Eine kleine Kammer bei den Archiven

  • Ich hatte nun bereits zwei Tage auf meinen alten Bekannten gewartet und war froh nun endlich seine Hand zu schütteln, während er mir von den Geschehnissen und den Kontrollen auf seinem Weg hierher berichtete ... am liebsten hätte ich ihn einfach abgewürgt und ihm eine Feder in die Hand gedrückt damit er endlich anfing ... aber so einfach würde das wohl nicht sein, immerhin war Titus Scaevius Laronianus mächtig stolz darauf ein "ehrlicher" Mann zu sein ...


    "Tatsächlich? Ausziehen? Tja die nehmen ihren Job halt ernst ... dafür bist du hier aber auch sicher! Hör mal Laronianus ich hab gleich eine sehr wichtige Aufgabe für dich! Du hast doch damals immer Siegel und Briefe koopiert und ich dachte mir ..."


    Aber Laronianus schüttelte schon den Kopf, er hatte sich und seiner Familie damals unseglich viel Ärger beschert und war dementsprechend geläutert worden ...


    "Nein Imperiosus, unmöglich .. ich fälsche keine Schriftstücke mehr, ich habs meinem Vater am Sterbebett versprochen!"


    Ich hob abwährend die Hände, hier war all mein Überzeugungsgeschick gefragt ...


    "Ach Laronianus ich hab dich in die Kaiserliche Kanzlei geholt, nicht in irgendeine Straßenbande! Wir machen hier die Orginale von denen alle anderen ihre "Orginale" kopieren! Aber wir brauchen eben noch einen Notarius der sich auch auf das Kopieren von Schriften versteht, da wir bisher nur mäßig begabte Notarii haben für solcherlei Aufgaben!"


    "Oh ich verstehe, tut mir Leid das ich gezweifelt hab! Worum geht es denn?"


    Ich nahm eine Tabula aus meiner Tasche und reichte sie ihm ...


    "Das .. das ist ja ... das .. das"


    "Jap! Das ist die Orginalfassung des Testaments unseres geliebten Kaisers! Bevor du fragst .. das Orginal ist bei einem Brand im Tempel der Vestalinen beschädigt worden, aber zu eben diesem Zweck haben wir ja diese .. nunja "Sicherheitskopie" wenn du so willst!"


    Der ungläubige Blick meines Bekannten, der zwischen Misstrauen, Überraschung und Begeisterung hin und her sprang, blieb nun bei mir stehen und versuchte in meinem Gesicht zu lesen ...


    "Ein Feuer? Warum stand denn nichts in der Acta?"


    Ich setzte eine Miene auf die ich meinem Vater abgeguckt hatte, wann immer ich eine Frage gestellt hatte bei der er der Meinung gewesen war das ich die Antwort eigentlich selbst hätte wissen müssen ...


    "Wenn du eines der wichtigsten Dokuente des Imperiums beschädigt hättest würdest du dann die Kanzlei um Hilfe bitten die eine Kopie davon haben oder lieber die Acta?"


    Laronianus nickte einsichtig und ging weiter neben mir her, wir würden die Archive in Kürze erreicht haben dann würde es sicher nur noch einige wenige Stunden dauern ...

  • Wir erreichten schließlich die Archive wo die Notarii bereits einen kleinen Raum für Laronianus vorbereitet hatten, edles Pergament und Tinte, mehr hatte ich nicht vorbereiten lassen wollen immerhin sollten die Männer ja nicht wissen was mein guter Bekannter hier tatsächlich machte ...


    "Das hier wird vorerst dein Arbeitsplatz sein, dein Pergament und deine Tinte ... ich weiß es ist nicht so gr.."


    "Meins ... quasi mein eigenes Officium? Hah das ist ja wirklich ein Sprung auf der Erfolgsleiter! Und sie dir dieses Pergament an, solche Papierstärke hab ich bisher nichtmal bei Händlern gesehen und die Tinte ... der helle Wahnsinn! Aber wenn ich eine Kopie machen soll brauch ich zumindest ein Teil vom Orginal .. oder zumindest ein paar Schreibproben des Imperators ... woha ist das aufregend, bestimmt hatte er eine ganz ausgefallene Handschrift!"


    Ich legte die Tabula mit dem "korrigierten" Inhalt des Testaments und einige Briefe und Erlässe aus der Feder des Imperators, wobei ich mir sicher war das es eher die Feder des favorisierten Schreibers des Imperators war, vor und klopfte Laronianus auf die Schulter ...


    "Ich verlasse mich auf dich Laronianus, ach was ganz Rom verlässt sich auf dich!"


    Laronianus nickte konzentriert, allerdings ohne aufzusehen, scheinbar war er bereits auf seine bevorstehende Arbeit konzentriert und dabei wollte ich ihn dann doch lieber nicht stören. Ich hatte schon früher oft von Laronianus Fähigkeiten gebrauch gemacht, allerdings hatte einer dieser Gefallen auch mal zum vorzeitigen Ableben seines Vaters geführt und seither hatte ich mich immer mit mittelmäßigeren Männern für solcherlei "Kunst" begnügen müssen. Doch mit diesem speziellen Auftrag wollte ich lieber nur einen waren Meister betrauen ...

  • Ein Notarius hatte mir gerade mitgeteilt das Laronianus fertig geworden sei mit seiner "Einarbeitung" und ich war bereits auf dem Weg mir das Ergebnis anzusehen, mittlerweile waren bereits einige Stunden vergangen und Laronianus musste in der Tat ein Meisterwerk vollbracht haben wenn er schon so viel Zeit investiert hatte. Tatsächlich überrascht war ich jedoch als ich nun tatsächlich das "neue" Testament in Händen hielt ...


    "Laronianus du hast dich selbst übertroffen, nicht nur das du genau die Schrift kopiert hast, selbst der Satzbau scheint übereinzustimmen!"


    Testamentum
    des
    Gaius Ulpius Aelianus Valerianus
    Imperator Caesar Augustus
    Divi Iuliani Filius Pontifex Maximus
    Tribuniciae Potestatis Imperii Proconsulare Censor


    [FONT=Herculaneum,Comic sans ms]Pars Prima
    Meine Betriebe, Grundstücke und Immobilien, mein Privatvermögen, Lagerbestände und aller beweglicher Besitz sollen meinem Sohn und Thronerben Publius Ulpius Maioranus zufallen.


    Pars Secunda
    Sollte das Erbe aus Gründen der Unvolljährigkeit oder des Todes meines Erben nicht auszahlbar sein, so wird mein nächster männlicher agnatischer Verwandter aus der Gens Ulpia als Verwalter bis zur Vollstreckung des Erbes bzw. selber als Gesamterbe eingesetzt.


    Pars Tertia
    Sollte die Gens Ulpia zum Zeitpunkt meines Todes erloschen sein, setze ich den Praefectus Urbi Potitus Vescularius Salinator, der mir lange Zeit sowohl als Freund als auch als Stellvertreter tapfer und treu gedient hat, als meinen Gesamterben und Thronfolger ein.


    Dies verfüge ich im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, niedergeschrieben und gesiegelt mit eigener Hand.


    ANTE DIEM IV ID AUG DCCCLVIII A.U.C. (10.8.2008/105 n.Chr.)
    [/FONT]


  • Wenn die Gebäude des Palatins von außen schon eindrucksvoll wirkten, konnte im Innern nur das Wort atemberaubend angemessen sein. Mit schnellen Schritten wurde er durch die Korridore geführt und er hatte Mühe mitzuhalten, da er immer wieder mit den Augen an den Wänden hängenblieb, wo es immer wieder irgendwas interessantes zu sehen gab. Es war das erste Mal, dass Severus den Palatin besuchte, doch durfte er sich jetzt nicht ablenken lassen. Irgendwann blieben sie vor einer Tür stehen, sein Begleiter bedeutete ihm, dass er hier zu klopfen hatte und verschwand dann mit schnellen Schritten durch einen der seitlich abgehenden Korridore. Severus hingegen klopfte sich noch etwas imaginären Staub von der Schulter, bevor er durch ein Klopfen auf sich aufmerksam machte.


    KLOPF KLOPF

  • Ich arbeitete gerade akribisch daran, aus der Unordnung mit ein bisschen Umordnung ein neues Kanzleiarchiv zu gestalten. Dafür saß ich seit Beginn des Tages schon hier, in diesem kleinen Kabuff nahe der Archive und ließ mich alle paar naselang von irgendeinem meiner Untergebenen mit allerlei Fragen nerven: Wo soll dies hin? Wie soll ich das einordnen? Wo finde ich die neue Ablage für jenes? Wann ist endlich Mittagspause? Wer hat mein Frühstücksbrot gegessen? Und und und. (Für das Frühstücksbrot konnte ich übrigens nichts. Denn ich war schwanger und da hatte ein appetitliches Brot auf dem Tisch gelegen und mich daran erinnert, dass ich als Schwangere fast immer Hunger hatte. Das war eindeutig ein Selbstverschulden des Notarius.)


    Als es wieder mal klopfte, war ich mitten in einer Erklärung: ".. Das ist eine Ernennung des Cursus Publicus. Die kommt nicht in unser Archiv." Aber zum wievielten Mal erklärte ich das heute schon?! "Die legt ihr separat weg.. dahin, wohin ihr auch die ganzen Sachen aus dem Büro des Legatus Augusti cursu publico damals gebracht habt, als dieser Posten abgeschafft wurde." Klare Ansage eigentlich, oder? Denkste. "Ja, wenn du nicht weißt, wo die Sachen damals hingekommen sind, dann finds raus! Wofür wirst du bezahlt?!" Flachflöte.


    Der Notarius nickte eifrig und klaubte seine Sachen zusammen. "Der Nächste!", meldete ich jetzt also an den, der vor ein paar Augenblicken angeklopft hatte. Mal sehen, welche Fragen der alles für mich haben würde. Ich stellte mich innerlich schon darauf ein, dass ich bestimmt gleich wieder hörte, dass jemand die Ablage für die Ernennungen des Cursus Publicus nicht fand.... Vielleicht sollte Geld nehmen für jedes Mal, das ich diese Frage hörte: Ein Sesterz für jede solche Frage. Und von dem so zusammenkommenden Geld konnte der Kaiser dann anbauen.. ein eigenes Haus für die ganzen alten Ernennungen des Cursus Publicus!

  • Severus hörte von der anderen Seite der Tür nur die durchdringende Stimme einer Frau. Als sie ihn dann mit "Der Nächste" hineinrief, lief erstmal ein Schreiber an ihm vorbei und verschwand wenige Augenblicke später durch eine weitere Tür, die von dem Korridor abging. Schlechte Stimmung war nie gut für solch ein erstes Gespräch, ging ihm durch den Kopf, doch da war er schon in den Raum getreten und stand nun vor vornehm gekleideten Frau mit einem ebenso vornehmen, wie auffälligen Rittering an ihrem Ringfinger. Salve! Meine Name ist Marcus Helvetius Severus. Bin ich hier richtig für mein Treffen mit der Procuratrix a memoria? stellte er sich vor und eine Frage an die Frau, die sich durch ihr Auftreten eigentlich schon klar als die Gesuchte herausgestellt hatte. Dennoch fragte er sicherheitshalber nach, bevor es hier zu einem Missverständnis kam.

  • Ah, gut. Doch keiner meiner quälgeistigen Notarii, sondern der Helvetius, den ich heute hierher eingeladen hatte. Mein Blick und meine Stimmung erhellten sich. "Ich grüße dich, Helvetius. Komm her und setz dich zu mir.", lud ich ihn gleich ein an meinen viel zu kleinen runden Tisch. (Aber ein größerer Tisch hätte einfach nicht in dieses winzig Kämmerchen gepasst.) "Du wirst verstehen, wenn ich jetzt nicht extra aufstehe, um dich zu begrüßen, nicht?" Ich strich mir mit meiner rechten Hand über meinen deutlich sichtbaren Babybauch. (Mein Arzt hatte mir sogar empfohlen, ich sollte mein Kind Longinus oder Longina nennen, weil es schon so riesig war! Aber noch hatte ich ja ungefähr einen Monat vor mir, um mir darüber einen Kopf zu zerbrechen.) "Ich bin Sergia Fausta, Procuratrix a memoria hier in der kaiserlichen Kanzlei.", stellte ich mich unterdessen vor. "Und du bist also Helvetius Severus, ein Verwandter meines Vetters Commodus und Klient meines Mannes...." Ich bedeutete ihm mit einer Geste meiner linken Hand mir noch ein bisschen mehr zu erzählen über sich.


    Dabei interessierte mich natürlich vor allem sein Verhältnis zu Commodus. Und besonders: Wusste er von der kleinen Geschichte zwischen ihm und mir? Plante er vielleicht sogar, mich damit notfalls hier unter Druck zu setzen? (Das musste ich unbedingt in Erfahrung bringen.) Ich lehnte mich also ein bisschen zurück, um den Helvetier dabei ein bisschen zu mustern, als mich wieder dieser heftige Schmerz durchfuhr. Longina (ich glaubte ja, es würde diesmal ein Mädchen werden) trat mich wahrscheinlich wieder kräftig von drinnen, bildete ich mir ein. Zum x-ten Mal passierte das heute schon. Ich hatte das Gefühl, sie wollte damit protestieren gegen den Stress, den ich mit meinem neuen Kanzleiarchiv hier draußen hatte. (Aber so lief das nicht. Niemand redete mir einfach so in meine Arbeit rein und schrieb mir vor, was ich zu tun und was ich zu lassen hatte! Auch mein Nachwuchs nicht. Daran konnte sie die Kleine gleich mal gewöhnen.) Nachdem ich kurz mein Gesicht verzogen hatte, sah ich wieder ganz aufmerksam zum Helvetius und tat so, als wäre nichts gewesen. Meine Kinder hatten sich mir unterzuordnen und nicht nicht umgekehrt.

  • In Ordnung. Er war hier richtig, das war schon mal gut. Zudem hellte sich die Stimmung der Sergia gleich auf, als er seinen Namen nannte. Offenbar war sein Kommen eine angenehme Abwechslung, denn diese kleine Kammer war ja wohl kaum das Officium der Procuratrix. Wahrscheinlich galt es Arbeiten im Archiv abzuschließen, sodass sie möglichst nah dran sein sollte. Wie auch immer, die Sergia machte einen angenehmen ersten Eindruck auf den Helvetier, sodass er sich hinsetzte und gleich auf ihre unausgesprochene Frage antwortete. Ja, das ist richtig, Procuratrix. Ich bin ebenfalls ein Vetter von Commodus, allerdings im männlichen Stamm. Sein Großvater, der Senator Titus Geminus, war der Bruder meines Großvaters, Marcus Verus, eines ehemaligen Primicerius. Damit waren dann auch wieder die Verwandtschaftsverhältnisse klargestellt.


    Natürlich war dem Helvetier auch nicht entgangen, wie sich die Sergia über ihren schon leicht angerundeten Bauch streifte. Da muss ich euch ja gratulieren. Es ist jetzt euer zweites Kind, nicht wahr? Seltsam, dass sein Patron noch nichts in diese Richtung hatte durchblicken lassen. Normalerweise platzten römische Männer doch immer vor Stolz, wenn sie Väter wurden. Wahrscheinlich lag es aber einfach an der momentanen Trauerzeit, um seine Adoptivtochter. Jedenfalls nahm sich Severus vor, bei der nächsten Salutatio auch dem Iulier noch Glückwünsche zukommen zu lassen, schließlich gehörte das Elternwerden mit zu den wichtigsten gesellschaftlichen Ereignissen. Zudem würde das Kind den Iulier hoffentlich auch aus seiner Trauer herausreißen. Denn ein antriebsloser Patron, war nicht unbedingt ein guter Patron.


    Das war allerdings nur eine Nebensächlichkeit zu seinem eigentlichen Anliegen. An diesem wollte er heute weiterarbeiten. Unser Vetter hat mir jedenfalls nur Gutes über dich erzählt. Zumindest war das wenige, was er erzählt hatte gut gewesen. Daher ist es bedauerlich, dass wir uns erste heute persönlich kennenlernen können. Damit waren auch schon ein paar Nettigkeiten ausgetauscht und ein gutes Licht auf ihren schon ewig lange abwesenden Vetter geworfen, der sich lieber in seinem Geburtshaus auf Paxos aufhielt, anstatt hier in der Hauptstadt einige Scherben aufzukehren.

  • Ich nickte schonmal, als ich erfuhr, wie dieser Helvetius hier mit meinem Vetter Commodus verwandt war, auch wenn ich natürlich mehr wissen wollte. Viel mehr. Aber da wechselte mein Gast kurzerhand das Thema (wahrscheinlich weil ich mein Gesicht eben so verzogen hatte). "Danke. Das ist.." richtig? War mein erster Sohn überhaupt von Marcus (also: dem Marcus und nicht nur einem Marcus)? Oder konnte man notfalls diese Torquata als sein erstes Kind zählen? ".. ja. Ich denke, so könnte man es sagen.", beantwortete ich am Ende seine Frage, bevor er den Bogen zurück zu Commodus schloss. "Ja, Commodus und mich verbindet ein enges Band." Es verwunderte mich darum also nicht, dass er nur Gutes über mich erzählt hatte. Ich hätte auch nur Gutes über ihn zu erzählen.. oder fast nur Gutes. Aber wir wollten ja jetzt nicht über Commodus Tirocinium fori sprechen.


    Zurück zu Helvetius Severus. "Ja, bedauerlich. Aber dafür sind wir ja jetzt hier." Besser als wenn man sich nie kennenlernte oder nur in vielen Jahrzehnten vor dem Grabmal einer großen Ritterin stand, die man eigentlich im Leben hätte noch kennenlernen wollen. "Und deshalb lass mich dich fragen, was ist mit deinem Vater? Als du eben von deiner Verwandtschaft zu Commodus gesprochen hast, hast du von seinem Großvater und deinem Großvater geredet und was sie erreicht haben. Aber du hast kein Wort verloren über deinen Vater." Obwohl sich das ja bei der Gelegenheit angeboten hätte. "Ich würde gerne mehr über ihn erfahren, um zu verstehen, wo du herkommst und wer du bist." Denn die eigene Abstammung sagte oft viel aus über jemanden.


    Ich ließ eine kleine Kunstpause. "Und danach können wir uns dann gerne darüber unterhalten, wie du deinem Großvater nacheiferst.. ja bestimmt nicht nur, was seine frühere Anstellung als Primicerius hier betrifft, sondern auch seinen Ritterstand, oder?" Auch den hatte er mir eben verschwiegen, obwohl es natürlich gerade bei ehemaligen Kanzleiangestellten besonders leicht war, so ein Detail herauszufinden.. als Procuratrix a memoria, Herrin über die Kanzleiarchive. "Ich kann das übrigens sehr gut nachvollziehen und verstehen. Denn auch mein Großvater war Eques, vererbte seinen Ritterring" beziehungsweise das dazugehörige Vermögen "dann aber einem meiner Onkel statt meinem Vater." Ich nickte bedeutungsschwer. "Ich weiß also, wie das ist, wenn man sich das, was einem eigentlich von Geburt zusteht, erst wieder von Grund auf neu erarbeiten muss." Und ich wusste, wie stolz man darauf war, wenn man es trotz dieses Schicksals am Ende auch schaffte. Nicht umsonst legte ich so viel Wert auf meine Titel. Weil sie mir niemand einfach in den Schoß gelegt hatte, sondern weil sie wirklich meine waren. Erarbeitet nur von mir. Mit dem, was mir meine Vorfahren an Fähigkeiten mitgegeben hatten und was in meinen sergischen Adern floss.

  • Severus zögerte kurz, als die Sergia bei der Frage nach ihrem ersten Kind ein wenig unschlüssig wirkte. Woran das wohl lag? Er konnte sich die Frage selbst beantworten, denn tatsächlich hatte der Iulier ja noch seine vor kurzem verstorbene und begrabene Adoptivtochter Torquata gehabt. Allerdings war diese ja "nur" eine Adoptivtochter und keine leibliche Tochter des Paares, weshalb Severus diese einfach mal nicht mitgezählt hatte. Das konnte man anders sehen, Severus aber tat es nicht, auch wenn er gesehen hatte, wie tief Dives um seine Adoptivtochter getrauert hatte. so ging er auch nicht mehr auf dieses Nebenthema ein, sondern konzentrierte sich auf die erste Frage der Sergia, mit dem sie unbewusst Salz in eine noch nicht verheilte Wunde streute. Mein Vater wollte, ebenso wie ich nun, meinem Großvater nachfolgen, konnte dies aber nicht umsetzen. Kurz nachdem wir in Rom angekommen waren, wurden er und meine Mutter bei einem Überfall getötet. Ihr Mörder konnte bis heute nicht ausfindig gemacht werden. Severus schluckte. Es war eines der wenigen Dinge, die ihm wirklich an die Nieren gingen. Ich wuchs danach auf dem Landgut meines Großvaters nahe Fregellanum auf. zwar nicht als Verwandter zweiter Klasse aber trotzdem in dem Wissen, aus der Erbfolge des Großvaters hinausgefallen gewesen zu sein, was ihm seine Verwandten auch nicht selten auf Brot schmierten. Ich erhielt dort eine umfangreiche Ausbildung und war nach dem Tod meines Großvaters an der Verwaltung des Guts beteiligt. Natürlich ohne die Aussicht darauf, das Landgut auch tatsächlich einmal zu besitzen, wodurch er dann doch irgendwie in die zweite Reihe abgerutscht war.


    Daher traf Fausta ins Schwarze, als sie davon erzählte, wie sie und ihr Vater quasi das gleiche Schicksal ereilt hatte, eben keine Erben gewesen zu sein. Severus blickte auf. Ja, ich strebe auch den Ritterstand an, Procuratrix. Denn, wie soll ich es sagen, natürlich war ich nach dem Tod meines Vaters nicht mehr Teil der direkten Erbfolge meines Großvaters. Daher bin ich auch hergekommen, um nun, ebenso wie du und dein Vater, aus eigener Kraft zu erreichen, was anderen in den Schoß fiel. Es war komplett an Severus vorbeigangen. Da halfen auch die gönnerhaften Zuwendungen seiner Familie nicht, die er regelmäßig erhielt. Allerdings drängten die Verwandten schon darauf, diese einstellen zu können, sodass er dann endgültig raus war aus ihrer ach so luxuriösen Welt auf dem Landgut, das sie ja noch nicht mal ohne seine Mithilfe ordentlich verwaltet bekamen.


    Severus schluckte seinen Ärger über diese ganze Bagage hinunter, denn hier war sie zweifellos fehl am Platz. Stattdessen konzentrierte er sich auf das Gespräch und seine Ziel auf den Palatin zu kommen. Komme, was wolle. Wie ich deinem Mann bereits gesagt hatte, würde ich gerne als Primicerius auf den Palatin wechseln. Dabei kommen für mich entweder die Abteilung a libellis oder ab epistulis in Frage. Bei ersterer wäre ich, wie du ja wahrscheinlich weißt, Amtsnachfolger meines Großvaters. und hätte damit auch schon fast mit ihm gleichgezogen. Danach ging es nur noch um den Ritterstand und sie wären auf Augenhöhe. Alles, was darauf folgen würde, wäre die Kür einer Karriere, mit der er seinen Verwandten weit, weit voraus sein könnte.

  • Ja, der Mann war mir irgendwie sympathisch. Denn ich konnte mitfühlen mit ihm. Nicht weil sein Vater sich frühzeitig aus dem Leben verabschiedet hatte und der arme, arme Helvetius seitdem ohne Vater dastand und trotzdem irgendwie klarkommen musste. Nein, das war mir herzlich egal. So war das Leben. Hart aber ungerecht. Immer. In zehn von neun Fällen. Ich als Frau in dieser männlich dominierten Karrierewelt wusste das nur zu gut! Aber ich konnte nachvollziehen, wie es war, wenn man sich um sein Erbe betrogen sah; wenn man von klein auf fest damit gerechnet hatte, seine Karriere mit einem Ritterring am Finger zu beginnen - nur um dann irgendwann enttäuscht feststellen zu müssen, dass man doch viel weiter unten anfangen musste.. als Stationaria.


    Dann kam der Helvetier auf sein Anliegen zu sprechen. "Ich will dir helfen, Helvetius. Nicht nur weil du der Klient meines Mannes bist und er mich darum gebeten. Aber auch weil ich weiß, wie es ist für jemanden, der in deinen Sandalen steckt." Das hatte ich ja gerade erzählt. "Deshalb verrate ich dir jetzt auch zwei Dinge.", lehnte ich mich ein bisschen nach vorn, erhob ich meinen rechten Zeigefinger und mahnte meinen Gast, gut aufzupassen. "Erstens. Wenn du den richtigen Leuten dein Vertrauen und vor allem deine Loyalität schenkst, dann dann ist fast jeder Posten erreichbar." Gerade als Procuratrix a memoria saß ich schließlich an der Quelle, um zum Beispiel entweder den einen oder den anderen Primicerius für eine Beförderung (wohin auch immer, Hauptsache weg von seinem jetzigen Posten) vorzuschlagen. Da konnten Stühle manchmal schneller frei werden, als man vielleicht dachte. "Und zweitens. Solltest du schon jetzt darüber nachdenken, wo du nach einer Erhebung zum Ritter mal hin willst. Soll es zum Militär gehen, sitzt du in der Abteilung des Ab epistulis besser, weil du über alles Militärische hier eigentlich ständig im Bilde bist und weißt, wer wo sitzt, wer was macht und wer wen braucht. Soll es dagegen in die zivile Verwaltung gehen, dann kann so ein Wissen sicher auch manchmal ganz nützlich sein.", wenn man als Procurator Annonae die Kontaktleute der alexandrinische Flotte, die für den Schutz der Getreidelieferungen zuständig waren, ein bisschen kannte oder wenn man als Director Ludi vielleicht Kontakte zu irgendeiner Grenzlegion hatte, die gelegentlich mal ein paar potenzielle Gladiatoren einfing. "Trotzdem würde ich dir da dann eher den Posten als Primicerius a libellis empfehlen."


    Ich lehnte mich wieder ein bisschen zurück, um zu verdeutlich, dass die Lektion vorbei war. Da, "A.. au.. a.", war wieder dieser Schmerz. (Diese Longina wollte mich heute anscheinend wirklich ärgern.. und wenn sie nicht aufpasste, dann bekam sie später auch wirklich noch diesen Namen. Longina. Und damit sollte sie dann mal einen Mann finden.) Bevor er etwas sagen konnte, hielt ich schon meine Hand beruhigend in Richtung des Helvetiers. Denn ich ließ mir von einer Laune meines Kindes ganz bestimmt nicht dieses Gespräch hier versauen! Es dauerte einen kurzen Moment. Dann gings mir wieder gut. "Ich weiß, das ist viel verlangt, so weit schon in die Zukunft zu planen. Du hast noch keinen Ritterring und sollst dir trotzdem schon überlegen, in welche Richtung dein erstes Ritteramt gehen soll.", machte ich anschließend wieder weiter, als wäre nichts passiert. (Denn hier war ich die Prokuratorin und nicht ein gewisser Jemand in meinem Bauch.) "Aber wenn du darüber nachdenkst, wirst du die Vorteile dieser vorausschauenden Planung sicher erkennen." Daran hatte ich keinen Zweifel.

  • Die Sympathie beruhte auf Gegenseitigkeit und Severus konnte - bis jetzt - noch nicht erkennen, worauf die Warnung des Iuliers beruhte, dass dessen Frau eigen sein sollte. Letztlich war doch jeder Mensch irgendwie eigen. Was er hier sah war lediglich eine Frau, die wusste, wie man sich durchsetzte, die offensichtlich ähnliche Erfahrungen gemacht hatte, wie der Helvetier und die nun einen Posten hatte, dessen Möglichkeiten sie kannte. Und diese Frau hatte sich soeben bereit erklärt, Severus bei seinen Ambitionen zu unterstützen. Daher nickte er erstmal dankbar, als sie ihm ebenjene Unterstützung zusagte, hörte sich danach aber auch ihre beiden Karrierehinweise an. Der drehte sich um Loyalität, der zweite um seine zukünftige Lebensplanung. In Anbetracht der Tatsache, dass er sich darüber bereits Gedanken gemacht hatte, hatte er auch kein Problem, diese vorzustellen - auch wenn er sie noch nicht seinem Patron mitgeteilt hatte, der aber die aktuelle Angelegenheit ohnehin an seine Frau delegiert zu haben schien. Sei dir versichert, dass ich weiß, wem meine Loyalität zu gelten hat: Nach dem Kaiser was ja irgendwie eine unausgesprochene Selbstverständlichkeit war und man in der Kanzlei ja die Interessen des Kaisers auch in bestimmten Grenzen lenken konnte natürlich meinem Patron, deinem Mann, und der Person, die mir dazu verholfen hat, die Anstellung zu bekommen, die ich haben will. Damit stand die Sergia auch sehr weit oben auf seiner zukünftigen Loyalitätsliste und da er nicht davon ausging, dass ihre Interessen und die Interessen ihres Mannes auseinandergingen, sah er da auch überhaupt keine Probleme.


    Der zweite Punkt war bereits Teil einiger Überlegungen gewesen, die er hier skizzieren konnte. Was deinen zweiten Punkt angeht, kann ich sagen, dass ich nicht nur meine kurzfristige, sondern auch meine langfristige Zukunft in der kaiserlichen Kanzlei sehe. Nun weiß ich, dass die ritterliche Laufbahn keinen direkten Einstieg hier zulässt. Das sollte aber kein Problem darstellen, da ja bereits die zweite Stufe einen Procuratorenposten ermöglicht. Je nachdem, wo die Sergia ihre Zukunft sah, würde Severus ihr natürlich keine Konkurrenz machen, sie aber entweder beerben, wenn sie weiter aufsteigen sollte, oder den anderen Procuratorenposten als Leiter der Abteilung a cognitionibus anstreben. Daher möchte ich dir folgenden Gedankengang vorstellen, mit dem ich mir die Möglichkeit auf einen höheren Posten offenhalten möchte: Als Stadtschreiber habe ich bereits Erfahrungen in der Zivilverwaltung sammeln können, als Primicerius, egal in welcher Abteilung - da kommt es natürlich auch darauf an, welcher der beiden Posten am ehesten vakant fallen kann - werde ich Erfahrungen in der Kanzlei selber machen, fehlt also nur noch die Leitung einer militärischen Einheit. Ehrlich gesagt habe ich nur wenig Lust, die Hauptstadt zu verlassen. Aus den Augen, aus dem Sinn, heißt es ja bekanntlich, und das möchte ich mit allen Mitteln vermeiden. Daher halte ich den Posten als Tribunus Vigilium für eine wunderbare Möglichkeit, diese Erfahrung zu sammeln. Vorteil: Er blieb in Rom, konnte auch Erfahrung in der militärischen Verwaltung sammeln, ohne gleich irgendwo ins Feld (oder, Neptun bewahre, aufs Wasser) zu müssen und sich gleichzeitig im Gespräch halten, wenn er dem Prafectus oder dem Subpraefectus zur Hand ginge. Gut, er müsste sich im schlimmsten Fall mit unkultivierten, rüpelhaften Peregrini herumärgern, aber das war es ihm wert. Danach böte sich dann wieder ein Wechsel in die Kanzlei an. stellte er schließlich den weiteren Gang seiner Karriere klar. Saß er nämlich erstmal in der Kanzlei, würde man ihn so schnell nicht mehr aus seinem Officium herauskriegen, oder eben nur im Rahmen eines Wechsels in die nächst höhere ritterliche Karrierestufe in der Kanzlei.


    In der Tat: Er hatte sich Gedanken gemacht. Er hatte ja auch genug Zeit dafür gehabt. Als die Sergia dann, offenbar unter einem Schmerz zusammenzuckte, runzelte der Helvetier die Stirn. Alles in Ordnung? Doch da machte sie schon eine beruhigende Geste.

  • Ich winkte ab, versuchte herunterzuspielen und das Thema beiseite zu wischen. "Jaja, alles in Ordnung. Es ist nur wieder einer dieser Tage.. viel Stress.. nicht mit dir aber mit einigen der Notarii, die ich dabei überwache, das Kanzleiarchiv etwas umzuordnen, neuzuordnen und zu verbessern. Es geht schon wieder." Meinen Worten schickte ich noch ein entschuldigendes Lächeln hinterher, dann versuchte ich ins Gespräch zurückzufinden. "Wir waren gerade bei deiner Zukunft.", rief ich mir in Erinnerung. Denn meinen ersten Punkt hatte der Helvetier offensichtlich auf Anhieb gut verstanden. Ich tat selten etwas aus Mitgefühl oder Gutherzigkeit heraus. Ich tat Dinge, weil sie mir entweder direkt nutzten oder aber indirekt nutzten, indem sie Schaden von mir abwandten oder die Vorteile anderer so neutralisierten, dass ich nicht mehr im Nachteil war. (Aus dem Grund beschäftigte ich mich auch so sehr mit der Lex Mercatus und den Märkten und wies darauf hin, wenn andere sich nicht an die Regeln hielten und ich, die sich daran hielt, dadurch indirekt benachteiligt wurde.)


    Aber zurück zur Zukunft des Helvetiers: Er wollte über kurz oder lang einen Prokuratorenjob in der Kanzlei. Das war einerseits gut, weil er offenbar genau wusste, was er wollte. Aber das war irgendwie auch schlecht, weil ich ebenfalls nicht vorhatte, mich hier so schnell wieder vertreiben und von irgendwem ersetzen zu lassen. "Du sagst also, dass du nach deinen Verwaltungs- und den folgenden Kanzleierfahrungen einige Erfahrungen im militärischen Bereich sammeln willst. Dann werde ich schauen, dass der Primicerius ab epistulis bald für für seine treuen und guten Dienste in der Kanzlei in den Ritterstand erhoben wird", denn Standeserhebungen fielen sogar direkt in mein Ressort, "und gratis dazu auch gleich noch ein neues Amt, ein ritterliches Amt erhält." Dafür war ich zwar nicht so direkt zuständig, aber man musste es dem Kaiser nur richtig verpacken und dann beschwerte der sich schon nicht. Vielleicht könnte ich ihn als Procuratrix a memoria ja zum Beispiel daran erinnern, dass der Director Ludi des Ludus Gallicus schon ein ganz schön alter Sack war, dessen Gedächtnis langsam etwas löchrig wurde, sodass man ihn durch einen jüngeren, frischen Ritter ersetzen sollte.. "Sobald das erledigt ist, wird sich der Procurator ab epistulis, der sich auch um alle Personalfragen des Kaisershofs kümmert, auf die Suche nach einem neuen Primicerius machen. Ich organisiere dir sofort einen Vorstellungstermin und der Rest liegt dann bei dir.. Oder.. meinst du, dass du dafür ebenfalls noch meine Unterstützung brauchst?" Auf meinen Namen konnte er sich ja auch so eigentlich berufen - gerade wenn ich diejenige war, die ihm den Termin bei meinem Kollegen klarmachte.


    Was ich nicht aussprach: Organisierte ich dem Helvetius das Amt als Primicerius beim Ab epistulis, dann wäre das in ferner Zukunft vielleicht auch kein schlechtes Argument, ihn eher auf den Stuhl des Ab epistulis zu setzen und weniger auf den des A libellis. Und das war gut für mich, weil: Eine Frau perspektivisch natürlich niemals Ab epistulis werden konnte, sehr wohl aber A libellis.. "Also? Was sagst du?" Zu meiner letzten Frage genauso wie zur Sache selbst.

  • Severus nickte verstehend. Es gab genug unfähige Menschen und manchmal machten sie sich einen Spaß daraus, sich zu sammeln und den fähigen Menschen ein Bein zu stellen und ihr Leben schwer zu machen. Dann die Übernahme des neuen Amtes gleich verbunden mit dem Willen, das Archiv neu zu ordnen und dann auch noch die Schwangerschaft. Tja, so war das halt als Frau, wenn man gerne über den eigenen Horizont im Haushalt hinaus Karriere machen wollte. Das hatte die Sergia aber mit sich selbst auszumachen und mit ihrem Mann.


    Dann aber kam die erlösende Zusage: Er konnte auf den Posten des Primicerius ab epistulis hoffen. Ein guter Posten, ein wichtiger Posten, ein Posten bei dem er sich, wie die Sergia ja bereits gesagt und er auch schon vorher gewusst hatte, Kontakte bei den Truppen und in der Verwaltung einrichten konnte. Mit etwas Glück lief dabei alle wichtige Korrespondenz über seinen Tisch, bevor sie dann zum Procurator kam. Grade richtig für seinen Geschmack - und vor allem wäre er endlich raus aus der anonymen Schreibstube, in der er nur einer von vielen war. Schließlich fragte sie, ob er sonst noch Hilfe brauchte. Mit der Anmeldung seines Vorstellungsgesprächs war schon einiges gemacht. Dennoch gab es noch etwas und zwar Eine Kleinigkeit noch, Procuratrix. Hat der ab epistulis irgendwelche Eigenheiten, auf die ich beachten muss? Nicht dass er da in irgendein Fettnäpfchen trat, weil der alte zum Beispiel keine weißen, sondern nur terrakottafarbenen Tuniken mochte. Sowas gab es ja auch.

  • Mein direkter Kontakt zum Ab Epistulis hatte sich bisher (aus offensichtlichen Gründen: Ich war eine Frau und er leitete die Kanzleiabteilung, die sich um den ganzen Militärkram kümmerte) sehr in Grenzen gehalten. "Nicht dass ich wüsste, nein.", konnte ich ihm da also auch nur antworten. "Aber selbst wenn, dann solltest du dich trotzdem nicht zu sehr darum kümmern. Der Mann braucht schließlich niemanden, der ihm aalglatt immer nur nach dem Mund redet. Der Mann braucht vor allem einen Primicerius, der als Vorsteher der Schreiber der Abteilung auch selbst ein bisschen Persönlichkeit hat." Anders konnte man ja auch keiner ganzen Schreiberabteilung vorstehen. "Vor allem am Anfang aber natürlich auch nicht zuviel Persönlichkeit. Eben einen guten Kompromiss." Ich zuckte mit den Schultern. Der Helvetius packte das schon.


    Dann vom einen auf den anderen Moment wurde ich ganz still und meine Gedanken begannen zu rasen. Sollte ich es dem Helvetier sagen? Oder sollte ich ihn jetzt einfach so galant wie möglich rausschmeißen? Aber schaffte ich es noch unauffällig nach Hause? Und wenn nicht, wer sollte mir hier helfen? Einer meiner Notarii, die schon mit einer kleinen Archivumordnung teilweise hoffnungslos überfordert waren? Mit großen Augen sah ich meinen Gast an. Ich lächelte schmal, ernst und etwas verkrampft. "Wenn unser Gespräch über deine Zukunft hier.. damit fürs Erste inhaltlich alle wichtigen Punkte abgedeckt hat.. vielleicht sprechen wir dann noch kurz über meine.. Zukunft?" Ich schluckte. "IchGlaubeNämlichIchBekommeEinBaby." Tief einatmen. "Hhhh." Und wieder ausatmen. "Huuu." Und weitersprechen. "UndWennDirDaranGelegenIstDassIchDirNochIrgendwieHelfe.. Hhhh.. Huuu.. DannSolltestDuJetzt.. A..ha..AAARGH.. VerdammtNochmalDeinenArschHochkriegenUnd.. Hhhh.. HilfeHolenWarumTutDasSoWeh." Denn der Stuhl, auf dem ich hier saß, war nass.. wie in: fruchtwassernass. Das merkte ich deutlich."GEHHH..RGH!!" Ruhig atmen, Fausta. "Hhhh.. Huuu.... Hhhh.. Huuu."

  • Also keine besonderen Eigenheiten. Macken sprachen sich ja sonst schnell herum. Severus wusste zum Beispiel, dass sein Tischnachbar in der Schreibstube eine gradezu krankhafte Abneigung gegen Honig hatte. Bienenpisse, nannte er ihn in seiner grobschlächtigen, die Severus manchmal daran zweifeln ließ, ob er nicht auf dem Feld oder beim Militär besser aufgehoben wäre, als in einer zivilen Schreibstube. Zudem gab die Sergia ihm noch den Ratschlag, am Anfang zwar genug Persönlichkeit zu zeigen, um als leitender Schreiber der Abteilung anerkannt zu werden, aber nicht zu viel, wahrscheinlich, damit sich der Procurator nicht in den Schatten gestellt drohte. Gut, Severus konnte sich anpassen, dass hatte er immer schon gekonnt und grade mit Blick auf seinem weiteren Weg wüde das noch nützlich sein.


    Dann fuhr die Sergia fort, wirkte dabei aber anders, angespannt, offenbar wieder das Kind. Severus hatte der Höflichkeit genüge getan und sie nach ihrem Befinden gefragt. Sie hatte abgewunken. Also war das Thema für ihn erledigt... Dachte er zumindest. Denn plötzlich schien seine Gegenüber von einem heftigen Schmerz geschüttelt, ihre Sätze kamen nur noch stoßweise und wurden von spitzen Schreien unterbrochen. Eine Sekunde, zwei Sekunden. Dann verstand er: Die Sergia bekam ihr Kind. Jetzt. In dieser Kammer. Und er war der einzige, der irgendwie helfen konnte. Langsam erhob er sich. Eine Geburt - ein Kind wird geboren - der Schwangeren muss geholfen werden - wer hilft Schwangeren? - keine Ahnung - wer hilft Kranken? - Ärzte - gibt es Ärzte in der Verwaltung? - nein, nur Schreiber und Soldaten - wen beschützen die Soldaten? - den Kaiser - der Kaiser wird krank - der Kaiser hat einen Leibarzt - der Leibarzt ist ein Arzt!


    In Ordnung. sagte Severus unschlüssig, als er schließlich stand. Versuch dich zu entspannen, Sergia... und zu atmen... zumindest hatte er das irgendwann mal auf dem Landgut gehört, als eine der Pächterinnen ein Kind zur Welt gebracht hatte. Ruhig bleiben, Severus, ruhig bleiben und die Nerven behalten. Ich bin gleich wieder da. fügte er schließlich an, nickte der Sergia mit dem aufmunternsten Gesichtsausdruck zu, den er zu stande brachte und ging mit schnellen Schritten zur Tür, die er öffnete und heraustrat.


    Draußen traf er gleich auf einen Notarius, der offenbar etwas von der Sergia wollte. Du! Herkommen! sagte der Helvetier bestimmend mit dem Ton, den er bei Sklaven anzuwenden pflegte. Du holst jetzt sofort den Leibarzt des Kaisers her. Keine Umwege, keine Plaudereien. Falls dich der Arzt fragt, worum es geht, sagst du ihm, dass die Procuratrix Sergia in den Wehen liegt. Der Notarius zögerte einen Augenblick, da er den Helvetier nicht kannte. Severus ließ aber keine Verzögerungen zu. Wirds bald! Sogleich lief der Notarius los, um den Leibarzt herbeizuholen. Währenddessen stellte sich Severus an die Tür, damit niemand die Sergia in ihrem Zustand begaffen konnte.


    Sim-Off:

    Edit: Hab ein wenig plausibler gemacht.

  • Chrysogona war gerade ein wenig durch die Gänge des Palatinums gewandert als sie ein völlig aufgelöster Notarius ansprach. Er erkundigte sich, ob er in ihr die Leibmedica des Imperators anträfe. Die Griechin hatte genickt und dann vernommen, dass der Mann ausgeschickt worden war, medizinischen Beistand für eine Gebärende zu holen, die in einer kleinen Kammer des Verwaltungstraktes in Wehen lag.


    Die Medica nahm die Beine unter den Arm. Das war jetzt wirklich eine Herausforderung. Nicht nur, dass es ihr erster Einsatz in Rom war, es war auch ihre erste Entbindung. Schwangeren Frauen war der Zutritt zum Asklepieion von Kos verwehrt gewesen und somit war sie nie bei einer Entbindung dabei gewesen. Natürlich hatte sie in der Theorie alles gelernt was notwendig war, hatte Komplikationen und eventuelle chirurgische Interventionen auswendig gelernt, doch ihr Wissen hatte bislang nicht in die Praxis umsetzen können.


    Den Notarius schickte sie in ihre Kammer, um sich von ihrer Leibsklavin ihr Instrumentenkästchen aushändigen zu lassen. Dann betrat sie den Raum in dem sich eine ausgesprochen schöne Frau unter Schmerzen wand und hektisch atmete.
    Chrysogona nahm sich vor, sich nicht anmerken zu lassen, dass es ihre erste Entbindung war. Das würde die panische Frau sonst noch zusätzlich verstören. Sie bemühte sich um selbstsicheres Auftreten und begrüßte die Kreissende zunächst mit einem freundlichen "Salve, mein Name ist Plinia Chrysogona. Ich bin die Leibmedica des Kaisers."


    Dann trat sie auf die Frau zu, die mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Stuhl hing. Im Kopf der Medica rotierten die Gedanken. Die kleine Kammer war denkbar ungünstig für eine Entbindung. Aber so wie es aussah war an einen Transport der Gebärenden nicht mehr zu denken. Sie mussten also sehen, dass sie sich die notwendigen Utensilien bringen ließen.
    Die Griechin trat an den Stuhl heran und nahm die Hand der Frau. Während ihre eine Hand beruhigend über den Handrücken strich, tastete die andere den Puls.


    "Versuche tief durchzuatmen. Wir werden das hier gemeinsam durchstehen, keine Sorge!"
    Chrysogona war überrascht wie fest und selbstsicher ihre Stimme war. Denn wenn sie ehrlich war, hatte sie sehr wohl Sorgen.

  • Es fiel mir nicht leicht, mir das einzugestehen (oder es womöglich sogar noch offen zuzugeben), aber ich bekam ein klitzekleines bisschen Panik, wenn ich daran dachte, dass ich hier ohne meinen Medicus allein in dieser kleinen Kammer auf dem Palatin saß, anstatt im Beisein von Medicus und jeder Menge Sklaven in der Domus Iulia zu sein. Dazu passierte all das hier einen ganzen Monat zu früh! Das letzte, was mir da noch fehlte, war ein Kerl, der keine Ahnung hatte, und mir trotzdem erzählen wollte, wos lang ging (als wenn ich darauf nicht schon im Normalfall bisweilen allergisch reagierte). "Sag mir gefälligst nicht.. wasIchTunUndLa..a..ha..ARGH ..assen soll!", keifte ich ihn an. Denn irgendwo musste ich ja hin mit meiner klitzekleinen Panik und meinen nicht ganz so klitzekleinen Aggressionen. (Wenigstens kam er anschließend von allein auf die Idee, dass ich in meiner Situation auf irgendwelche Notarii und andere nur gaffende "Besucher" echt verzichten konnte.)


    Dann musste ich warten, und warten. Mein ohnehin oft nur dünner Geduldsfaden riss.. mehrmals. Bei jedem Anflug einer Wehe erneut. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit (ich wusste natürlich, rein theoretisch, dass mich meine Wahrnehmung hier täuschte) vernahm ich die Frauenstimme, die sich mir als Plinia vorstellte. Mir fiel sichtlich ein Stein vom Herzen, als sie ergänzte, dass sie die Leibmedica des Kaisers war. "Ein Glück.", war ich erleichtert. "Ich habe schon seit einigen Stunden immer wieder diese Schmerzen. Ich dachte, das sind nur besonders kräftige Tritte, weil mein Kind ja auch schon so groß ist.. Aber dann war hier plötzlich alles nass, obwohl mir mein Arzt noch vor fünf Tagen bei Iuno geschworen hat, dass ich noch einen ganzen Monat meiner Schwangerschaft vor mir habe!", plätscherten die Sorgen wie ein Wasserfall aus mir heraus, während ich ganz ungewöhnlich für mich vergas, mich auch nur mit einem einzigen Wort der Plinierin vorzustellen. "Verstehst du? Das passiert hier alles viel zu früh! Das darf jetzt noch gar nicht passieren!" Nicht zu vergessen wollte ich auch gar nicht, dass es jetzt schon passierte! Denn ich wusste zwar noch, wie unfassbar schön das Gefühl gewesen war, nach einer erfolgreich überstandenen (und vor allem überlebten) Geburt sein Kind im Arm zu halten. Aber ich wusste auch noch ziemlich gut, wie schrecklich schmerzhaft die Geburt selbst damals gewesen war! Und darauf war ich jetzt ganz sicher noch nicht vorbereitet.


    Die Medica Plinia versuchte mich zu beruhigen.. was ihr natürlich nur in Ansätzen gelang. "Was soll das heißen, bloß keine Sorge? Ich.. Hhhh.." Einatmen. "Huuu.." Ausatmen. "Ich weiß, du bist die Leibmedica des Kaisers." Das hatte sie gesagt. "Aber das passiert alles zu früh! Das darf jetzt noch nicht passieren. Ich bin jetzt noch nicht bereit dafür. Mein Medicus hat erst vor fünf Tagen gesagt, dass ich noch gut einen Monat vor mir habe. Das ist früh!" Ganz davon abgesehen, dass das hier auch kaum der richtige Ort war, um ein Kind auf die Welt zu bringen. In soeiner kleiner Besenkammer konnte man vielleicht Kinder zeugen, wenn man nicht aufpasste. Aber hier gebahr man doch kein neues Leben! Da kündigte sich nun die nächste Wehe an und ich drückte panisch krampfhaft die Hand der Plinierin. Ich war noch nicht dafür bereit. Nicht jetzt. Nicht heute. Nicht dieses ganze übergroße Baby. (Ich schwor mir, ich würde sie würde sie wirklich eine zu groß geratene Longina nennen, wenn sie nicht mindestens noch einen Tag drinnen blieb und mich mit diesen beschissenen Wehen in Ruhe ließ!)

  • Zitat

    "Ich habe schon seit einigen Stunden immer wieder diese Schmerzen. Ich dachte, das sind nur besonders kräftige Tritte, weil mein Kind ja auch schon so groß ist.. Aber dann war hier plötzlich alles nass, obwohl mir mein Arzt noch vor fünf Tagen bei Iuno geschworen hat, dass ich noch einen ganzen Monat meiner Schwangerschaft vor mir habe!", plätscherten die Sorgen wie ein Wasserfall aus mir heraus, während ich ganz ungewöhnlich für mich vergas, mich auch nur mit einem einzigen Wort der Plinierin vorzustellen. "Verstehst du? Das passiert hier alles viel zu früh! Das darf jetzt noch gar nicht passieren!"


    Die Worte sprudelten nur so aus der aufgelösten Schönen hervor. Es war also eine Frühgeburt. Chrysogonas Blick auf den großen Schwangerenbauch ließen erste Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussage aufkommen. Hatte der werte Kollege, der die Frau untersucht hatte sich vertan?
    Die Medica versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren. Zunächst mussten Vorkehrungen getroffen werden, dann konnte sie die Untersuchung vornehmen. Chrysogona schickte ihre Leibsklavin, die mit dem Instrumentenkästchen gekommen war, los heißes Wasser, Tücher und Decken zu holen.


    Dann wandte sich die Griechin erneut an die Gebärende. "Ist es dein erstes Kind, ... äh ... wie war noch dein Name?"
    Während sie auf eine Antwort wartete tastete sie den Bauch der Frau ab. Wieder und Wieder fuhren Chrysogonas Hände über den stark gewölbten Leib. Ihre Augen weiteten sich, die Augenbrauen schossen in die Höhe. Sie tastete nicht ein Kind, sie tastete zwei! Was war der Kollege, den diese Frau konsultiert hatte, für ein Dilettant?


    Eine weitere Wehe fuhr der Kreissenden in den Leib und die Kürze der Abstände zwischen den einzelnen Wehen ließ vermuten, dass es nicht mehr lange dauern würde bis die Pressphase einsetzte. Chrysogona überlegte krampfhaft ob sie der Kreissenden die Wahrheit sagen sollte. Sie entschied sich für schonungslose Ehrlichkeit. "Du bekommst nicht ein Kind, sondern zwei!"
    Das verkomplizierte die Lage zusätzlich.

  • Es dauerte für Severus eine gefühlte Ewigkeit, bis irgendwann eine junge Frau den Korridor entlanggelaufen kam und ohne ihn einer Erklärung oder auch nur eines Blickes zu würdigen an ihm vorbei in die Kammer. Severus wollte schon protestieren, bekam aber mit, dass es sich wohl tatsächlich um einen weiblichen Leibarzt, sprich eine Leibärztin handelte, die der Kaiser mit auf den Palatin genommen hatte. Daher hielt er sich zurück, blieb aber an der Tür stehen, damit auch weiterhin niemand eintreten konnte, der die Geburt nur stören würde. Wenige Augenblicke später erschien auch schon eine weitere junge Frau mit einer Instrumententasche, die Severus natürlich ebenfalls passieren ließ und ihr erneut einige Augenblicke später nachblickte, als sie aus der Kammer trat um weitere Dinge zu holen. Die Schreie der Sergia drangen derweil weiter in den Korridor, doch wusste Severus jeden, der verwundert stehenblieb, weiterzuschicken.

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