• Natürlich störte sie sich nicht daran. Er hatte eine gute Arbeit, eine angesehene Arbeit. Und die beanspruchte eben den Großteil seiner Zeit. Wenn sie jemanden brauchte, der zu jeder Zeit da sein konnte, war er nun einmal der falsche. Aber die Sache war damit wohl geklärt.
    Auch den Rest verstand sie. Doch er hatte noch immer ein ungutes Gefühl bei dem Gedanken es angesprochen zu haben. Nicht nur wegen ihr. Vielleicht weil etwas, sobald man es aussprach, noch viel realer zu werden schien. Immer mehr wurde ihm bewusst, auf was er sich hier einließ. Er sagte sich selbst einfach, dass er es jederzeit beenden könnte, wenn er spürte, dass es Schwierigkeiten geben könnte.
    "Klar, gute Idee", stimmte er ihrem Vorschlag zu. Er dachte kurz nach. "Gibt es irgendeinen Ort hier in der Nähe, wo ich dir Nachrichten hinterlassen kann?" Es schien ihm die einfachste Möglichkeit ihr auszurichten, wann er Zeit hatte, ohne mit ihr persönlich zu sprechen.

  • Beroe jubelte innerlich, als er ihr zu verstehen gab, dass er sie auch in Zukunft sehen wollte. Der Iunier musste etwas für sie empfinden, redete sie sich daraufhin ein. Sonst hätte er sich schon längst wieder von ihr abgewandt. Endlich, so glaubte sie, würde sie auch ein bisschen Glück haben, nach allem, was in den letzten Tagen geschehen war. Avianus war das krasse Gegenteil von Silanus. Silanus war ein kalter brutaler Klotz, doch der Iunier hingegen war ehrlich und freundlich.
    Jedoch erhielt ihre Freude schon gleich wieder einen Dämpfer, als es darum ging, wie man miteinander kommunizieren konnte. Da gab es leider ein klitzekleines Problem, welches Beroe ziemlich zu schaffen machte und für das sie sich auch schämte.
    „Einen Ort wüsste ich vielleicht schon, äh… aber … ich kann nicht lesen.“ Verlegen schlug sie die Augen nieder. „Mein Dominus meinte, ich müsste nicht lesen und schreiben können. Deshalb habe ich es nie gelernt.“ Aber sie hätte einiges gegeben, es lernen zu dürfen. Das würde das Ganze noch schwieriger machen.


    Doch dann hatte Beroe eine Idee. Sie zog das Lederbändchen mit dem Amulett, welches sie immer um ihren Hals trug, aus und gab es ihm.
    „Hier, nimm das. Immer wenn wir uns treffen können, legst du es unter einen Stein an der ersten Bank, die am Eingang zum Park steht. Wenn ich das Amulett dort finde, warte ich dort auf dich.“ Für ihn würde es bestimmt nicht verwerflich sein, wenn er ab und zu in den Park ging.

  • Avianus lächelte schief, als er ihre Freude spürte, die sich einen Augenblick später jedoch wieder verflüchtigte. Wieder einmal wollte seine Hand an seine Stirn. Klar, es gab Sklaven, die konnten lesen. Aber automatisch anzunehmen, sowas wäre Standard, so naiv war nicht einmal er. Er hatte schlicht nicht darüber nachgedacht. Hoffentlich nahm sie es ihm nicht übel.
    "Entschuldige. Wirklich, daran habe ich gar nicht gedacht", sagte er ein wenig unglücklich darüber, dass er sie in Verlegenheit gebracht hatte. Wenigstens konnte er aber sagen, dass sie damit auf eine bessere und damit vor allem brauchbare Idee gekommen war.
    Er nahm den Anhänger entgegen und besah ihn kurz etwas genauer, bevor er ihn sicher in seinem Geldbeutel verstaute. Er würde später noch einen besseren Platz dafür suchen, wo er wirklich sicher war. "Gut. Wenn ich abends Zeit habe, wird es bis Mittag dort liegen." Das bedeutete er hätte immer einen Nachmittag und den darauffolgenden Morgen Zeit, das Amulett zu deponieren. Das wäre mit Sicherheit machbar.
    Aber warum er das alles überhaupt machte, er war sich selbst immer noch nicht sicher. Es schien, als gäbe es mehr als nur einen Grund. Vielmehr war es eine Summe kleiner Gründe, die ihn dazu brachte, wie die Tatsache, dass sie ihm geholfen hatte. Oder Dass sie ihn so sehr überrascht hatte, als sie ständig nicht das getan hatte, was er erwartet hätte. Vielleicht auch weil sie ihm irgendwie Leid tat und sich offenbar so sehr darüber freute. Anders konnte auch er es sich nicht erklären.
    Er wartete einen Moment, vielleicht gab es ja wieder etwas, dass sie ihm noch sagen wollte, bevor er sich für heute endgültig verabschiedete.

  • „Ach, das macht nichts. Ist ja nicht deine Schuld,“ beschwichtigte sie ihn. Sie war ihm einfach nur dankbar, dass er sich überhaupt mit ihr abgab. Das war nicht selbstverständlich, wenn man mal bedachte, unter welchen Voraussetzungen sie sich kennengelernt hatten.


    Beroe beobachtete ihn, wie er ihr Amulett in seinem Geldbeutel verstaute. Sie hatte ein gutes Gefühl dabei. Zwar rechnete sie nicht damit, Avianus könnte sie jemals von Silanus befreien. Aber es war einfach gut zu wissen, dass es da jemanden gab, mit dem sie reden konnte und der keinerlei Hintergedanken dabei hatte.
    „Dann werde ich jeden Tag in den Park kommen, um nachzusehen, ob das Amulett dort liegt,“ versprach sie ihm lächelnd. Einen Moment stand sie noch schweigend aber zufrieden neben dem Iunier. Beroe war einfach nur glücklich. Allerdings hatten die beiden ganz die Zeit vergessen. Es war bereits dunkel geworden. Beroe wurde dabei bewusst, dass sie nun bald zurück zur Casa eilen musste. Schließlich musste sie, wie jeden anderen Abend auch, damit rechnen, dass Silanus wieder bei ihr auftauchte. Und der duldete keinerlei Ausreden. Das letzte, was Beroe wollte, war dass Silanus etwas über den Iunier erfuhr. So wie sie ihm einschätzte, konnte das böse Folgen für ihn haben.


    „Es ist schon spät geworden. Ich denke, ich sollte dich jetzt besser gehen lassen, bevor sie dich noch aussperren,“ scherzte sie.

  • Er nickte leicht. Ob ihr wohl bewusst war, wie oft sie in die Horti Lolliani gehen würde, ohne etwas unter den Steinen zu finden? Aber es war die einzige Möglichkeit, und Avianus hatte das Gefühl, dass es ihr egal war, und das unterstrich widerum nur, wie wichtig es ihr war.
    Auf ihren Scherz hin lächelte er ein wenig. Sie hatte recht, es war Zeit in die Castra zurückzukehren, vor allem aber damit er noch genügend Schlaf bekam. "Da mach dir mal keine Sorgen." Mit einem "Vale" verabschiedete er sich und wandte sich ab.

  • „Vale“, antwortete Beroe lächelnd und hob zum Abschied die Hand. Dann sah sie ihm nach, wie er endgültig hinter dem Tor der Castra verschwand. Die Hoffnung, ihn vielleicht bald wieder treffen zu können, lenkte sie auf dem Nachhauseweg ab, so dass sie gar nicht mehr an Silanus dachte. Und selbst dann, wenn er bereits in der Casa auf sie warten würde um sie zu tyrannisieren, ja selbst dann wusste Beroe nun eins: es gab jemand, der an sie dachte und sie vielleicht auch ein bisschen mochte.
    Die Möglichkeit, dass sie ihr Amulett niemals wieder unter dem Stein finden würde, stellte sich in diesem Moment für sie nicht. Und so waren es leichtfüßige Schritte, die sie zum Aventin trugen.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!