In die Verbannung geht man langsam...

  • Der ehemalige Senator wurde auf ein Schiff gebracht, welches in Ostia lag und recht häufig im Monat nach Palma aufbrach - ein Versorgungs- und Handelsschiff. Es war nicht seine luxuriöse Yacht, mit der seine Frau nun hoffentlich irgendwo sicher angekommen war, nein, es war ein einfaches Boot, welches den letzten Platz nutzte, um dort irgend eine Vase, Tücher oder Sondergleichen unter zu bringen.
    Die Klienten erkauften ihm, durch das Feilschen mit den Prätorianern, einen guten Platz, eine eigene Kajüte. Der schwarzen Garde war es ohnehin egal, sie beaufsichtigten die Fahrt und wenn der Patrizier den Sand der Insel betrat, war er nicht ihr Problem, denn wenn er sie verließ war er ohnehin vogelfrei und konnte von jedem getötet werden.
    Langsam, auf seinen Medicus gestützt, setzte man den gebrochenen Mann auf das improvisorische Bett, welches ein wenig nach Wein roch. Ruhe hatte man ihm verschrieben. Doch welche äußere Ruhe konnte er an den Tag legen, wenn es in ihm stürmte? Stürmte ob der ihm widerfahrenen Ungerechtigkeit und Pein, stürmte ob des Meuchelmörders, der auf dem Thron saß, stürmte ob des geliebten Roms, welches zweifelsohne würde einem Bürgerkrieg bevorstehen. Das, was Rom niemals genützt hatte und es auf ewig schwächen wird - der Kampf der Brüder, der sinnlose Kampf von Römer gegen Römer. Und wozu das alles? Um die Selbstgeltung eines Homo Novus zu befriedigen. Eigenhändig würde er ihn erwürgen!
    Flavius Furianus spann ballte seine Hand zur Faust, die Fingerknochen wurden weiß und der Arzt verstand auf einem Male, dass seine Aufzählung von Kräutern gerade weit weg war, nur nicht in den Ohren des verstoßenen Consulars.
    Das Schiff stach in See und die Zukunft war ungewiss. Natürlich würde er nicht als armer Bettler leben - er hatte überall seine Schätze, auch wenn alles konfisziert worden war. Irgendwo würden seine Klienten etwas zusammen tragen, seine Frau war in weiser Vorsicht fast überall als Eigentümerin eingetragen wollen und das Netz seiner Kontakte, Freunde und Gönner - insbesondere in hispanischen Gebiet - war endlos. Das alles war peripher, denn er dachte nur an einen Mann und dieser musste sterben.

  • Einst schrieb ein kluger Kopf, dass auch in einem goldenen Gefängnis die Vöglein nicht zwitschern. Und das taten sie fürwahr recht selten.
    Flavius Furianus erholte sich langsam von der Schwelle des Todes, an welcher er nach seinem Gefängnisaufenthalt recht oft zu stehen schien. Die Lunge schmerzte und er spuckte Schleim. Auch wenn dieser Umstand von verschiedenen Medici als gut befunden wurde, denn der Körper reinige sich selbst und die Körpersäfte seien nicht im Einklang, war doch der Nebeneffekt des rastlosen Hustens eine Qual sondergleichen.


    Zum Glück war man als alte Adelsfamilie schon oft mit der Tatsache konfrontiert worden das Vermögen weitläufig zu zerstreuen und sich darüber den gleichen Wohlstand zumindest für einige Dekaden erhalten zu können. Seine Behausung war komfortabel - ein am Hang liegendes Gebäude, welches der ehemalige Senator sofort luxuriöser ausbauen ließ. Schließlich waren die Baleares ein paar schäbige Inseln mit Schäferdörfern. Und er, als gesellschaftlich Aussetziger, konnte oder vielmehr wollte nicht mit den paar Honoratioren dieser von allen Göttern verlassenen Gegend verkehren. So blieb er abgeschieden und vertrieb sich die Zeit mit Spaziergängen, den Episteln seiner Spitzel und Boten in und rund um Rom - und schürrte seinen Hass auf den Emporkömmling, welcher sich auch gleich Rex hätte nennen können.


    Gerne wäre er noch in der körperlichen Verfassung von dieser Insel zu fliehen, sein Vermögen zusammen zu scharren und mehrere Legionen auszuheben, welche er als Legat hätte gegen den Vescularius in die Schlacht geführt. Ja, alleine ander körperlichen Verfassung mangelte es! Elendige Körper, sie sind schneller von Befall als der unsterbliche Genius. Aber die Götter darum zu beneiden wäre auch schon frevelhaft.
    So aß er seine Trauben, welche er Stück für Stück von den Ästchen zwirbelte und sinnierte darüber nach, was kommen mochte. Für Rom, seine Familie, seine Kinder vor allem. Seine Zeit schien schon um, doch eine neue würde kommen. Was sie bereit hielt wusste niemand und die wenigstens reisten heutzutage nach Delphi, um gläubig den Orakelspruch zu empfangen, welcher ihr Handeln prägen sollte. Nein, das war nicht für einen Flavius Furianus. In seiner Freiheit ließ er sich nicht einschränken. Bis auf die Tatsache, dass er vogelfrei wäre, wenn er die Insel verlassen sollte. Der goledene Käfig.


    Es gab Tage, da wollte er sich in die Schlucht stürzen. Einen Spaziergang antäuschen, die Sklaven wegschicken und dann frei wie ein Vogel den ehrenvollen Tod an den Klippen wählen. Oder ganz klassisch in ein Gladius fallen lassen, obgleich er auch kein aktiver Solat mehr war. Doch hatte man als Römer jemals die Freiheit auch mal nicht Soldat sein zu müssen? Sie alle waren Miles und würden es bleiben.
    Und doch, es gab Tage, da kam seine kleine Tochter, die schon ihre ersten Schritte wagte, mit einem Lächeln auf ihn zu. Seine Gattin, welche sie regelmäßig mitbrachte, um dem Vater die Entwicklung seines Kindes nicht zu enthalten, war auch ein triftiger Grund nicht an das Elysium zu denken. Genau so wie der Rest der Gens, Freunde, Klienten - und vor allem schon Rom zuliebe.


    Der Krieg, Brüder gegen Brüder, würde Rom wieder intern schwächen. Auch wenn er richtig war, um eine neu angebrochene Schreckensherrschaft zu unterbinden, er war dennoch falsch. Das Reich würde, egal wie es ausging, geschwächt daraus hervor gehen. Die Grenzen würden überrannt werden, ein paar Gebiete vor allem im Nordwesten und im Osten des Reiches würden den Feinden anheim fallen und die römische Zivilisation von den Barbaren geschändet. Und doch, man musste dies in Kauf nehmen. Eher dies als den Tod Roms durch den giftigen Biss einer einzigen Schlange, welche aus ihrem Sumpf empor gekommen bis zum ewigen Marmor des Palastes und zubiss, als der göttliche Regent schlief. Und nun saß sie selbst, spitzzüngisch, fett ob der Beute und zynisch mit der Krone des Reiches.
    Nein, man musste sie ausmerzen - und ihre ganze Sippschaft. Flavius Furianus hatte Geld, auch wenn keine reale Macht mehr, doch sollten die richtigen Männer gewinnen, er würde eine Hetzjagd sondergleichen nach den Verrätern starten. Alle, die dem jetzigen Kaiser nahe standen oder begünstigt waren, alle würde er auch auf eigene Kosten bis zum Tartaross jagen.


    Langsam wurde es Zeit ins Bett zu gehen. Ein kleiner Schluck verdünnten Weines und dann ließ sich der vormals strahelnde Consul von zwei Sklaven als einfacher Peregrinus, der er nun war, zum Schlafgemach stützen.

  • Die Zeit war Muße und doch Qual. Menschen konnten sich nie festlegen - auch er. Damals hatte er stets zu wenig Zeit und verfluchte sie, nun hatte er zu viel und verfluchte dies ebenfalls. Die alten Schriften zu lesen, nun ja, das tat er schon während er noch ein kleiner discipulus war. Nun ermüdete auch dies. Spaziergänge waren mithin strapaziös, da die hispanische Sonne unaufhörlich zum Verweilen und Dösen einlud. Fischzucht war auch schon aus der Mode. Ihm fehlten auch die Bewunderer, derer es hier schon gar nicht gab. Auf den Baleares schien man Fische eher essen als züchten zu wollen.


    Also setzte er sich auf die weitläufige Terasse mit einem fernen Blick zur See und ließ sich Papyrus, Stilus and Siegelwachs holen. Politik war stets ein treuer Freund und dieser erforderte reale Freunde und die Pflege derer.


    Ad Senator Matinius Agrippa
    Provincia Italia
    Roma
    Casa Matinia



    L. Flavius Furianus s.d.


    wie lange währt denn dieser Alptraum noch, mein Freund? Sage es mir.
    Ich komme nicht umhin mich in dieser Einöde meiner Verbannung an dich zu erinnern. Republikanische Werte waren es, die uns einst schöne Gespräche ermöglichten und der Usurpator ist es, über den ich sprechen möchte.


    Sage mir, Freund, wie ist dein Eindruck von ihm? Ist er schon, wie bei diesen Homini Novi recht übrlich, dem ausschweifenden Leben anheim gefallen? Die Götter mögen ihn lange genug durch Orgien und sondergleichen ablenken, ehe er durchstochen oder seine Leber Schaden nimmt!


    Wie geht es dir nach dem Umsturz des Räudigen? Man hört du seist auf deine Güter zurück und führst das Leben eines aufrechten römischen Gutsherrn. Dazu möchte ich dich beglüclwünschen, war es doch schon immer - und vor allem seit Cicero - eine Pflicht jedes guten Römers der Mutter Erde seine Aufmerksamkeit zu schenken. Politik sind Worte, Taten sind Rauch in der Mühle der Zeit, doch die fruchtbare Mutter Erde, welche uns durch ihren Schoß stets prächtig nährte, besteht noch Jahrtausende!
    Hier gibt es leider wenig, was ich dem Schoß abringen kann. Es wachsen schon Südfrüchte, doch ist dies nicht die einzige Grundlage römischer Küche - und wird es hoffentlich auch nicht in ZUkunft.
    Für Viehaltung bin ich auch schon zu alt. Der Gestank, Fäkalien und dann der Geräuschpegel von Schweinen, Ziegen, Schaafen und anderem ist mir nun doch zuwider - ich brauche Ruhe.


    Wie geht es deinen Kindern? Ich hoffe, dass sie die Umbrüche unserer Zeit zu nutzen wissen und durch den allgemeinen Kompetenzmangel auf jeglicher behördlichen Ebene ihr Schicksal ergreifen! Zwar funktioniert das Klientelsystem heutzutage recht einseitig zugunsten der Emporkömmlinge um den Emporkömmling herum, doch sind die alten Stricke noch immer fest und nicht jeder Dienstposten durch einen auf Linie gebrachten Novus besetzt worden. Ein Vetter ist sehr erfolgreich in Achaia - zwar nur Provinzialebene, doch heutzutage schon etwas handfestes geworden. Zögere nicht zu fragen, wenn der Kontakt hergestellt werden soll, mein Freund!


    Nun denn, das Leben eines Verbannten hat auch noch eine gewisse Richtschnur. Ich muss nun meine Leibesübungen machen und Kräuter einnehmen. Du weißt ja, um meine Gesundheit war es nie recht gut bestellt. Ich hoffe du bist da anders.


    Mögen die Götter dich und die deinen Schützen! Auf bald, gehab dich wohl!


    gez.


    Lucius Flavius Furianus

  • Grimmig saß er auf einem orientalischen Diwan, welchen er jüngst auf dem Markt erstanden, und betrachtete sein Selbst im blutroten Wein in der Schale vor ihm. Er war alte geworden. Gebrechlich. Vielleicht auch ein wenig introvertiert.
    Er bekam keinen Besuch, niemand von Rang und Namen, alte Freunde, waren hier gewesen. Selbstverständlich verstand er den Umstand seiner derzeitigen Situation. Auch er würde zu keinem Freund in diese trostlose Gegend reisen. Und doch, ein wenig Hoffnung hatte er immer gehegt. Schließlich war er nicht irgendwer, sondern Consular, Patrizier, ein mit Orden und Statuen übersätes Abbild des perfekten Römer! Nun ein Rechtloser.


    Er hielt in der anderen Hand eine Mitteilung seines Sekretärs. Der Emporkömmling ist gefallen, Rom schien wieder ein Hort zu sein, wo man sich mit goldenem Halbmond am Knöchel zeigen durfte. Vielleicht auch darob sollte. Vermutlich kehrte alsbald die Selbstverständlichkeit und das Selbstbewusstsein eines jeden Patriziers zurück. Oder doch nicht?


    Die größte aller Fragen war jedoch, wo sein Platz nun sein mochte. Er, der hier verbannt vor Langeweile eher krepiert wäre als von seinem Lungenproblemen. Selbstverständlich musste sein Name rein gewaschen werden, wie auch der aller anderen zu Unrecht Verbannten Konkurrenten des toten Emporkömmlings.


    Wollte er Rache, Genugtuung? Das war eine gewichtige Frage. Schließlich wäre das noch sein verbliebener Strohalm der Motivation, um wieder in den heiligen Hallen des Senates zu sitzen und diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die für die Katastrophe der letzten Jahre - und vor allem sein Schicksal - mit verantwortlich waren! Und er würde noch weiter gehen. Alle Speichellecker, alle Nutzniesser, sie alle würde er öffentlich anprangern und sie alle würde er jagen. Jagen bis zum bitteren Ende. Genugtuung war für ihn zweierlei Dinge: Entweder sie hängen am Galgen, sind im Kolosseum und sterben oder sie werden bis zum Schluss in einem dunklen Carcer dahin vegetieren. Seine Münze hatte zwei Seiten und beide waren hässlich für Salinator-Sympathisanten.


    Aber er hatte eine Tochter, Familie, seinen Namen. Wollte er sich wirklich für niedere Beweggründe wie Rache und Genugtuung die letzte Lebenskraft aus dem Leibe leiern? Er musste an die Zukunft der Familie denken. Doch wie sah sie aus?


    Auf diese Fragen hatte er noch keine Antwort. Lies aber schon die Anweisung verlauten den groben Haushalt aufzulösen und ein Schiff anzumieten. So oder so, er musste nach Rom und seinen Namen rehabilitieren!

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