und her rennen, was sie doch so gerne sahen. Mir war als spüre ich selber die Schmerzen an den Füßen und so kam es dass mich ein wenig über mein Gejammere, von wegen meine arme Füße, schämte.


    Einen letzten Blick auf Caelyn werfend folgte ich dem Ziegenhirten nach draußen. Nun musste ich mich als typischer Mann des Volkes beweisen und arbeiten. Das einigste was ich von den erwähnten zu verrichtenden Arbeiten wusste war, dass sie gemacht wurden. Von dem wie hatte ich nicht die geringste Ahnung. Hätte der Ziegenhirte auf meine Hände geachtet, wäre ihm sicher klar gewesen, dass ich von diesen Arbeiten nichts verstand.

  • Ich sah Linos noch nach, als er mit dem Hirten nach draußen ging. Die Aussicht, den ganzen Tag mit dieser Frau verbringen zu müssen, die sich nicht mal die Mühe machte, ihr Unbehagen gegen uns zu verschleiern, war nicht gerade prickelnd. Kaum war sie mit meinen Füßen fertig, half sie mir auf, um mich wieder an den Tisch zu setzen. Sogleich tischte sie mir alle möglichen Aufgaben auf, die ich gut im sitzen erledigen konnte. Für einen Moment war ich an die Casa in Mogontiacum erinnert.
    Ohne zu meckern begann ich Gemüse zu putzen, das dann noch kleingeschnippelt werden musste. Danach brachte sie mir einen Korb voller Wäsche, die bereits gewaschen und getrocknet war. Ich sollte sie zusammenlegen und die Stücke, die ein Loch hatten, aussortieren. Als ich damit fertig war, drückte sie mir Nadel und Faden in die Hand. Ohne zu murren, flickte ich auch noch die löchrigen Kleider des Ziegenhirten und seiner Frau.
    Die ganze Zeit über sprach sie kein Wort mit mir. Sie beobachtete mich nur argwöhnisch. Ich dachte an Linos, was mit ihm war.


    Der Hirte war mit seinem Helfer zu einem Bach gegangen, wo einige Weidenbäume wuchsen. Sie hatten eine Leiter und ein scharfes Messer mitgenommen. Der Hirte war auf die Leiter geklettert und schnitt die biegsamen Weidezweige, die sie später als Flechtwerk für die Zäune benötigten. Als er damit fertig war, bedeutete er seinem Helfer, alle Zweige aufzulesen und sie gebündelt auf dem Rücken zu tragen.
    Vom Bauch aus ging es direkt auf den Berg. Der Hirte, der kaum Zweige trug, ging voran und gab somit das Tempo an. Nach etwa zwei Stunden hatten sie das Ziegengehege erreicht.
    "So, da wären wir. Kannst du Weiden flechten?",fragte er, ohne Linos eine Pause zu gönnen.

  • Wie kann man nur so dusselig sein, schimpfte ich mit mir selber, als ich hinter dem Ziegenhirte den Berg hoch hechelte.
    Ich kam mir wie ein Lasttier vor. Einer jener Esel die in einer Karawane über die Alpen zogen.
    Die Zweige aufheben und bündeln ging ja noch in Ordnung, doch dass ich nun alles alleine hier hochschleppte war schon etwas seltsam. Zu zweit hätten wir mehr tragen können und das Tempo wäre auch annehmbarer gewesen. Er war gewohnt die Berge wie eine Ziege zu erklettern und auch noch ohne Last rannte er immer ein großes Stück vor.
    Was dachte sich der Kerl eigentlich? Dass ich sein Sklave sei? Träumte er gerade den Traum seines Lebens und sah sich als Sklavenbesitzer?
    Ich ließ mich einfach auf die Erde fallen und antwortete sehr unwirsch: „Nein kann ich nicht, woher soll ich das können?“

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