Das Leben des Brion

  • Immer wenn ich etwas über mich erzählen soll, dann weiß ich nie, wo genau ich anfangen soll. Also fang ich am besten ganz vorne an. Mit meiner Geburt. Dummerweise kann ich mich daran aber gar nicht mehr so genau erinnern, hahaha. Tschuldigung! Kleiner Scherz!
    Manche behaupten ja, ich sei ein hoffnungsloser Fall. Was die wohl meinen? Ja sicher, bisher habe ich mich immer zurückgehalten, wenn es um ehrliche Arbeit und Frauen ging. Aber eines Tages, irgendwann, ja! Dann werdet ihr´s sehen! Naja, bis dahin ist ja noch ein bisschen Zeit. Ähm, wo war ich doch gleich stehen geblieben? Ach ja, mein Leben…


    Also, ich bin so was, was man auch als "Besatzungsschaden" bezeichnet. Das kam daher, dass meine Mutter eine Begegnung der ziemlich unfreiwilligen Art hatte. Mit so einer dahergelaufenen Hakennase, äh Legionär. Neun Monate später kam ich dann auf den Plan. Na schön, meine Mutter gehörte nicht unbedingt zu den tugendhaftesten unter den Frauen. Irgendwie musste sie ja ihr Geld verdienen. Trotzdem war das damals eine handfeste Vergewaltigung, sagte sie.


    Als ich dann da war, suchte sich meine Mutter ein anderes Gewerbe. Nur ihre guten Kunden, die auch was dafür bezahlten, empfing sie noch gelegentlich. Ich musste in der Zeit dann immer auf der Straße spielen. Kein Wunder, dass ich dann irgendwann mit den falschen Jungs zusammentraf.
    Ach ja, aufgewachsen bin ich in Calleva. Das liegt in Britannien. Naja, dazu gibt’s nicht viel zu erzählen. Meine Mutter und ich lebten dort in einer kleinen Bruchbude. Aber wir hatten immer was zu essen auf dem nichtvorhandenen Tisch, was durchaus auch meinem zeitweiligen Verhandlungsgeschick als Inkasso-Schläger zu verdanken war. Zeitweilig deshalb, weil ich eines Tages ganz schön großen Mist gebaut hatte. Dummerweise hatte ich mir den Falschen vorgeknöpft. Nämlich den, der die Kohle abgedrückt hatte, damit ich mir mal seinen ehemaligen Kompagnon vornahm. Tja, dumm gelaufen!


    Übrigens, der Kerl, der meine Mutter vor Jahren vergewaltigt hatte, ließ sich nie wieder bei uns blicken. Schade eigentlich! Kein Wunder also, dass wir nicht gerade gut auf die Römer zu sprechen waren. Und nicht nur das. Die Römer, die sich in der Stadt breitgemacht hatten, nachdem sie nach der Zerstörung durch Bouadicca wiederaufgebaut worden war, behandelten uns "Eingeborene" wie den letzten Dreck. "Britunnculi" titulierten sie uns verächtlich. Diese aufgeblasenen Hakennasen! Dem letzten, der mich so genannt hatte, hatte ich seinen Scheiß-Gladius scheißlangsam in seine Scheiß-Brust gejagt, was dazu geführt hatte, dass ich Calleva in einer Nacht-und-Nebel Aktion verlassen musste. Nicht mal meiner Mutter konnte ich Lebewohl sagen. Aber die war sowieso gerade beschäftigt gewesen.


    Die ersten Tage tauchte ich in Londinum unter. Aber die Togaträger fanden es echt nicht lustig, wenn einer der ihren plattgemacht wurde. Und dann auch noch von einem wie mir. Deshalb schiffte ich mich einige Tage später auf einem Handelsschiff ein, um schweren Herzens meine Insel zu verlassen.

    Die Acheron, so hieß der Kahn, war der letzte Seelenverkäufer und machte ihrem Namen alle Ehre. Aber der Kapitän hatte nicht viel verlangt für die Überfahrt.
    Langsam schipperte sie die Tamesis hinunter, bevor sie das Mare Germanicum überquerte und schließlich in die Mündung des Rhenus erreichte. Scheiße Mann, war mir übel geworden, als wir auf See waren. Ich hatte tagelang nur gereihert. Mir war erst wieder richtig wohl, als ich festen Boden unter den Füßen spürte. Von da ab tingelte ich in den Städten entlang des Flusses umher, ohne wirklich zu wissen, wohin ich eigentlich wollte und was ich machen sollte. Geradeso hielt ich mich über Wasser. Gelegentlich konnte ich einen Auftrag ergattern. Es gab immer und überall Leute, die jemanden wie mich suchten. Genauso wie es unliebsame Zeitgenossen gab, die man eher tot als lebendig sah. Und wenn es an einem Ort für mich zu heiß wurde, dann zog ich einfach weiter.
    Und genau auf diese Weise erreichte ich schließlich die Tore Mogontiacums...

  • Der Fuhrmann, der mich in Bingium aufgelesen hatte, trieb seine Ochsen an. Auch er wollte möglichst noch vor Sonnenuntergang die Stadt erreichen. Allerdings beeindruckte das die beiden Viecher nicht wirklich. Sie liefen schön brav in ihrem Trott weiter. Auch ich war nicht abgeneigt, die kommende Nacht mal wieder in einem richtigen Bett oder wenigstens auf einer Strohmatte zu verbringen. In letzter Zeit war ich weit davon entfernt gewesen, Fortunas Liebling zu sein. Entweder hatten sich die Leute in den Civitates alle so furchtbar lieb oder niemand wollte mir einen gescheiten Auftrag geben, der etwas Zaster einbrachte. Je länger ich darüber nachdachte, schlich sich die leise Vorahnung ein Antwort B könnte zutreffend sein. Bildete ich mir das nur ein, oder waren die Leute hier irgendwie anders? So misstrauisch gegen Fremde, wie mich zum Beispiel. Im Gegenzug dazu, schien es fast so, als kämen sie ganz prima mit den elenden Besatzern aus. Pfui! Na, das musste man vielleicht auch nicht wirklich verstehen.


    Vor uns tauchten allmählich die Umrisse Mogontiacums auf und man konnte sich langsam ein Bild davon machen, wie groß die Stadt war. Auf dem Fluss herrschte geschäftiges Treiben. Zum Glück war es noch früh im Jahr, sonst wäre man mit großer Wahrscheinlichkeit von hunderttausenden von marodierenden Stechmücken heimgesucht und aufgefressen worden. So hatte ich es jedenfalls im letzten Sommer erlebt, als ich mich nichtsahnend in den Auen des Rhenus aufgehalten hatte. Damals hatte ich gelernt, wenn man sich mit Schlamm einschmiert, hatte man Ruhe vor den Plagegeistern. Allerdings stank man dann wie ein Iltis und besonders bei der weiblichen Bevölkerung hatte man noch weniger Chancen.
    Hach ja, die Frauen! Über dieses Kapitel in meinem Leben schweige ich am liebsten, denn es gibt nichts Heldenhaftes davon zu berichten. Vielleicht war meine Mutter der Grund, weshalb ich schon in meiner Jugend Hemmungen hatte, ein Mädchen auch nur anzusehen, geschweige denn anzusprechen. Selbst wenn ich mich in die Nähe eines Lupanars gewagt hatte, wurde ich das Gefühl nicht los, gleich meiner Mutter zu begegnen. Obwohl sie nie in einem Lupanar gearbeitet hatte! Sie war all die Jahre selbstständig und stolz darauf gewesen. Die Huren ihrerseits lästerten nur über mich, ich sei ein Schlappschwanz. Als ich jünger war, hatte ich mich gefragt, ob etwas nicht mit mir stimmt. Inzwischen versuche ich, darüber zu stehen. Mal mit mehr oder weniger Erfolg.


    Die Stadt rückte näher und näher, bis man schließlich das Stadttor schon deutlich erkennen konnte. Der Fuhrmann verlangsamte seine Fahrt, was seinen Ochsen sehr entgegen kam. Er freute sich bereits auf seinen Besuch in den Thermen, gab er mir händereibend zu verstehen. Ich lächelte nur nickend. Noch hatte ich keinen Plan, worauf ich mich freuen sollte, oder was ich hier überhaupt tun sollte. Vielleicht sollte mein Aufenthalt in Mogontiacum auch nur ein weiterer Punkt auf meiner Reise entlang des Rhenus werden. Nur die Götter wussten das, wenn überhaupt. Aber womöglich waren selbst die mit dieser Frage heillos überfordert.

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