Cubiculum - Aulus Iunius Avianus et Iunia Sibel

  • Avianus war Araros gefolgt, betrat nun das geräumige Zimmer und warf sein Bündel neben das Bett. Er setzte sich darauf, bevor er sich gelassen zurückfallen ließ. Heute würde er wohl nicht mehr zu den Urbanern gehen, vielleicht am nächsten Tag. Diesen würde er nutzen um sich auszuruhen und sich etwas in der Stadt umzusehen. Er konnte es kaum erwarten, alle seine Verwandten richtig kennenzulernen. Wie ihm schien, hatte er unglaublich viel verpasst. "Aber erst kommt das Ausruhen.", sagte er leise zu sich selbst und schloss seine Augen, nur um sie kurz darauf wieder zu öffnen.
    Nein, er hatte heute Nacht noch genug Zeit um zu schlafen. Ruckartig richtete sich Avianus wieder auf und verließ das Zimmer.

  • Die letzten Tage, Wochen … nein, Monate! … waren wie im Flug vergangen. Es fühlte sich an, als hätte er Sibel erst vor wenigen Tagen in seine Habitatio geholt, als hätte sie ihm erst gestern von dem Kind erzählt, das in ihr heranwuchs und als wären sie eben erst aus den Albaner Bergen zurückgekehrt. Und jetzt stand er da, hatte Sibel bereits am Morgen in die Domus gebracht, bevor er alles Nötige für ihre Freilassung veranlasst hatte, und hielt die Schriftrolle in der Hand, auf der geschrieben stand, dass sie wirklich frei war. Nach Jahren, die sich in der Hinsicht wiederum wie eine Ewigkeit anfühlten.
    Und nicht nur frei war sie, nein, sie zog als seine Verlobte in die Domus Iunia ein. Schon am Morgen hatten sie einen Teil ihrer Habe in die Domus mitgebracht, den Rest hatte nun ein Sklave zum Haus getragen und wartete im Atrium darauf, ins Zimmer hochgebracht zu werden. Zuerst aber würde das Opfer notwendig sein, welches seine Cousine tags zuvor vorgeschlagen hatte. Da sollte seine Liebste natürlich auch dabei sein. Er würde sie oben in seinem alten Zimmer finden, meinte ein Sklave, sodass er die Treppe hinaufging in sein ehemaliges Cubiculum, welches ja von jetzt an Sibels Zimmer war – oder ihr gemeinsames, wie auch immer man es eben sehen wollte. Erst öffnete er die Tür nur einen Spalt, spähte kurz ins Innere und trat schließlich doch ein.
    "Bereit für das Opfer, liebste Iunia?", stellte er mit einem breiten Lächeln eine Frage in den Raum, wie er es sonst schon manchmal getan hatte, um sie zu überraschen. Allerdings hatte er schon als er sie hierher gebracht hatte, davon geredet am selben Tag noch einmal vorbeizuschauen. Musste er ja, wenn sie den Laren noch opfern wollten, vielmehr wollte er aber auch, denn in Zukunft würden sie sich nicht mehr täglich sehen können. Da wollte er jede Möglichkeit nutzen. Und die Urkunde, die der Beweis für ihre Freiheit war, galt es ebenfalls zu übergeben.

  • Unglaublich, wie viel sich in den letzten Wochen und Monaten angesammelt hatte, was ihr gehörte! Da waren Kleider und Schuhe, wunderschöner Schmuck (wozu sie ohne Frage auch die Bernsteinkette zählte, die sie von Avianus geschenkt bekommen hatte, als sie noch im „Aedes iste Laetitia“ gewohnt hatte) und ein inzwischen ansehnliche Sammlung von Büchern, die sie nun lesen konnte. Ihr war nicht viel Zeit zum Packen geblieben. Deshalb musste alles ganz schnell gehen, was nicht das Schlechteste war. Denn dadurch kam sie nicht so sehr ins Grübeln, denn sie wusste genauso wie ihr Verlobter, dass sie sich von nun an nicht mehr täglich sehen konnten.
    Den Löwenteil ihrer Habseligkeiten wurden schließlich von einem Sklaven zur Domus getragen, während sie sich nur einiger wenigen Sachen annahm, die nicht zu schwer für sie waren.
    Sibel war zunächst nach oben in „ihr“ neues Zimmer gegangen und hatte sich dann auf dem Bett niedergelassen, welches bereits von fleißigen Händen frisch bezogen worden war. Ihr Blick ging langsam durch den Raum und ließ alles auf sich wirken. Eine ganze Weile saß sie so da und ließ ganz außer Acht, wie die Zeit dabei verging. Alles war nach ihrem gestrigen Besuch so schnell gegangen, so dass sie kaum Zeit zum Nachdenken gehabt hatte. Nicht nur dass sie von nun an wirklich frei sein würde, war sie nun plötzlich auch die Verlobte ihres Liebsten. Eine Entwicklung, mit der sie nie gerechnet hatte und die sie auch nie für möglich gehalten hatte. Doch es war kein Traum, aus dem sie gleich verstört aufwachen würde. Nein, es war die Realität!
    Als sich plötzlich die Tür hinter ihr öffnete und sie Avianus‘ Stimme hörte, fuhr sie angenehm überrascht um und nickte ihm lächelnd zu. „Ja, bereit!“ Er hatte sie Iunia genannt. Sicher würde es einige Zeit brauchen, sich an diesen neuen Namen zu gewöhnen, so wie an alles, was sich seit gestern für sie verändert hatte. Sie erhob sich und ging ihm entgegen, bis sie sich schließlich gegenüberstanden.

  • Als hätte sie gewartet, saß sie da - auf ihn, darauf das etwas passierte oder worauf auch immer - und schenkte ihm gleich ein Lächeln, als sie ihn erblickte. Dann stand ihrem offiziellen Einzug in die Domus eigentlich nichts mehr im Wege. Trotzdem würde das Kaninchen noch ein paar Minuten länger leben dürfen, denn eine klitzekleine Sache wollte der Iunius vorher noch abhaken.
    "Perfekt", sagte Avianus knapp, während sie auf ihn zukam, "Allerdings … bevor wir nach unten gehen, interessiert es dich doch bestimmt, was das hier ist?", fuhr er fort, und als sie vor ihm stand, griff er nach ihrer Hand und legte in diese das zusammengerollte Dokument, das er mitgebracht hatte. Ihre Freiheit zum Anfassen, nichts anderes war die Schriftrolle. Und selbst wenn sie bereits ganz offiziell Libertina war und niemand ihr diesen Status mehr nehmen konnte, war es doch etwas anderes, diese Veränderung schwarz auf weiß in der Hand zu halten. Es war ein Symbol. Dafür, dass dieses Etwas, was ihr immer so wichtig gewesen war, endlich ihr gehörte. Und sicherer war es auch. Sie hatte das Original und er selbst lagerte eine Abschrift davon in seiner Habitatio. Es war unwahrscheinlich, dass irgendwann wieder jemand sie entgegen der Gesetze zu einer Unfreien würde erklären wollen. Und wenn sie erst einmal die Frau eines Iunius wäre, würde es keiner mehr wagen sie auch nur anzufassen. Hoffte er zumindest. Aber wer sollte ihr überhaupt noch etwas anhaben wollen. Noch während er die Abschrift angefertigt hatte, war ihm aufgefallen, dass es gar keine Gegner mehr gab. Niemanden, der ihnen vielleicht einen Strich durch die Rechnung machen wollte. Klar, der Praefectus könnte es, nur ihr Feind war der ganz bestimmt nicht. Lediglich ein Vorgesetzter, von dem er zwangsläufig abhängig war. Und trotzdem hatte er zu Ende geschrieben. Aus Gewohnheit? Oder weil seine Devise schon lange lautete: Keine Risiken, wo keine nötig waren? Wahrscheinlich eine Mischung von beidem.
    Mit einem bedeutungsvollen Lächeln wartete er ab. Jetzt wo sie schon ein bisschen lesen konnte, würde es ihr sicher nicht allzu schwer fallen, die paar Sätze auf dem Papyrus zu entziffern.

  • Sibels Lächeln hielt weiter an. Vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben spürte sie echte Sicherheit, Harmonie, eine innere Ruhe und wahre Zufriedenheit. Nichts und niemand konnte ihr nun noch etwas anhaben. Die Zeit, da sie sich verstecken oder davonlaufen musste, gehörte endlich der Vergangenheit nun. Nun lagen, so glaubte Sibel zumindest, nur noch die hellen strahlenden Tage vor ihr, denn all die grauen und dunklen hatte sie endlich hinter sich gelassen. In ein paar Tagen, wenn sie sich endlich an den Gedanken gewöhnt haben würde, von nun an als freie Frau in diesem Haus zu leben und in absehbarer Zeit auch noch verheiratet zu sein, würde endlich auch noch die letzte Anspannung von ihr abfallen.
    Zunächst jedoch erschien ein überraschter Ausdruck auf ihrem Gesicht, als ihr Verlobter ihr eine Schriftrolle in ihre Hand legte und dabei bedeutungsvoll lächelte. Ein fragender Blick fiel kurz auf Avianus, bevor sie sich anschickte, das Dokument zu öffnen. Gebannt starrten ihre Augen auf die Lettern, die dort geschrieben standen. Schließlich begann sie langsam und behutsam jedes einzelne Wort, welches dort geschrieben stand, vorzulesen. „Manumissio der Sklavin Sibel aus dem Besitz des A. Iunius Avianus…“ Kurz sah sie noch einmal zu ihm auf, ehe sie dann weiter las. „Hiermit soll meine Sklavin Sibel ANTE DIEM V ID SEP DCCCLXV A.U.C. die Freiheit erhalten. Ich erkläre sie damit, gemäß der geltenden Gesetze, zur Libertina und zur unter meinem Schutz stehenden Klientin. Als Zeichen für ihre verdiente Freiheit trägt sie von heute an… .“ Wieder stockte sie und sah zu ihm auf. Doch diesmal waren ihre Augen feucht. „… den Namen Iunia Sibel… Aulus Iunius Avianus Centurio Cohortium Urbanarum COHORS XII • CENTURIA III.” Ganz vorsichtig, als handele es sich bei der Schriftrolle um eine seltene Kostbarkeit, rollte sie sie wieder zusammen und legte sie dann auf einem Möbelstück ab. Nun, da sie ihre Freiheit sozusagen in eigenen Händen gehalten hatte, sie plötzlich richtig greifbar geworden war und diese Erkenntnis sie geradezu erschütterte, konnte sie ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Schließlich umarmte sie ihn und hielt ihn ganz fest, um sicher zu gehen, dass sie sich niemals wieder verlieren würden. So verharrte so eine ganze Weile. „Danke!“, kam es ihr schluchzend über die Lippen. „Tausendmal danke…“

  • Als sie den kurzen Text vorlas, bot sich ihm wieder einmal die Gelegenheit zu erfahren, ob sie auch weiterhin an ihren Lesefertigkeiten feilte. Sie musste geübt haben, das merkte er sofort, denn zwar las sie nicht perfekt, aber zumindest wieder ein wenig flüssiger als beim letzten Mal, so wie immer eben. Stück für Stück lernte sie, so wie es sein sollte. Avianus lächelte und wartete gespannt ab.
    Ihre Reaktion, als Sibel zu Ende gelesen hatte, war beinahe schon selbstverständlich für ihn, und trotzdem hatte er nicht direkt damit gerechnet. Die Überreichung einer handfesten Urkunde war schon als eine kleine Überraschung gedacht gewesen, aber dass er dafür sorgen würde, dass sie ihre Freiheit bekam, hatte er ja letztens bereits versichert und wenn man bedachte, dass sie im Prinzip verlobt waren – sofern ein gültiges Verlöbnis zwischen einem Soldaten ohne Conubium und einer Sklavin eben möglich war –, war es auch nicht weiter verwunderlich, dass er heute alle nötigen Schritte unternommen hatte. Aber während er so dachte, hing sie längst mit Tränen in den Augen an ihm, und natürlich erwiderte er ihre Umarmung und hörte ihren wenigen Worten zu.
    "Lumen meum … du brauchst mir nicht zu danken. Es freut mich, dass du so glücklich bist. Sehr sogar", sagte er und gab ihr einen Kuss auf die Haare. "Aber etwas weniger weinen, und dafür mehr lachen, das wäre schön", scherzte dann er mit einem Lächeln, und meinte seine Worte gleichzeitig doch irgendwie ernst. Jedes Mal, wenn sie bei einer seiner kleinen Gesten in Tränen ausbrach, erinnerte ihn das daran, wie selten andere ähnliches für seine Liebste getan hatten, und er wusste, vermutlich würde er es nie schaffen, dass sie diese Dinge jemals als selbstverständlich ansah – und unter anderem dafür liebte er sie ja auch, denn früher, als kleiner Soldat, hatte er ihr keine großen Geschenke bieten können, und sie war selbst für die allerkleinsten unendlich dankbar gewesen –, aber wenn sie wenigstens nicht mehr jedes Mal zu weinen begann, wäre das vielleicht ein kleiner Fortschritt.
    "Gehen wir runter. Sonst fängt man unten noch ohne uns das Opfer an", witzelte er dann und wollte damit andeuten, dass vor dem Lararium bereits das Opfer vorbereitet wurde.

  • Wieder einmal waren die Emotionen über sie gekommen, wie schon so oft zuvor. Noch immer war sie zu überwältigt, über das Glück, welches über sie gekommen war. Langsam löste sie sich von ihm und wischte sich die Tränen aus den Augen. Nickend lächelte sie ihm zu. „Ich werde mir Mühe geben,“ meinte sie scherzhaft und folgte ihrem Verlobten nach unten.

  • I

    TABVLAE NVPTIALES

    ANTE DIEM XI KAL DEC DCCCLXV A.U.C. (21.11.2015/112 n.Chr.)


    A. Iunius App.f. Avianus maritus
    [Aulus Iunius Avianus, Sohn des Appius, Ehemann]


    et
    [und]


    Iunia A.l. Sibel uxor
    [Iunia Sibel, Freigelassene des Aulus, Ehefrau]


    matrimonium iustum sine manu contrahendi conducionibus subsequentibus voluntatem affirmant.
    [bekräftigen ihren Willen, unter den nachfolgenden Bedingungen eine gültige, manus-freie Ehe zu schließen.]


    Beide Parteien bestätigen mit der Unterzeichnung des Vertrags ihre Mündigkeit, sowie, dass sie nicht der Gewalt eines dritten unterstehen, zum Zeitpunkt der Eheschließung die Voraussetzungen für ein matrimonium iustum erfüllen und keine anderweitigen Ehehindernisse vorliegen.


    Die Eheschließung findet sine manu statt. Eine Gewaltunterwerfung der uxor durch den maritus wird ausdrücklich abgelehnt. Selbst ein nicht vollzogenes trinoctium hat dementsprechend keine usucapio zur Folge.


    Aufgrund der vor der Eheschließung stattgefundenen manumissio der uxor aus der possessio des maritus wird auf die dos verzichtet.


    Beide Parteien versichern mit Unterzeichnung des Ehevertrags außerdem ihre Fruchtbarkeit und bekunden ihre Absicht zur Zeugung gemeinsamer ehelicher Kinder. Der uxor wird ein Recht zur Erziehung gemeinsamer Kinder zugestanden, welches die Patria Potestas des Maritus oder Vormunds in keiner Weise beeinflusst. Sie erhält dieses Recht bis zu einem Alter von sieben Jahren der Kinder bzw. des Kindes.
    Im Falle einer Scheidung verbleiben sämtliche vom Ehepaar gezeugte Kinder mindestens bis zu ihrer Volljährigkeit in der Obhut des Vaters respektive des Vormunds.


    Sowohl maritus als auch uxor bleiben Eigentümer des von ihnen in die eheliche Gemeinschaft mitgebrachten Guts. Dieses wird grundsätzlich von den Vertragspartnern getrennt verwaltet, sofern im Einzelfall nicht anders vereinbart. Das Eigentum am Gut eines Ehepartners wird von Zugeständnissen von Rechten zur Verwaltung und Bewirtschaftung an den jeweils anderen nicht beeinflusst.



    II


    Anfängliche oder spätere Unmöglichkeit einzelner Abschnitte des Ehevertrags rechtlicher oder schlichter Natur haben keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der übrigen Abschnitte des Vertrags. Stellvertretend für einen unmöglich gewordenen Vertragsbestandteil soll eine durchführbare und mit den geltenden Gesetzen konforme Regelung wirksam werden, die möglichst dem Sinn der zu Ersetzenden entspricht.



    Die Vereinbarung der ehelichen Verbindung von maritus und uxor wird durch die zu den Feierlichkeiten geladenen Gäste sowie insbesondere durch die folgenden vier testatores bezeugt:


    _______Iunia Axilla_______
    ehem. Lectrix der Acta Diurna


    __Marcus Curius Cato [NSC]___
    Optio der Cohortes Praetoriae


    ____Titus Varius Laco [NSC]____
    ehem. Centurio der Cohortes Urbanae


    _Caius Rubrius Pennus [NSC]
    Optio der Cohortes Urbanae



    [wrapIMG=left]http://i60.tinypic.com/33ngok3.jpg[/wrapIMG]

    _Aulus Iunius Avianus_
    Aulus Iunius Avianus


    _______________Iunia Sibel____________
    Iunia Sibel



    Hätte man ihn je gefragt oder wäre er jemals auf die Idee gekommen, sich vorzustellen, wie seine Hochzeit einmal aussehen würde, Avianus hätte ganz bestimmt nie die Wahrheit erraten: Ein kleines Fest, ganz ohne gängige Bräuche und Traditionen, eine Handvoll enger Vertrauter, ein unterschriebener Vertrag und eine gemeinsame Cena. Und dazu die Braut: Eine ehemals Unfreie und in ihrem Auftreten nach außen hin so unscheinbar, dass sich vermutlich alle fragten: Weshalb sie?
    Nie hatte er früher einen Gedanken an eine Ehe verschwendet, sondern einfach angenommen bei ihm würde es genauso ablaufen wie bei allen anderen: Dass er irgendwann Heiraten würde, weil sich eine Ehe anbot, weil eine Verbindung zur Familie der Braut praktisch wäre, weil es dem Ansehen seiner Familie helfen würde oder weil er Erben brauchte. Bis sie dann plötzlich sie in sein Leben gerauscht war und ihn seitdem nicht mehr losgelassen hatte, ihn dazu gebracht hatte, all die Dinge zu überdenken, an denen er früher nie gezweifelt hatte. Er hatte Gesetze ignoriert, ebenso gesellschaftliche Normen, und hatte sich mehr als je zuvor mit der Frage auseinandergesetzt, was er eigentlich wollte. Und ganz nebenbei war er über die Jahre erwachsen geworden, von einem hitzköpfigen Kerl, der damals nach Rom gekommen war, um nach iunischer Tradition Soldat zu werden, zu einem nicht mehr ganz so hitzköpfigen, verheirateten Kerl, der sich psychisch darauf vorbereitete, Vater zu werden, mit diesem Mädchen an seiner Seite, von dem er sich jahrelang eingeredet hatte, sie würde auf gar keinen Fall jemals seine Frau sein. Und trotzdem hatte er während dieser Jahre alles dafür getan, damit es soweit kam, selbst wenn am Ende dieses ungeborene Kind den Ausschlag gegeben hatte. Der recht unscheinbare Höhepunkt war der gestrige Abend gewesen.
    So unspektakulär er auch auf Außenstehende gewirkt haben mag, für den Bräutigam war der Tag dennoch perfekt gewesen, denn nichts hätte ihm mehr egal sein können als die fehlenden Hochzeitsrituale, die wenigen Gäste und deren Gedanken. Immer wieder hatte er seine Frau mit einem breiten Lächeln auf den Lippen gemustert. Seine Frau. Nicht seine Geliebte, nicht seine Sklavin, auch nicht seine Konkubine und erst recht nicht irgendeine Hure. Und sowie auch Sibel endlich ihren Namen unter dieses für ihn so nichtssagende Dokument gesetzt hatte, hatte er ihre Hand ergriffen. Dann war da dieses Gefühl gewesen, dass etwas bedeutendes endlich geschafft war, ein Gefühl der Sicherheit, und dass jetzt etwas Neues auf sie wartete, und was auch immer dieses Neue war oder mit sich brachte, sie alldem gemeinsam gegenübertreten würden.
    Das waren die wenigen Dinge, an die er sich mit Sicherheit immer erinnern würde, selbst wenn er irgendwann vergaß, wie viele Gänge die Sklaven anschließend während des Essens aufgetragen hatten, die Glückwünsche der Gäste oder sogar deren Namen. Ihr Anblick, sein Glück und dieses Gefühl würden ihm bleiben, und das war es auch, woran er sich als erstes erinnerte, als er am nächsten Morgen aufwachte, bemerkte, dass er nicht in seiner Habitatio in den Castra lag und neben ihm seine Frau. Und würde nicht in unmittelbarer Nähe dieser Vertrag herumliegen, hätte er vielleicht sogar mit dem Gedanken gespielt, dass er alles nur geträumt hatte. Möglicherweise war der Wisch doch zu was gut.
    "Guten Morgen, marita", murmelte er im Halbschlaf und hegte nicht im Geringsten die Absicht, in näherer Zukunft aufzustehen. Zu schön war es, diesen Augenblick noch länger auszukosten und bestimmt ging es Sibel nicht anders.

  • Noch immer schien Sibel tief und fest zu schlafen, stellte er nach einer Weile fest, und das obwohl ein kurzer Blick zum Fenster verriet, dass die Sonne schon am Himmel stand. Sie musste nach der Aufregung am Vorabend wohl müde gewesen sein. So klein das Fest auch gewesen sein mag, sie beide hatten nach den Höhen und Tiefen der letzten Jahre allen Grund gehabt, aufgeregt und nervös zu sein, und bei ihr kam die Schwangerschaft ja noch dazu. So ruhig, wie sie dalag, sah Avianus davon ab, sie zu wecken. Stattdessen setzte er sich vorsichtig im Bett auf und spürte dabei ein leichtes Dröhnen im Kopf, welches ihn daran erinnerte, wie schwer es doch war, abzulehnen, wenn die ehemaligen Kameraden von der Garde gegen Ende der Feier dazu einluden, nicht nur noch einmal auf die geschlossene Ehe anzustoßen, sondern auch gleich noch auf die guten alten Zeiten, die Truppen, eine gute Zukunft und den hübschen Hintern seiner Frau. Ansonsten hatten sich seine alten Kollegen aber fast erwachsen benommen und tatsächlich halbwegs passable Gäste abgegeben. Natürlich. Nie im Leben würden seine alten, prätorianischen Freunde ihm einen solchen Abend vermiesen.
    Mit einem leichten Lächeln im Gesicht schälte er sich aus der Decke hervor und schob sie anschließend wieder zurecht, damit Sibel nicht kalt werden würde. Sie konnte sich noch etwas ausruhen, während er nach unten ging, sich ein gutes Ientaculum gönnte und sich vielleicht mit Axilla über den gestrigen Abend unterhielt, falls sie nicht bereits besseres zu tun hatte. Und sobald Sibel soweit war, würde sie sich sicherlich zu ihm gesellen. Er kleidete sich also an und verließ das Zimmer, um nach unten zu gehen.

  • Waren es die ersten winterlichen Sonnenstrahlen, die sie weckten oder der allmähliche Verlust an Wärme neben ihr, da ihr frischgebackener Ehemann längst schon das Bett verlassen hatte? Ihre Finger versuchten vorsichtig nach ihm zu tasten, doch erwartungsgemäß fanden sie nichts mehr vor außer dem zerknitterten Laken. Schließlich öffneten sich ihre verschlafenen Augen, die sofort von dem warmen Licht, welches langsam aber sicher den ganzen Raum zu durchfluten begann, geblendet wurden. Noch einmal räkelte sich Sibel gemütlich. Selten hatte sie so gut und so fest geschlafen, wie in dieser – ihrer Hochzeitsnacht. Der gestrige Tag war mit Abstand einer der schönsten in ihrem Leben gewesen. Doch angesichts ihrer Schwangerschaft war er in gewissem Maße auch recht beschwerlich gewesen.


    Beim Unterzeichnen des Ehevertrages schien es für sie noch etwas ungewohnt zu sein, was nicht nur mit ihrem neuen Namen zu tun hatte. Iunia Sibel. In ihrer Freilassungsurkunde hatte Avianus bewusst darauf verzichtet, ihrem neuen Gentilnamen die Endung –na beizufügen, was wohl jedem offenbaren sollte, dass sie für ihn spätestens nach der Hochzeit ein vollwertiges Mitglied seiner Gens sein sollte. Auch hatte er ihren richtigen Namen gewählt und nicht jenen Namen, den ihr ihre frühere Domina vor langer Zeit gegeben hatte.


    Ganz unbeschwert und unsagbar glücklich war sie gewesen und hatte sie einfache und schlichte Feier sehr genossen, auch wenn sie es immer noch kaum glauben konnte, dass Avianus und sie nun endlich vereint waren. Noch unmittelbar bevor sie den Ehevertrag unterzeichnet hatte, quälten sie einige Skrupel, da ihr Liebster extra für sie auf eine standesgemäße Hochzeit nach römischen Ritus verzichtete und sich nur mit ihr und einer sehr deutlich abgespeckten Feier zufrieden gab. Das einzig Üppige des Tages sollte die darauffolgende Cena werden, die sie gemeinsam mit ihren Gästen einnahmen. Doch letztendlich hatten sich diese Gedanken recht schnell wieder verflüchtigt, als sie sah, wie glücklich er doch war und sie im Kreise ihrer Freunde und ihrer neuen Familie endlich beisammen sein konnten, um mit ihnen bis in die Nacht hineinzufeiern.


    Endlich erhob sie sich, streckte sich noch einmal und begann, mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht, nach ihren Kleidern Ausschau zu halten. Sie kleidete sich zügig an und verließ daraufhin ebenso das Zimmer, um hinunter zu gehen.

  • "Na, du kleiner nanulus?" Der hatte gerade erst seine allabendliche Mahlzeit verdrückt und träumte seelenruig vor sich hin. Avianus beugte sich über das Bettchen und streichelte seinem Sohn übers Köpfchen. Da war er heute wohl zu spät für seinen obligatorischen kleinen Besuch am Abend.
    "Tut mir leid, dass ich heute spät dran bin. Schläfst wohl schon tief und fest. Tja, Pech für mich." Gemächlich öffnete das Kind dann doch die Augen, blickte erst unschlüssig in das Gesicht über dem Bett, und fing dann leise an zu quengeln. Nicht ganz wie geplant.
    "Ach, komm schon. So 'ne Schei- …" Er brach ab und seufzte. Das Quengeln wurde zu einem Schreien. Avianus blickte zur angelehnten Tür, durch die hoffentlich nicht gleich Sibel stürmte, nur weil er das Kind geweckt hatte. Dann würde er wohl machen, was er sonst bei seinen Besuchen auch oft genug machte: Er hob den Kleinen kurzerhand aus seinem Bett und drückte den Knirps an seine Brust. Machte man ja so, das wusste auch er schon. "Ruhig ... shhhh ... alles gut. Ich wollte dich ja nicht wecken." Beruhigt registrierte er, wie das Jammern leiser wurde. An Sibel hatte der Sohnemann sich weit schneller gewöhnt. Um genau zu sein wohl schon, während sie ihn neun Monate lang mit sich herumgeschleppt hatte. Um sich mit dem Vater anzufreunden, hatte Lucius etwas länger gebraucht.
    "Kennst mich wohl noch von gestern, was?", meinte Avianus lächelnd, als er realisierte, dass sein Sohn endlich auch ihn für würdig hielt, ihn herumzutragen. "Weißt du, ich habe die Hebamme mal gefragt, wie das so ist … also ob du auch weißt, wer dein tata ist. Sie meinte einfach, dass ich regelmäßig da sein soll, dich halten und mit dir reden soll … naja, logisch. Darauf hätt ich auch selbst kommen können. Aber ich glaub, langsam haben wir es raus. Was meinst du?" Neugierig wurde er von seinem Sohn beäugt, der selbstverständlich nicht antwortete, aber zumindest auch nicht mehr schrie. Avianus ließ sich mit seinem Zwerg in den Sessel im Zimmer sinken.
    "Dein Opa hieß auch Lucullus. Hab ich dir das schon mal erzählt? Meine Mutter sagte immer, er war ein toller Soldat und wär er nicht so ein toller Soldat gewesen, wär er jetzt vielleicht noch hier. Weil er dann vielleicht geflohen wäre oder so. Aber die Schlacht wurde ja gewonnen, weil unsere Soldaten standhaft geblieben sind. Auch wenn ich ihm früher als Kind manchmal böse war, weiß ich dass er das richtige getan hat." Wie er auf das Thema kam, wusste er selbst nicht. Irgendwas musste er eben erzählen. Und ob sein kleiner Sohn auch nur ein Wort kapierte, von dem was er sagte? Hin und wieder hatte Lucius einen entspannten Laut von sich gegeben. Aber ob er etwas verstand … vermutlich nicht im Geringsten. Aber wenn doch, was dachte er sich dann womöglich?
    "Also bei mir brauchst du dir da keine großen Sorgen zu machen. Ich steh nicht mehr an der Front", setzte er fort, "Außerdem bin ich doch der größte Glückspilz überhaupt. Mir kann doch gar nichts passieren." Er schenkte dem kleinen Lucius, der müde blinzelnd zu ihm aufblickte, ein Lächeln. Eine Zeit lang saß er nur da, und betrachtete das runde Gesicht des Säuglings, ob da vielleicht ein Merkmal war, das er von seinen Eltern hatte. Der dunkle Haarschopf … war das Sibels oder seiner? Die Stupsnase, wie sie eigentlich so ziemlich alle kleinen Kinder hatten, musste Sibels sein, dachte er. Die Augen hatten kein sattes Braun, wie er eigentlich erwartet hätte, was aber, wie man ihm gesagt hatte, vollkommen normal war in den ersten Monaten.
    "Zurück ins Bettchen, hm?", fragte er leise, als er das Gefühl hatte, schon bereit für sein eigenes zu sein. Sachte erhob er sich und tätschelte dem kleinen Mann zum Abschluss den Rücken, bevor er ihn vorsichtig wieder ins Kinderbett legte. Ein oder zwei Sekunden lang war es vollkommen still im Cubiculum. Avianus lächelte, wollte sich bereits umdrehen, da zerriss ein erneutes weinerliches Heulen die trügerische Stille.
    "Echt jetzt? Willst du mich veräppeln?", fragte er, verzog das Gesicht und ermahnte sich liebevoll und ruhig zu bleiben, denn er liebte seinen Sohn ja über alles. "Ich liebe dich, wirklich, wie verrückt, aber du machst es einem nicht leicht, nanulus." Einmal tief durchatmend schob er den Sessel ans Kinderbett. Nein, verdammt, er würde nicht seine Frau rufen. Er hatte das im Griff. Sowas von. In der Vergangenheit war er mit einer Horde von hundert Kleinkindern in Männerkörpern fertiggeworden, da würde er es doch wohl schaffen, seinen eigenen, zwei Wochen alten Sohn zu beruhigen. Er setzte sich wieder und streckte eine Hand ins Bettchen und strich dem Knirps über den dünnen Flaum in der Hoffnung, ihn damit zu besänftigen. Was machte man mit einem schreienden Kind, das keinen wirklichen Grund zum schreien hatte?
    "Was willst du, hm? Soll ich was vorsingen? Echt, Lucius, dein tata kann nicht singen. Ehrlich nicht", redete er ein klein wenig verzweifelt weiter, während sein Sohn aus voller Kehle heulte. Avianus presste die Lippen aufeinander, schob die Brauen zusammen … und gab sich geschlagen. Leise begann er, ein Soldatenlied zu brummen, schlicht und ergreifend, weil er kein anderes kannte:


    "Capites nostra
    Cremantur sole,
    Velut mille flammis,
    Et mille sagittis
    Complentur caelum,
    Obscurant lucem,
    Sed non cadimus,
    Nam dei adiuvant,
    Accuunt gladios,
    Et animum confirmant.


    Velut lupi
    Decertamus,
    Leones fimus,
    Metus non tardans,
    Romae Aeternae …"


    Als Avianus das Gefühl hatte, sogar schon sich selbst einzuschläfern, brach er ab und bemerkte, dass das Kind inzwischen nicht nur verstummt war sondern auch die Augen geschlossen hatte und seelenruhig schlief. Stille herrschte, die dieses mal nicht trügerisch sondern behaglich schien.
    "Die nächste Strophe kommt dann eben ein andermal", murmelte er betont leise.



    Sim-Off:

    An die Lateiner: Fehler dürft ihr behalten. :P
    Und für alle Nicht-Lateiner oder Nachschlagfaulen: Der Text. ;)


    Unsere Häupter
    Verbrennt die Sonne
    Wie tausend Flammen,
    Und mit tausenden Pfeilen
    Wird der Himmel gefüllt,
    Sie trüben das Licht,
    Doch wir fallen nicht,
    Denn die Götter stehen uns bei,
    Schärfen unsere Klingen,
    Schüren unseren Mut.


    Wie Wölfe
    Kämpfen wir,
    Werden zu Löwen,
    Angst uns nicht bremsend,
    Für das ewige Rom.

  • Seufzend erhob sich Sibel, als sie von fern das Schreien ihres Sohnes hörte. Ganz gleich ob sie schlief oder wach war, sobald sie ihren Sohn hörte, war sie sofort präsent. Selbst jetzt, als sie müde war und eigentlich gehofft hatte, für die nächsten Stunden ein wenig Ruhe zu haben, nachdem sie ihren Sohn gebadet, anschließend gestillt und ihn dann in sein Bettchen gelegt hatte. Doch statt erst irgendwann in der Nacht zu schreien, machte er sich schon jetzt bemerkbar. Womöglich hatte er doch zu wenig getrunken oder war es wieder eine Kolik, die ihm zu schaffen machte? Egal was es war, Sibel ließ alles stehen und liegen und eilte zum Cubiculum, das sie sich nun zu dritt teilten.
    Als sie die geöffnete Tür sah wurden ihre Schritte merklich langsamer. Als sie dann noch die Stimme ihres Mannes hörte, blieb sie zunächst stehen und vermied es, ebenfalls in das Schlafzimmer einzutreten. Stattdessen belauschte sie das „Gespräch“ von Mann zu Mann und begann zu schmunzeln als sie kurz ins Innere hinein lugte und Avianus mit seinem Sohn auf dem Arm erkannte. Der Kleine kannte natürlich inzwischen die Stimme seines Vaters. Schließlich versuchte der auch jede freie Minute mit ihm zu verbringen. Inzwischen hatte er sich auch schon beruhigt, als sein Vater liebevoll auf ihn einsprach.


    Selbst als ihr Mann sich mit dem Kind in einen Sessel gesetzt hatte, verharrte sie vor der Tür und hörte alles mit, was er zu erzählen hatte. Für Avianus schien es von Anfang an außer Frage zu stehen, dass aus dem kleinen Lucius irgendwann einmal kein Soldat werden würde. So wie er, so wie sein Vater und dessen Vater zuvor. Auf diese Tradition konnte er stolz sein. Und sie, Sibel, sie konnte auch stolz darauf sein. Wenn man bedachte, was sie gewesen war und woher sie ursprünglich kam. Ihr Sohn war als waschechter Römer zur Welt gekommen, mit allen Rechten, als richtiger Bürger und einem ehrenvollen Familiennamen. Nichts würde mehr an den Sumpf erinnern, aus dem sie sich heraus gekämpft hatte. Lediglich sie selbst war das letzte Relikt, was ihren Sohn vielleicht irgendwann einmal daran erinnern konnte, woher er mütterlicherseits stammte.
    Sibel fragte sich plötzlich, wie Lucius darauf reagieren würde, wenn er die Geschichte seiner Mutter erfuhr – eine Geschichte, die nichts mit Tradition, Stolz und schon gar nichts mit Ehre zu tun hatte. Vielleicht würde er sie dafür irgendwann verschmähen. Doch bis zu diesem Tag und auch darüber hinaus, würde sie ihrem Sohn all ihre Liebe geben. Ja, sie würde sogar ihr eigenes Leben für ihn opfern, wenn es sein musste.
    Tränen waren in ihre Augen getreten, obwohl es doch jetzt gar keinen Grund gab, zu weinen. Alles war doch perfekt – Avianus, ihr Sohn Lucius und sie. Viele Jahre standen ihnen noch bevor, bis zu jenem Tag, an dem Lucius neugierig werden würde. Vielleicht würde jener Tag auch niemals stattfinden, wer wusste das schon.
    Also wischte Sibel ihre Tränen beiseite und trat schließlich ein, als Avianus sein Lied vorerst beendet hatte. „Na ihr beiden!“ Sie sah das schlafende Kind in den Armen ihres Mannes. „Ich wusste gar nicht, das du so gut singen kannst,“ raunte sie ihm lächelnd zu.

  • Als Sibel eintrat, blickte Avianus auf und augenblicklich zeichnete sich wieder ein Lächeln auf seinen Zügen ab. Ach, so lief das von jetzt an? Er zog hier verzweifelt alle Register, damit der Kleine wieder ruhig wurde, und Sibel hockte lauschend hinter der Tür? Natürlich hatte sie den Kleinen gehört. Sie schien fast schon einen sechsten Sinn zu haben, wenn es um das Kind ging, aber er hatte ja gar nicht gewollt, dass Sibel angerannt kam. Er hatte es verbockt, dann würde auch er es ausbaden, gar keine Frage. Leise lachend schüttelte er den Kopf.
    "Wie? Singen? Ich doch nicht", flüsterte er grinsend. Und gut sowieso nicht, doch für Lucius hatte es ganz offensichtlich gereicht. Der schlief inzwischen wieder seelenruhig. Was allerdings nicht viel heißen musste, denn er war ja schon einmal ruhig gewesen. Noch immer mit einem Lächeln im Gesicht und gleichzeitig leise seufzend blickte Avianus von seinem Sohn zum Kinderbett. Am liebsten würde er sich einfach nicht mehr bewegen, so angenehm empfand er die jetzige Stille und so wunderbar schien ihm der Gedanke, dass sein Sohn bei ihm absolut wunschlos glücklich war. Andererseits konnte er schlecht für den Rest des Abends hier herumsitzen, war selbst schon müde und wollte nicht riskieren mit dem Kind im Arm einzuschlafen.
    "Ich hab' ihn versehentlich geweckt und dann wollte er nicht mehr einschlafen, bis ich irgendwas gesungen habe. Und ich wette, wenn ich ihn jetzt ins Bett leg, schreit er wieder", erklärte er und blickte etwas unbeholfen aus der Wäsche, in der Hoffnung, dass Sibel ihn aus seiner Lage befreite. Er konnte seinen Zwerg nur zu gut verstehen. Welches Kind würde schon einen angenehm warmen Arm, sanfte Streicheleinheiten und widerwillig gebrummte Soldatenlieder gegen ein simples Kinderbett tauschen wollen? Der kleine Lucius war alles, aber sicher nicht blöd. Andererseits sollte man Kinder nicht verhätscheln, hieß es doch immer. Avianus befürchtete, dass sie Gefahr liefen exakt das zu tun, und irgendwie fühlte es sich noch dazu gut an.

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