Unerwarteter Besuch in stürmischen Zeiten

  • Im Nachhinein stellte es sich als nicht so kluge Idee heraus, dass Haus zu verlassen, um bei den Germanicern vorbei zu schauen. Ganze drei Mal liefen sie Patrouillen in die Arme, die sie finster musterten und zu wissen verlangten, was sie auf den Straßen zu suchen hatte. Zum Glück schätzten sie eine Frau mit Kind in Begleitung eines Sklaven nicht als Gefahr ein, doch machten sie ihr deutlich, dass sie derzeit nichts auf den Straßen zu suchen hatte und gefälligst nach Hause gehen sollte. Calvena war ganz froh, dass man nicht drohte sie einzusperren, weil sie gegen die Ausgangssperre verstieß. Jedes Mal wenn sie Soldaten in die Arme liefen, setzte sie mühsam ein freundliches Lächeln auf, und versicherte dann den Urbanern, dass sie nur auf dem Heimweg war.
    Es war ein beklemmendes Gefühl durch die leeren Straßen Roms zu eilen. Noch nie hatte sie erlebt dass Rom gänzlich stillstand. So gut wie niemand war unterwegs, es war kein lachen zu hören oder Gespräche, nur ein unheimlicher Wind der durch die Straßen jammerte. Alle Läden waren verschlossen, Türen und Fenster verrammelt. Man fühlte sich wie in einer Geisterstadt gefangen. Nur den gleichmäßigen Schritt genagelter Calecae hörte man schon viele Augenblicke, bevor man dann die Soldaten erblickte.
    Rufus hatte sie auf den Arm genommen, so ging es einfach schneller. Und auch wenn es nicht gestattet war, so hatte sie Simplex klammheimlich einen Dolch zugesteckt, den dieser unter seiner Kleidung verborgen trug. Einfach zu ihrem Schutz, denn sie war sich sicher, dass zwar alle anständigen Bürger den Weisungen Folge leistete, aber es waren mit Sicherheit unzählige finstere Gestalten unterwegs, die sich in den Schatten verbargen. Um nicht irgendein unnötiges Risiko einzugehen, blieb sie auf den Hauptstraßen, was eben dazu führte, dass sie Urbanern begegnete.


    Heilfroh war sie, als sie bei der Casa Germanica ankam, direkt von den Sklaven erkannt wurde und hinein gelassen wurde. Es war unheimlich und sehr viel länger wäre sie nur ungern auf den Straßen geblieben. Die Anspannung fiel von ihr ab, als sich die Tür hinter ihr verschloss und Gundhraban auf seinen Posten ging. Rufus wurde auf seine eigenen Beine gestellt und die Mäntel an Saldir weitergereicht. Irgendwie konnte man ein wenig die Sklavin beneiden, sie war schon eine halbe Ewigkeit Bestandteil des germanicischen Haushalt, aber sie wirkte immer noch jung und hübsch. Doch Saldir war schnell wieder aus den Gedanken verbannt, stattdessen nahm sie ihren Sohn bei der Hand. "Komm wir gehen Serrana und Sedulus suchen!" schlug sie ihm vor. Er war immer noch bockig, weil sie ihn gegen seinen Willen mitgenommen hatte.

  • Rufus Stimmung hatte mittlerweile ihren absoluten Tiefpunkt erreicht. Sie war eisig und das ließ er seine Umwelt auch wissen, indem er bockte wie das eben nur Kinder können. Er hatte seiner Mutter ja gesagt gehabt, dass er nicht mitkommen wollte und trotzdem hatte sie ihn hier her geschleppt. Dafür hatte er es ihr auch ordentlich schwer gemacht, denn er hatte sich seither nicht einen Meter bewegt. Seine Mutter hatte ihn quasi aus dem Haus zerren müssen, denn er hatte in keinster Weise kooperiert. Trotzdem hatte ihm all das nichts genutzt, denn seine Mutter trug ihn den Weg zu Onkel und Tante und dem blöden Victorius. Den ganzen Weg hierher hatte er dann eisig geschwiegen und hielt noch immer durch. Seine Mutter sollte ruhig wissen, dass er böse mit ihr war.
    Und nun stand er da, im fremden Haus, die Arme verschränkt und bockte weiter. Seine Mutter sollte ihm doch gestohlen bleiben. Er würde hier so lange stehen bleiben und sich nicht wegbewegen, bis sie endlich wieder nach Hause zurückgehen würden. Und wenn es Tage dauern würde. Jawohl, so würde er es tun. Sollte seine Mutter doch machen was sie wollte. Statt ihr zu antworten drehte er einfach den Kopf in die andere Richtung und zeigte ihr die kalte Schulter.

  • Genervt stieß sie einen Seufzer aus, Rufus ließ sich nicht dazu bewegen sich von der Stelle zu rühren. Wie angewurzelt stand er dort wo sie ihn abgestellt hatte. Rufus war bockig, weil sie ihm seinen Willen nicht gelassen hatte. Bevor sie noch die Geduld mit ihrem Spross verlor, ließ sie seine Hand los. „Nun gut, wenn du nicht willst, dann bleib halt hier!“ erklärte sie ihm. „Dann geh ich eben allein Sedulus und Serrana suchen!“ Calvena war zuversichtlich, dass er sie entweder finden würde oder aber schon auf sich aufmerksam machen würde, wenn er es sich anders überlegte. Die Sklaven würden schon auf ihren Sohn ein Auge haben. Er war nicht das einzige Kind in diesem Haushalt. Sabina war ja schon so schwer wie nen Sack Flöhe zu hüten gewesen, Rufus war nicht weniger lebendig, aber im Augenblick schmollte er. So wie sie ihn kannte, würde er sich wohl einfach auf seinen Hosenboden setzen und dann darauf warten, dass sie ihn irgendwann aufsammelte. Oder bis jemand über ihn stolperte. So oder so, Rufus war in guten Händen und sie musste sich für den Moment nicht um ihn sorgen.
    Also ließ sie ihn stehen und steuerte direkt das Officium ihres Onkels an.

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    Victorius


    "Nun gut, wenn du nicht willst, dann bleib halt hier!“, hörte Victorius Tante Calvena sagen, „Dann geh ich eben allein Sedulus und Serrana suchen!“ Hörte sich so an, als wäre der doofe Rufus da und bockte mal wieder. Der war so was von oberverwöhnt! Bäh! Und wollte immer bestimmen! Aber das ließ sich Victorius natürlich nicht gefallen. Von seiner Schwester nicht und von Rufus schon gar nicht.


    Vina war heute auch so total langweilig. Sie räumte gerade Mamas Kleiderkiste aus und wollte Hochzeit spielen. Eine Idee, die Victorius schnell das Weite suchen ließ, sonst mußte er noch als Bräutigam herhalten. Igitt! Mächenspiele! Da schüttelte es einen doch nur noch. Außerdem gab es bestimmt Ärger, wenn Mama das mitbekam mit den Kleidern.


    Von Langeweile geplagt, da er nicht raus durfte und die Sklaven alle irgendwie zu nervös und unleidig zum Spielen waren, schlenderte Victorius im Atrium herum. Nicht mal Uroma war da, es war zum Auswachsen! So eine Langeweile. Alles war doof.


    Als er die Stimmen vernahm, versteckte er sich schnell hinter einer der Säulen. Unbemerkt sah er Calvena loslaufen, um Victorius' Eltern zu suchen. Quintilius Rufus blieb allein zurück. Der kleine Germanicus grinste breit, holte ein kleines Blasrohr aus seinem Beutel am Gürtel und dazu eine Erbse. Die blies er nun in Richtung von Rufus. Mit etwas Glück würde sie den Blödmann am Hinterkopf treffen.

  • Hätte Rufus gewusst, dass sein Erzfeind so nah war, dann wäre er seiner Mutter längst hinterher gelaufen, nur um diesem Blödmann nicht zu begegnen. Aber leider bemerkte er ihn gar nicht, schließlich war er viel zu sehr damit beschäftigt böse zu sein und mit verschränkten Armen und schnaufend in Richtung Tür zu schauen und zu überlegen wie er hier am besten wieder ganz schnell rauskam. Er wollte nach Hause. Er hatte lieber Sontje und Dio um sich als Mama und diesen oberdoppelunddreifachen Blödmann. Er war ohnehin froh, dass er dessen blödes Gesicht noch nicht hatte erblicken müssen.
    Mit einem Mal zuckte er zusammen als ihn irgendetwas am Hinterkopf traf. Instinktiv griff er an die Stelle und begriff schließlich was das gewesen war. Oder besser wer. Lautstark begann er zu schnauben und drehte sich in Richtung des Heckenschützen. Er kochte. Das sah diesem blöden Blödmann doch ähnlich. Kein Wunder dass er ihn nicht mochte. Kurz überlegte er ob er einfach drauf zustürmen sollte und seinem Vetter mal tüchtig die Hammelbeine langziehen sollte, aber er entschied sich vorerst für eine verbale Attacke. Wahrscheinlich spekulierte der eh darauf, dass er wütend wurde. „Du bist ein blöder Barbar! Traust dich ja nicht mal mich offen anzugreifen! Aber das sieht dir ähnlich, du Mädchen!“, verspottete er ihn und zeigte ein hochmütiges Grinsen. Er war stolz auf sich, dass dieser Hieb vermutlich sehr gut gesessen hatte.

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    Victorius



    Victorius lachte spöttisch und trat hinter der Säule hervor, während er seelenruhig das Blasröhrchen wieder verstaute. „Angreifen? Das nennst Du einen Angriff? Wenn ich Dich hätte angreifen wollen, würdest Du jetzt am Boden liegen, soviel ist klar.“ Das mit dem Mädchen wurmte Victorius sehr. Der Hieb hatte tatsächlich voll ins Schwarze getroffen. Das war wirklich richtig gemein gewesen und am liebsten würde er den doofen Rufus dafür tüchtig verprügeln. Aber Victorius wußte nur zu gut, dass das auf wenig Gegenliebe bei seinem Vater stoßen würde. Das machte Rufus natürlich mit Absicht, er wollte, daß Victorius ganz großen Ärger bekam. Nein, so schnell würde er sich nicht in die Falle locken lassen. „Was machst Du überhaupt hier?“ Eine berechtigte Frage, wie Victorius fand.

  • Endlich zeigte sich der hinterhältige Feigling und kam aus seinem Versteck. Er schien ja mächtig stolz auf sich zu sein. Dafür erntete er nichts weiter als ein paar bissige Blicke von Rufus. Aber auch ein klein wenig Neid regte sich in ihm, schließlich hatte dieser Blödmann ein tolles Spielzeug, das er nicht hatte. „Ach ja? Du scheinst dir aber ganz schön sicher zu sein. Komm doch her!“, forderte er Victorius abermals heraus. Dass der behauptete ihn einfach so besiegen zu können wollte er natürlich auch nicht so auf sich sitzen lassen, er hatte schließlich auch seinen stolz. Außerdem war er der festen Überzeugung, dass er in einem Wettstreit jederzeit den Sieg davontragen würde. Der blöde Victorius jedenfalls würde ihn nicht überwinden! Er mochte ein wenig älter sein, trotzdem brauchte er den Mund nicht so weit aufzumachen.
    Seine Beleidigungen jedenfalls mochten ins Schwarze getroffen haben, aber hatten dennoch den eigentlichen Zweck verfehlt. Er wollte sich noch augenblicklich mit ihm prügeln und ihm ein für alle Mal zeigen, was er von ihm hielt. Aber er wollte sich einfach nicht darauf einlassen. „Das würde ich auch gerne wissen! Meine Mama hat mich gegen meinen Willen hier her geschleppt.“, antwortete Rufus auf die Frage seines Gegenübers und verschränkte die Arme. In einer Sache waren sie sich wohl also einig: Er wollte nicht hier sein und Victorius wollte ihn nicht hier haben.

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    Victorius


    Gelangweilt tuend schlenderte Victorius näher. Er war auf der Hut, sollte Rufus sich auf ihn stürzen, hatte aber noch nicht vor, eine Prügelei zu beginnen. Noch nicht. Viel fehlte allerdings nicht mehr daran. „Klar bin ich mir sicher“, sagte er und zuckte mit den Schultern. Er hoffte, dass Rufus sich da so richtig drüber ärgern würde. Nicht, dass der junge Germanicer sich wirklich so sicher war. Rufus war kein Schwächling. Was Victorius niemals aussprechen würde. Es wäre sicher ein spannender Kampf. Den sie irgendwann sicher bekommen würden. Vielleicht sogar heute noch.


    So, Tante Calvena hatte Rufus einfach mitgeschleppt. Eigentlich fand Victorius das gar nicht so schlecht. So war wenigstens die Langeweile vorbei. Sogar ein Blödmann war besser als niemand. Oder besser als eine Schwester, die unbedingt Hochzeit spielen wollte. „Furchtbares Schicksal, ich habe echt Mitleid mit Dir.“

  • Misstrauisch beäugte er das Näherkommen des ungeliebten Verwandten. Der zeigte sich nach wie vor unbeeindruckt und ließ sich schon gar nicht auf die längst fällige Rauferei ein. Noch schlimmer, das ärgerte Rufus so richtig, war dessen hochmütige Antwort. Er musste sich schon richtig beherrschen, ihm nicht eine Lektion zu erteilen, aber auch er ließ sich letztlich nicht dazu hinreißen den Kampf zu beginnen. Nein, er spielte den Neugierigen und fragte nach: „Und was macht dich da sooo sicher?“ Er war sich nicht mehr ganz so sicher, ob diese Antwort gleichwertig zu Victorius‘ war, aber ihm fiel nichts anderes mehr ein was er noch sagen konnte. Aber Worte waren ihm eigentlich egal. Er hoffte immer noch, seine Kräfte mit denen dieses Blödmannes messen zu können. Das war schließlich das, was zählte. Diesem Doofkopf zu zeigen, wer der Stärkere war.


    Was seine Anwesenheit hier betraf, so dachte er etwas anders darüber als Victorius. Er wollte einfach nur weg und falls das nicht möglich war, wollte er so wenig Kontakt zu diesem Blödmann wie nur möglich. Spielen wollte er unter keinen Umständen mit ihm, sofern er nicht dazu gezwungen wurde. Dafür nahm er sogar Langeweile in Kauf. „Was du nicht sagst.“, meinte er nur gleichgültig. Wahrscheinlich erfreute sich dieser Blödmann noch an seinem schweren Los.

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    Victorius



    „Manche Dinge weiß man eben. So wie ein Apfel eben immer vom Baum runter fällt und nicht in den Himmel fliegt.“ Victorius versuchte weiterhin, ganz beiläufig zu klingen, aber so ganz gelang ihm das nicht. Rufus brachte ihn immer zur Weißglut. Der war eben einfach doof und gemein. Und so klangen die Worte viel wütender, als er es gewollt hatte.


    Mit dem Rücken an eine Säule gelehnt schaute Victorius den Vetter an. „Hast Du Dir nichts zum Spielen mitgebracht? Glaub ja nicht, Du darfst an mein Spielzeug.“ Der würde ja doch nur alles kaputt machen. Extra natürlich. „Die Türen nach draußen sind alle verriegelt und verschlossen. Niemand darf mehr raus, sagen sie alle. Wer weiß, wie lange Du hier bleiben musst. Bestimmt ein paar Tage.“ Er hatte nicht verstanden, was los war. Nur, dass alle ganz nervös waren und alle drin bleiben mussten. Eigentlich konnte das nicht lange dauern, dachte er. Ein paar Stunden vielleicht. Er sagte das mit den Tagen jetzt nur, um Rufus zu ärgern.

  • „Du bist ein riesengroßer Blödmann! Aber das weißt du ja. Das ist so wie der Apfel, der vom Baum fällt.“, konterte er energisch. Dass er gerade zu weit gegangen war wusste er, schließlich war Victorius nun auch wütend und würde es jetzt umso mehr sein, aber Schuldgefühle hatte er keine. Warum auch? Victorius war ein Blödmann und sollte das auch oft genug zu hören bekommen, damit er es nicht vergaß. Und Rufus ließ es ihn nicht vergessen.
    Missmutig sah er mit an wie sein Erzfeind sich lässig an die Säule lehnte und ballte seine Fäuste. Nach wie vor stand er starr da und rührte sich nicht, obwohl ihn dieser Anblick zur Weißglut trieb. Dieser selbstverliebte Angeber! Und wie er aufsprach, als hätte er die Weisheit gepachtet. Am Liebsten hätte er einfach ausgespuckt, aber das unterließ er tunlichst. Das gab eh nur Ärger. „Mama hat fei gar nix mitgenommen, also bleiben wir auch ned daha! Außerdem will ich gar nicht mit deinem bescheuerten Spielzeug spielen. Das ist so blöd wie du!“, antwortete er weil ihm nichts anderes mehr einfiel und man merkte ihm nun auch an, dass er wütend war. Er brüllte es fast schon heraus. Dieser Typ machte ihn einfach nur aggressiv und nun ließ er seiner Wut auch freien Lauf. „Wir sind aber trotzdem draußen gewesen, du Schlaumeier! Und wir gehen auch wieder! Hoffentlich bald! Dann bin ich dich blöden Angeber endlich los!“,meinte er lautstark und kam immer mehr in Rage. Ihm reichte es jetzt einfach mit diesem Aufsprecher und Angeber. Kurzerhand schritt er auf ihn zu, packte ihn an der Tunika und presste ihn an die Säule. „Ich mag dich nicht!“, brüllte er ihn an.

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    Victorius


    Boah, der hatte doch wohl nen Knall! Victorius spürte wie die Wut ihm Tränen in die Augen trieb. Mit viel, viel Mühe kämpfte er sie nieder, dabei ballte er seine Hände zu festen Fäusten, ohne jedoch eine Bewegung gegen Rufus zu machen. Noch nicht. „Wenn ihr nix mitgenommen habt, dann war das echt dumm! Wir werden ja sehen, wer von uns Recht hat! Und Du bist viel, viel blöder als ich! Ich kann Dich auch nicht leiden! Wer gibt denn dauernd an? Das bist doch Du und nicht ich!“ Es war eine schwache Entgegnung. Mehr als schwach, aber mehr war vor aller Wut und Ärger nicht drin. Vielleicht wäre jetzt noch alles gut geworden, eigentlich hatte Victorius den Vetter einfach stehen lassen wollen. Aber als der nun nach seiner Tunika griff und ihn gegen die Säule drückte, da war es vorbei mit aller Beherrschung, die er Papa zuliebe hatte aufbringen wollen. Nun schlug er zu mit den schon lange geballten Fäusten. Einfach auf den Bauch von Rufus und dabei versuchte er, vorwärts zu gehen. Weg von der Säule.

  • Victorius mochte seinen verbalen Schlag als schwach einschätzen, aber Rufus traf es ungeheuer hart. War er wirklich ein Angeber und blöder als Victorius? War er es womöglich, der daran schuld war, dass sie sich nicht verstanden und mochte er Victorius deshalb nur nicht, weil er ihn nicht mochte? Nein, ganz so war es nicht, denn auch Victorius war ein selbstverliebter Angeber. Aber war er auch einer? Es beschäftigte ihn ziemlich, so sehr, dass er sich nicht mehr konsequent auf den Kampf konzentrierte, geschweige denn auf seinen Gegner. Umso härter traf ihn also der Schlag in der Magengrube und holte ihn zurück aus seinen Gedanken. Er kam so überraschend, dass er rückwärts taumelte und auf dem Hinterteil landete. Kurz blieb ihm die Luft weg, aber nur kurz. Er musste sich wieder auf den Kampf konzentrieren. Fragen konnte man ja immer noch später stellen, nämlich dann, wenn Victorius besiegt am Boden lag.
    Schnaubend sprang er wieder hoch, begleitet von einem kleinen Kampfschrei, packte Victorius an den Schultern und versuchte ihn zu Boden zu zerren. Es ging weniger darum ihm weh zu tun, sondern viel mehr Kraft zu demonstrieren. Es war eben eine Rauferei, die am Boden noch an Intensität zunehmen würde. Er strengte sich an und biss die Zähne zusammen. Irgendwie musste er ihn zu Boden befördern, daher ließ er sich wieder fallen, um ihn mit seinem Gewicht nach unten zu zerren.

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    Victorius


    Von den Zweifeln, die er mit seinen Worten ausgelöst hatte, ahnte der kleine Germanicer nichts. Wenn er es geahnt hätte, dann hätte er vielleicht auch ein wenig über sich selbst nachgedacht. Doch im Moment war Nachdenken eh nicht das, was ihn beherrschte. Eine Rauferei ließ eben keinen Platz für Vernunft. Sein Schlag hatte voll ins Schwarze getroffen, das war doch ein toller Anfang. Aber jetzt ging es gleich weiter. Dass Rufus sich zu wehren wusste, war klar gewesen. Victorius fühlte sich an den Schultern gefasst und stolperte erstmal einen Schritt vor, als Rufus ihn versuchte, zu Boden zu zerren. Als der Quintilier sich dann fallen ließ, hatte Victorius ihm nicht genug entgegen zu setzen und ging ebenfalls zu Boden. Hier ging es dann erstmal richtig los. Victorius fiel auf Rufus drauf und dachte nicht daran, diesen Vorteil sausen zu lassen. Er versuchte, sich auf Rufus zu setzen, um so die Oberhand zu behalten und bemühte sich gleichzeitig, die Hände seines Gegners fest zu halten. Doch einfach war das auf keinen Fall. Sogar ziemlich schwer. Vielleicht sogar unmöglich.

  • Am Boden hatte er ihn jedenfalls schon einmal, was er mit Freude zur Kenntnis nahm. Allerdings kam es etwas anders, als er es sich vorgestellt hatte. Unabsichtlich hatte er seinem Kontrahenten einen Vorteil gewährt und diesen nutzte der voll aus. Nun saß er auf Rufus und konnte ihn ganz einfach zu Boden drücken, naja ganz so einfach dann doch nicht, denn Rufus wehrte sich verbissen. Mehrfach versuchte er vergeblich seinen Vetter von sich herunter zu bekommen, aber der saß mit seinem ganzen Gewicht auf ihm und das ziemlich sicher. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er ihn gänzlich fest am Boden festgesetzt hätte. Es wurde also allmählich Zeit, dass Rufus sich etwas einfallen ließ. Ihm fiel allerdings nur ein etwas unfairer Trick ein. Er drehte den Kopf nach rechts und meinte laut: „Wir spielen nur, Onkel Sedulus.“ Er spekulierte drauf, dass Victorius ebenfalls schauen würde und daher abgelenkt sein würde. Noch einmal mobilisierte er alle verfügbaren Kräfte, befreite seine Hände und drehte sich ruckartig zur Seite und versuchte Victorius abzuschütteln. Unterstützen tat er diese Drehung noch mit seinen Händen, die er gegen Victorius Unterkiefer drückte. Entweder es würde gelingen oder er würde die Schmach einer Niederlage kosten müssen.

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    Victorius
    Ha! Tatsächlich hatte der kleine Germanicer es geschafft, sich auf Rufus zu setzen und ihn so am Boden zu halten. Natürlich hatte er ihn noch nicht ganz fest, aber das würde er auch noch schaffen. Fest entschlossen war Victorius jedenfalls und machte sich verbissen daran, seine Position auszubauen. Dabei war es ihm egal, ob er von dem sich erbittert wehrenden Gegner den einen oder anderen blauen Fleck oder Kratzer kassierte. Er fühlte sich schon als Sieger, ja, er hatte es geschafft, zweifellos. Doch dann... „Papa?“ Natürlich drehte er sich um. Natürlich ließ er sofort in seiner Verbissenheit nach, um die Worte von Rufus, das sei alles nur ein Spiel, zu unterstreichen. Noch im gleichen Augenblick, als Victorius seinen Vater nicht entdeckte und begriff, das er hereingelegt worden war, wurde er abgeschüttelt. Schon lag er auf dem Rücken und hob unwillkürlich die Hände, um Rufus abzuwehren, der sich ganz bestimmt sofort auf ihn stürzen würde. „Du unfairer Blödmann! Feigling!“

  • Rufus grinste triumphierend als seine List aufging. Es gelang ihm noch einmal den Kopf aus der Schlinge zu ziehen und wieder ein Kräftegleichgewicht herzustellen. Mehr noch sogar, dann Victorius landete sogar noch auf dem Rücken. Nun hatte er wiederum die Möglichkeit ihn in Bedrängnis zu bringen. Das wollte er nun auch tun und sprang mit Leichtigkeit auf, fing sich aber erst einmal ein paar Beschimpfungen ein. Darunter auch Feigling. Das war wohl neben Mädchen die größte Beleidigung für einen Jungen in seinem Alter und sie verfehlte seine Wirkung nicht. Sie traf ihn, wandelte sich aber recht bald in Wut um. Kopflose Wut. Wieder ließ er einen Kampfschrei los und ohne nachzudenken stürzte er sich auf Victorius. Natürlich, wie sollte es auch anders sein, erwischte ihn Victorius ausgestreckter Arm direkt im Gesicht. Genauer direkt an der Nase, die auch gleich anfing zu bluten. „Auuuuuuu“, jaulte er, schüttelte kurz den Kopf und dem Schmerz der ihn die Tränen in die Augen trieb zum Trotz, fuhr er fort auf Victorius loszugehen. Breitbeinig über ihm kniend packte er dessen Tunika und zerrte daran. Dass er einige Schläge und Kratzer im Gesicht abbekam war ihm sowas von egal. Victorius musste dafür büßen, dass er ihn Mädchen genannt hatte. Irgendwann gab der Stoff der Tunika schließlich nach und riss am Hals. Das kam dann doch überraschend. So überraschend, dass er innehielt, Victorius losließ und ansah. „Das wollt ich nicht.“, murmelte er und wischte sich die blutende Nase am eigenen Ärmel ab.

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    Victorius
    Das war wieder klar gewesen, dass Rufus sich mit Gebrüll auf ihn stürzte. Die zur Abwehr erhobenen Hände hatten allerdings ein weit größere Wirkung, als er erwartet oder gar beabsichtigt hatte. Auf einmal stürzte Blut aus Rufus' Nase und Victorius hielt erschrocken inne. Die rote Farbe des Blutes war eben ein schockierender Anblick. Und so wehrte er sich nicht einmal, als Rufus an seiner Tunika herum zerrte, so dass die schließlich nachgab und einriss. Da auch Rufus erschrocken innehielt, starrten sich die Jungen auf einmal an, ohne noch einen Gedanken an die Prügelei zu verschwenden. „Ich... ich wollte das auch nicht“, gestand Victorius zerknirscht und deutete auf die blutende Nase. „Tut's sehr weh?“

  • Damit hatte sichs wohl mit ihrer kleinen Schlägerei, denn Victorius sah im Moment nicht so aus, als hätte er großes Interesse daran den Kampf fort zu setzen. Auch Rufus hatte sich nun wieder etwas beruhigt und in Anbetracht seiner blutigen Nase hatte er auch nicht mehr viel Lust eventuell noch mehr einstecken zu müssen. Auf allen Vieren zog er sich daher ein Stück weit zurück und setzte sich in einiger Entfernung Victorius gegenüber. Dieser Abstand symbolisierte ziemlich gut wie nah sie sich überhaupt standen.
    Erneut wischte sich Rufus das Blut weg, das noch immer freudig aus seiner Nase lief wie das andere zeug, das an kalten Tagen gerne mal den Weg nach draußen suchte. Dabei blickte er etwas beschämt zu Victorius, der immer noch erschrocken zu sein schien, dass nun Blut floss. Rufus sah das natürlich ein wenig anders. Für ihn war es normal, dass er sich mal weh tat und verletzte und er wusste auch, dass er eigentlich selber Schuld daran war. Was war er auch so hitzköpfig gewesen. Wenigstens tat es nicht besonders weh, weshalb er auch den Kopf schüttelte, als Victorius ihn fragte. Er hätte wohl ohnehin gelogen und sich nicht noch die Blöße gegeben, wenn es anders gewesen wäre.
    Aber noch etwas beschäftigte ihn, jetzt wo er etwas Zeit hatte darüber nachzudenken. Es waren die Worte seines Vetters von vorhin, dass er ein Angeber war und immer bestimmen wollte. War das wirklich so? War er genau das, was er unter anderem an Victorius immer kritisierte und weshalb er ihn nicht mochte? Oder waren sie etwa Beide so? Es ließ ihn keine Ruhe. „Bin ich wirklich ein Angeber und will immer Bestimmer sein, Victorius?“, fragte er daher etwas kleinlaut. Ein bisschen schämte er sich ja jetzt schon, dass er nicht mehr wie vorhin aufsprechen konnte.

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    Victorius


    Es war nicht so, dass Victorius nie prügelte und der Anblick von Blut etwas Neues für ihn wäre, es war nur immer wieder erschreckend rot und schien von Gefahr zu künden. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Blut floss, da er Rufus gar nicht hatte schlagen wollen in dem Moment. Es war schockierend gewesen, wie schnell das Blut aus der Nase des Vetters geschossen war. Dieses grell rote Blut auf der hellen Kleidung. Ihrer beider Kleidung, wenn auch Victorius nur sehr wenig abbekommen hatte.


    Da saßen sie also nun. In einigem Abstand, ja nicht zu nahe beieinander, damit sie bloß nicht vergaßen, dass sie sich doch gar nicht leiden konnten. Victorius nahm es hin, dass Rufus angelbich keinen Schmerz spürte. Wer hätte es schon zugegeben, in so einer Situation? Deshalb änderte das Kopfschütteln leider nichts an seinem schlechten Gewissen, an der Verletzung des Vetters schuld zu sein.


    Dann die überraschende Frage. Für einen Moment war Victorius sprachlos. Dann nickte er zögernd. „Ja, bist Du. Aber,“ er zögerte einen Moment, unsicher, ob er es sich erlauben konnte, sich selbst eine Blöße zu geben, „aber ich glaube, ich auch.“ Der letzte Teil kam etwas leiser und er spürte, wie er errötete. Und hasste sich dafür.

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