Ein Einkaufsbummel ... oder die Suche nach Normalität

  • Melina folgte gedankenverloren mit den Fingerspitzen den Kreisen und Wellen des fein verarbeiteten Metalls, die sich in einem faszinierenden Tanz miteinander verwoben und so ein Bild malten. Ein Bild von einem schlanken Körper, verschnörkelten Fühlern und breiten Flügeln. Die kleinen Rillen, die in das Metall gestanzt waren und dem Schmetterling somit mehr Plastizität verliehen, kitzelten leicht an Melinas Fingerkuppe. „Das ist eine hübsche Spange, Domina.“ bemerkte Nitetis an ihrer Seite. Melina konnte nicht verhindern, dass sie kurz zusammenzuckte. Sie war so in ihre Betrachtung vertieft gewesen, dass sie alles um sich herum vergessen hatte. Einen winzigen Augenblick überlegte sie, ihre Sklavin zurechtzuweisen, unterließ es aber dann. Das hätte nur bedeutet, den schönen Tag mit etwas Unschönem wie einem Tadel zu zerstören – und das wegen einer Lappalie. „Ja, das ist sie.“ bestätigte sie deshalb nur und riss ihren Blick schließlich von der Spange los.


    „Drei Denarii für eine solche Schönheit wie dich, die fast eine von Venus' eigenen Töchtern sein könnte.“ säuselte der Händler. Melina hob den Blick und musterte den alten Mann, dessen Gesicht aussah wie eine vertrocknete Pflaume. Seine weißen Haare standen wirr vom Kopf ab und seine Kleidung schien auch schon bessere Tage gesehen zu haben. Nur die Augen wirkten wach und aufmerksam … eine Mahnung an alle, die dazu neigten den Alten unterschätzen zu wollen. Melina schürzte die Lippen. „Drei Denarii? Auch wenn du dich vortrefflich auf Komplimente verstehst, wissen wir doch beide, dass diese Spange niemals drei Denarii wert ist!“ Das zuvorkommende Lächeln des Händlers wurde eine Nuance weniger strahlend. „Einen Denarius vielleicht ...“ Die Mundwinkel sackten nach unten und Melina hatte den Eindruck, dass die ledrige Haut des Händlers einen etwas bleicheren Farbton annahm. „Ein Denarius!?! Domina, du willst mich wohl ruinieren! Das ist allerbeste Handarbeit! Die drei Denarii sind ein Freundschaftspreis, den ich einer weniger lieblichen Kundin kaum gewähren würde!“


    Melina konnte nicht verhehlen, dass die Worte des Händlers Eindruck hinterließen und sie sich zumindest ein klein wenig geschmeichelt fühlte. Ihr Blick glitt über die Auslage auf dem Tisch vor ihr, die sich relativ spärlich ausmachte. Aber da unterschied sich dieser Stand kaum von den anderen Marktständen. Der Krieg hatte auch hier seine Spuren hinterlassen, und Melina konnte froh sein, dass überhaupt ein Schmuckhändler seine Ware feilbot. Die Schmetterlingsspange wirkte neben dem übrigen Tand tatsächlich wie ein kleines Kunstwerk. Das war wohl auch der Grund, warum sie Melinas Aufmerksamkeit erregt hatte. „Nun gut …“ lenkte sie ein. „Zwei Denarii will ich dir dafür geben.“ „Zwei Denarii und zwei Sesterzen.“ hielt der Händler dagegen. „Und damit treibe ich mich noch selbst in den Ruin.“ Melina lächelte. Irgendwie mochte sie den Mann – und sie konnte nicht umhin, ihn in gewisser Weise zu bewundern. Es musste schwierig sein, in diesen Tagen Luxusartikel wie Schmuck unter das Volk zu bringen. Sie selbst war auch nur deshalb losgezogen, weil sie es einfach nicht mehr ausgehalten hatte zu Hause.


    „Gib dem Mann das Geld.“ wies sie Nitetis an. Die Ägypterin begann daraufhin im Geldbeutel zu kramen und die Münzen herauszufischen. „Oder warte … gib ihm seine drei Denarii.“ Der Händler, der begonnen hatte, die Spange in einem Stück Stoff einzuwickeln, blickte sichtbar überrascht auf. Nitetis hielt ebenfalls inne und runzelte ungläubig die Stirn. „Domina …?“ „Tu, was ich dir sage.“ meinte Melina streng und wartete bis Geld und Spange die Besitzer gewechselt hatten. Mit den überschwänglichen besten Wünschen des Händlers ausgestattet, die sich auch auf Melinas Kinder und Kindeskinder erstreckten, setze die Octavia ihren Weg fort.


    Sim-Off:

    reserviert

  • Hadamar genoss das Leben. Endlich mal wieder. War auch Zeit geworden, fand er, dass es dazu wieder Gelegenheit gab, nach Monaten, in denen es kaum etwas anderes als Marschieren, Orgakram erledigen und in den letzten Wochen dann Kämpfen gegeben hatte. Und dabei so viel zu sehen, so viel zu erleben – im Guten wie im Schlechten –, dass es kaum möglich gewesen war, das auch nur annähernd zu verarbeiten. Was sich jetzt im Nachhinein bemerkbar machte... so lange der Krieg noch nicht vorbei gewesen war, war da ständig eine mal mehr, mal weniger deutliche Anspannung gewesen, die ihn im Griff gehabt und nicht losgelassen hatte – und die dafür gesorgt hatte, dass so einiges einfach im Hintergrund geblieben war, wo es ihn nicht störte. Jetzt, nachdem Rom endlich, endlich offen und gesichert war, und nachdem sie auch Ostia gesichert und die Nachricht bekommen hatten, dass auch ihr Kaiser im Süden siegreich gewesen war und es nur noch eine Frage der Zeit war, bis er nach Rom kam, ließ die Anspannung spürbar nach, und erst durch dieses Fehlen bemerkte Hadamar so wirklich, wie groß sie gewesen war. Und er bemerkte es, weil er jetzt die Bilder nicht mehr verdrängen konnte. Bilder von der Schlacht bei Vicetia... von dem Blut, den Verletzten, den Toten, freizügig ergänzt von seiner Vorstellung durch die passenden Geräusche, und manchmal meinte er sogar, die Gerüche wahrnehmen zu können. Passierte das, wenn er wach war, konnte er damit immerhin auch noch einigermaßen umgehen... schlimmer war, dass er seit dem Fehlen der Anspannung begonnen hatte, davon auch zu träumen, und regelmäßig nachts schweißgebadet aufwachte.
    Die gestrige Nacht war wieder so eine gewesen... er konnte sich an keine Details mehr erinnern, wollte es auch gar nicht, aber das Gefühl war geblieben und zerrte immer noch an seinen Nerven, und er hatte beschlossen, dass es keinen Sinn machte zu versuchen, noch mal etwas zu schlafen... zu groß das Risiko, dass der Traum sich nahtlos fortsetzen würde, wo er unterbrochen worden war. War eigentlich mies, weil er heute frei hatte – nachdem der Krieg nun vorbei war, konnten sie es sich erlauben, den Soldaten wechselweise komplett freie Tage zu geben –, und er damit sogar länger schlafen könnte als normalerweise, aber nun ja, man konnte nicht alles haben. Dafür hatte er einen kompletten Tag für sich, und davon sogar recht viel, bedachte man wie früh er wach war... er musste ihn nur so füllen, dass der fade Nachgeschmack des Traums sich schnell verflüchtigte, und dass weitere Gedanken in der Richtung gar keine Chance bekamen aufzukommen. Und er hatte da auch schon eine Idee...


    Ein paar Stunden später streunte Hadamar auf dem Markt in Ostia herum. Es war die perfekte Idee gewesen, fand er – die Hafenstadt Roms, das Tor der Hauptstadt zum Imperium und der restlichen Welt, hatte er sich ohnehin vorgenommen anzusehen, aus reiner Neugier, weil er, wenn er schon hier war, so viel wie möglich sehen und erleben wollte, und weil es ihm eine angebrachte Taktik schien, einfach so viel Eindrücke wie möglich aufzuhäufen – je mehr neue hinzukamen, desto mehr wurden andere darunter erdrückt, spekulierte er. Funktionierte ja vielleicht, und selbst wenn nicht, wollte er viel sehen. Und da er für Ostia so oder so einen freien Tag hätte haben müssen, warum also nicht dann den Tag nutzen, wo er ohnehin viel zu früh wach geworden war – auch wenn er das vorher nicht unbedingt für heute geplant hatte? Also hatte er den Wachhabenden Bescheid gegeben, wo er sein würde, hatte sich ein Pferd von einer der Turmae geliehen und war los geritten, und jetzt war er hier, in der Stadt, das Pferd außerhalb untergebracht, und er streunerte zu Fuß herum. Ostia war... anders als Rom... aber gut, das traf wohl auf so ziemlich alles zu. Rom war einfach außergewöhnlich, jedes Mal wenn er da reinlief, erschlug die Stadt ihn mit ihren Eindrücken, und er kam selten sonderlich weit. Er bezweifelte, dass die Zeit, die sie noch hier in Italia verbringen würden, reichen würde, um Rom auch nur halbwegs kennen zu lernen... aber Ostia war ein anderes Blatt. Kleiner war es, nicht ganz so chaotisch, man fand sich besser zurecht, wie er durchaus erleichtert feststellte... und trotzdem hatte auch diese Stadt eine Atmosphäre von... was war das eigentlich? Von... Weltgewandtheit, vielleicht. Es fehlte der Hauch der Provinz... wie in Rom waren auch hier so viele unterschiedliche Menschen unterwegs, aus allen möglichen Provinzen, er sah unterschiedliche Hautfarben, hörte die merkwürdigsten Laute aus Mündern kommen, und auf dem Markt, zu dem es ihn zuerst gezogen hatte, gab es die verschiedensten Waren zu kaufen, darunter so einige Dinge, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Roms Tor zur Welt... als er einen seiner Leute das über Ostia hatte sagen hören, hatte er sich ja noch gedacht, dass man es auch übertreiben konnte, aber jetzt, wo er hier war, stellte er fest, dass da wohl doch was dran sein musste.


    Er ließ sich ein wenig treiben, sah sich mal hier die Auslage eines Stands genauer an und stand dann mal dort eine ganze Zeit lang rum, um einfach nur die Leute zu betrachten, bevor er wieder weiter ging... bis er plötzlich etwas sah, was seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Da war eine junge Frau – Mädchen traf es eigentlich fast besser noch –, an einem Stand mit Schmuck. Jung, und vor allem: hübsch. Er konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann er das letzte Mal mit so einer ins Gespräch gekommen war... fühlte sich wie eine Ewigkeit an, seit sie Mogontiacum verlassen hatten, und seitdem hatte es keine Gelegenheit mehr gegeben, was Frauen betraf – die Huren, die den Tross begleitet hatten, zählte er definitiv nicht dazu, das war etwas völlig anderes.
    Und die Kleine hier war noch mal deutlich mehr, die hätte so oder so seine Aufmerksamkeit erregt, weil sie einfach... Klasse hatte, fand er. Er blieb also, wo er war, beschäftigte sich mit irgendwelchen Spielereien an einem anderen Stand und behielt doch das Mädchen im Blick, lauschte mit halbem Ohr, auch wenn er nicht alles richtig verstand. Genug allerdings, um zu begreifen dass sie handelte, und das gar nicht mal so schlecht... nur um dann doch den vollen Preis zu bezahlen. Und das gerade als er sich überlegt hatte, aufzutauchen, bevor sie zahlen konnte, und das zu übernehmen. Das überraschte nicht nur den Händler, sondern auch ihn, hätte wohl jeden überrascht, und wo ihn bis jetzt nur das hübsche Gesicht gereizt hatte, war er nun wirklich neugierig... Hadamar verließ den Stand, an dem er gewesen war, holte auf zu der jungen Frau und räusperte sich erst mal, damit sie nicht erschrak, nur um dann mit der Tür ins Haus zu fallen: „Entschuldige... warum hast du das gerade gemacht?“

  • Melina konnte es Nitetis deutlich ansehen, dass es ihr nicht schmeckte, was sich soeben abgespielt hatte. Ihre Sklavin besaß nicht das Talent, ihre Gefühle unter Verschluss zu halten, sodass Melina in ihrem Gesicht so deutlich lesen konnte wie die Buchstaben auf einem Stück Pergament. Nitetis konnte es absolut nicht begreifen, warum Melina dem Händler den vollen Preis bezahlt hatte. Erstens fand Nitetis wohl nicht, dass jemand so viel Geld für eine Haarspange bezahlen sollte, und zweitens war es ihr offenbar ein Rätsel, warum man erst handelte, um sich dann doch über den Tisch ziehen zu lassen. Sie war weise genug, diese Meinung nicht in Worte zu fassen, aber wie gesagt … das brauchte sie auch gar nicht. Ihre Mimik war ein offenes Buch für Melina. Und auch wenn die Octavia diese … Eigenheit an ihrer Sklavin eigentlich zu schätzen wusste – sorgte diese doch dafür, dass sie stets wusste, woran sie war –, ärgerte sie sich jetzt ein wenig darüber. Denn sie musste nun tatsächlich den Impuls unterdrücken, sich zu rechtfertigen. Dabei musste sie das nicht im Geringsten! Schon gar nicht vor einer Unfreien.


    Melina lenkte sich ab, indem sie den Blick über den Markt schweifen ließ. Auch wenn viele Händler nicht das vollständige Sortiment feilboten und einige Stände ganz fehlten, war viel Betrieb. Offensichtlich waren die meisten Leute, so wie sie selbst, froh, dass nun wieder ein Hauch von Normalität über der Stadt lag – und zögerten nicht, ihren Teil dazu beizutragen, dass das auch so blieb. Das verringerte Angebot erinnerte sie allerdings daran, dass der verlorene Krieg immer noch wie ein Henkersbeil über den Köpfen ihrer Gens schwebte. Der Kaiser war gestürzt worden und der Usurpator hatte den Thron bestiegen. Zwar hatte die Classis Misenensis sich ergeben, sodass Ostia selbst keine Belagerung mehr zu befürchten hatte, aber es könnte immer noch sein, dass jemand auf dem octavischen Gut auftauchen würde, um … den Octaviern zu zeigen, dass sie sich auf die falsche Seite geschlagen hatten.


    Deshalb musste sie auch ein Zusammenzucken unterdrücken, als sich hinter ihr plötzlich jemand räusperte. Sie blickte kurz auf das Stoffpäckchen in ihren Händen – die Schmetterlingsspange – um sich zu sammeln und drehte sich dann langsam um. Vor ihr stand ein Soldat. Er wirkte fremdländisch mit seinen rötlichen Locken – vermutlich war er ein Peregrinus oder ein Eingebürgerter. Sie wusste wohl, dass es auch nicht-römische Soldaten gab – und Legionen in den anderen römischen Provinzen wie Gallien oder Germanien, wo sich einige Menschen aus den Barbarenvölkern das Bürgerrecht erworben hatten. Aber sie konnte von seiner Ausstattung her keine besonderen Schlüsse ziehen, wo sie ihn einzuordnen hatte – dazu verstand sie einfach zu wenig vom Militär. Zwar war ihr Vater auch Soldat gewesen, aber sie selbst hatte sich für das Thema nie sonderlich erwärmen können. Natürlich waren die Soldaten und das gesamte römische Militär der Garant dafür, dass das römische Reich das war, was es jetzt war. Eine Weltmacht, der keines der Barbarenvölker etwas entgegenzusetzen hatte. Und Melina war, wie die meisten Bürger, stolz darauf. Allerdings standen Soldaten auch für den Kampf – und Kampf und Krieg waren etwas, das hässliche Narben auf dem doch größtenteils schönen Antlitz der Welt hinterließ.


    Dieser spezielle Soldat wirkte jedoch nicht unfreundlich oder forsch, sondern eher offen und neugierig. Hätte er sich ihr anders präsentiert – offizieller, militärischer – hätte Melina vermutlich Angst bekommen, dass ihr aufgrund ihrer Familiensituation Übles schwante, so aber kam sie gar nicht auf diesen Gedanken. Im Gegenteil, die doch sehr direkte Ansprache zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht. „Warum habe ich gerade was gemacht, Soldat?“ Sie hatte keine Ahnung, wovon er redete, aber scheinbar hatte irgendetwas an ihrem Verhalten seine Aufmerksamkeit erregt. Oder aber er hatte einfach einen Grund gesucht, sie anzusprechen.

  • Hadamar war schon einigen Frauen begegnet bisher, und hatte dabei auch die unterschiedlichsten Verhaltensweisen beobachtet inzwischen... aber das war ihm noch nicht passiert. Dem Händler scheinbar auch nicht, so wie der dreinsah, und sogar die Sklavin, die die junge Frau begleitete, wirkte überrascht – was ein Indiz dafür war, dass sie offenbar nicht ständig solche Anwandlungen hatte. Hadamar machte das nur noch neugieriger... sie war auf jeden Fall niemand, der sich einfach über den Tisch ziehen ließ, dass sie gehandelt hatte zeigte das ja. Kein kleines Naivchen, wie es wohl bei Römern öfter mal vorkam, je reicher die Familien waren, je besser sie ihre Töchter schützen konnten. Und der Überraschung der Sklavin nach zu schließen war sie auch keine von denen, die ganz generell Mitleid mit allem und jedem hatten und am liebsten die ganze Welt retten wollten. Wobei sie dann auch nicht erst gehandelt hätte. Was also war es, was sie da zum Umschwenken gebracht hatte? Warum auf einen Vorteil verzichten, den man schon sicher in der Tasche hatte? Aus Spaß? Einfach weil man es konnte? Sie wirkte irgendwie auch nicht wie eine Spielerin auf ihn, eine, die einfach austesten wollte, wie weit sie gehen konnte... Egal. Es gab nur einen Weg, das wirklich rauszufinden, und Hadamar gedachte genau das zu tun – also: lief er ihr nach und sprach sie an.


    Sie lächelte. Das war schon mal ein gutes Zeichen, immerhin war sie nicht erschrocken, und sie reagierte auch nicht ablehnend. Man wusste ja nie, ob Mann jetzt mit der gewählten Form der Ansprache wirklich richtig lag, bis Frau nicht reagiert hatte... Und gerade in diesen Zeiten hätte es auch sein können, dass sie nicht einfach nur unmöglich fand, dass ein Mann sie so direkt ansprach mitten auf dem Markt, sondern dass sie irgendwie Angst bekam, weil er Soldat war und als solcher auch deutlich zu erkennen. Aber dieser Frau hier schien es nichts auszumachen, dass er sie so direkt angesprochen hatte, und scheinbar hatte er auch den richtigen Tonfall gewählt, dass sie nicht etwa glaubte er bedeute Ärger für sie. Dem Lächeln nach zu schließen gefiel es ihr sogar eher. Hadamar lächelte zurück, und bemühte sich dabei um seine charmanteste Variante davon. „Naja... ich hab das gerade eben beobachtet, beim Händler.“ Ohne die Augen von ihr zu lassen gestikulierte er kurz zurück zu dem Stand, wo der Händler sich nun vermutlich ins Fäustchen lachte, nachdem er sein Erstaunen überwunden hatte. „Du hattest ihn schon da, wo du ihn haben wolltest. Gut gehandelt, übrigens“, flocht er nebenbei ein Kompliment ein und schloss dann neugierig an: „Warum hast ihm dann doch das gezahlt, was er haben wollte? ... Entschuldige, Lucius Duccius Ferox ist mein Name. Optio der Legio Secunda aus Mogontiacum“, stellte er sich dann nach einer winzigen Pause vor, noch bevor sie antworten konnte. Zwar etwas verspätet, daran hätte er eher denken sollen, aber dafür ziemlich formvollendet, wie er zumindest selbst fand.

  • Wie gut, dass Melina eine ausgezeichnete Erziehung genossen hatte – welche unter anderem die Kunst beinhaltete, ihre Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten, selbst, wenn sie ihr am liebsten entgleisen wollten. Jetzt war so ein Moment, wo sie für diese Fähigkeit auszunehmend dankbar war, denn der Soldat schlug in die gleiche Kerbe wie Nitetis. Wobei Nitetis es nur non-verbal getan hatte und darüber hinaus Melinas Sklavin war, sodass Melina sie ignorieren oder ihr zumindest eine Antwort schuldig bleiben konnte. Bei dem fremden Soldaten würde das wohl hochgradig unhöflich wirken. Allerdings wirkte besagter Soldat, der sich ihr als Lucius Duccius Ferox vorstellte, nicht so … nun ja … kritisch wie Nitetis. Er verstand es immerhin, seine Frage in netten Worten zu verpacken und das Ganze zudem noch mit einem Kompliment zu garnieren.


    Auch die Frage nach seinem fremdländischen Aussehen wurde durch seine Vorstellung gelüftet. Er war Optio in einer Legio in Mogontiacum, also Germanien – und soweit sie wusste, hatten die Duccier germanische Wurzeln, was ihnen, wie sie jetzt feststellen konnte, auch anzusehen war. „Freut mich, Optio, mein Name ist Octavia Melina.“ stellte sie sich ebenfalls vor und fügte dann in scheinbar unbeschwertem Plauderton hinzu: „Du bist weit weg von Zuhause.“ Das Ganze garnierte sie mit einem Lächeln, das ihre Furcht glänzend zu verbergen wusste. Sie hatte ein Gespräch zwischen Vater und einem ihrer entfernten Vettern mitbekommen, bei dem es darum gegangen war, welche Gens welche Seite im Bürgerkrieg eingenommen hatte. Und die Duccier zählten zu den Verrätern, also zu dem Gefolge des Usurpators. Natürlich war Melina nicht so dumm, das Ferox auf die Nase zu binden. Erstens würde sie sich damit nur Steine in den Weg legen und zweitens schien der Optio zumindest bisher ganz nett zu sein – warum also schlafende Hunde wecken?


    Dennoch war sie sich unsicher, wie er wohl seinerseits auf ihren Namen reagieren würde. Also ließ sie ihm gar nicht viel Zeit, die Vorstellung sacken zu lassen, sondern griff stattdessen das Thema auf, das sie eigentlich gerne hätte hintenüber fallen lassen – ihren unkonventionellen Kauf der Schmetterlingsspange. „Und was den Händler betrifft …“ Melinas Blick wanderte kurz zu dem Verkaufsstand, aber der Mann drehte ihr den Rücken zu, sodass sie nicht erkennen konnte, ob ungläubige Dankbarkeit oder ein schadenfrohes Grinsen sein Gesicht zierte. „Vielleicht wollte ich ihn dazu animieren, trotz des … Krieges seinem Gewerbe weiter nachzugehen.“ Das Zögern war minimal, aber hörbar, sodass sie einfach schnell weitersprach. „Ich gebe zu, die Herangehensweise war ungewöhnlich. Aber mir ist es lieber, der Händler hat den Eindruck, ein blendendes Geschäft gemacht zu haben und kommt mit seinen Spangen hierher zurück, anstatt zu dem Schluss zu gelangen, dass sich die Geschäfte zurzeit nicht lohnen. Das ist mir dann auch einen zusätzlichen Denarius wert.“ Sie lächelte – und dieses Mal lag darin etwas leicht Herausforderndes. „Vielleicht bin ich aber auch einfach eine Wohltäterin mit einem Herz für Schmuckhändler. Und du? Was hat dich nach Ostia verschlagen?“


    Warum nicht einfach mal direkt sein? Wer fragte, bekam Antworten. Ob die einem gefielen, stand auf einem anderen Blatt … aber das würde sie gleich feststellen.

  • Lief doch ganz gut. Was Hadamar umso besser fand, weil er in den letzten Monaten nur Kameraden als Gesprächspartner gehabt hatte... und die ein oder andere Lupa, aber mit denen redete er eigentlich nicht viel. Sie stellte sich sogar vor, und das war immer ein gutes Zeichen. Wenn eine Frau eigentlich überhaupt keine Lust hatte mit einem zu reden, verzichtete sie in der Regel auch darauf, ihren Namen zu nennen, jedenfalls so lange man nicht danach fragte. Octavia Melina also. Hadamar grübelte kurz, und er meinte sich zu erinnern, dass der Praefect der Classis Misenensis ein Octavier war... aber ganz sicher war er sich nicht, ob er das richtig gehört hatte, und wer wusste außerdem schon, ob sie wirklich mit ihm verwandt war. Und selbst wenn: Rom war in ihren Händen. Ostia auch. Die Classis hatte sich ergeben, so weit er wusste, und der Kaiser – der wahreechtewirkliche Kaiser, das musste man irgendwie immer mit dazu runterbeten momentan, wenn man das sagte – war auf dem Weg nach Rom. Und außerdem war ihm sowieso ziemlich egal, wer auf welcher Seite gestanden hatte, vor allem jetzt, wo es vorbei war.


    „Eh, ja...“ machte er und kratzte sich, ihr Lächeln erwidernd, am Kopf, als sie davon sprach, dass er weit weg von Zuhause sei – hatte aber keine Gelegenheit im Moment, genauer darauf einzugehen, weil sie gleich weiter sprach. Und er musste zugeben: ein bisschen fasziniert war er ja schon von dem Grund, den sie angab. Es war auf jeden Fall einer, mit dem er ganz sicher nicht gerechnet hätte. „Also um Ostias Wirtschaft anzukurbeln. Eine Frau mit Sinn für die Handelswelt... Ich glaube du könntest dich mit ein paar meiner Verwandten ganz gut verstehen.“ Hadamar selbst hatte mit der Freya Mercurioque wenig am Hut gehabt, und als Soldat in den Mannschaftsrängen durften noch nicht einmal Betriebe auf seinen Namen laufen – aber natürlich wusste er, dass seine Familie in Germanien ein kleines Wirtschaftsimperium aufgebaut hatte.
    Sein Schmunzeln vertiefte sich, als er die Herausforderung in ihrem Lächeln sah und sie gleich noch einen Grund lieferte... und damit eigentlich dafür sorgte, dass er so schlau war wie vorher, warum genau sie nun dem Händler doch mehr gezahlt hatte. Und das obwohl sie ziemlich ausführlich geantwortet hatte.
    „Wenn schon Wohltäterin, dann bitte mit einem Herz für arme Soldaten, die weit weg von ihrer Heimat sind...“ Er zwinkerte ihr kurz zu. „Und ich... naja, der Krieg ist vorbei.“ Hadamar zuckte die Achseln und verbot sich, an die Albträume zu denken, die zumindest mit dafür verantwortlich waren, dass er heute hier war. „Rom ist gesichert, Ostia genauso, die Truppen haben nicht mehr wirklich viel zu tun... außer für Ordnung zu sorgen und darauf zu warten, dass der Kaiser eintrifft. Da dachte ich mir, ich nutz meinen freien Tag und schau mir Ostia an, wenn ich schon mal hier bin.“

  • Aha, die Duccier hatten also einen Sinn für die Handelswelt. Melina lächelte. „Möglicherweise. Bisher hatte ich noch nicht das Vergnügen. Du bist der erste aus deiner Familie, den ich persönlich kennenlerne.“ Genau genommen wusste sie sehr wenig über die Duccier – abgesehen davon, dass sie germanischstämmig waren und eben im Krieg auf der Seite Palmas gestanden hatten. Sie beschloss, diesen Mangel an Wissen erst einmal für sich zu behalten, vielleicht würde sie im Laufe des Gesprächs noch ein paar Sachen in Erfahrung bringen können. Dass sie selbst viel vom Handel verstand, war nur bedingt richtig. Sie konnte feilschen, wenn sie einkaufen ging, das ja. Aber bisher hatte ihr Vater ihr noch keine Betriebe überschrieben. Auch das hatte er erst machen wollen, wenn sie nach Rom ging. Was sie wieder daran erinnerte, dass diese Zukunft, die einst so sicher erschienen war, mittlerweile höchst ungewiss war.


    Allerdings erwähnte der Optio dann, dass Rom „gesichert“ sei. Gesichert im Sinne Palmas meinte er natürlich … aber bei allem Schlechten, was damit für ihre Familie einherging, würde das zumindest über kurz oder lang dazu führen, dass die Unruhen aufhörten und man die Stadt wieder gefahrlos betreten konnte. „Keine schlechte Wahl … Ostia ist zwar nicht Rom …“ Mit diesen Worten schaffte es Melina weltmännischer zu klingen, als sie eigentlich war – denn zu ihrem eigenen Leidwesen kannte sie sich in Rom weniger gut aus als ihr lieb sein konnte. „… aber es gibt auch hier eine Menge zu sehen. Auch abseits diese Marktes hier, der in Friedenszeiten natürlich ein größeres Sortiment zu bieten hat. Einer Wohltäterin wie mir wird es natürlich eine Ehre sein, einen Soldaten fern der Heimat ein wenig herumzuführen. Es sei denn, du hattest bereits andere Pläne?“ Melina wusste selbst nicht, warum sie dem Optio dieses Angebot unterbreitete. Es bedurfte keines vorwurfsvollen Blickes von Selma, um Melina wissen zu lassen, dass sich eine Frau von Stand eigentlich nicht dazu hergab, für einen fremden Soldaten, der noch nicht einmal aus einer befreundeten Familie stammte, Fremdenführerin zu spielen.


    Aber es war eine Mischung aus Reiz und Berechnung, die sie dazu brachte, diesen Vorschlag zu machen. Der berechnende Teil in ihr schlussfolgerte, dass es mit Sicherheit nicht schaden konnte, sich mit einem Mitglied der „Gewinnerseite“ gut zu stellen. Zwar hatte sie keine Ahnung, wie viel Einfluss Ferox tatsächlich hatte, aber er war nun mal hier. Und er hatte für Palma gekämpft. Selbst, wenn er persönlich keinen Einfluss auf den falschen Kaiser nehmen konnte, kannte er eventuell Leute, die es konnten. Und auch, wenn Melina nicht wirklich viel von Politik verstand, war ihr doch zumindest klar, dass die einzige Möglichkeit, die sie hatte, um ihrer Familie zu helfen, jene war, einflussreiche Personen auf die eine oder andere Weise für sich zu gewinnen. Darüber hinaus reizte es sie einfach, etwas zu tun, das sie eigentlich nicht tun sollte. Aus ihrem Käfig zumindest ein wenig auszubrechen. Wann hatte sie sonst schon mal die Gelegenheit, einen Mann kennenzulernen, der ihr nicht von ihrer Familie auf dem Präsentierteller hingeschoben wurde?

  • „Naja, meine Familie lebt in Germanien, dort haben sie einen Großhandel aufgebaut. Nur ein paar von uns sind in Italia.“ Und das auch in der Regel nicht dauerhaft. Er war sich nicht ganz so sicher, wie sehr seine Sippe hier tatsächlich bekannt war, aber zumindest dass die Octavia noch keinen Verwandten von ihm getroffen hatte, war nun wirklich nicht allzu ungewöhnlich. Wer war denn schon Italia? Alrik. Dagmar. Und er, vorübergehend. Früher waren mal Arbjon und Phelan in Rom gewesen, aber das war auch schon wieder eine ganze Weile her. Hadamar schmunzelte. „Freut mich umso mehr, dass ich das Vergnügen hab der erste zu sein, der deine Bekanntschaft macht.“ Er sagte ihr nicht, dass er auch noch keinen Octavier getroffen hatte. Glaubte er zumindest... gut möglich, dass sich irgendwo in der Legion einer versteckt hatte, dessen Name einfach nicht bei ihm hängen geblieben war. Aber selbst wenn er sich da sicher gewesen wäre, hätte es ein wenig komisch gewirkt, fand er, wenn er sie jetzt einfach nur nachmachte.


    „Ach, um ehrlich zu sein, ist das einer der Gründe, warum ich heut hier bin. Rom erschlägt einen mit seiner schieren Größe. Jedenfalls jemanden wie mich, der Germania gewohnt ist“, gab er offen zu und grinste sie mit einer Mischung aus Lausbubenhaftigkeit und Charme an. Natürlich hätte sich wohl zunächst mal besser angehört, wenn er einen auf völlig abgeklärt machte... Aber zum einen war er nicht so – er hatte kein Problem damit zu schwindeln, aber anderen dauerhaft was vorzuspielen, sich als jemand zu geben der er nicht war, war nicht seins. Schon allein weil er sich das viel zu anstrengend vorstellte auf Dauer. Und zum anderen hatte er das Gefühl, dass es bei ihr besser ankam, wenn er genau das eben nicht tat. Wenn er sich nicht irgendwie aufspielte. „Da dacht ich, Ostia könnt eine schöne Abwechslung sein. Abgesehen davon, dass ich die Stadt einfach sehen wollt.“
    Und dann, einfach so, tat sie etwas, was ihn wirklich überraschte: sie bot ihm an, ihm Ostia zu zeigen. Für den Bruchteil eines Augenblicks war die Verblüffung auf seinem Gesicht zu sehen, dann zeigte sich auf seiner Miene ein erfreutes Lächeln. Damit hätte er nun wirklich nicht gerechnet, dass seine verspielte Bitte um ein Herz für den Soldaten fern der Heimat so einen Erfolg hatte... aber er fragte sich auch nicht wirklich, warum das so war. Ohne wirklich darüber nachzudenken vermutete er unbewusst einfach, dass das an seinem Charme liegen musste. Dass es ihr Spaß machte, sich mit ihm zu unterhalten, und natürlich tat die Soldatenklamotte auch ein bisschen was dazu, auch wenn er natürlich nicht voll gerüstet war. Und vielleicht war ihr einfach auch ein bisschen langweilig oder so, und eine Stadtführung eine willkommene Abwechslung für sie. So oder so freute Hadamar sich ehrlich über das Angebot. „Selbst wenn ich Pläne hätt, wie könnt ich da nein sagen? So eine Gelegenheit kriegt man nicht jeden Tag, von einer schönen Wohltäterin Ostia gezeigt zu bekommen.“

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