[Cubiculum Luciani] Der letzte Auftrag

  • Beinahe geräuschlos wie immer schob Phaeneas in seiner Eigenschaft als Lucianus‘ Leibsklave die Tür zu dessen Schlafzimmer auf.
    Gemäß dem, was sein Herr ihm gesagt hatte, wollte er dort nach dem Rechten sehen.
    Es war noch nicht lang her, dass die Prätorianer zusammen mit dem Senator und Consular abgerückt waren. Kurz danach hatte sich der Sklave erst mal in die hinterste Sklavenkammer, die diese Villa zu bieten hatte, zurückgezogen und allen Mitbediensteten verboten, dort aufzutauchen. In diesem relativ kleinen Raum hatte er so lange wie versteinert dagesessen, den Blick starr auf die Wand gerichtet, bis sich sein Herzschlag wieder normalisiert hatte und er wieder halbwegs entspannt atmen konnte.
    Jetzt wollte er herausfinden, was sein Herr vorhin gemeint hatte.
    An die Soldaten in und vorm Haus würden sich die Haussklaven langsam gewöhnen müssen. Es war schon anstrengend gewesen, in welche Dinge die bereits nach so kurzer Zeit ihre Nase gesteckt hatten und nicht unkontrolliert hatten lassen wollen. Der vorläufige Höhepunkt war gewesen, als Arete entnervt einen Prätorianer gefragt hatte, ob sie auch schon das frisch polierte Silbergeschirr aus dem Wirtschaftstrakt in ihre Ausstellungskästen in einem der Triclinia zurückpacken durfte, nachdem er sie aufgehalten hatte.


    Phaeneas ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Wie einsam sahen Lucianus‘ Räumlichkeiten aus, wenn ihr Bewohner nicht mehr da war und wahrscheinlich nie wieder da sein würde. Wie ausgestorben. Irgendwann würde hier jemand anderes residieren. Aber wenn alles gut lief, würde der Bithynier davon nichts mehr mitbekommen.


    Also von Unordnung war hier keine Spur. Alles genau so an seinem Platz, wie es sein sollte. Zur Kontrolle schüttelte der Sklave Kissen und Decken aus, öffnete Truhen und kleinere Behältnisse. Dabei fiel ihm ein Blatt Papyrus in die Hände, das da bei Phaeneas‘ letzter Sauberkeits- und Ordnungskontrolle definitiv noch nicht gewesen war. Verwundert und misstrauisch las er die Zeilen, die darauf abgefasst worden waren:


    Hiermit überschreibe ich meine Sklaven:


    Phaeneas und Lais


    auf meinen Sohn


    Lucius Vinicius Massa


    gez.
    Marcus Vinicius Lucianus


    Seine Hände zitterten, als er fertiggelesen hatte. Und wenn sein Herz vorher schneller geschlagen hatte, dann raste es jetzt. Entgeistert wischte er seine nun feuchten Handflächen an seiner dunkelblauen Tunica ab.
    Lucianus hatte sich selbst praktisch schon beinahe für tot erklärt. Deshalb hatte er seine zwei wertvollsten Sklaven schon mal vorsorglich seinem Sohn überschrieben.
    Entsetzt starrte Phaeneas aus dem gegenüberliegenden Fenster. Er gehörte für den Moment gar nicht mehr Vinicius Lucianus. Sein neuer Herr war jetzt Vinicius Massa. Der Junge. Das Kind.


    Das der Bithynier noch auf dem Arm seiner Amme gesehen hatte. Das vor kurzem erst unter Aufsicht seines Lehrers mit Patschhändchen seine ersten Stilübungen gemacht hatte. Das der Vater noch vor nicht allzu langer Zeit das letzte Mal übers Knie gelegt hatte.
    Der Sklave musste sich an der Wand festhalten, um sicher stehenbleiben zu können.
    So schnell ging es. Flüsterte ein leises Stimmchen in seinem Kopf. So schnell hatte er schon wieder einen neuen Herrn. Den-weiß-der-Olymp-wievielten.
    Das kalte, erbarmungslose Schicksal.


    Ganz zu schweigen davon, dass der Junge einfach jemand ganz anderes war als Lucianus. Niemand konnte einen anderen Menschen ersetzen. Zumindest nicht für Phaeneas. Bei Sklaven schon, da konnte der eine Sklave Nullachtfuffzehn–Aufgaben genauso gut erledigen wie ein anderer. Da war einer schnell ersetzt. Aber menschlich? Da war Lucianus einfach nur weit weg und bald tot.

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