Cubiculum | Sextus Aurelius Lupus

  • Die Umstände der letzten Zeit hatten es nötig gemacht, ein wenig Korrespondenz zu tätigen. Kontakte, die man hatte, musste man nutzen. Vor allem, wenn das weitere Überleben davon abhängen mochte, wen man kannte und wer zu einem hielt. Und zwar war sich Sextus bei einigen der Briefe, die er schrieb, ganz und gar nicht sicher, dass sie an eine Fraktion gehen würde, die letztendlich auf seiner Seite stand, doch war er gewillt, darauf zu spekulieren, dass sie zumindest nicht gegen ihn stehen würden. Und Nicht-Feinde waren ihm in seiner ganz konkreten Situation schon durchaus etwas wert.


    Der erste Brief ging selbstverständlich wie schon angekündigt an seinen alten Mentor. Und ebenso selbstverständlich in etruskischer Sprache und Schrift, dass nicht jeder trottelige Bote mitlesen konnte.



    Sextus Aurelius Lupus suo Marco Cilnio Lanato s.d.


    geehrter und geachteter Freund, deine Nachricht erreichte mich in schwerer Stunde. Gewiss hast du schon von der Proskription gehört, und noch sicherer weißt du, welche Schatten diese Dinge in die Zukunft werfen.
    Ich muss dich herzlich danken für die Aufnahme meines Sohnes. Er wird sich beizeiten sicher als fleißigerer Schüler als ich erweisen und sich der Ehre bewusst sein, von einem weisen Mann wie dir zu lernen und an deiner Erfahrung und Weitsicht teilzuhaben. Meine tiefste Dankbarkeit sei dir für all das stets sicher.
    Auch weiß ich deine Bemühungen zu schätzen, den verbleib meiner Frau zu erfahren. Doch hast du mich stets gelehrt, Realist zu sein und die Dinge zu sehen, die da sind, und nicht die, die ich vielleicht sehen möchte. Ich weiß deine noble Geste durchaus zu schätzen, doch wenn die Zeichen auf ihren Tod deuten, wie sie es jetzt tun, dann wäre es zu viel Kostenaufwand, dennoch weiter zu suchen. Dennoch danke ich dir für deine Fürsorge, die eines echten Patriziers und etruskischen Edelmannes mehr als würdig ist.


    Und dennoch komme ich nicht umhin, dich um mehr zu bitten. Ich weiß, die Freundschaft zu mir fordert von dir schon mehr, als es unter Freunden ziemlich ist, aber mir bleibt keine andere Wahl, als dich dennoch zu ersuchen. Mir bleibt nur die Hoffnung, dass du die Dringlichkeit meiner Bitte auch darin erkennst, dass ich sie überhaupt an dich richte. Ich kann von dir nicht verlangen, dass du meiner Bitte nachkommst. Auch bei aller Freundschaft verstehe ich, mehr noch, fast hoffe ich, dass du ihr nicht nachkommst und dich so nicht in Gefahr begibst. Dennoch ist es auch meine Pflicht, die Worte niederzuschreiben:
    Ich bitte dich, mit den ehrwürdigen Decuriones von Tarquinia zu reden. Du siehst die Zeichen, sie stehen auf Krieg. Auch sie werden die Zeichen sehen, vor allem, wenn sie ihnen ein so weiser Haruspex wie du sie ihnen vorlegt. Ein Saeculum geht zuende, und wie immer wird es das mit Blut und Tod tun.
    Ich kann nicht verlangen, dass sich Tarquinia auf die Seite eines geächteten stellt. Ich kann nicht verlangen, dass es auf unserer Seite steht. Aber ich hoffe, dass du die Stadtväter überzeugen kannst, die Tore der Stadt zu schließen und zumindest nicht dem Usurpator Vescularius Gefolgschaft zu leisten. Überzeuge sie, zumindest den Ausgang des Krieges abzuwarten. Ich bin sicher, dass sie sehen, dass dies in jedem Fall zu ihrem Vorteil sein wird. Und wenn es dir möglich ist, richte dies auch in den anderen Städten des alten, etruskischen Bundes aus. Das Wort Tarquinias hat unter allen Städten Etrurias nach wie vor das meiste Gewicht.


    Zuletzt noch ein paar persönliche Worte. Ich hoffe, dass du, mein Freund, die kommenden dunklen Tage mit all deinen Lieben heil überstehst. Ich werde Turms ein Opfer darbringen, dass er unsere Wege wieder zusammenführt, wenn diese Zeit vorüber ist.


    Lebe wohl



    Ähnliche Briefe gingen - selbstverständlich ebenfalls in etruskisch - auch an die Männer des Collegium Haruspicium, die mit ihm aus Rom geflüchtet waren. Praktischerweise nicht nur nach Tarquinia, sondern auch Veji, Caere, Chiusi und Pisa. Mit etwas Glück konnte Sextus Norditalia zumindest dazu bewegen, nicht gegen sie zu sein. Überhaupt war die Aussicht für die meisten Städte vermutlich sehr verlockend, sich aus dem ganzen möglichst herauszuhalten und niemanden zu unterstützen, um am Ende nicht auf der falschen Seite gestanden zu haben.
    Allerdings lag Etruria praktischerweise direkt nördlich von Rom, so dass, sollte Salinator stadtrömische Truppen gen Norden schicken, diese mit etwas mehr Glück vor verschlossenen Toren auf ihrem Weg stehen würden, was ihr vorankommen und vor allen Dingen ihren Nachschub deutlich erschweren konnte. Eine kleine und überdies unbegründete Hoffnung, wie der realistische Teil von Sextus' Verstand durchaus realisierte, aber den Versuch war es wert.


    Nach also zehn Briefen und tintenschwarzen Fingern – und der immer immanenter werdenden Frage, welche Boten er damit wohl beauftragen konnte – kamen noch ein paar persönlichere Briefe hinzu.
    Sextus schrieb natürlich auch nach Rom. An siene Kontakte, an seine Zweckverbündeten, an jeden, der weit genug von Salinator entfernt war, um seinen Brief anzunehmen, ohne dass er darin genauere Details preisgab. So schrieb er unter anderem auch an entferntere Bekannte.



    Sextus Aurelius Lupus Purgitio Macre s.d.


    Ich kann nur hoffen, dass diese Zeilen von dir nicht sofort dem Feuer überantwortet werden, ehe du sie gelesen hast. Und ich könnte es dir nicht verübeln, wenn du genau dies tun würdest, schreibt dir hier doch ein Mann, der öffentlich gebranntmarkt wurde. Ich bin sicher, dass es auch Gerüchte meine Flucht betreffend gibt, die mich mit dem Tod des Kaisers in Verbindung bringen wollen, und ich bin mir ebenso sicher, dass wir beide wissen, von welcher Quelle diese Andeutungen oder auch offenen Anschuldigungen stammen mögen.


    Ich will von dir keine Absolution oder Verständnis für meine Flucht. Darüber mögest du dir dein Urteil bilden, wie auch immer es ausfallen mag. Ich habe meine Gründe, die dir angesichts der Lage in Rom vor meiner Abreise plausibel erscheinen mögen oder auch nicht. Ich denke nicht, dass ich dich, solltest du sie für unredlich halten, davon würde überzeugen können, dass sie nicht aus Selbstsucht oder gar berechtigter Furcht aufgrund einer Missetat geschah. Ich kann dir nur mit meinem Wort versichern, dass nichts von dem, was mir zur Last gelegt wird, zutreffend ist, was du glauben kannst oder nicht. Diese Entscheidung kann ich dir nicht abnehmen.


    Doch dies ist nicht der Grund dieses Briefes. Vielmehr schreibe ich dir, da mein Patron, der Mann meiner geliebten Cousine Aurelia Flora, der Consular Tiberius Durus auch mit deiner Familie verbunden war durch deine Ehefrau. Ebenso wie mein Vetter Aurelius Ursus mit ihm verbunden war durch die seine. Und der durch Vescularius ermordet wurde. Ja, ich schreibe ermordet, auch wenn ich um die exakten Umstände seines Todes vermutlich genauso wenig weiß, wie du. Dennoch war er ein redlicher, aufrechter Römer, Consular Roms, Pontifex, langjähriges Senatsmitglied, und wie auch immer sein Tod vonstatten gegangen sein mag, er hatte besseres verdient, als sein Haus von Prätorianern auf Befehl des Vescularius erstürmt zu wissen, so dass nicht nur er, sondern auch Teile seiner Familie und seiner Getreuen den Tod finden mussten.
    Ich weiß, auch wenn du als ebenso aufrechter Römer mit mir darin sicherlich übereinstimmst, dass uns dieses Wissen nicht zu Verbündeten und auch nicht zu Freunden macht. Dennoch hoffe ich, dass du über dieses Wissen verstehst, dass die folgenden Taten, die so unabwendbar sind wie der Lauf der Gestirne, nicht aus Niedertracht oder Gier geschehen werden, sondern zu ehren eines großen Mannes, der besseres verdient hat als die Behandlung, die ihm zuteil wurde. Vor kurzer Zeit verkündeten die Zeichen, dass die Götter nicht zulassen würden, dass der Schuldige am Tod des Kaisers seinen Thron mit noch blutigen Händen ergreift. Nun, die Götter werden es nicht zulassen, auch wenn es Menschen sein werden, derer sie sich als Werkzeug bedienen.
    Ich möchte, dass du weißt, dass ich nicht ein Cnaeus Marcius Coriolanus bin. Ich tue Dinge nicht aus übertriebenen Stolz oder gekränkter Eitelkeit. Niemand von uns wird sich mit Roms Feinden verbünden, um gemeinsam Rom anzugreifen, auf dass unsere Mütter und Ehefrauen uns erst wieder zur Vernunft bringen müssten um einzusehen, welche Frevel wir zu begehen uns anschicken.
    Ich kann von dir nicht erwarten, auf unserer Seite zu stehen. Ich kann vor dir noch nicht einmal erwarten, dass du mir glaubst. Und dennoch habe ich die Hoffnung, dass wir uns nicht als Feinde wiedertreffen müssen, und vielleicht, wenn die Götter das Schicksal zu seiner Erfüllung gebracht haben, uns als Freunde wiedertreffen können.


    Mögen die Götter ihre schützende Hand über dich und deine Familie legen.




    Und schließlich kam noch ein Brief, bei dem Sextus wirklich lange überlegen musste, wie er diesen befördern könnte. Über den Cursus Publicus ging es in keinem Fall. So dämlich, solche Korrespondenz über die Staatspost zu verschicken, welche den Prätorianern unterstand, konnte wohl kein Mensch sein.



    Sextus Aurelius Lupus Quintilio Sermo s.d.


    Wie du unzweifelhaft erkennen kannst, lebe ich noch. Sogar gut genug, einen Boten zu dir nach Ägypten zu schicken, um dich um Nachricht zu bitten.


    Ich weiß nicht, wie dein Kenntnisstand da unten ist, aber im Sinne unseres Bündnisses, auf das ich mich mit diesen Zeilen auch berufe, kläre ich dich auf, soweit das in meinen Fähigkeiten liegt. Der Kaiser ist tot, ermordet durch Gift. Mein Patron Tiberius ist tot, ermordet durch Vescularius. Letzterer mordet und verhaftet sich auch fröhlich weiter durch die Reihen des Senats, vor allem der Nobilitas und des Patrizierstandes, von welchen man im Anschluss üblicherweise nichts mehr hört. Ein Umstand, der mich dazu veranlasst hat, Rom zu verlassen, trotz – oder gerade wegen – der Todesdrohungen, die Vescularius auf ein Verlassen der Stadt geäußert hat.
    Im Moment bin ich in Mantua bei meinem Vetter und seiner Legion. Ich muss dir wohl nicht erklären, welche Aussichten sich daraus ergeben und was in Zukunft passieren wird. Auch habe ich Grund zu der Annahme, dass der mir bekannte Senator Cornelius Palma, der ebenso zum Verräter erklärt wurde, sich zu seinen Truppen nach Syria abgesetzt hat. Hierzu hast du vermutlich bessere Informationen als ich, teilt sich der Osten des Reiches doch einige Handelswege und damit Informationswege.


    Und nun komme ich auch zum Kern, weshalb ich dir schreibe: Wo steht Ägypten? Ich weiß, du wirst vermutlich nichts ausrichten können, Ägypten auf die eine oder andere Seite zu ziehen – aber sei dir versichert, wenn dein Legat sich überlegt, sich gegen Vescularius zu richten, wäre JETZT die Gelegenheit dazu.
    Doch ich benötige DRINGEND Informationen, wo Ägypten stehen wird. Meiner Einschätzung nach wird dies ein Spiel zwischen Vescularius und Cornelius, und auf welcher Seite ich zu stehen habe, wird klar sein. Ich verlange von dir keine Entschiedung, auf welcher Seite du dich aufhalten wirst, dir stehen wohl beide Möglichkeiten durchaus offen, da du Plebejer bist und deine Gens nicht der Nobilitas des Reiches angehört. So erwachsen dir aus beidem Möglichkeiten.
    Aber im Zuge unseres Bündnisses und für die Informationen, die ich dir hier zuteil werden lasse, hoffe ich, dass du mir den Gefallen erwiderst und mich, sobald es dir möglich ist, über einen Boten in Kenntnis setzen lässt. Sofern wir dann noch hier in Mantua verweilen, weshalb ich auf rasche Antwort oder einen intelligenten und vertrauenswürdigen Boten hoffe.



    Jetzt blieb nur noch die Frage nach den Boten zur Überstellung dieser Nachrichten.

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