[MARE INTERNUM] In eine nicht ganz so ungewisse Zukunft

  • Seeleute fürchteten Stürme, das wusste jedes Kind. Doch was die Mannschaft der Excelsa - der Erhabenen - , Sermos Reisegefährt auf See, noch mehr fürchtete, war Flaute. Gut für die Nautae also, dass es Herbst war, denn damit war es grundsätzlich ordentlich windig auf See. Schlecht für Issa, der offensichtlich noch niemals auf einer schwimmenden Planke gestanden hatte. Der arme Kerl erbrach sich seit ihrem Auslaufen aus Massilia vor drei Tagen am laufenden Band über die Reling. Die Nautae lachten immer wieder laut, wenn sie an ihm vorüberliefen. Es gab immer irgendeine Landratte, die den Wellengang nicht aushielt. Und ausgerechnet heute ging es hoch her auf dem Meer.


    Sermos Reise hatte unproblematisch begonnen. Nach seiner Abreise in Mogontiacum hatten Sermo und Issa in strammem Ritt gen Südwesten die Alpes umrundet. Sie waren bei Wind und Wetter gereist und Sermo kannte auch kein Erbarmen, als sich auf halber Strecke die ersten Regengüsse des Oktobers über sie ergossen. Issa war an diesem Punkt bereits zum hundserbärmlichen Jammerlappen mutiert. Sein Hintern war völlig wundgeritten, der Rücken schmerzte von den harten Tavernenbetten und er hatte einen Schnupfen. Ganz zu schweigen vom Muskelkater in den Beinen, die ihm sogar das Gehen beschwerlich machten. Sermo war da nicht so zimperlich. Muskelkater hatte er zwar auch, aber er hatte in seiner Jugend das Reiten gelernt und war ohnehin ein freund des Spartanischen, wenn er doch auch nicht gelegentlichen Luxus verachtete.
    In Massilia angekommen hatten sie schließlich die Pferde wieder verkauft - Seereisen vertrugen die Tiere ja im Allgemeinen sehr schlecht und bei der Legion würde er sich wohl ein kampferprobtes Tier aus den Ställen suchen können - und sich ein Schiff gesucht, das nach Süden wollte. Bei Sermos Glück war natürlich niemand zu finden, der Alexandria in direkter Route ansteuerte. Aber der Nauarchus der Excelsa wollte nach Carthago und das lag direkt auf Sermos Weg, womit sie schnell übereingekommen waren, dass der Quintilius und sein Sklave an Bord gehen durften, die entsprechende Reisegebühr vorausgesetzt, versteht sich.


    Drei Tage fuhr man unter idealen Wetterbedingungen von Massilia nach Ostia. Sermo spähte auf das Meer hinaus. Drei Tage waren viel Zeit zum Nachdenken, wenn der Leibsklave die Hälfte der Zeit kotzend verhindert war und man keine Lust mehr auf Gesellschaftsspiele mit der Mannschaft hatte.
    Sermo seufzte. Ob vor Erleichterung oder vor Aufregung konnte er nicht recht sagen. Diese Reise führte ihn nach Nikopolis. An den Ort, der ihm die nächsten Jahre Heimat sein würde. Den Ort, an dem er sich seine Sporen verdienen wollte, als Tribunus Angusticlavius der Legio XXII Deiatoriana. Genau wie sein Vater es bei der Legio II Germanica getan hatte. Vater wäre stolz auf ihn gewesen. Nicht nur, dass er intelligent genug gewesen war, überhaupt so lange zu überleben (im Gegensatz zum Rest seiner Geschwister, die irgendwo und irgendwie an irgendwas krepiert waren). Nein, er schien auch von Fortuna derart gesegnet zu sein, dass er nicht in irgendwelchen unteren Dienstgraden herumkreuchen musste, um sich das Überleben zu sichern. Nein, Sermo war jetzt Tribun! Er war Eques Imperii und konnte damit bereits behaupten, es weiter gebracht zu haben als der überwiegende Teil der Bevölkerung des Imperium Romanum, womit der Quintilius mit einem Anflug von Arroganz an den Pöbel dachte, der sich auf den dreckigen Straßen des Reiches mit harter Arbeit das tägliche Brot verdienen musste. Sermo hatte allen Grund stolz zu sein. Wäre sein Vater noch am Leben, er hätte Luftsprünge gemacht. Und seine Mutter erst! Er sandte ein stilles Dankgebet an seine Eltern und hoffte, dass er irgendwann ebenfalls Kinder haben würde, die so zu ihm aufschauten.
    Aber dafür musste er erst einmal eine geeignete Frau finden, die ihm Nachwuchs gebären konnte. Nachdenklich runzelte Sermo die Stirn und stützte die Ellenbogen auf die Reling auf, leise schnaubend. Die letzte Kandidatin, die er im Auge gehabt hatte, stellte sich relativ schnell als nicht ganz adäquat heraus. Decima Seiana war zwar einflussreich und vor allem auch sehr reich an Geld. Aber er hatte schließlich ein ungutes Gefühl angesichts ihrer Verwicklungen, insbesondere ihrer familiären Situation und der vermeintlichen Opposition zum Praefectus Urbi, bekommen. Und so war er jetzt wieder ohne Aussicht auf Heirat und trieb auf einem Schiff im Mare Nostrum seiner Zukunft entgegen. Immerhin war diese Zukunft aber nicht so ungewiss, wie sie es damals war, als Sermo nach einigen Studienjahren in Griechenland nach Rom zurückkehrte.
    Sermo hatte einen festen Posten im Stab einer Legion, hatte ein ordentliches Kapitalpolster und freute sich auf eine Provinz, die ebenso vielfältig, aber zum Glück wesentlich wärmer als Germania Superior zu sein versprach. Und Aegyptus schien eine Provinz zu sein, die auch nicht wenige Herausforderungen bot. Sermo stellte sich schon endlose Sandwüsten und den drohenden Verdurstungstod vor, oder die Gefahren des Nilus, vor dessen zähnefletschenden Ungetümen und tödlichen Fieberkrankheiten er schon gewarnt worden war. Wie dem auch sei, Sermo war bereit. Er wollte die Herausforderung annehmen und diese Etappe in seiner Laufbahn antreten und er würde sie erfolgreich abschließen, da war er sich ganz sicher. Sermo würde als gerühmter Offizier des Exercitus nach Rom heimkommen und dort gefeiert werden und mit Ehren überschüttet werden. Ja, davon träumte er gern. Und dann rief er sich ins Gedächtnis, dass sein Vetter sich einst mit Vescularius Salinator angelegt hatte und ärgerte sich sehr. Valerian war manchmal einfach nur ein Dummkopf! Aber dieser Zwischenfall schien bisher Sermos Aufstieg ja noch nicht sonderlich beeinträchtigt zu haben. Vielleicht lag das daran, dass er noch keine große Nummer war. Ja, das musste es wohl sein. Sermo gestand sich ein, dass er - so angesehen ein Tribunat auch war - noch nicht so viel erreicht hatte, dass er überhaupt vom Vescularius Beachtung geschenkt bekam. Das war vielleicht auch ganz gut so. Aber irgendwann kam Sermo wohl oder übel nicht mehr um den Mann herum. Wie gut, dass sein Patron Purgitius sich offensichtlich wesentlich besser beim Praefectus Urbi gestellt hatte, als man das im Allgemeinen von Senatoren wohl behaupten konnte. Denn immerhin war Kaeso Annaeus Modestus - Klient des Purgitius - Statthalter Germania Superios geworden. Und Appius Terentius Cyprianus war sogar Praefectus Praetorio, wenn man den Meldungen glauben schenken konnte! Ja, das war Sermo Traumziel. Irgendwann würde er in Rom einen Posten einnehmen, der Ansehen, Reichtum und vor allem eins brachte: Macht. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was er als Praefectus Praetorio wohl alles würde tun können.


    Aber das alles lag noch in weiter Ferne. Viel greifbarer war für Sermo doch die Realität, und die sah in diesem Moment nicht gerade sonnig aus. Backbord lag die Küste, die an diesem Tag undeutlich zu sehen war, denn der Himmel war trüb verhangen und die Sicht war nicht sonderlich gut. "Das da sieht nicht gut aus," unterbrach der Nauarchus da Sermos Gedanken. Der Kapitän war unbemerkt an die Reling getreten und spähte nun neben Sermo ebenfalls zum Horizont herüber. Im Süden, wo Ostia liegen musste, war der Himmel noch dunkler geworden. Derweil wurden die Winde stärker. "Was's nich' gut?!" krächzte ein sichtbar entsetzter Issa von links, der sich gerade mit dem Handrücken über den Mund fuhr. "Sieht nach...Sturm aus?" antwortete Sermo mit einem fragenden Seitenblick auf den Nauarchus, der zustimmend nickte. "Bona dea..." stöhnte Issa, der sich rücklings auf die Schiffsplanken plumpsen ließ. Der arme Kerl sah so aus als wäre er einer Panikattacke nahe. Schisser dachte sich Sermo, der bereits einige Male zur See gefahren war. Und doch, so richtig wohl war ihm nicht in seiner Haut. Sorgenvoll richtete er den Blick erneut zum Horizont, während der Nauarchus bereits begann, Befehle zu brüllen und es mit einem Mal auf Deck hektisch zuging. Und von links erklang wieder ein gequältes ängstliches Würgen...

  • Schnell raste der Sturm auf die Excelsa zu. Die Erhabene. Wenn man genauer hinsah, war sie gar nicht so erhaben. Die Excelsa war eine Zwei-Mast-Corbita, die ihre besten Jahre schon längst gesehen hatte. Ihr Erbauer hatte bei der Namensgebung wohl durchaus keinen schlechten Griff getan. Doch im Laufe der Zeit war die Excelsa mangels regelmäßiger Pflege definitiv so heruntergewirtschaftet worden, dass man sie beinahe als schäbig bezeichnen konnte. Sermo war das natürlich im Hafen von Massilia nur unwesentlich - wenn überhaupt - aufgefallen. Und solange die Kiste ihn nach Carthago brachte, war ihm auch egal wie sie aussah.


    Darüber dachte er jetzt anders. Gerade ächzte der Hauptmast wieder gequält im reißenden Sturm. Die Böen hatten das Segel, das zu spät eingeholt worden war, schon längst in Scheibchen geschlitzt. Wie breite Peitschen schlugen die Fetzen über das Deck und erwischten so manchen unvorsichtigen Nauta, den sie beim nächsten Windstoß mit in die Luft rissen. Verzweifelte Schreie gellten durch die Dunkelheit, vom Sturmbrausen gnadenlos verschluckt. Es toste und wütete, als zürnten die Götter dieser Nussschale, wie sie einem Tempelschänder zürnen würden.


    Sermo klammerte sich verzweifelt an die Reling im Versuch sich langsam an eben dieser seinen Weg zum Bug voranzukämpfen. Die Wellen peitschten ihm salziges Meerwasser ins Gesicht und seine Tunika klebte bereits nass und klamm an seiner Haut.


    "ISSAAAAARGHLBLLL PFFFffffffffärch" Der Ruf wurde erstickt in Gischt und endete mit einem kläglichen Husten, während Sermo sich krampfhaft und in Todesangst am Geländer festkrallte. Dieser verdammte Sklave! Der Junge war irgendwo am Bug gewesen, wo er sich wieder - oder immer noch - die Seele aus dem Leib gekotzt hatte. Und dann war der Sturm über sie hereingebrochen, natürlich ohne dass dieser Depp von einem Sklaven das auch nur im Sekundenbruchteil eines wachen Moments hätte selbst voraussehen können. Hatte Sermo ihm nicht schon die Sturmwolken gezeigt? Hatte er nicht gewarnt, wie ein Vater seinen Sohn vor den Brennesseln am Wegesrand warnt? Nein, Issa hatte sich in seinem Irrisinn ins Gestrüpp geworfen. Und was war nun? Er saß mit dem Hintern in den Brennesseln! Und wer durfte den holden Retter spielen? Sermo natürlich.


    "Domi..." Der panische Ruf des Hilflosen war nur schwer zu vernehmen im Tosen des Sturms, doch Sermo zögerte nicht, sich in die halbwegs bestimmbare Richtung vorzukämpfen. Ohnehin gab es für ihn nur vorwärts oder rückwärts, denn die Reling loszulassen traute er sich gewiss nicht in dieser Achterbahnfahrt auf den sich aufbäumenden Wellenbergen. Und wieder preschte die Excelsa den Abhang aus kaltem Nass hinab, als sie den wässernen Bergrücken überwunden hatte und Sermo musste sich wie irre am Holz festklammern, das bereits genauso durchnässt wirkte wie seine Tunika. "ISSAAAA!" brüllte er einmal mehr hinaus in die sturmerfülllte Dunkelheit.


    "HIER!" kam es von dort zurück. "HI...ÄRgllblll." Da vorn musste er sein. Ganz nah. Direkt vor ihm. "Ich komme!" brüllte der Dominus, gleichgültig ob er überhaupt vernommen wurde im Lärm des Unwetters. Er kämpfte sich voran, Fuß um Fuß, Ellenlänge um Ellenlänge entlang der Reling. Ein verzweifeltes Kreischen begleitete einen Nauta, der wie ein totes Blatt im Herbstwind übers Deck gefegt wurde und vor Sermos Augen von der Dunkelheit jenseits des Schiffs verschluckt wurde. Jetzt aber schnell dachte der Quintilius ängstlich bei sich und zog sich ein Stück weiter entlang der Reling, als sich das Schiff erneut aufbäumte und sich zum Wellengrat hinaufschwang. Sie würden das hier nicht schaffen, da war er sich fast sicher. Ihr Götter, warum lasst ihr mich hier ersaufen?


    "Neptunus! Ich rufe dich an!" Sermos Stoßgebet kam plötzlich, sprudelte von Menschenohr ungehört aus ihm hervor. "Ichaapfffff....willlll..." Husten und Röcheln unterbrachen seine Worte, während der Griff ums glitschige Holz sich verstärkte. "DIR..." Sermo konnte nicht weiter sprechen, denn in diesem Moment zog ein besonders bedrohliches Knirschen und Knacken seine volle Aufmerksamkeit auf sich. Schreckgeweitetete Augen richteten sich auf den Mast der Excelsa, der wohl gedachte dem gewaltsamen Zerren und Rütteln des Sturms nun doch nachzugeben. "Scheisse..." nuschelte Sermo in den Lärm hinein, doch noch hielt das hölzerne Monstrum stand. Erneut rief der Quintilius nach seinem Sklaven, als sich das Schiff wieder von Backbord nach Steuerbord - wo Sermo hing - neigte. Und ihm eine Handvoll Nautae in die Arme warf. "Was zum?! WEG!!!" keifte der so vermeintlich attackierte, der sich bereits ertrinkend wähnte, und fuchelte so wild wie möglich herum in der Absicht, das Matrosenpack loszuwerden. Die Männer fielen über die Reling, lautlos, denn das Getöse schluckte jeden Hilferuf. Noch ein paar Fuß, dann musste er Issa erreichen. Irgendwo da vorn war er, ganz bestimmt!


    Sermo wusste nicht, was ihn zu dieser Rettungsaktion veranlasste. Gewöhnlich waren ihm Sklaven schnurzpiepegal. Er hätte schon viel mehr Sklaven gevögelt, misshandelt, getötet, wären sie auch alle sein Eigen gewesen. Das hatte er bisher nur von Caelyn und seit etwas kürzerer Zeit von Issa behaupten können. Und besonders Issa war ihm ans Herz gewachsen, hatte ihn der junge Kerl doch in nahezu jeder Situation der ganzen vergangenen Zeit in Germania begleitet. Und jetzt konnte Sermo einfach nicht anders, als diesen seekranken kotzenden Schisshasen vor dem Ersaufen zu retten, was dem herzlosen Quintilius eigentlich so gar nicht ähnlich sah.
    Da tauchte endlich ein salzwassergetränkter Schatten vor Sermo auf. Er brüllte, Issa solle sich bloß festhalten. Keine Ahnung, ob der Junge das hörte, aber auch ohne den Befehl tat der Sklave wie geheißen. Issa klammerte sich panisch an die Reling und je näher Sermo kam, desto deutlicher konnte er die Todesangst in seinen Augen erkennen. Der Unglücksrabe hatte noch nie das Meer zu Gesicht bekommen und jetzt brach es gleich in seiner schlimmsten Manier über ihm herein. "ISSA! LOS, WEG HIER!" brüllte Sermo den Schisshasen an, als er endlich auf Hörweite herangekommen war, was nicht einmal mehr einer Elle entsprach. Issa antwortete nur mit einem kläglichen Wimmern. Bona dea, das konnte ja heiter werden. Die Excelsa schoss zum x-ten Mal in ein Wellental hinunter und krachte in ohrenbetäubendem Lärm in die Aufschäumende Salzgischt. Ein weiterer Nauta, dessen Arm sich irgendwie in einem Tau verfangen hatte, flog in einem weiten Kreis über ihren Köpfen hinweg hinaus aufs Meer und pendelte wenig später zurück über das Deck, wo er in merkwürdig schrägem Winkel hinunter aufs Deck zusteuerte. Das grausige Knacken seiner Knochen im Moment des Aufpralls nahm Sermo nicht war, denn er hörte nur noch das Rauschen des Sturms und das Brüllen des Windes. Issa jammerte irgendetwas bedeutungsloses, doch Sermo packte den Sklaven und zerrte ihn zurück, in Richtung Kajüte. Dort waren sie zumindest vor der fiesen, kalten Nässe geschützt und vor irgendwelchen herumfliegenden Schiffsteilen. Wieder ächzte der Mast unter der Wut des Sturms, während Issa und Sermo sich an der Reling entlangquälten.


    Und dann geschah das Unvermeidliche. Der Mast brach, stürzte hinab und verfehlte die zwei Flüchtenden nur um Haaresbreite. Gleichzeitig schlugen etliche gerissene Taue wild um sich, erwischten Issa im Gesicht und schlugen ihn halb bewusstlos. In Groteskem Gebaren flatterte das Hauptsegel zu Boden und bedeckte Trümmer, Wasserschwälle und Mannschaft. Von irgendwoher konnte Sermo ein irres Lachen ausmachen. Es war das Gelächter des Nauarchus, der dort Neptunus verhöhnte. Als könnte man es nicht noch schlimmer machen. Den Gott des Meeres hatte der Quintilius schon längst ausgeblendet, war doch pures Geschick jetzt noch ausschlaggebend für oder wider Überleben. Wenn die Götter seinen Tod wollten, konnte er jetzt sowieso nichts mehr dagegen unternehmen. Der Nauarchus verstummte, ob freiwillig oder nicht, konnte Sermo nicht beurteilen. Ihm klatschte ein eiskalter Schwall Wasser mitten ins Gesicht und beinahe hätte er den fast reglosen Issa seinem Griff entgleiten lassen. Den Sklaven zu verlieren ließ er jedoch nicht zu; statt dessen versuchte er sich mit der Rechten an der Reling entlangzuhangeln, in der Linken den strauchelnden Taugenichts gepackt.


    Und dann riss abrupt das Holz entzwei, das Sermo gepackt hatte. Wie konnte der Quintilius sich nicht erklären, doch war wohl ohnehin das Geländer durch den Maststurz schon schwer beschädigt gewesen. So wunderte es den objektiven Betrachter kaum, dass auch der restliche Teil der halbherzig widerstrebenden Reling Opfer der Wassermassen und der Sturmgewalt wurden.
    Wie nasse Mehlsäcke flogen Sermo und Issa über das Deck, wurden hin- und hergeschleudert. Der Herr hielt seinen Sklaven fest und auch Issa schien das Bewusstsein zurückzuerlangen, denn seine Fingernägel krallten sich bald in Sermos nasskalte Haut.
    "Domnn....guddda....wesn...."
    "WAAAAAAA.......?"
    "bi....nnn.......gu...aaaaa......do....iuuuusss!"
    Die gewechselten Worte gingen ins Leere, wurden erneut geschluckt vom Lärm des Götterzorns wie Flüstern im Marschtritt. Und dann wurde das Schiff erneut herumgerissen und der gebrochene Mast drehte sich knirschend und schmetterte über das Deck, sämtliche Hindernisse hinwegfegend. Da kam es auf sie zugeschossen, das Ungetüm, das Todesmonster. Sermo hing an einem Tau, das irgendwo sonst befestigt sein musste und Issa klammerte sich an ihn. Und ein Mast raste auf sie zu.


    Und Sermo sprang. Unnötigerweise. Denn in diesem Moment durchschlug die Excelsa die Wasseroberfläche und brach in die Düsternis des Mare Nostrums ein, die von unheimlicher Taubheit und Stille geprägt war. Wo nur das Rauschen des eigenen Blutes in den Ohren hämmerte. Wo die Augen nichts als Schwärze sahen. Sermo schluckte Wasser, schmeckte das Salz nun ganz penetrant auf seiner Zunge. Strampelte wie besessen um sein Leben, blind wie ein Maulwurf und gefühlt hilflos wie ein frisch geschlüpfter Vogel außerhalb seines Nests. Keinen Gedanken verschwende er mehr an Issa, denn seine Instinkte übernahmen sämtliche Kontrolle. Überlebenstrieb brachte ihn zurück an die Oberfläche, ließen ihn für Sekundenbruchteile Luft schnappen, ehe er unter einer Woge erneut versank und daraufhin der Lebenskampf begann. Sermo bekam Dinge zu fassen, hölzern wirkende, weiche, menschliche Dinge? Sermo wusste es nicht und konnte es zum Großteil auch nicht sehen, bekam ständig brennendes Salzwasser in die Augen gespült. Ein großer schwarzer Brocken steuerte auf ihn zu. Sermo blinzelte, erkannte jedoch nichts außer schwarzer Fläche. Er blinzelte erneut, das Ding kam näher. Es war lang und schmal, musste ein Teil des Schiffs sein. Das Ding kam näher, doch Sermo wurde wieder überspült, musste sich an die Oberfläche zurückkämpfen. Da war es ganz nah bei ihm. Er bekam etwas zu packen, rutschte ab, riss sich die Finger auf. Holz. Nasses, splitterndes Holz. Sermo griff erneut zu, blieb hängen. Zog sich heran, schaffte es hinauf, blieb auf dem Bauch liegen, den Griff krampfhaft um das Holzteil gelegt. Planken, eine Schlafbank, eine Tür, ganz gleich. Es war Sermos Rettung.


    Und dann hörte er ein Geräusch, das nicht dem Sturm entstammte, kein hölzernes Knacken und Knirschen war, kein unbarmherziges Rauschen und Toben des Meeres. Es war menschlich, ganz eindeutig. Ein Hilferuf, irgendwo links von ihm. Oder doch rechts? Vorn, hinten? Sermo blinzelte ins Dunkel hinein, versuchte irgendwo einen Orientierungspunkt zu erhaschen. Doch nichts, nichts war da. Dazu drehte sich noch seine Rettungsplanke wie ein Brummkreisel. Der Himmel grollte ihm zornig, donnerte seine Wut heraus, erhellte den Himmel im Blitzlicht. Da! Da schwamm jemand, ein erahnter Punkt auf der erhellten Wasseroberfläche, fahrig mit den Armen wedelnd, der unterging und auftauchte, im Überlebenskampf gefangen wie sie alle, die auf der Excelsa gewesen waren. Sermo versuchte ein Winken, packte jedoch schnell wieder das rettende Holz, als er sein Abrutschen bemerkte. Wieder der bittende Ruf, das verzweifelte Kreischen des Ertrinkenden. Er kam näher, ging zwar immer wieder unter, doch er kam näher. Und irgendwann war er nur wenige Armeslängen von Sermo entfernt.
    Wahrhaftig, es war Issa.
    "Nimm meine Hand!" versuchte Sermo zu brüllen, doch er bezweifelte, dass Issa auch nur ein Wort verstanden hatte. Der Sklave war jetzt nur noch ein paar Finger und ein Haarschopf im Wasser. Und doch...Sermo schaffte es, er erreichte den Sklaven. Die Haare waren das erste, was der Dominus zu packen bekam und so zog er kräftig. Sogleich schlossen sich Issas Hände um seinen Unterarm, packten zu und ließen nicht mehr los. Sermo zog den Ertrinkenden auf das Rettungsfloß hinauf, klatschte sein Kinn lieblos auf das Holz in der Bemühung nicht selbst gleich wieder vom glitschigen Gefährt herabzurutschen. Und in diesem Moment, als er fast schon erleichtert aufatmen wollte, nahm er eine Bewegung im Augenwinkel wahr, die ihn sich reflexartig umschauen ließ.


    Als er die Amphore auf sich zukommen sah, war es bereits zu spät.

  • Ein höllisches Brummen war das erste, das Sermo wieder spüren konnte. Als nächstes wurde er diverser Geräusche gewahr. Grässliches Kreischen, ein bedächtiges Rauschen, gelegentliches Plätschern. Sermo tat alles weh, so viel stand fest. Wo war er? Was tat er hier? Durch die geschlossenen Augenlider erahnte er Sonnenschein, doch er wagte noch nicht den Blick ins Unbekannte. Dann kehrte auch sein Geschmack wieder ins Bewusstsein zurück. Da war...Sand! Auf seiner Zunge und zwischen seinen Zähnen! Und Salz. Viel Salz. Sermo überkam langsam die Angst vor dem, was ihn erwartete. Er schlug vorsichtig die Augen auf und erblickte - wen wunderte es auch großartig - einen Strand. Sermo versuchte sich aufzurichten und schaffte es unter Schmerzen in sämtlichen Gliedern, sich vom Bauch auf den Rücken zu rollen und sich auf die Ellenbogen aufzustützen. Und was für ein Strand das war! Überall lagen Wrackteile herum. Möwen - Sermo hatte den Grund des Kreischens entdeckt - hatten sich im Schwarm gesammelt und fielen über verstreute Wasserleichen her. Hunderte Schritte entfernt lag der Schiffsrumpf, dem die ganzen Kleinteile auf dem Strand ursprünglich einmal angehört hatten. Ganz zu schweigen von der Fracht, die ebenfalls über den gesamten Strandabschnitt verteilt lagt. Es dauerte einige Augenblicke, bis Sermo sich dazu aufraffen konnte sich aus dem Sand zu erheben. Erheben. Sermo stolperte, kroch durch den Dreck, zog sich dann endlich an einer großen bauchigen Amphore hoch, die er direkt als Sitzgelegenheit nutzte. Leise fluchend untersuchte er erst einmal seinen Körper. Er musste etliche Prellungen erlitten haben, Schürfungen, blaue Flecken sowieso. Zum Glück war nichts gebrochen.


    Seine Tunika dagegen war völlig zerfetzt. Die Calcei hatte er verloren. Einzig sein Siegelring befand sich noch am üblichen Platz, was vermutlich daran lag, dass Sermos Finger vor lauter Wasser aufgequollen waren und es dem Ring somit unmöglich geworden war, abzurutschen. Etwas anderes war ihm aber offensichtlich abhanden gekommen: Issa. Ein weiterer Fluch entfleuchte Sermos Lippen, als er sich von der Amphore abstieß und durch den Sand schlurfte. Ziellos, denn er wusste nicht wo er mit der Suche anfangen sollte. So streifte er umher, fand trockene Schuhe an den Füßen eines ziemlich toten Nauta und verscheuchte die eine oder andere Möwe. Von Issa aber keine Spur. Sermo fluchte erneut, musste wieder eine Pause einlegen. Er fühlte sich total geplättet, war durstig, hungrig. Er fuhr sich fahrig durch die Haare und verspürte dabei einen fiesen Schmerz. Wunderbar, da hatte er doch glatt eine ordentliche Platzwunde abbekommen.


    Eine Platzwunde. Und Issa war vermutlich tot. Scheisse.


    "HEDA!" kam es von einer der Dünen, die den Strand säumten. Sermo warf einen überraschten Blick in die entsprechende Richtung. Es waren Milites, die dort zum Strand herunterstiegen. "Euch schicken die Götter," krächzte Sermo, der ein paar zögernde Schritte auf die Gruppe zu tat.


    "Salve, Schiffbrüchiger," grüßte ein Soldat mittleren Alters, der sich als Optio Duronius vorstellte und einem seiner Leute einen Wink gab, dass er Sermo seine Feldflasche reichte. Der Quintilius trank gierig.


    "Bist der einzige, den wir bisher gefunden haben. Wer bist du?" Der Otio zog ein missmutiges Gesicht. Er hatte offensichtlich keine Lust, wegen eines Schiffswracks auf die zwecklose Suche nach Überlebenden zu gehen. Umso ärgerlicher, dass er nun auch noch jemand Lebendiges gefunden hatte, um den er sich kümmern musste.


    Sermo wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und holte erst einmal Luft. "Mein Name ist Iullus Quintilius Sermo," gab er zurück und entsann sich dann seiner Stellung. "Eques Imperii und Tribunus Angusticlavius der Legio XXII Deitoriana."


    "Tribunus Quintilius also," stellte Duronius für sich fest, wobei ihm ein gewisser Respekt anzumerken war, insbesondere als Sermo dem Mann seinen Siegelring entgegenstreckte. So etwas machte doch immer Eindruck.


    "Nun verrate mir bittesehr, Optio...wo bei allen Göttern BIN ich hier?!?"


    Der Optio zog irritiert die Augenbrauen hoch. "Wo? Ach...auf Sardinia." Sermo stöhnte auf. Sardinia? Da war er ja unglaublich weit gekommen. Von Massilia hatte er es geschafft, ganze drei Tage auf See zu verbringen, nur um auf Sardinia zu landen!


    "Verdammter...Möwenschiss..." Die Parzen mussten ihn hassen. "Wo genau?" fragte er weiter. Die anderen Soldaten hatten sich mittlerweile teils über den Strand verstreut, teils einfach dort hin gelungert, wo sie gerade gestanden hatten.


    "Im Norden der Insel. Nicht so weit von Olbia," beschrieb der Optio daraufhin ihre Lage. "Wir gehen grundsätzlich nach starken Stürmen eine Runde entlang des Strandes. Wie du siehst mit Recht." Optio Duronius zeigte ein schiefes Grinsen, woraufhin er die Achseln zuckte und sich abwendete, um langsam wieder Richtung Dünen zu staksen. "Ich denke wir sollten dich jetzt erst einmal nach Olbia bringen, was meinst du?" rief er über die Schulter zurück. Sermo blieb wohl keine Wahl. Wenn Issa noch lebte, würden die Milites ihn finden. Wenn nicht, konnte es ihm auch egal sein. So wollte Sermo es zumindest gerne haben, auch wenn es ihn betrübte, dass er einen so vielversprechenden Sklaven verloren hatte.


    "Wie weit ist es bis Olbia?!" rief Sermo den Optio an, als er diesem hinterherschlurfte und sich auf den Dünenkamm hinaufkämpfte. Die Milites hatten sich mittlerweile wieder zusammengerottet und drehten nach knapper Anweisung ihres Vorgesetzten nach Süden ab.


    "Etwa ein viertel Tagesmarsch," antwortete Duronius und musste lachen, als Sermo aufstöhnte. "Na, die Strecke ist machbar." Begleitet von zwei Milites wandten sich nach Norden, also in den anderen entgegengesetzter Richtung.


    "Das will ich doch schwer hoffen!" schnaufte ein sichtlich erschöpfter Sermo, der sich natürlich weitaus schönere Dinge als einen stundenlangen Marsch vorstellen konnte. Aber es half ja alles nichts, und so trottete er hinter dem Optio her und hoffte auf eine zügige Reise.

  • [Blockierte Grafik: http://img130.imageshack.us/img130/7191/cleonjung.jpgIssa


    Issa hasste das Meer. War ja klar, dass ausgerechnet das Schiff, das er zur Reise mit seinem Herrn befuhr, untergehen musste. So einen Bockmist hatte er ja noch nie erlebt, ehrlich. Fast wäre er abgekratzt, wie ein dreckiger Köter ersoffen. Und niemanden hätte es gejuckt, niemand hätte davon erfahren. Sein Herr, Quintilius, war nämlich bestimmt auch irgendwo abgesoffen. Am Meeresgrund lag er jetzt, wo er zusammen mit dem Rest der Mannschaft von den Fisch zerpflückt wurde. Oder er lag hier irgendwo am Strand, wo die Möwen ihm gerade die Augen auspickten, als wären sie eine Delikatesse aus der Taberna Apicia.


    "Scheiss Asitauben!" fluchte er heftig, wild mit dem linken Arm wedelnd und über den wrackübersäten Strand stolpernd. Ein Schwarm Möwen hatte sich tatsächlich zusammengefunden und pickten alles und jeden, das und der da so herumlag oder -ging. "Haut ab! Weg! Aaargh!" keifte der verfolgte Sklave und erhielt als Antwort höhnisches Möwengekreisch. Ihm blieb nichts anderes übrig, als in wilder Flucht die nächstbeste Düne hinaufzuhechten und ... auf der anderen Seite unter Schmerzensschreien hinunterzukullern. Unter Schmerzensschreien deshalb, weil sein rechter Arm höllisch wehtat. Issa hatte bereits in dem Moment, in dem er es geschafft hatte vom feuchten Sand aufzustehen, bemerkt, dass mit diesem Körperglied etwas nicht stimmte. Er befürchtete, dass der Arm gebrochen war.


    Issa stöhnte jämmerlich vor Qual, als er einige Schritte weiter am Fuß der Düne zum Liegen kam. Er war mehrere Male über den Arm gerollt und baute jetzt zwischen jedem Atemschöpfen und Stöhnen einen leisen Fluch ein. Verdammtes Schiff. Vermaledeites Wetter. Drecks Sturm. Verfluchter Quintilius. Scheiss Möwen! Aber die Möwen hatten offensichtlich das Interesse verloren, als er den Strand verließ, denn sie kehrten sogleich zurück zu den vielen Wrackteilen, zwischen denen allerlei Interessantes und Pickenswertes zu finden war.
    Issa erhob sich schließlich ächzend und sah sich um. Er war...irgendwo. Ein paar Bäume, ein paar Büsche...er konnte überall sein. Italia? Corsica? Hispania? Oder war das hier doch schon Africa? Issa war ahnungslos. Er humpelte ein paar Schritte. Seinen Fuß musste er sich auch angeknackst haben, denn der war - was er jetzt erst feststellte - ein wenig geschwollen. Noch ein paar Schritte. Götter, lasst mich einfach sterben...


    "He, du da!" kam es da von irgendwoher. Issa hob den Kopf. "Hä?" krächzte er und sah sich um. Da! Da vorn war eine Straße und dort stand auch jemand. Nein, nicht jemand, mehrere Gestalten! Issa blinzelte. Das waren Soldaten. Und ein anderer Typ, der ziemlich mitgenommen aussah. Der Sklave humpelte näher und winkte schwach.


    "He, den kenn ich doch!" hieß es da von dem abgerissenen Typen. Issa hielt inne. Nein, das konnte doch nicht...Quintilius hatte ernsthaft überlebt! Breit lächelnd stapfte er weiter vorwärts, gleich in die Arme seines Herrn, der ihn noch so gerade eben halten konnte. Die Milites eilten hinzu und stützten beide missmutig. Immer mussten sie diese lästigen Schiffbrüchigen retten...
    "Issa, du lebst ja!" lachte Sermo, der sich ehrlich über das Wiedersehen freute.
    "Ja, Dominus..." grinste der Sklave, dem urplötzlich krass schwindlich geworden war. Außerdem hatte Issa einen völlig ausgetrockneten Mund. Und einen leeren Magen. Und Schmerzen, überall am Körper. Jetzt, da Sermo ihn an sich drückte, spürte er auch noch etliche Rippen, die bestimmt etwas abbekommen hatten. Da wurde ihm ganz schwarz vor Augen.
    "Ich glaube ich..." Und weg war er.

  • Issa war lange bewusstlos. Der Sklave erwachte erst, als ein mäßig kompetent wirkender Medicus ihn einer eingehenden Untersuchung unterzog. Das war in Olbia, genauer gesagt im Haus eines Aedils namens Volusus Laronius Theophanes. Der Aedil war ein junger Mann, überaus freundlich und zuvorkommend und unter anderem auch recht gutaussehend. Seine Frau, Laronia Barra*, war klein und hatte unglaublich breite Hüften, womit sie ihrem Namen durchaus Ehre machte. Dafür war ihr Gesicht jedoch sehr hübsch, das durch ein strahlendes Lächeln vervollkommnet wurde.


    Ursprünglich hatte Sermo beim Duumvir um Obdach gebeten, doch der war reserviert und hochnäsig gewesen, als er den abgerissenen Schiffbrüchigen mit seinem Sklaven zu Gesicht bekommen hatte. Dazu hatte man ihn auch noch aus einer Besprechung herausgerufen, denn Sermo hatte natürlich auf der Dringlichkeit seines Anliegens bestanden. So kam es, dass Laronius - eben jener Mann, mit dem der Duumvir sich besprochen hatte - aus Neugierde auf den Gang trat und sich sogleich um die Gestrandeten kümmerte. Er unterbrach sofort die Besprechung und brachte seine neuen Gäste in seinen Domus, der zwar klein, aber überaus gemütlich war.
    Dort hatte man Issa in ein Bett verfrachtet und sogleich den Medicus gerufen, der bald kam und viel redete. Sermo schaltete irgendwann ab, denn der Mann brabbelte viel Blödsinn während er Issa abtastete und mit scheinbar scharfem Blick die Verletzungen prüfte. Schließlich wurde Sermo müde, den Medicus bei seiner Behandlung zu beobachten, denn offenbar war Issa nicht lebensgefährlich verletzt, so dass sein Herr sich beruhigt anderen Dingen zuwenden konnte.
    Er verließ das schmale Cubiculum, in dem der Sklave seine Schlafstatt hatte und fand den Hausherrn im Atrium vor, wo dieser offenbar auf Sermo gewartet hatte.


    "Und?" erkundigte Laronius sich schlicht.


    "Er scheint sich einige Knochen gebrochen zu haben, ist aber sonst wohl unversehrt," fasste Sermo das Gefasel des Arztes zusammen. Laronius nickte erleichtert. Er schien ein großer Menschenfreund zu sein, wenn er so sehr mit dem Sklaven mitfühlte.


    "Erzähl mir, wie ihr schiffbrüchig geworden seid," wurde Sermo daraufhin eingeladen und Laronia brachte Wein. Sie setzten sich auf bequeme Stühle im Atrium, wo Sermo seine Geschichte erzählte, während sie auf das Ende der Behandlung warteten.


    Endlich trat der Medicus aus Issas Kammer heraus und begann sogleich wieder zu faseln. Der Medicus habe den gebrochenen rechten Arm schienen müssen. Außerdem sei der linke Fuß geschwollen und müsse mit Salben behandelt werden, die der Arzt Sermo auch sogleich aus eigener Herstellung empfahl. Zudem seien wohl auch ein paar Rippen gebrochen, die der Medicus ebenfalls behandelt habe. Am Ende berechnete der elende Halsabschneider ganze vier Denarii für seine Tätigkeit, die Laronius großzügigerweise für Sermo zahlte.


    "Ich bin dir zu Dank verpflichtet, Laronius," musste der Quintilius gestehen, als der Halunke von einem Heilkundigen sich endlich getrollt hatte und die beiden Römer wieder allein im Atrium saßen.


    "Du bist mein Gast, Quintilius," winkte der Hausherr lächelnd ab und wies dann auffordernd auf das Cubiculum. "Willst du nicht nach ihm sehen?"


    Sermo nickte und erhob sich eilig, um den Sklaven zu sehen. Issa lächelte, als er seinen Dominus im Zwielicht der Kammer erkannte. Das Cubiculum war klein und zugig, aber Issa hatte es damit immer noch besser als im Servitricium der Casa Quintilia in Mogontiacum.
    "Du..." begann der junge Sklave verlegen, als Sermo auf einem Hocker bei dem einfachen Bett Platz genommen hatte. "...hast mir da draußen das Leben gerettet."
    Sermo nickte stumm. Er war ebenso verlegen und spürte zum ersten Mal seit langem tiefe Dankbarkeit. Es machte ihn unsagbar glücklich Issa lebendig vor sich zu haben, denn in diesem Moment hatte er etwas erschreckendes erkannt. Sermo hatte seinen Sklaven richtig ins Herz geschlossen! Er fühlte sich grässlich beim Gedanken daran, seine Reise ohne diesen fleißigen und unterhaltsamen Begleiter fortsetzen zu müssen. Ohne diesen...Freund? Ihrer beider Blicke sprachen Bände.
    "Du musst dich ausruhen," befahl der Quintilius, als er seine Sprache wiedergefunden hatte. Er klopfte seinem Sklaven sanft auf die Schulter. "Die Herrin des Hauses wird für dich sorgen. Übermorgen will ich wieder aufbrechen. Die Legion wartet nicht."
    Issa starrte seinen Herrn zuerst entsetzt an, nickte dann jedoch zustimmend. Sie konnten nicht lange hier verweilen, nur weil er rumheulte.


    Laronia Barra sorgte wahrlich hervorragend für den Haushalt und zauberte für Issa und Sermo später ein prächtiges Willkommensmahl aus frischem Fisch, geröstetem Brot mit einer köstlichen dicken Soße und mit gekochtem Gemüse gefüllten Teigtaschen. Mit ihnen aßen auch die fünf Kinder der Laronier, deren Namen sich Sermo bei aller Liebe nicht merken konnte.
    Zuvor hatte der Hausherr seinen Gästen auch noch neue Tuniken und Schuhe geschenkt und Sermo wurde von einer Sklavin ausgiebig gewaschen, was er auch dringend als nötig empfand.


    "Ich werde dir einen Wechsel ausstellen," entschied Sermo schlussendlich, dem es unsäglich peinlich war, dass er so hilflos war und dem Laronius so sehr zur Last fiel.


    "Willst du mich beleidigen?" widersprach sein Gastgeber aber kopfschüttelnd und drückte ihm stattdessen auch noch eine gut gefüllte Geldbörse in die Hand. "Das wird dein Fortkommen nach Alexandria besorgen," erklärte Laronius bestimmt und duldete diesbezüglich keinen Widerspruch.
    "Merke dir einfach meinen Namen so wie ich mir deinen merke, Quintilius. Es wird der Tag kommen, an dem du ihn einem Mächtigen in Rom empfehlen wirst."


    Volusus Laronius Theophanes grinste breit, als sie die Abmachung per Handschlag besiegelten und ließ seine Frau mehr Wein bringen. Und Sermo stand zu seinem Leidwesen in der Schuld eines weiteren Mannes, in dessen Arme die Parzen ihn getrieben hatten.



    *Lat. Barrus = Elephant ;)

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