Neuer Pflichttermin am Morgen: Wie geht's der Tochter?

  • Nach der Bestattung von Tiberia Albina war die Casa Purgitia gründlich rituell gereinigt worden, um die letzten Spuren des Todes zu beseitgen. Der Zypressenzweig über der Haustür war wieder verschwunden und ganz langsam gewann die Freude über den Nachwuchs die Oberhand. Eines der sichtbarsten Zeichen dafür war Macers neuer Pflichttermin am Morgen, der noch gleich nach der Morgentoilette und weit vor der Salutatio lag: Die Statusabfrage zum Wohlbefinden seiner Tochter Albina. Wie hatte sie geschlafen? Wie oft hatte die Amme sie stillen müssen? Zeigte sie Zeichen von Unwohlsein? Macer hatte keinen blassen Schimmer, was normal und was unnormal für ein Neugeborenes wäre und fragte deshalb umso neugieriger und genauer. Dass dies der Amme nicht immer gefiel, hatte Macer sehr schnell bemerkt, aber solange die Versorgung seiner Tochter nicht unter dem Unwillen der Amme lit, war ihm das vorerst egal. Immerhin wurde sie für ihre Dienste nicht schlecht bezahlt und außerdem lag es an ihr, Macer durch die Ausstrahlung von Ruhe und Sicherheit ebenfalls zu beruhigen.


    Erst wenn alle seine Fragen zu seiner Zufriedenheit beantwortet worden waren, widmete sich Macer den anderen üblichen Verrichtungen des Morgens, nur um sich nach dem Ende der Salutatio und sowieso vor dem Verlassen der Casa noch einmal nach dem Wohlbefinden seiner kleinen Albina zu erkundigen.

  • Es hatte nur wenige Tage gedauert, bis Macer herausbekommen hatte, dass in den ersten Tagen und Wochen eines neugeborenen Lebens die spannendste Frage war, wie viele Stunden am Stück die Kleine geschlafen hatte und wie oft sie in der Nacht gestillt und gewickelt werden musste. Und dass man das nicht unbedingt fragen musste, sondern daran erkennen konnte, wie übermüdet die Amme am Morgen war. Mit weniger als drei Unterbrechungen war die Nacht bisher wohl nicht zu machen, aber die Amme versicherte Macer glaubhaft, dass das normal sei und schon bald besser werden würde. Die ersten drei Monate seinen die schwierigsten, danach würden die Unterbrechungen dann merklich weniger werden. Macer glaubte es ihr und fragte trotzdem jeden Tag wieder erwartungsvoll nach, wie die Nacht gewesen war.


    Natürlich versäumte er dabei auch nicht, seine Tochter - ob gerade schlafend oder nicht - in den Arm zu nehmen, an sich zu drücken, zu streicheln und lächelnd zu betrachten. Und weil das weit vor der Salutatio passierte und er sich also erst danach passend für die Öffentlichkeit kleidete, war es ihm auch völlig egal, wenn sie ihm die Schulter voll sabberte, wenn er sie an seinen Oberkörper legte.

  • Nicht nur auf Macers Tagesablauf hatte die kleine Albina Einfluss, sondern auf die gesamten Abläufe in der Casa Purgitia. Manches bekam Macer direkt mit oder hatte es gar selber angeordnet, anderes berichtete ihm erst sein Verwalter. Zum Beispiel die Zeit, die die Sklaven neuerdings täglich für das Waschen der Windeln brauchten, damit die kleine Albina auch immer trocken und wohlig eingepackt war. Immerhin zahlte es sich aus, dass die Casa Purgitia sowohl über ausreichende Wirtschaftsräume, als auch über fließend Wasser verfügte, was den Sklaven die Arbeit wenigstens etwas erleichterte.


    Macer kümmerte sich darum allerdings nur insofern, dass er umgehend tätig wurde, wenn irgendetwas nicht perfekt war für seine Tochter. Aber auch heute konnte ihm die Amme glaubhaft versichern, dass alles in Ordnung war. Und natürlich glaube Macer auch, dass Albina heute gelächelt hatte, als sie ihn erblickt hat. Auch wenn ein Kind in diesem Alter seine Mimik in Wirklichkeit noch gar nicht voll unter Kontrolle hatte.

  • Weitere Tage vergingen und langsam entwickelte Macer ein Gespür dafür, wie es Albina ging, ohne dafür erst einmal die Amme befragen zu müssen. Die Regungen und vor allem die Geräusche seiner kleinen Tochter reichten ihm zumindest als erster Anhaltspunkt um zu spüren, ob es ihr gut ging oder nicht. Und die Vielfalt an Geräuschen, die sich machte wenn sie schlief war wirklich beeindruckend. Mal war es ein lustiges Gluckern, mal ein hohes Fiepen, mal ein tiefes Brummen, mal ein Säuseln, ab und zu auch ein Husten und manchmal war da auch einfach gar kein Geräusch. Und manchmal schlief Albina auch einfach gar nicht, wenn Macer erwartet hatte, dass sie es tun würde. Einen normalen Schlafrhythmus hatte sie nämlich offenbar noch lange nicht, aber auch hier versicherte die Amme, dass das völlig normal sei und noch einige Wochen brauchen würde bis damit zu rechnen war, dass sie zumindest die Nacht einigermaßen durchschlafen würde. Was in der Sprache der Amme wohl hieß, dass sie dann fünf oder gar sechs Stunden am Stück schlafen würde.

  • Irgendwann hatte Macer aus Spaß eine kleine Buchführung angefangen, in der er alle möglichen Daten zur kleinen Albina auf mehreren Wachstafeln sorgfältig notierte. Erst war es nur Größe und Gewicht gewesen, die er unregelmäßig aufgeschrieben hatte, dann wurden die Notizen regelmäßiger und es kamen weitere Daten hinzu. Macers Verwalter wirkte immer etwas belustigt, wenn er vom Treiben seines Dienstherrn mitbekam, sagte aber nichts. Wahrscheinlich vermutete er, dass dem Hausherrn eine andere geregelte Tätigkeit fehlte. Außerdem wusste er ja, dass Macer durchaus gerne mit Zahlen spielte. Macer selber kümmerte sich ohnehin nicht darum, was sein Verwalter zu seinem Treiben sagte, sondern fragte weiter regelmäßig von der Amme ab, wie viel die kleine Albina geschlafen hatte, wie oft sie gestillt und wie oft sie gewickelt werden musste, um diese Daten dann auf großformatigen Wachstafeln in Tabellen einzutragen. Was er damit genau wollte, wusste er selber nicht so genau, aber immerhin konnte er sich so einreden, dass sein Vaterdasein somit irgendeinen Sinn hatte. Ansonsten kam er sich nämlich recht nutzlos vor, wenn man davon absah, dass er Albina gelegentlich auf seinem Arm durch die Casa trug, wenn sie nicht einschlafen wollte.

  • Bisher waren es meist gute oder zumindest keine Besorgnis erregenden Nachrichten gewesen, die die Amme Macer am Morgen oder auf sonstige Nachfrage mitteilen konnte. Die kleine Albina wuchs und nahm zu, wie es sich für ein Baby gehörte. Aber heute war die Amme doch sichtbar sorgenvoller, als Macer den morgentlichen Besuch im Kinderzimmer abstattete und das hatte einen einfachen Grund: Die kleine Albina hatte Schnupfen! An sich war das nicht weiter überraschend oder ungewöhnlich, hatte doch jeder Bewohner der Casa Purgitia und wahrscheinlich auch jeder Bewohner Roms, Italias und des römischen Reiches schon einmal einen Schnupfen gehabt und außerdem musste ein Kind eben auch einmal seinen ersten Schnupfen bekommen. Für die Amme war es auch überhaupt nichts Neues, ein Kind mit Schnupfen betreuen zu müssen. Nur für zwei Personen in der Casa Purgitia war es also wirklich neu und daher aufregend: Für die kleine Albina und ihren Papa Macer. Bei Albina äußerte sich die Aufregung vor allem darin, dass sie das Gesicht verzog, soweit es die noch nicht voll ausgebildeten Gesichtsmuskeln zuließen, vor sich hin queitschte, schnaubte, brummte, schnorchelte und brabbelte, außerdem mehr als sonst zappelte und weniger schlief. Bei Macer äußerte sich die Aufregung vor allem darin, dass er sich mal wieder seiner eigenen Ahnungslosigkeit bewusst wurde, da er keinen blassen Schimmer hatte, was jetzt zu tun wäre. Einerseits wollte er sich jetzt natürlich besonders gerne und liebevoll um seine Tochter kümmern, aber andererseits war ihm klar, dass die Amme wohl erstens mehr Ahnung hatte und zweitens Recht damit hatte, dass die kleine Albina jetzt vor allem Ruhe brauchte. Dummerweise passte Ruhe überhaupt nicht zu Macers Bedürfnis, sich jede Stunde nach dem Gesundheitszustand zu erkundigen. Erst am Nachmittag stellte sich bei ihm so langsam die Erkenntnis ein, dass so ein Schnupfen wohl auch bei Babies nicht innerhalb von ein paar Stunden kuriert war, sondern auch bei ihnen ein paar Tage anhalten konnte.

  • Nach vier Tagen, die zumindest nach Macers Einschätzung quälend langsam verlaufen waren, war das Leiden vorbei und die kleine Albina war ihren ersten Schnupfen ihres Lebens los. Als wenn sie selber wüsste, welche Sorge damit von den Schultern aller Beteiligten gefallen war, lag sie zufrieden lächelnd in den Armen der Amme, als Macer am Morgen das Kinderzimmer betrat. Der wiederum ließ sich erst von der Amme berichten, wie ruhig seine Tochter die Nacht tatsächlich vebracht hatte und eilte dann zum Hausaltar, um diversen Göttern und den Hausgeistern für die Genesung zu danken. Deutlich weniger angespannt als in den letzten Tagen machte er sich dann auf den Weg, die Salutatio seiner Klienten durchzuführen, wo er es sich nicht verkneifen konnte, bei jeder passenden Gelegenheit zu erwähnen, dass Albina wieder gesund war.

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