Ein Haus am Stadrand

  • Eginhard war zusammen mit seinem Begleiter Edzard - nach einigen Fragen nach dem Weg - am Haus eines einstigen Kriegers aus seiner Sippe, der sich in der Classis das Bürgerrecht verdient hatte, angekommen. Wenngleich Ucko, der nun Marcus Servitius Arius hieß, römischer Bürger war, galt immer noch seine alte Gefolgschaft gegenüber dem Fürsten Eginhard, dessen Sohn nun vor der Tür stand.


    Eginhard junior war abgesessen und stützte sich auf seine Reiterlanze, als er darauf wartete, dass der Sklave seinen Herrn informieren würde, wer da stand. Nach einiger Zeit kam ein älterer Mann in Tunika an die Tür. Er betrachtete kurz die beiden Friesen, dann schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht. "Eginhard, Sohn des Eginhard! Das hätte ich ja nie gedacht! Was macht dein Vater denn so, Junge?" Er sprach Latein, aber das war kein großes Problem für Eginhard.


    "Er sorgt immer noch für Frieden und gute Handelserträge. Und trotzt noch immer der See. Darf ich reinkommen? Und mein Begleiter Edzard auch? Und wo können wir unsere Pferde abstellen?" Eginhards Latein klang zwar nicht ganz so römisch wie das des alten Mannes, aber die Begrüßung sprach dafür, dass er das richtige Haus gefunden hatte.


    "Aber natürlich dürft ihr reinkommen! Um die Pferde kümmert sich mein Sklave. Jetzt erzähl' doch mal, wie war die Reise? Was treibt dich überhaupt hierher?"


    Sie gingen ins Haus. "Die Reise war ganz in Ordnung. In den Alpen haben wir uns gegen ein paar Banditen wehren müssen, aber die sind jetzt kein Problem mehr."


    "Der Irre hat sie gnadenlos verfolgt, bis er auch den letzten aufgespießt hatte," sagte Edzard mit seiner rauen, ruhigen Stimme auf Friesisch.


    Mit dem Irren war natürlich Eginhard gemeint, der das mit einem finsterenm Blick quittierte. "Niemand greift mich ungestraft an."


    "Gnadenlos isser."


    "Und wenn schon!" Eginhard wandte sich wieder seinem Gastgeber zu, der seine Stirn leicht runzelte. "Der Grund, weshalb ich hier bin, ist, dass ich Rom und seine Kultur besser kennenlernen will. Die Kultur, vor allem die Technik, fasziniert mich. Sie beherrschen das Wasser! Das ist doch großartig! Sie beherrschen das Wasser!"


    "Das stimmt. Und jetzt sucht ihr eine Bleibe? Bitte, nehmt meine Gastfreundschaft an. Ich freue mich, den Sohn meines alten Freundes und seinen Begleiter zu beherbergen. Möchtet ihr etwas essen? Brot? Wein? Einen Eintopf?"


    Eginhard nickte. "Gerne. Und vielen Dank. Ich möchte dir aber nicht allzu lange zur Last fallen. Ich will nur ein wenig die Stadt erkundigen und mir dann ein wenig geld verdienen. Ich habe gehört, dass man auf der anderen Seite keine Waffen tragen darf?"


    Arius nickte. "Das stimmt."


    "Hmm... zählt eine Axt auch als Waffe?"


    "Hängt von den Beamten ab. In den Händen eines Hünen wie dir, gilt sie wahrscheinlich als Waffe."


    "Na gut, dann muss es ohne Axt gehen. Aber erstmal wäre ich dankbar für ein Bett und etwas Brot und Eintopf."


    Arius zeigte Eginhard sein Gästezimmer und sorgte dafür, dass er verpflegt wurde. Edzard machte sich erst einmal auf den Weg in den Stall, um sich um die Pferde zu kümmern. Als er zurück kam, war Eginhard schon am schlafen.


    Sim-Off:

    kursiv = Friesisch

  • Wenige Tage später, in denen die beiden Gäste aus der Ferne die Gastfreundschaft des Arius genossen hatten, saßen alle beim Abendessen. Sie sprachen friesisch, wenngleich Arius' Frau Römerin war und so nichts von dem Gesagten verstehen konnte. Edzard hingegen sprach kein Latein, so dass Eginhard diese Variante für die sinnvollste hielt.


    "Ucko, ich danke dir für deine Gastfreundschaft. Du hast uns wirklich eine große Ehre erwiesen und wir danken dir dafür." begann Eginhard das Gespräch.


    Arius sah ihn fragend an. "Das klingt ja fast so, als wolltest abreisen."


    "Das will ich auch."


    "Warum? Ich dachte, du wolltest hier etwas über Rom lernen?" fragte Arius, während Edzard zwar ab und zu von seinem Essen aufblickte, jedoch wenig von dem Gespräch mizubekommen schien. Eginhard wusste aber, dass dem nicht so war.


    "Nun, ich denke, dass ich die wichtigste Lektion über Rom bereits gelernt habe. Oder über Römer." Eginhard dachte dabei an die Worte, die er von Aurelius Lupus gehört hatte.


    "Heißt was?"


    "Heißt, dass ich jetzt weiß, was ich wissen muss. Also kann ich wieder zurück nach Hause." Eginhard hob seine Hand, um einer weiteren Frage des Arius einhalt zu gebieten. Dieser schloss seinen Mund wieder und schüttelte den Kopf.


    Die Gruppe beendete ihr Essen schweigend, dann ging Eginhard auf sein Gästezimmer und packte sein Sachen.

  • Während Eginhard mit packen beschäftigt war, betrat Edzard das Zimmer.


    "Du urteilst also nur wegen einer Sache. Dachte immer, du betrachtest alles. Hab mich wohl geirrt," eröffnete Edzard ruhig das Gespräch.


    Eginhard sah ihn fragend an. "Ich verstehe nicht."


    "Von ein paar hohen Herren lässte dich verärgern und verurteilst ganz Rom."


    "Die 'hohen Herren', mein lieber Edzard, sind Rom."


    "Blödsinn! Die einfachen Leute sind Rom! Die Handwerker! Die Bauern! Leute wie Ucko! Oder biste so stolz darauf, Sohn vom Fürst zu sein, dassde nur die hohen Herren wichtig findest? Nu? Isset so?"


    Eginhard war erstaunt. So viel sprach Edzard eigentlich nie. Und außerdem hatte nie zuvor jemand so mit Eginhard gesprochen. Mit Ausnahme seines Lehrers. Das Schlimmste aber war: Edzard hatte recht. Eginhard legte seine Sachen beiseite und sah eine Weile aus dem Fenster, dann wandte er sich wieder seinem Begleiter zu. "Nun gut, dann bleibe ich halt. Aber ich werde vorsichtiger sein. Du allerdings wirst zurückreiten und Bericht erstatten." Er kramte noch die Reisekasse hervor und gab Edzard genügend Geld mit, um bis Friesland reisen zu können. Dann ging er wieder zum Fenster und betrachtete den Innenhof des Hauses und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.

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