Helvetius Milo

  • Der jüngste Hausbewohner kann ein geräumiges, helles und aufgeräumtes Zimmer sein Eigen nennen. Schöne Wandmalereien, Relikte besserer Zeiten, zieren die Wände und lenken Blicke auf sich, während die Ausstattung des Raumes eher schlicht ist. Ein Bett, ein Schrank, eine Truhe, ein kleines Regal mit ein paar Schriftrollen, ein Tisch und zwei Stühle sind alles was man im Raum findet.


    Wie immer dieser Tage waren die Fenster verhängt und der Raum so verdunkelt. Ledeglich ein paar flackernde Öllampen erhellten den Raum und tauchten ihn in ein düsteres Licht. Er selbst wollte es so, denn das Licht war böse und erinnerte ihn an die böse Welt da draußen. Seit Tagen hatte er nun nicht mehr sein Zimmer verlassen und sich zusehns abgeschottet. Nur sein Erzieher war noch erwünscht, denn er versorgte ihn mit allem Lebensnotwendigen und auch seinen Hund, das einzige Lebewesen zu dem er noch eine emotionale Bindung hatte.
    Milo war mittlerweile noch blasser und kränklicher geworden und sah furchterregend aus, weshalb sich auch keiner der Sklaven, mit Ausnahme seines Erziehers, mehr in das Zimmer traute. Sie munkelten sogar er wäre von einem Geist besessen, denn ein solches Verhalten war schließlich nicht mehr normal. Und tatsächlich war sein verhalten nicht mehr normal, denn auch heute saß er wieder geistesabwesend und in sich selbst versunken auf seinem Bett und streichelte den Hund, während sein leerer Blick gen Boden gerichtet war.
    Sein Erzieher saß währenddessen wie immer auf einem der Stühle im Zimmer und wachte über den jungen. Manchmal hatte er auch jetzt noch Momente an denen er halbwegs anwesend war und dann auch für Unterrichtseinheiten zu haben war. So lange, bis er wieder wegdämmerte. Im Grunde war es eine Schande was aus dem Jungen geworden war.

  • Aviana hatte den 'Niedergang' des kleinen Milo überhaupt nicht mitbekommen und erst durch eine zufällige Begegnung gesehen, wie sehr der Junge abgesackt war. Sie liefen sich selten über den Weg, Aviana gehörte selbst zu den Menschen, die durchaus dazu neigten, sich zurückzuziehen. Aber Milo hatte ausgesehen wie ein Geist. Sie hatte sich also vorgenommen, direkt nach dem Jungen zu sehen - und sie hatte sich daran gehalten. Sie wusste es nicht zu erklären, aber unmittelbar nach ihrem Vater fühlte sie sich dem kleinen Milo sehr verbunden. Es entbehrte jeder logischen Erklärung, es war einfach so.
    Entsprechend klopfte sie an die Tür von dem jüngsten Mitglied der Helvetier und hoffte, recht bald Einlass zu erhalten. Sie setzte sich nur ungern über seine Wünsche hinweg, das hatte sie anfangs noch getan. Inzwischen nahm sie große Rücksicht auf seine Privatsphäre, schließlich wurde auch er älter.

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    Dareius - Paedagogus


    Da Milo mal wieder wie weggetreten wirkte und von sich aus nicht einmal reagierte, sah sich sein Erzieher wenigstens in der Pflicht nachzusehen, wer ihn denn Aufzusuchen gedachte. In diesem Sinne erhob er sich, ging zur Tür und öffnete sie einen Spalt breit, denn er wusste ja nicht ob es nun wichtig war oder nicht. Unwichtige Angelegenheiten wären ohnehin zu viel für den Jungen gewesen. Da nun aber seine Herrin vor der Tür stand, öffnete er diese komplett und gab den Weg frei. Ihr konnte er wohl kaum den Umgang mit ihrem Neffen verbieten. "Salve Herrin.", begrüßte er sie und blieb an der Tür stehen, denn er wusste nicht ob die Herrin ihn aus dem Raum schicken wollte oder ob er noch gebraucht wurde.

  • Sie sah als erstes den Erzieher des Jungen - mit dem sie im Übrigen auch noch ein ernstes Wörtchen würde reden müssen.
    >Salve, Dareius.< grüßte sie den Sklaven also auch, aber nicht so freundlich, wie man es von der stets zuvorkommenden Aviana gewöhnt war. Sie sah aktuell nicht eben den zuverlässigsten Sklaven in ihrem Gegenüber und war enttäuscht.
    >Bitte warte vor der Türe, ich rufe Dich dann herein.< wies sie ihn verhältnismäßig knapp an und schritt dann an ihm vorbei und überließ es dem Sklaven, die Türe zu schließen.
    Welch seltsame Atmosphäre in diesem Zimmer herrschte. Es war so finster obgleich es dort draussen das beste Wetter war. Nein, mit diesem Jungen war wirklich gar nichts mehr in Ordnung. Mit langsamen Schritten näherte sie sich Milo, ihre Stirn war in Sorgenfalten zerfurcht. Ein kleiner Junge, wie es Milo war, sollte doch noch Freude am Leben haben. Ein alter Mann, gut, kann wirklich schlecht zuwege sein, aber Milo?
    >Milo?< fragte sie also leise und mit der warmen Stimme, wie sie Aviana nun einmal hatte. Immerhin hatte er seinen Hund bei sich. Wie es ihm wohl ohne die Fürsorge des Vierbeiners gehen würde? Er war deutlich größer geworden, seit Milo ihn mit nach Hause genommen hat. Aviana setzte sich zu Milo auf's Bett, wahrte aber dennoch eine gewisse Distanz.
    >Wie geht es dir?< fragte sie leise. Eigentlich war diese Frage unnötig, aber sie wollte ihn nicht gleich mit ihren Sorgen über den Haufen fahren.

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    Dareius - Paedagogus


    "Natürlich Herrin.", bestätigte der Sklave nur und verließ wie befohlen den Raum und zog die Tür hiter sich zu. Es war schließlich das gute Recht seiner Herrin zu befehlen dass er den Raum zu verlassen hatte, auch wenn er es ungern tat, schließlich wusste er nicht wie sein Schützling auf den Besuch seiner Tante reagieren würde.


    Der allerdings war tief in seine eigene Welt versunken und merkte nach wie vor nicht, dass jemand in den Raum gekommen war, anders als Bestia. Der Hund, der mittlerweile schon größer geworden war, hüpfte vom Bett und begrüßte Aviana mit einem Bellen und einem Stupser mit seiner kalten Schnauze. Er freute sich mal wieder jemand anderen zu sehen als die üblichen Verdächtigen.
    Jetzt wo sein Hund zum streicheln weg war, kehrte Milo allmählich gezwungenermaßen in die Realität, awar allerdings erst vollständig angekommen, als seine Tante bereits neben ihm saß. Zufällig bemerkte er sie als er schaute, wo sein Hund abgeblieben war.
    Einige Zeit musterte er sie dann mit seinen leeren Augen, ehe er zu sprechen begann."Tante Aviana, wie schön." Er sprach langsam und monoton und seine Worte strahlten eine gewisse Kälte und Gleichgültigkeit aus. Er freute sich nicht, dass seine Tante nach ihm sah, er verspürte gar nichts.

  • Avianas Sorge stieg, während sie Bestia sanft die Ohren durchknetete, ohne Druck oder Schmerz dabei auszuüben. Ach sie mochte diesen Hund, wenngleich er trotzdem auf eine sehr seltsame Art und Weise zu ihnen gestoßen war. Ihre Aufmerksamkeit galt aber nun vielmehr dem Jungen zu ihrer Seite, dessen Glück sie nicht durch Ohrenkneten wieder in diese Welt würde holen können.
    >Was hast du? Schau, ich weiß du ziehst dich zurück und ein wenig verstehe ich es, aber man sieht dich gar nicht mehr lachen und gar nicht mehr in der Welt da draussen. Was ist denn geschehen, dass es so ist?< erkundigte sich Aviana sorgsam nach ihrem Neffen. Sie versuchte gar nicht erst, wie mit einem kleinen Kind zu sprechen, das kam bei Milo noch nie an, seit sie ihn kannte und ihn ins Herz geschlossen hatte.
    Aviana ließ ihm freilich Zeit für eine Antwort und stellte keine weiteren Frage. Sie wollte das hier nicht schnell hinter sich bringen, wenngleich es doch durchaus unangenehm war, sondern sie wollte Milo helfen. Sie wusste nicht, ob sie dazu in der Lage war, aber sie wollte es wenigstens versuchen. Freundlich sah sie ihn an.

  • Milo wirkte nach wie vor unbeeindruckt vom Besuch seiner Tante. Viel wichtiger erschien ihm die Unversehrtheit seines Hundes, der nun mehr oder weniger das Zentrum Milos Aufmerksamkeit war. Er hatte Angst, dass sein Hund mit seiner Tante gehen würde und ihn alleine hier zurücklassen würde. Ein beängstigender Gedanke. Es war sein einziger Freund, sonst hatte er ja keine mehr. Alle hatten ihn allein gelassen. Ohne den Hund würde er gar nicht mehr leben wollen.
    Dann sprach seine Tante abermals, doch er bemerkte es erst viel zu spät, so dass er nur den letzten Rest mitbekam, den er auch gar nicht verstand und verstehen wollte. "Tante Aviana... ich verstehe nicht.", meinte er und ließ seinen Blick unruhig durch den Raum schweifen. Er war sichtlich unkonzentriert und die Anwesendheit seiner Tante beunruhigte ihn zusätzlich. Es behagte ihm gar nicht, dass sie hier war. Er fürchtete dass sie ihn auch verstoßen würde wie es seine Mutter getan hatte, jedenfalls empfand er es so.

  • Sie sah ihn nun selbst etwas verwirrt an. Wie, er verstand nicht? Das wiederum verstand sie nicht. Er war doch für gewöhnlich ein sehr helles Köpfchen, warum verstand er nicht, was sie ihm sagte? Skeptisch räusperte sie sich leicht und entschloss sich dann, ihre Hand auf sein Knie zu legen und ihn eindringlich anzusehen, sie sprach noch immer ruhig und freundlich, was Aviana, in Anbetracht ihrer Sorge, aber zunehmend schwieriger fiel.
    >Milo, wo sind denn deine Freunde?< versuchte sie also einen anderen Weg, mit dem sie nicht direkt in seine Gefühlswelt eindringen würde, sondern erst einmal das Drumherum erkunden würde. Immerhin, sie wusste, er hatte Freunde. Diese kleine Germanica war schon eine ganze Weile nicht mehr hier gewesen. Und dann diese größere Bande mit denen er ab und zu durch Rom zu streifen schien. Einmal hatte sie diese ja bei einer Keilerei erwischt.

  • Ein umso verwirrterer Blick kreuzte Avianas Blick, als sie sein Knie berührte. Das passte irgendwie gar nicht in sein Konzept hinein, dass er allen egal war, aber dennoch fühlte es sich unangenehm an, wenngleich es doch auf eine andere Weise wieder angenehm war etwas Nähe zu verspüren, die ihm in letzter Zeit komplett abhanden gekommen war.
    Dennoch: Es passte nicht, weshalb er langsam sein Knie zurückzog.


    "Denen bin ich doch egal.", meinte er und wirkte danach erstmals so wie er sich fühlte, traurig und niedergeschlagen. Er war der festen Überzeugung dass er seinen Freunden egal war und sie ihn deshalb nicht mehr sehen wollten. in Wahrheit war es allerdings andersherum. In Wahrheit wollte er seine Freunde nicht mehr Treffen aus Angst ihnen zu schaden oder dass sie ihn auch nicht mehr wollten wie seine Mutter. Gleiches galt für Sabina, nur dass er sie nicht mehr sehen konnte, wenn er nicht der furchtbaren Hexe begegnen wollte. Ausserdem war er ohnehin kein guter Umgang für sie, also war es schon fast besser, dass er sie nicht mehr traf, auch wenn ihm so ein wichtiger Teil in seinem Leben fehlte. Gleiches galt auch für seine Freunde, die ihm eigentlich immer sehr wichtig gewesen waren.
    Langsam schloss er seine Augen und atmete tief durch, ehe er die Augen wieder öffnete. Einmal mehr begriff er, dass er beinahe ganz allein auf der Welt war und jetzt auch noch ohne Freunde. Diese Welt gefiel ihm nicht mehr. Überhaupt nicht. Am Liebsten hätte er jetzt losgeheult, stattdessen flüchtete er sich wieder in seine Wunschwelt, in der alles gut war und wie immer schien alles bedeutungslos und unwichtig während er in dieser Traumwelt war und er dämmerte erneut weg.

  • Aviana wirkte nun noch ein wenig ratloser, als sie ihre Hand wieder zu sich zurückzog und den Neffen nachdenklich ansah. Es musste eine Lösung gefunden, der Junge würde sonst nie mehr aus sich herauskommen, da war sie sich sicher. Aber mit Drohungen würde sie nicht weiterkommen - und Aviana war ohnehin nicht der Mensch, der Drohungen aussprach.
    >Du bist ihnen gewiss nicht egal. Aber vielleicht solltest du dich auch um Menschen bemühen.< erklärte Aviana mit nicht eben leise Stimme und gab sich Mühe, von Milo, der wieder mit seinen Gedanken woanders zu sein schien, wahrgenommen zu werden. Das ging doch so nicht weiter.
    >Milo... He, Milo, hör mir mal zu.< rang sie also um seine Aufmerksamkeit. Ein wenig Lunte gerochen hatte Aviana mittlerweile endlich und wusste wenigstens halbwegs, wo sie nun ansetzen musste.
    >Ich hab dich sehr lieb und ich möchte dich wieder lachen sehen. Hast du einen Wunsch?< hakte sie also nach und wandte ihren Blick nicht ab von ihm. Sie war an der Grenze zum Starren und überschritt diese nur deshalb nicht, da sie begleitend zu ihren Worten viel an Mimik zur Schau brachte.

  • Diesesmal funktionierte seine Weise mit verwirrenden und bedrohlichen Erfahrungen umzugehen nicht, denn die Worte seiner Tante drangen tief in seinen Kopf und seine Welt ein, so dass er sie einfach nicht überhören konnte. Unfreiwilig kehrte er zurück ins Leben. Immernoch war sein Blick auf den Boden gerichtet. Seine Tante wusste ja gar nichts. Er konnte sich nicht um seine Mitmenschen bemühen. Seine Mitmenschen mochten ihn schließlich nicht und er brachte sie zudem noch in Schwierigkeiten, so wie Sabina. Es war seine Schuld, dass die Hexe sie nun zu Hause festhielt. Er hatte sie in Schwierigkeiten gebracht. Was wenn er auch seine anderen Freunde noch in Bedrängnis brachte? Nein, er hielt sich lieber fern von ihnen.
    Was seine Tante dann sagte ging ihm sehr nahe und trieb ihm die Tränen in die Augen. Es war unerwartet, aber genau das was er brauchte. Er brauchte jemanden, der ihn lieb hatte. Und er hatte auch einen Wunsch, nämlich dass seine Mutter ihn wieder lieb hatte. Nachdem er sich so mit ihr gestritten hatte, hatte er nämlich nicht mehr das Gefühl, dass dem so war.
    Nun suchte er wieder den Blickkontakt mit seiner Tante und blickte sie mit Tränen in den Augen an. Er hatte noch einen Wunsch, nämlich dass ihn einfach einmal wieder jemand in den Arm nahm.

  • Als Aviana sah, dass sie - endlich - eine Reaktion bei dem Jungen hervorgerufen hatte, trat ein intensiveres Lächeln auf ihr Gesicht. Selbst einen Wutanfall hätte sie beruhigt zur Kenntnis genommen, denn alles war besser als seine willenlose Automatisierung, die er in der letzten Zeit an den Tag gelegt hatte.
    Die warme, herzliche Aviana konnte zudem auch kaum widerstehen, als Milo den Blickkontakt zu ihr suchte. Nicht nur wegen ihrer beider rapiden Fortschritt, als vielmehr auch, dass er einfach herzzereißend auf sie wirkte. Auch ohne seinen inneren Wunsch also hätte sie die Arme geöffnet und ihn einfach umschlungen, ihn liebevoll an sich drückend, den kleinen Jungen.
    In diesem Moment war er für sie nämlich einfach nur noch 'ihr' kleiner Junge, den sie mit Liebe übergießen wollte. Nicht ihr Neffe, nicht Milo, nicht der kleine apathische Junge. Sie empfand einfach nur eine ziemlich große Dankbarkeit für seine Öffnung ihr gegenüber, die ihr widerum das Gefühl gab, auch für ihn nicht vollkommen nutzlos zu sein.
    >Ssht, alles wird gut.< sagte sie also leise und auch voller Überzeugung. Es würde dauern bis es gut würde, aber es würde gut.

  • Es gab kein Halten mehr für ihn, denn er wusste, dass jetzt der Moment für ihn gekommen war den ganzen Frust, die ganze Trauer, den ganzen Kummer der letzten Zeit loszuwerden und diese Möglichkeit nutzte er auch. Das erste mal seit Langem fühlte er sich nämlich geborgen und geliebt, etwas dass er bisher eigentlich nur bei seiner Mutter empfunden hatte, was ihm aber jäh abhanden gekommen war. Es fühlte sich so gut an und jetzt, wo er so lange darauf hatte verzichten müssen, lernte er es noch mehr zu schätzen. Diese Wärme die ihm seine Tante gab war im Grunde das, was ihm die ganze Zeit über gefehlt hatte. Dennoch hatte sein Bild, dass er sich in der letzten Zeit aufgebaut hatte, immer noch Bestand. "Nein, nichts wird gut. Alle hassen mich.", heulte er seiner Tante vor, irgendwann zwischen zwei besonders starken Heulperioden. Noch immer glaubte er daran, dass ihn niemand mehr leiden konnte und dass er niemanden gut tat, was wiederum Grund für ersteres war. "Sogar meine Mutter.", fügte er dann noch hinzu und schmiegte sich noch etwas enger an seine Tante. Er wollte ruhig noch etwas Zuneigung erfahren ehe sie ihn wieder verstieß, jedenfalls nahm er an dass das geschehen würde. Alle hatten ihn schließlich verstoßen.

  • Man konnte ihren Gefühlszustand nicht anders als 'geplättet' umschreiben. Es war das erste Mal, dass sie erlebte, dass Milo eben doch noch ein Kind und kein Mann war. Und es war völlig in Ordnung für sie. Natürlich war sie keine Mutter und würde es wohl so bald auch nicht werden, aber dennoch wusste sie sehr gut um Milos Gefühle. Nun, da er sich doch so menschlich zeigte, wuchs ihre Zuneigung nicht unerheblich.
    >Niemand hasst dich, Milo. Und auch wenn du mir das jetzt vielleicht nicht glaubst, so kann ich dir wenigstens versichern, dass ich eben die Wahrheit sagte. Ich hab dich auf jeden Fall sehr lieb.< tröstete sie und strich vorsichtig über seinen Schopf, ihn mit beiden Armen haltend. Sie lächelte ganz leicht, auch wenn die Situation traurig war. Sie hatte einen für sie riesengroßen Schritt geschafft. Sie hatte Zugang zu ihrem Neffen, der nun in diesem Haus nicht mehr so allein sein würde - und sie auch nicht.
    Auch Bestia merkte deutlich den Gefühlsumschwung und stubste Milo von unten her mit der feuchten Nase an, fiepte leise und wusste nicht so recht, wohin.
    >Keine Mutter hasst ihr Kind.< flüsterte Aviana dann leise. Sie kannte seine Mutter nicht, aber dass sie ihren Sohn hasste, war absolut unwahrscheinlich. Man trug ein Kind über Monate in sich, es war unmöglich es nicht zu lieben. Davon jedenfalls war Aviana überzeugt.

  • Es bedeutete ihm unglaublich viel, dass seine Tante jetzt hier war und noch viel mehr, dass sie ihm beistand. Er fühlte sich im Moment so gut wie lange nicht mehr und das nur weil er endlich wieder das Gefühl hatte geliebt zu werden. Weil er sich endlich wieder beachtet fühlte.
    "Danke Tante Aviana, danke.", heulte er und sogar ein kleines Lächeln legte sich auf seine Züge. Er war seiner Tante unglaublich dankbar und würde ihr nie vergessen, was sie für ihn tat. Und auch Bestia schien zu bemerken, dass er sich im Moment anders fühlte als die ganze letzte Zeit und versuchte ihn aufzumuntern. Milo beantwortete diese Geste indem er seinem Hund kurz hinter dem Ohr kraulte.
    Dennoch war seine Tante bisher allein mit ihrer Haltung ihm gegenüber. Seine Mutter hasste ihn nach wie vor, das wusste er und sagte er auch. "Doch, sie hasst mich." Aviana wusste ja gar nicht wie es gewesen war, als er bei seiner Mutter zu Besuch gewesen war. Die Stimmung war angespannt und distanziert und letztlich eskalierte sie in einem Streit in dem sie auch auseinandergegangen waren. Sie hasste ihn, das fühlte er. Aber wie sollte sie das auch wissen, schließlich hatte er niemandem erzählt, was passiert war, als er zu Besuch war. Nur sein Erzieher wusste es, schließlich war er auch dabei gewesen.

  • Aviana hatte eher das Gefühl, dass es Mio derzeit so schlecht wie noch nie zuvor geht. Aber wenn dieses Gespräch vorbei war, dann würde es schlagartig bergauf gehen. Nachwievor strich sie ihm sanft und beruhigend über das Haupt. Sie hätte es wirklich niemals für möglich gehalten, dass dieser Junge einmal doch derart Vertrauen zu ihr fassen könnte, wie er es nun tat. Nein, wirklich nicht.
    >Warum denkst du denn, dass sie dich hasst?< fragte Aviana leise. Sie wollte seine Vermutungen nicht einfach nur abtun und ein paar beruhigende Floskeln lassen, wie es wohl die meisten täten. Nur ernsthaftes Interesse konnte Milo nun helfen, manche waren nur mit hohlen Phrasen um sich. 'Es wird schon alles wieder gut." oder 'Mach dir nicht solche Sorgen!' waren Sätze, die man dauernd und von jedem zu hören bekam und die in etwa so hilfreich waren, wie die Pest in einer Schlacht. Nicht einmal Aviana konnte diese Sätze leiden. Sie hatte sich immer gedanklich die Ohren zugehalten, wenn solche Worte auf sie zurollten. Für sie klang es immer eher wie ein 'Nun sei ruhig und hör auf mich so da reinzuziehen. Find dich damit ab, dass es wieder irgendwann anders aussieht.' und das war inakzeptabel.
    >Hm?< hakte sie also mit freundlichem Lächeln zu und schmiegte sich an den Jungen. Ich bin da! - hieß diese Geste. Und sie war da. Sonst so oft unkonzentriert war nun jede Phaser ihres Körpers bei diesem Gespräch.

  • Es dauerte nicht sonderlich lange bis er die Tränen zurückgedrängt hatte und wieder halbwegs Herr über sich selbst war. Er wusste dass Tränen nichts brachten, denn sie halfen ihm nicht. Das hatten sie noch nie und die Sehnsucht nach seiner Mutter hatten sie auch nie befriedigt. Auch jetzt halfen sie ihm kein Stück. Was aber half war nach wie vor seine Tante, die dafür sorgte dass er sich wenigstens im Moment besser fühlte. Auch die Gewissheit, dass wenigstens sie für ihn da war, war ein gewaltiger Trost für ihn, wenngleich sie damit immer noch allein stand.
    "Als ich zu Besuch war, war es als wäre sie mir fremd und ich ihr. Wir haben gestritten und sie hat mich angeschrien und mir eine verpasst, so wie Vater es getan hat. Sie hasst mich.", erzählte er zögerlich, denn es war ihm nicht geheuer so etwas zu erzählen. Überhaupt erzählte er nur sehr selten von sich und seinen Eltern. Allein von der Tatsache, dass sein Vater ihn geschlagen hatte wussten bisher nur er und seine Mutter. Dennoch, er verspürte etwas, Vertrauen, und er wollte sich seinen Frust von der Seele reden, jedenfalls einen Teil davon. Bisher hatte er immer Sabina gehabt, der er sich anvertrauen konnte, doch das war einmal und nun musste er mit seiner Tante vorlieb nehmen und sie ins Vertrauen ziehen. Ein anderer Teil von ihm aber sagte, dass er bereits viel zu viel erzählt hatte. Er war wieder hin und hergerissen und das belastete ihn wiederum.
    Unsicher begann er nun seine Tante zu mustern. Ihr freundliches Gesicht, ihr Lächeln, ihr gesamter Anblick. Noch immer war er sich nicht ganz sicher ob er sich ihr öffnen konnte. Er musste, sonst würde er zugrunde gehen. Er musste seine innere Leere füllen, irgendwie. “Tante Aviana, ich … ich fühle mich so leer. Und allein gelassen… ganz allein., gestand er ihr schließlich niedergeschlagen von der Gewissheit, dass es so war, beinahe flüsternd. Es waren schwere Worte die ihn sich noch viel verzweifelter fühlen ließen.

  • Aviana war entsetzt. Sie wusste ja, dass Milo aus schwierigen Verhältnissen kam, aber dass es so arg war? Sie selbst hatte mit ihrer Mutter bei Onkel und Tante gelebt. Diese waren selbst sehr streng gewesen und dennoch hatte Aviana viel zu lachen gehabt. Die Hand gegen sie wurde niemals erhoben, aber damit lag sie wohl ohnehin über dem Durchschnitt eines Kindes.
    Sie drückte Milo fest an sich, als brauche sie nun selbst ein wenig Trost. Nun, in Wirklichkeit war es auch so, aber Milo würde es sicher nicht merken. Es bedrückte sie sehr. Am liebsten wäre sie die Mutter des kleinen Jungen.
    >Es ist schwierig, da weiter zu widersprechen.< gab Aviana etwas geknickt zu. Ob sie mal mit Milos Mutter sprechen sollte? Die Reaktion würde ja alles sagen. Auf jeden Fall würde sie sich etwas überlegen müssen. Entweder eine klare Absage oder eine klare Zusage, aber dieses Gefühlschaos würde sie nicht weiter rechtfertigen und mit Ansahen können.
    >Aber dein Alleinsein kann ich beenden. Warum bist du denn nicht einfach zu mir gekommen? Ich weiß ja, dass ich mich auch viel zurückziehe, aber mach das nicht nochmal, hörst du? Ich dachte neulich ich sterbe vor Sorge, als ich dich so blass gesehen habe. Ich bin für dich da, wenn etwas ist. Und vielleicht finden wir ja auch gemeinsam einen Weg.< erbot sie sich mit ungewöhnlich vielen Worten. Sie würde den Jungen nicht mehr allein lassen (wollen). Natürlich musste er es auch zulassen, das konnte sie ihm nicht abnehmen.

  • Auch wenn sie es wohl nicht merkte, aber er ahnte, dass er sie mit seinen Problemen belastete und das belastete ihn wiederum. Er sah es in ihren Augen. Sie war so gut zu ihm und wie dankte er es ihr? Auch ihre abermalige Umarmung konnte ihn nun nicht trösten. Vielleicht war es ja wirklich am Besten, wenn sie gehen würde wie alle anderen und ihn einfach zugrunde gehen ließ. Ein Problem weniger, mit dem sie sich beschäftigen musste. Er hätte es ihr wohl auch glatt vorgeschlagen, wäre da nicht dieser Trieb gewesen, der Trieb der wollte, dass alles wieder gut wurde und dass es ihm wieder besser ging. Der Trieb, den seine Tante in ihm geweckt hatte.
    „Sag ich doch, sie hasst mich. Meine Mutter hasst mich.“ , meinte er beinahe schon gleichgültig, obwohl es ihm nicht gleichgültig war. Er liebte seine Mutter und es schmerzte ihn dass sie ihn nicht mehr wollte. Es hatte ihn immer geschmerzt, dass sie nicht bei ihm war, aber er hatte sich immer damit getröstet, dass sie alles nachholen würden, wenn er bei ihr zu Besuch war.
    Er fühlte sich nun absolut bestätigt in dem, was er schon gewusst hatte. Wenn ihn seine Mutter schon hasste, dann musste er auch wirklich hassenswert sein und es grenzte da schon an ein Wunder, dass seine Tante ihn nicht hasste. Er würde wohl erst endgültig von dieser Überzeugung abweichen, wenn er sich mit seiner Mutter ausgesöhnt hätte, aber da war immer noch das Wörtchen wenn.
    „Ich… weil das habe ich immer schon so gemacht. Ich will niemanden mit meinen Sorgen belästigen und ausserdem versteht mich doch eh keiner, nicht einmal Sabina. Jedenfalls habe ich das geglaubt.“ , gestand er ihr dann fast schon flüsternd ein. Bisher hatte er seine Sehnsucht und seine Probleme immer heruntergeschluckt und war auch damit zurecht gekommen, bis jetzt.
    Gemeinsamer Weg… das klang gut, aber wie wollte sie ihm schon helfen? Sie mochte ihn, aber die anderen nicht, allen voran seine Mutter. Sie würde ihm nur helfen können, wenn sie dafür sorgte, dass das nicht mehr so war. Aber vielleicht hatte sie nicht Unrecht. Rückzug war nicht immer die beste Option. Vielleicht sollte er ja doch einmal wieder sein Zimmer verlassen. Bestia würde es bestimmt freuen und ihm würde es gut tun.

  • Aviana schwieg einen Moment länger, dachte etwas intensiver nach, um eine vernünftige Antwort bieten zu können. Wenn sie so etwas von anderen erwartete, war es schließlich eine Selbstverständlichkeit, den ‚Service‘ selbst entsprechend zu bieten.
    >Ach, Milo, mach dir mal keine Gedanken darüber, dass du andere belastest. Wer das nicht möchte, wird schon ablehnen. Ansonsten gilt der Grundsatz, dass geteiltes Leid halbes Leid ist. Dein Kummer bereitet mir nur insofern Kopfzerbrechen, wie ich ihn dir nehmen kann. Aber für dich ist er eine noch viel größere Last. Und wer weiß, eines Tages stehst du sicher auch mal hinter mir, mh?< erklärte sie also ihren Standpunkt, der absolut Avianas Prinzipien entsprach und auch gut gewählt war – fand zumindest die junge Helvetia.
    >Ich mach mir größere Sorgen wenn du dich so einschließt und ich von dir nichts mehr zu sehen bekomme, weißt du? Dann komm lieber bei jedem kleinen Kratzer sofort zu mir, dann weiß ich immer, wie es um dich gerade steht. Versprichst du mir das?< bat sie ihn und sah ihn eindringlich an. Seine Mutter ließ sie nun erst einmal aus dem Gespräch, wenn Milo sie nicht wieder ansprach. Sie wollte keine weiteren Wunden schlagen sondern selbst mit dieser Person Kontakt aufnehmen. Vorher würde sie ohnehin nur über ihre Beweggründe mutmaßen können, und das half weder ihr noch Milo.
    >Es ist erlaubt, schwach zu sein. Nicht immer und überall - aber zuhause schon. Egal welchen Geschlechts man ist, woher man kommt und wie alt man ist. Weißt du, selbst mein Vater braucht auch offene Ohren und belastet mich nicht.< lächelte sie.

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