Quartos Zuflucht – Das Haus der Witwe Tibulla

  • Angesichts dessen, dass Palmas Aufstand seit mehr als einem Jahr im Gange war und sie schon häufig darüber gesprochen hatten, war es eigentlich undenkbar, dass Quarto zum ersten mal davon hörte. Konnte es sein, dass er alles wieder vergessen hatte? Oder wollte er vergessen?
    Paetus warf Corvus einen verzweifelten Blick zu.


    Dann fasste er sich wieder.
    “Wir müssen zurück nach Rom!“
    Das war mehr Feststellung, denn Entschluss.
    “Dort ist unser Platz und dort wird die Zukunft entschieden. Wir müssen bald aufbrechen!“

  • Corvus bedachte den jungen Mann verholen mit einem Blick der Bewunderung. Er war so bemüht, die Aufregung zu verbergen, Haltung zu wahren und erkannte dennoch und trotz seiner Jugend ganz klar, was nun zu tun war.
    Wenn Palma in Rom war, dann würden dort die Pfründe verteilt werden. Man sollte da nicht fehlen.


    “Richtig.“, pflichtete er ihm dann auch bei: “Es gibt keinen Grund mehr hier zu bleiben. Lasst uns so rasch wie möglich aufbrechen.“

  • Quarto nickte nur. Er stierte vor sich hin und schien in Gedanken bereits wieder weit fort zu sein, an Palma und alles andere keine weiteren zu verschwenden, und war im Geiste vielleicht schon in Rom, seiner geliebten Heimat.


    “Ja, Rom...“, brummte er. “Nach Rom.“

  • Und wieder war es Paetus, der die praktischen Dinge in die Hand nahm, die nun keinen Aufschub mehr duldeten. Jetzt, wo sein Vater nicht in der Lage dazu schien, da war es an ihm, die Zügel in die Hand zu nehmen und er wuchs sichtlich mit der Aufgabe.


    “Nakhti!“, rief er mit lauter Stimme und in einem Befehlston, den man ihm vor Kurzem noch kaum zugetraut hätte.

  • Paetus quittierte das Erscheinen Nakhtis mit einem Nicken.


    “Wir werden diese Stadt verlassen. Wir kehren nach Rom zurück.“, klärte er den Sklaven auf.
    “Gib allen bescheid. Es soll gepackt werden. Wir reisen mit leichtem Gepäck in nur einem Reisewagen voraus. Schon morgen, hörst du? Der ganz Hausrat kommt nach. Sorge dafür!“


    Er sah zu Corvus.


    “Decius Germanicus, du wirst uns doch begleiten, oder?“

  • Nakhti blickte kurz zum schweigsamen Quarto, seinem alten Herrn und Meister, der jedoch nichts gegenteiliges von sich gab.
    Also verneigte er sich noch einmal.
    “Ja, 'err.“
    Dann eilte er davon, fest entschlossen, dass ganze Haus im Zeichen des Aufbruchs in Aufruhr zu versetzen.

  • An diesem Vorabend ihrer Abreise nahmen sie die cena erstmals seit längerem wieder gemeinsam ein. Das Abendmahl war nicht allzu reichhaltig und Quarto als fröhlich zu bezeichnen, wäre bei weitem übertrieben. Und doch war die Stimmung gelöster und er sprach mehr, als man es lange von ihm gehört hatte. Wenngleich seine Erzählungen auch meist, einmal mehr von der Vergangenheit handelten und von seinem geliebten Oleander im peristyl der Domus Aeliana.


    Am nächsten Morgen brachen sie auf, verließen das Haus der Witwe, die ob des Abschieds nicht unglücklich zu sein schien, und die Stadt Mantua, die ein sicheres Exil gewesen war. Der Reisewagen rumpelte gen Süden, Rom entgegen.

  • Corvus ritt dem Reisewagen voran. Wie würde Rom sie empfangen? Wie waren die Zustände dort? Was hielt die neue Zeit für sie bereit, und vor allem: für ihn selbst?
    Wo würden sie zunächst unterkommen? Sollten sie gleich zum Palatin? Oder war es besser, wenn sie zuerst das Haus seiner Familie aufsuchten? Ja, dort würden sie Freunde antreffen. Das, fand Corvus, war bestimmt die bessere Wahl.
    Hoffentlich brach der alte Klepper auf dem Weg dorthin nicht unter ihm zusammen!

  • Ihr Onkel, ihr Cousin und auch der langjährige Freund ihres Onkels waren schon nach Roma aufgebrochen. Die Nachrichten über die Umstände in Roma waren stellenweise verwirrend gewesen, aber weckten Hoffnung. Sie hatten die Hoffnung nicht mehr um ihr Leben fürchten zu müssen und wieder gern gesehene Bürger der Hauptstadt des großen Reiches zu werden. Trotzdem war es noch immer nicht ungefährlich und so sind die Männer vorgereist und wollten die Rückkehr der Familie vorbereiten und den Weg ebnen. Sie war mit sämtlichen Sklaven zurückgeblieben und sollte sich um ihre eigene und die Rückkehr der Sklaven und des mitgenommenen Hausstandes kümmern. Als brave Hausfrau, die sie nun mal war, tat sie auch was ihr aufgetragen wurde. Im Haushalt der Aelii war sie nun mal die einzige Frau und es war ihre Aufgabe. Es würde nur noch zwei oder drei Tage der Vorbereitungen brauchen und auch sie konnten zurück nach Roma und darauf freute sie sich.

  • ...und Nakhti würde die Herrin Vespa auf dieser Reise begleiten und ihr zu Diensten sein, wann immer sie seiner bedurfte.


    Er vermisste Rom auch und freute sich auf die Rückkehr. Das heißt: er vermisste weniger die Stadt selbst, als vielmehr das geruhsame Leben im Haus seines Herrn, des Senators Quarto, wo er wenig arbeiten musste und viel Zeit mit Nichtstun und dem Herumlungern in der Küche vergeuden konnte. Es war ein Leben gewesen, von dem andere Sklaven kaum zu träumen wagten und er hoffte in seiner einfältigen Naivität, dass alles wieder so werden würde, wie es einmal gewesen war.


    Aber zunächst war er einmal mehr mit Reisevorbereitungen beschäftigt.

  • Mit Nakhti's Hilfe war das Zusammenpacken gar kein großes Problem mehr. Den ganzen Tag hatten sie damit verbracht alle Habseligkeiten wieder gut einzupacken und verstauen zu lassen. Am Vortag ebenso. Es sollte alles im Ganzen wieder nach Roma gelangen und in ihr Heim. Vespa saß in ihrem Zimmer und ging noch einmal die Tafeln mit dem hierher verbrachten Interieur durch und verglich sie mit den Packlisten. Es sah alles gut aus. Nakhti war bei ihr und zufrieden reichte sie ihm die Tafeln zur Verwahrung.


    "Ich gehe davon aus, dass wir morgen meinen Verwandten nachreisen können. Es hat alles besser geklappt als ich angenommen hatte. Das haben wir auch dir zu verdanken. Könntest du dafür sorgen, dass wir morgen ausreichend zu essen und trinken für die Tage der Reise haben. Ich weiß nicht wie viel wir davon unterwegs erwerben können. Dann möchte ich nicht all zu spät losreisen. Es kann passieren, dass wir in der Mittagshitze rasten müssen und so schaffen wir gegebenenfalls nur die Hälfte der eigentlichen Strecke. Wir müssen das einplanen. Daher sollten wir so früh wie möglich starten und so lang es geht fahren. Kannst du das übernehmen?"


    Roma. Endlich würde sie zurückkommen. Sie würde Roma wiedersehen. Was sie dort erwarten würde, konnte keiner sagen. Zumindestens hatten sie ein Obdach. Es war die Familie ihrer verstorbenen Freundin. Wobei...die Familie des Mannes ihrer verstorbenen Freundin. Aber ihr Onkel unterhielt gute Kontakte. Vermutlich waren sie dort lieber gesehen als hier. Die Dame des Hauses freute sich schon jetzt, dass sie die Langzeitgäste endlich los wurde. Manchmal konnte sie es ihr nicht verdenken. Das Zusammenleben mit ihrem Onkel war nicht immer einfach. Er wurde alt und der Tod ihrer Familie hatte besonders bei ihm seine Spuren hinterlassen. Egal was passieren würde, sie würde ihm zur Seite stehen. Das hatte sie sich geschworen.

  • “Essen und Trinken, ja 'errin.“, antwortete Nakhti und verneigte sich. “Und wegen 'itze am Mittag frü' losge'en, ja.“
    Er versuchte sich alles zu merken, machte dabei aber gar kein schlaues Gesicht, und spürte die Last der ihm aufgebürdeten Verantwortung. Ein kleiner Schweißtropfen rann ihm vom kahlen Schädel über die Schläfe und die Wange hinab bis zum Kinn, wo er einen Augenblick keck verweilte, bevor er sich in die Tiefe stürzte.

  • Dank Nakhti war alles soweit fertig, dass sie nun endlich losfahren konnten. Kaum, dass die ersten Sonnenstrahlen diesen Tag erhellten, war geschäftiges Treiben im Hause der Witwe losgebrochen. Nach einem kleinen Frühstück ging es zu den Wagen und die Reise begann. Vespa hatte einen Platz im Wagen. Dort war sie zumindestens vor der Sonne geschützt, aber nicht vor die Hitze, die sie bald alle plagen würden. Neben ihr saß ihr Sohn. Doch noch war es angenehm und der Wind wehte als eine leichte Brise über das Land und ließ die jetzt schon fast sengend heißen Sonnenstrahlen noch angenehm wirken. Es war ein ansehnlicher Troß, der sich nun in Bewegung setzte und Vespa mittendrin.

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