„PACK MEINE SACHEN!“ brüllte Nigrina, als sie ihr Cubiculum betrat und einer Sklavin gewahr dort wurde.
Verschreckt sah die Frau sie an. „W… Welche denn, Herrin?“
Nigrina funkelte sie zornig an. „Das ist mir scheißegal! Pack einfach irgendwas!“ Sie raste vor Wut. Warum, WARUM war ihr Mann nur so ein Ekel? Es ging ihr gar nicht so sehr darum, dass er nein gesagt hatte, denn damit hatte sie durchaus gerechnet. Aber wie er das mal wieder getan hatte, schlug dem Fass den Boden aus. Dieses… dieses oberlehrerhafte, besserwisserische Getue, als ob er die Weisheit mit Löffeln gefressen hatte. Bis hin zu dem Punkt, dass er noch nicht mal im Ansatz auf die Punkte eingegangen war, die sie als Vorteil genannt hatte. Genauso gut hätte sie auch einfach gar nichts sagen können außer Nimm mich mit, so wenig hatte er auf ihre Worte reagiert hatte. In solchen Momenten war es, als ob sie gar nicht wirklich existierte, sondern er nur irgendein Bild von ihr im Kopf hatte, auf das er reagierte, anstatt auf das was sie sagte oder tat. Oder vielleicht auch gar kein Bild... und er ging einfach nur auf das ein, was ihm gerade in den Kram passte, und alles andere ignorierte er völlig. Und sie HASSTE es so sehr, wenn er das tat. In den Jahren, die ihre Ehe mittlerweile dauerte, hatte sich daran nicht das Geringste geändert. Er nahm sie nicht ernst, so einfach war das. Egal was sie bisher getan hatte, egal wie sie sich angepasst hatte, egal wie sie versuchte sich mehr und mehr zusammenzureißen, in seiner Gegenwart jedenfalls, egal was sie geschafft hatte an Vorteilen für ihn durch ihre Kontakte zu bekommen – trotz allem nahm er sie und ihre Meinung bis heute nicht ernst. Mehr noch: er gab einen Dreck darauf. Und sie fragte sich gerade allen Ernstes, warum sie sich das gefallen ließ. Oder besser: warum sie sich reinhängte in die Netze, die Frauen spannen. Die Vorteile davon nahm er dankend an, aber darüber hinaus zählte ihre Meinung ja nichts. Warum also ließ sie die Mühe nicht einfach sein und genoss das Leben? Gut, das war in der augenblicklichen Lage die falsche Frage, das war ihr klar, aber es ging ja ums Prinzip. Und darum, wie es weiter ging, wenn diese ganze Sache hier ausgestanden war.
Für den Moment musste sie erst mal ihre Flucht vorbereiten. Sie hätte einiges darum gegeben, irgendwo anders hinzukönnen als nach Tarquinia – auch das wiederum aus Prinzip, einfach weil das der Auslöser für den Streit gewesen war. Nach Mantua wollte sie freilich auch um keinen Preis mehr, nicht mehr nachdem ihr Mann sich dermaßen aufgeführt hatte. Aber Ravenna... oder Baiae. Oder vielleicht zu Flavius Felix nach Sardinia. Aber ihr war klar, dass sie keine Wahl hatte als nach Tarquinia zu gehen. Sie zweifelte nicht daran, dass die Männer, die sie dorthin bringen sollten, eindeutige Anweisungen von ihrem Mann bekommen hatten. Sie glaubte kaum, dass sie es schaffen würde sie zu überzeugen, sie anderswo hinzubringen – zumal der Kleine ja auch dabei war, und der sollte ganz sicher nach Tarquinia. Außerdem galt nach wie vor, dass von allen möglichen Varianten Tarquinia die beste darstellte... Vorerst jedenfalls. Wenn sie einmal dort war und die verschiedenen Möglichkeiten durchdacht hatte, wenn sich gewisse Lager gebildet hatten und klare Fronten gezogen worden waren... dann konnte sie immer noch entscheiden, ob sie tatsächlich in Tarquinia bleiben würde.
Während die Sklavin also – mit Hilfe weiterer, die gekommen waren – irgendwelche Sachen für sie einpackte, setzte Nigrina sich an ihren Tisch und zog eine Tafel heran, um eine Nachricht für ihren Vater aufzusetzen. Eine einfache, nur über das, was gerade ohnehin bekannt war. Sobald sie aus der Stadt heraus war, würde sie einen Boten damit nach Ravenna schicken, gemeinsam mit einer mündlichen Nachricht, überlegte sie. Es durfte freilich nichts Verfängliches dabei sein, falls der Bote abgefangen wurde, aber irgendwie musste sie ihn warnen, musste ihm verdeutlichen, dass es besser war, wenn er auch erst mal... verreiste. Vielleicht der Vorschlag, alte Freunde zu besuchen. Er würde das verstehen, hoffte sie. Zumal die Flavier so oder so in der Schusslinie gestanden hätten – zwar hatte der Kaiser nie etwas darüber verlauten lassen, dass die Aelier und die Flavier aufgrund ihrer Geschichte alles andere als Freunde waren, war nie gegen die Flavier vorgegangen... aber für den Vescularius war das freilich die perfekte Ausrede, sich über sie herzumachen, mit der einfachen Begründung, dass die Flavier ja schon immer etwas gegen die Aelier gehabt hätten... und sie allein deswegen schon verdächtig wären.